Die Worte sind in knappe Hauptsätze gehämmert, und
die Bedeutung der Worte bzw. von Worten allgemein ist Eppler wohl bewußt.
"Verben wie >>schaden<<, >>nützen<<, >>hindern<<,
>>blockieren<< oder Adjektive wie >>korrekt<<, >>solide<<,
>>sparsam<<, >>seriös<<, sie alle haben eine moralische
>Konnotation<<, einen moralischen Beigeschmack." (S.20).
Er weiß es also, was plappern bedeutet und wie an jedem Wort
bei Gesetzesvorlagen gefeilscht wird (S. 8). Das Thema „Sprache in der
Politik“ scheint ihm wichtig zu sein (auch S.111). Was treibt ihn dann
zu solch merkwürdigen Sätzen wie:
Vor inbrünstiger Achtung gegenüber dieser Gedankentiefe
mußte ich tief seufzen. Die Seufzerei ging weiter. Nicht
wegen der Geschichtsphilosophie Epplers, die die Geschichte wieder für
offen erklärt (S.120) und es für aberwitzig hält, daß
eine glückliche Zukunft etwas mit der Sozialisierung von Produktionsmitteln
zu tun haben könnte (S.18). Das kennt man, das ist uralt.
Das ist Eppler pur. Von der Politik hängt die Güte der Parteien ab. Die Politik bestimmt die Güte. Das Hingehören bestimmt die Moralplazierung. Statt Personen und Programmen (so waren wir es jahrzehntelang gewohnt) konnten in salbungsvollen Texten aus salonlinker Feder schon mal die Moral, die Religion, die Geschichte oder das Recht zu geschichtsträchtigen Triebkräften der Entwicklung werden, und es war gut so. Damit ließ sich arbeiten, auch wenn man bei der Vorbereitung einer Demo oder der Formulierung eines Flugblatts schon etwas stutzte, wenn die Moral, die Religion, die Geschichte oder das Recht mal diese oder jene Wendung nahm, dem Mitstreiter gegen Atombewaffnung oder Nachrüstung recht beliebige Auffassungen eingab. Man sah darüber hinweg, denn was soll eine Diskussion über die Beliebigkeit des Denkens, wenn ein konkret freundlicher und konkret zu Gemeinsamkeiten Entschlossener in den wichtigen Politikfragen mit mir übereinstimmte? Die Gemeinsamkeiten und nicht das Trennende betonen - so war es richtig. Und nun lesen wir von einer SPD-Parteiseele, daß Personen und Programme nicht etwa mehr von Moral oder Religion, sondern von „der Politik“ abgelöst werden. Handelndes Subjekt, Maßstab der Dinge, Bewertungskriterium für Güte ist Politik und der Platz für Moral. Wo letztere nicht hingehört, hat sie nichts zu suchen. Schröderlein, ick hör Dir trapsen. Nun wird auch verständlich, was Eppler meinte, als er sich bei der phänomenalen Entscheidung zwischen „schuldig“ und „schuldig“ auf dem SPD-Parteitag 1999 für das Bombardieren Jugoslawiens aussprach. Die Politik hatte entschieden. Nebel wallte durch die Hirne der Sozialdemokraten, und wo er es noch nicht tut, bläst Eppler ihn rein. Allen Ernstes vergleicht Eppler die Geburtstagsfeier Raus (als Ministerpräsident
in NRW) mit der eines Bankvorstandes, die Ausgaben müsse ja jemand
tragen, und wie man es auch mache, mache man es falsch (S.26/27).
