„Das Epplersche Gesetz“
Für 16,90 DM erhalte ich Sentenzen in Essayform, die aneinandergereihten Predigtsätzen gleichen. In Erhard Eppler: „Privatisierung der politischen Moral?“ Edition Suhrkamp , Frankfurt 2000, 142 Seiten, DM 16,90 ISBN: 3- 518- 12185-5
 Die Worte sind in knappe Hauptsätze gehämmert, und die Bedeutung der Worte bzw. von Worten allgemein ist Eppler wohl bewußt. "Verben wie >>schaden<<, >>nützen<<, >>hindern<<, >>blockieren<< oder Adjektive wie >>korrekt<<, >>solide<<, >>sparsam<<, >>seriös<<, sie alle haben eine moralische >Konnotation<<, einen moralischen Beigeschmack." (S.20).

Er weiß es also, was plappern bedeutet und wie an jedem Wort bei Gesetzesvorlagen gefeilscht wird (S. 8). Das Thema „Sprache in der Politik“ scheint ihm wichtig zu sein (auch S.111). Was treibt ihn dann zu solch merkwürdigen Sätzen wie:
„Seit es Politik gibt, ist sie auch Kampf um Macht. Aber nicht jedes Gerangel um Macht ist deshalb schon Politik.“ (S. 10) Diese Floskel (a ist b, aber b ist nicht immer a) wird mehrfach durchgereicht, die Platzhalter allein auf wenigen Seiten mehrfach durch „Demokratie“ (S.108), „Macht“ (S.110) bzw.  „Moral“ (S.118) ersetzt. Setzungen werden in den Gedankenbrei gepflockt, leicht erkennbar durch den Satzbeginn mit „Natürlich“. Natürlich sei dies, natürlich sei das.

Vor inbrünstiger Achtung gegenüber dieser Gedankentiefe mußte ich tief seufzen.  Die Seufzerei ging weiter.  Nicht wegen der Geschichtsphilosophie Epplers, die die Geschichte wieder für offen erklärt (S.120) und es für aberwitzig hält, daß eine glückliche Zukunft etwas mit der Sozialisierung von Produktionsmitteln zu tun haben könnte (S.18). Das kennt man, das ist uralt.
Neu ist die unverblümte Aussage Epplers, des „Gewissens der SPD“,  wie es  mit der Moral gehalten werden soll:
„Es geht nicht um >>mehr<< Moral, sondern um Moral an der richtigen Stelle." (S.21)
Und nach der verständnisinnige Haltung gegenüber Herrn Kohls Schweigen im Finanzskandal empfiehlt Eppler der CDU eine Lektion:
„Sie lautet: Wir sind eine Partei wie alle anderen. Wie gut wir sind, hängt von unserer Politik ab, vor allem aber davon, daß wir die Moral beiseite lassen, wo sie nicht hingehört, und sie da walten lassen,  wo sie gebraucht wird.“(S.25)

Das ist Eppler pur. Von der Politik hängt die Güte der Parteien ab. Die Politik bestimmt die Güte. Das Hingehören bestimmt die Moralplazierung. Statt Personen und Programmen (so waren wir es jahrzehntelang gewohnt) konnten in salbungsvollen Texten aus salonlinker Feder schon mal die Moral, die Religion, die Geschichte oder das Recht zu geschichtsträchtigen Triebkräften der Entwicklung werden, und es war gut so. Damit ließ sich arbeiten, auch wenn man bei der Vorbereitung einer Demo oder der Formulierung eines Flugblatts schon etwas stutzte, wenn die Moral, die Religion, die Geschichte oder das Recht mal diese oder jene Wendung nahm, dem Mitstreiter gegen Atombewaffnung oder Nachrüstung  recht beliebige Auffassungen eingab. Man sah darüber hinweg, denn was soll eine Diskussion über die Beliebigkeit des Denkens, wenn ein konkret freundlicher und konkret zu Gemeinsamkeiten Entschlossener in den wichtigen Politikfragen mit mir übereinstimmte? Die Gemeinsamkeiten und nicht das Trennende betonen - so war es richtig.

Und nun lesen wir von einer SPD-Parteiseele, daß Personen und Programme nicht etwa mehr von Moral oder Religion, sondern von „der Politik“ abgelöst werden. Handelndes Subjekt, Maßstab der Dinge, Bewertungskriterium für Güte ist Politik und der Platz für Moral. Wo letztere nicht hingehört, hat sie nichts zu suchen. Schröderlein, ick hör Dir trapsen.

