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Politisches Feuilleton

21.6.2000 • 7.20
 

Norbert Bolz
Die 4. Welt

 


 
Die Welt war noch in Ordnung , solange sie in drei übersichtliche Teile zerfiel: die 1. Welt des prosperierenden Westens, die 2. Welt des roten Ostens und die 3. Welt der Unterentwickelten. Nun ist aber die 2. Welt vor unseren Augen kollabiert. Und mit Green Cards ködern wir heute Experten aus der 3. Welt, die unsere Computersysteme auf Vordermann bringen sollen. Und die ganze Welt zittert, wenn ein Twen aus Manila einen Virus in die Netze schickt. Im Erschrecken über diese Entwicklung tut sich eine 4. Welt auf, die nicht mehr durch territoriale Grenzen markiert ist, sondern durch die Unterscheidung von Medienkompetenz und Inkompetenz. 'Digital divide' nennt man das in Amerika: die Kluft zwischen der Internet-Kultur und den Computeranalphabeten. Wer hat Zugang zum Netz? Vernetzt oder nicht vernetzt - das ist hier die Frage. Sehen wir näher zu.
Globalisierung, Vernetzung, Weltkommunikation - da kommt man leicht ins Träumen. Als ob alles zusammenwachsen würde zur Einen Welt, zum digitalen Weltdorf. In der Tat fallen ja allerorten die Grenzen: zwischen den Staaten Europas, zwischen den Geschmäckern der Klassen, zwischen den Ebenen der Unternehmen. Überall strahlen die Sterne von Hollywood, überall gibt es McDonalds, überall herrscht Microsoft. Und zumindest in der Chance, arbeitslos zu werden, sind wir fast alle gleich. Doch wenn man aus diesem Millenium-Traum aufwacht, kann man schon recht deutlich neue Grenzen erkennen. Die schärfste Grenzlinie hat Benjamin Barber markiert: Dschihad gegen McWorld, also der Heilige Krieg des Fundamentalismus gegen eine westliche Netzwerk- und Medien-Kultur, die eben gar kein Fundament mehr hat. Ähnlich verläuft die Demarkationslinie zwischen den Angeschlossenen und den Ausgeschlossenen, den 'linked' und 'linked-nots'. Wer keine IP-adress hat, fällt durch die Maschen des Weltnetzes. So weit, so einfach.

 Schwieriger ist es schon, die Grenze zwischen Programmierern und Programmierten zu sehen und die Folgen dieser neuen Klassenspaltung abzuschätzen. Das ist vor allem deshalb schwierig, weil die Software-Industrie alles daransetzt, den User als lernunfähigen Konsumenten zu umgarnen. Der ideale Kunde soll nichts von der logischen Tiefe des Computers wissen - 'nur vom Fachmann zu öffnen...', hieß es früher. Und auch durch den Cyberspace zieht sich heute eine klare Grenzlinie, nämlich zwischen Kapitalismus und Anarchie.

 Neue Medien funktionieren wie ein Rorschachtest: Jeder projiziert seine Wünsche und Ängste hinein. Unter humanistisch gebildeten Menschen überwiegen zur Zeit wohl noch die düsteren Visionen von der Sintflut der Bilder, vom Zerfall der Kultur - es geht rasend schnell auf den Untergang des Abendlandes zu. Doch dieser Pessimismus hat seine beste Zeit schon hinter sich. Heute mehren sich stattdessen die Heilsversprechen, die das Pfingstwunder des Internet ankündigen: alle Menschen werden Brüder im Netz. Das technische Netzwerk nährt das soziale Phantom der Gemeinschaft. Und schon verklärt sich das Internet als Soziallabor - Kommunitarismus online!

 Das derart im Cyberspace beschworene neue Kommunalgefühl läßt das Internet zur Projektionsfläche von Aufklärungsutopien werden: elektronisches Rathaus, virtuelles Parlament, Ja 'neues Athen'. Die Bürger der Digitalen Nation sind jung, gebildet, ehrgeizig: sie arbeiten in den Universitäten, Telekommunikationsgesellschaften, Medienhäusern und Banken; sie sind tolerant, vernünftig, medienkompetent und - nein, nicht unpolitisch, sondern 'postpolitisch'. Diese Netzbürger haben nur eine Leidenschaft: den freien Fluß der Informationen. Jeder soll sprechen und gehört werden können. Und von der politischen Aufklärungsutopie zur Mystik der Vernetzung ist dann nur noch ein Schritt. New-Age- und Gaia-Träumer verheißen die Spiritualität des Cyberspace und zelebrieren Weltkommunikation als Religion.