In anschaulichen Beispielen beschreibt Eppler die bundesdeutsche Realität (z.B. anhand einer Innenstadtuntertunnelung) und schließt dann aus seinem deskriptiven Zugang, wie Demokratie sein müsse, weil sie so sei: voller Teilwahrheiten - jedoch nicht auf Wahrheitssuche. Der Begriff „Interesse“ wird krampfhaft vermieden, um ausgerechnet denen, die in Kategorien von Interessen denken (Jusos und anderes linkes Gesocks), ein unrealistisches moralisierendes Herangehen an die Fragen von „richtig“ oder „falsch“ unterstellen zu können. Eine „totalitäre“ Staatspartei erkläre ihre Sicht der Wirklichkeit zur alleinigen Wahrheit, statt sie als Teilwahrheit zu kennzeichnen (wie es angeblich demokratische Parteien tun) und produzierten damit die Lüge. Vehement streitet Eppler für eine Welt, in der die Teilwahrheit regiert, in der die Politik für Wahrheit nicht zuständig sei. Kleine Widersprüche (wenn er z.B. auf S.72/73 konstatiert: „... wenn alle wissen: Wer immer regiert, die Energie wird teurer ....“) stören ihn nicht an seinem Theorem der unauffindbaren Gesamtwahrheit. Was es als Gesamtbild eines Staates ergibt, wenn der Wähler sich die Wahrheit aus den Teilwahrheiten der Parteien zusammensetzen muß, interessiert Eppler nicht so sehr. Und auch nicht, welche Beweggründe es denn sein könnten, die eine Partei dazu veranlaßt, nicht voller Überzeugung ihre Interessen als volle Wahrheit darzustellen. Daß ein Wähler seine Entscheidungen somit nicht an den Argumenten der Parteien festmachen kann, da er sie immer nur als Teilwahrheiten kennt, ohne aber die dahinterstehenden Interessen offenbart zu bekommen: dieses Gift für die Demokratie verteidigt Eppler sogar noch. Seitenweise beschäftigt er sich daraufhin mit Kohls und Lafontaines
Narzißmus. Psychogramme der selbstverliebten Egomanen beschäftigen
Herrn Eppler, und die Medien seien die zurechtstutzenden Institutionen,
auf die er vertraut.
Die Argumentation hat etwas vom Charme eines Multimilliardärs,
der seine Gelder, Profite und Kapitalanlagen deshalb nicht für sozialisierungswert
hält, weil er sie nicht nur in Kaviar und Schampus anlegt, sondern
immer wieder umschichtet und investiert.
Er befürchtet (wenn die Parteien nicht zusammenhalten) ein Machtvakuum, das entweder von „der Wirtschaft“ oder den Medien gefüllt werde, oder beiden. Aufgabe der Parteien ist, dem Kapitalismus menschliche Züge abzugewinnen. Eine „praktikable Alternative zum Kapitalismus“ sieht er definitiv nicht (S.71), und so sucht oder fordert er keinen zweiten und keinen dritten Weg. Die Politik solle „der Wirtschaft“ den Rahmen setzen, nicht umgekehrt. Die Aufgabe der Parteien/des Staates als idealer Gesamtverwalter des Kapitalismus führt Eppler anschaulich vor Augen mit Forderungen wie diesen: „daß das staatliche Gewaltmonopol ein hohes Gut ist, das sie mit Zähnen und Klauen zu erhalten beabsichtigen, auch gegen die ganz Reichen, die mit eingesparten Steuern ihre Sicherheit selbst organisieren möchten.“ (S.73) Nach einem kleinen Gedanken über die Geschichte der Parteienbildung und ihre Notwendigkeit nimmt die Frage der Gewalt dann ein ganzes Kapitel ein. Eppler läßt eine Suada gegen die Staatsverdrossenheit
und den „Bund der Steuerzahler“ los und unterschlägt zugleich, daß
der Bundesrechnungshof oft genug Ähnliches oder Gleiches wie diese
Vereinigung sagte. Er spricht nicht von Staatshaftungsrecht gegenüber
Geschädigten oder gar individueller Haftung für verantwortliche
Beamte und Politiker, vergleichbar strafrechtlichen Regelungen wie
bei einer Unterschlagung.
Daß nicht nur Krieg, sondern auch verschiedene andere Gewaltformen
Unfrieden bedeuten, weiß Eppler. Daß an vielen Stellen der
Welt Todesschwadronen, Warlords usw. herrschen, auch. Was er nicht sagt,
ist, daß diese nicht aus dem Boden heraus entstehen, sondern zur
Absicherung der Geschäfte morden und plündern. Nicht nur in Afrika
oder Südamerika, sondern zunehmend auch in „zivilisierten“ Ländern.
Das Wort von der „organisierten Kriminalität“ als Pendant zu kolumbianischen
Todesschwadronen und als Mittelding zwischen Mafia und Kartellabsprachen
ehrenwerter Unternehmen fällt nicht. Obwohl es wunderbar hierhinpaßte.
Wie sehr Eppler doch derartige Gewaltausübung eher als Konkurrenz
zum bürgerlichen Staats- und Repressionsapparat und nicht als wesensfremden
Gegner sieht, erahnt man, wenn er.konstatiert: „Marktwirtschaft braucht
Regulierung, und die gelingt nicht ohne einen funktionierenden Staat.“
(S.90) Deshalb wettert Eppler gegen die Deregulierung.
Den Zerfall der Gesellschaft vor Augen, warnt uns Eppler der Weise: „Wenn es nicht mehr Aufgabe des Staates ist, für soziale Sicherheit zu sorgen, warum sollten die Underdogs es dann nicht mit dem Beißen versuchen?“ (S. 97) Seltsam, daß derartig „sozialdemokratische“ Gedanken zuletzt wohl bei Herrn Bismarck bei seiner Einführung des Versicherungssystems zu finden waren. GEGEN die damalige Sozialdemokratie und den Bebelschen Biß gerichtet. Und so fehlt am Ende des Kapitels auch nicht der Appell an die Gemeinsamkeit mit den Christdemokraten - und auch an die Reichen, es nicht so dolle zu treiben mit dem Markt und den Privatisierungen. Die Revolution oder ähnliche Unbill im Nacken, trompetet Eppler:
„Die Reprivatisierung der Gewalt, vor der Dieter Senghaas gewarnt hat,
ist in vollem Gang.“ (S. 84) Etwa jener Prof. Senghaas, der in der
FAZ am 12.07.1999 auf der Seite 12 schrieb: „RECHT AUF NOTHILFE - Wenn
die Intervention nicht nur erlaubt, sondern regelrecht geboten ist“?
Er schreibt dort vom „Eingreifen“ (also bomben wie in Jugoslawien),
wenn im „Hinblick auf entsprechende Problemlagen, insbesondere im Fall
von gravierenden einschlägigen Rechtsverstößen "Weltinnenpolitik"
(und nicht nationale Interessenpolitik) gefragt ist.“
Das Hauptkapitel seines Büchleins kommt fast schon harmlos daher.
„Jede Regierung plagt sich überwiegend mit Fakten und Ereignissen
ab, die vor der Wahl niemand erahnen konnte. Aber die Wertungen, die dem
Entwurf zugrundeliegen, werden deshalb nicht ungültig.“ (S.107)
Ach.
Eppler haut statt einer Antwort Imperative aufs Papier: „Der erste
Imperativ politischer Moral heißt daher: Du sollst Politik machen!
Das heißt, Du sollst wissen, was Du willst! Du sollst wollen, was
Du sagst! Du sollst sagen, was Du für richtig hälst! ...“(S.140)
Besser hätte das auch ein Zehntklässler nicht formulieren können.
Den Satz:
Mein Fazit: Im Sumpf (Eppler würde hier „Spannungsfeld“ sagen) zwischen Traditionslosigkeit und beginnender Vergreisung, Resignation vor „der Wirtschaft“ und Unverständnis der realen Welt außerhalb religiös-sozialer Hoffnungen sucht Eppler einige Fäden eines Netzwerkes zu ziehen, die an Allerwelts- Satzpflöcken festgezurrt werden. Die Fäden sind jedoch dünn, sie sind wirr gestrickt, und manchmal reichen sie nicht zu den Pflöcken. So bleiben riesige Löcher, durch die die Moral durchplumpst. In den Sumpf, in dem sozialdemokratische Politiker derzeit wohlig suhlen. Wer von denen braucht die Epplerschen Fäden? Keiner. Wer sonst? Und was würde sein Parteigenosse Clement dazu sagen? © Andreas Hauß, Oktober 2000 |