 Surfen im Internet ist also sehr viel mehr als ein Spiel - es ist ein Glückszwangsangebot. Dabeisein ist hier wirklich alles, und wer will schon von gestern sein. Hier droht Schlimmeres als die Arbeitslosigkeit - nämlich die 'digitale Obdachlosigkeit', von der Nicholas Negroponte spricht. Und vor ihr schützt nicht das soziale Netz, sondern das Internet.

 In der Zeit der Weltkommunikation ist Freiheit der Inbegriff von Kommunikationschancen. Und alle machen mit. Doch können einen Logik und Geschichte belehren: keine Inklusion ohne Exklusion, kein Thema ohne Anathema. So stellt sich die Frage: Welche Möglichkeiten grenzt die Weltgesellschaft aus? Jenseits der Gesellschaftsgrenze ist die Sprachlosigkeit. Aber auch diesseits der Gesellschaftsgrenze muß man differenzieren. Inklusion in die Weltkommunikation heißt: nicht jeder kann Designer sein, aber jeder muß User sein können. Das Zugangsproblem wird, wie stets, auf die Komplentärrolle reduziert; es gibt keinen gleichen Zugang zur Leistungsrolle. Dabei sein ist zwar fast alles, aber nicht jeder kann alles.

 Und damit sind wir bei der Frage nach der Macht im 21. Jahrhundert. Die Frage des Zugangs zu den Schlüsselpunkten der Entscheidung erweist sich heute immer deutlicher als Frage nach dem Zugang zum Wissen. Die alte Formel ‘Wissen ist Macht’ gewinnt unter Computerbedingungen eine ganz neue Konkretheit. Verteilung und Zugang zum Wissen sind die großen Machtfragen des 21. Jahrhunderts. Politik kreist dann um Probleme des Datenschutzes, der Privatsphäre, des Geheimnisses und des freien öffentlichen Zugangs zu Daten - insofern hatte die verkorkste Debatte über den Großen Lauschangriff weit über den Anlaß hinaus symptomatische Bedeutung.

 Politik als Kontrolle des Wissens - das ist ein ganz neues Feature. Die Spione der Zukunft arbeiten an Computerterminals, die Piraten des 21. Jahrhunderts navigieren in der virtuellen Realität der Software. Es ist deshalb klar, daß man die neue Politik der Wissenskontrolle nicht zentralisieren kann - sie bestimmt ja fast alle modernen Arbeitsplätze. Das bekommt schon heute jeder zu spüren, der in einem großen Computernetzwerk arbeitet. Hat man oberste Kommunikationspriorität oder hängt man in der Warteschleife? Wer bekommt welche Informationen? Wer hat Zugang zu den Datenbanken und wer darf dort neue Daten einschreiben? Solche Fragen machen deutlich, daß der politische Gehalt einer Botschaft die Geschichte ihrer Prozessierung ist. Und man könnte weiter fragen: Wem gehören die Daten? Wer designed die Software?

 Was lernen wir daraus? Heute ist es nicht mehr ausschlaggebend, ob man aus Bangalore oder Manila, Moskau oder Paderborn stammt. Viel wichtiger ist die Frage, ob man Softwaredesigner, User oder Computeranalphabet ist. Und die chaotische Diskussion über Green Cards für Inder hat gezeigt: Es gibt viel 4. Welt in Deutschland.

Norbert Bolz: 1953 in Ludwigshafen geboren. Er studierte in Mannheim, Heidelberg und Berlin Philosophie, Germanistik, Anglistik und Religionswissenschaften. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Ästhetik Adornos, in der Habilitationsschrift mit dem 'Philosophischen Extremismus zwischen den Weltkriegen'. Seit 1992 ist Bolz Professor für Kommunikationstheorie am Institut für Kunst- und Designwissenschaften der Universität Essen. Sein neuestes Buch trägt den Titel 'Die Konformisten des Andersseins' (München 1999). 

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