Nun wird auch verständlich, was Eppler meinte, als er sich bei der phänomenalen Entscheidung zwischen „schuldig“ und „schuldig“ auf dem SPD-Parteitag 1999 für das Bombardieren Jugoslawiens aussprach. Die Politik hatte entschieden. Nebel wallte durch die Hirne der Sozialdemokraten, und wo er es noch nicht tut, bläst Eppler ihn rein.

Allen Ernstes vergleicht Eppler die Geburtstagsfeier Raus (als Ministerpräsident in NRW) mit der eines Bankvorstandes, die Ausgaben müsse ja jemand tragen, und wie man es auch mache, mache man es falsch (S.26/27).
Welche Tragik in den Entscheidungen großer SPD-Entscheidungsträger!
Der Gedanke, Raus 65sten Geburtstag mit dem von Bankvorständen zu vergleichen, scheint Eppler so sehr zu faszinieren, daß er ihn gleich nochmal bringt: „Darf und muß die Demokratie sich nicht gelegentlich selbst feiern?“ (S.67) Rau wird über den  Begriff „Landesvater“ hinaus gleich auch noch zu „die Demokratie“ hochstilisiert.
Entscheidungsträger dürfen eben keine Bedenkenträger sein, und warum sollte man dann über die Verwendung von Landesmitteln (sprich Steuerzahlergroschen) Bedenken in Form von Etat, Recht, Angemessenheit und dgl. tragen? Wenn alles tragisch ist, muß die Politik entscheiden, ein ums andere Mal.
„Aber je politischer ein Mensch ist, desto mehr dominiert der Wille über den Intellekt.“ (S.32) Schon schlimm, wenn die Willenshormone durchgehen und man sich nicht mehr selbst im Griff hat. In der Welt als Wille und Vorsehung peitscht es dann den getriebenen Politiker dazu, sich z.B. an fremden Kassen zu bereichern oder andere Gesetze zu brechen. „Wo der Wille das Bild der Wirklichkeit bestimmt, erscheint im Extremfall als Lüge, was Wunsch und Hoffnung der Vernunft abgehandelt haben.“ (S.33)

In anschaulichen Beispielen beschreibt Eppler die bundesdeutsche Realität (z.B. anhand einer Innenstadtuntertunnelung) und schließt dann aus seinem deskriptiven Zugang, wie Demokratie sein müsse, weil sie so sei: voller Teilwahrheiten - jedoch nicht auf Wahrheitssuche. Der Begriff „Interesse“ wird krampfhaft vermieden, um ausgerechnet denen, die in Kategorien von Interessen denken (Jusos und anderes linkes Gesocks), ein unrealistisches moralisierendes Herangehen an die Fragen von „richtig“ oder „falsch“ unterstellen zu können. Eine „totalitäre“ Staatspartei erkläre ihre Sicht der Wirklichkeit zur alleinigen Wahrheit, statt sie als Teilwahrheit zu kennzeichnen (wie es angeblich demokratische Parteien tun) und produzierten damit die Lüge. Vehement streitet Eppler für eine Welt, in der die Teilwahrheit regiert, in der die Politik für Wahrheit nicht zuständig sei. Kleine Widersprüche (wenn er z.B. auf S.72/73 konstatiert: „... wenn alle wissen: Wer immer regiert, die Energie wird teurer ....“) stören ihn nicht an seinem Theorem der unauffindbaren Gesamtwahrheit. Was es als Gesamtbild eines Staates ergibt, wenn der Wähler sich die Wahrheit aus den Teilwahrheiten der Parteien zusammensetzen muß, interessiert Eppler nicht so sehr. Und auch nicht, welche Beweggründe es denn sein könnten, die eine Partei dazu veranlaßt, nicht voller Überzeugung ihre Interessen als volle Wahrheit darzustellen. Daß ein Wähler seine Entscheidungen somit nicht an den Argumenten der Parteien festmachen kann, da er sie immer nur als Teilwahrheiten kennt, ohne aber die dahinterstehenden Interessen offenbart zu bekommen: dieses Gift für die Demokratie verteidigt Eppler sogar noch.

Seitenweise beschäftigt er sich daraufhin mit Kohls und Lafontaines Narzißmus. Psychogramme der selbstverliebten Egomanen beschäftigen Herrn Eppler, und die Medien seien die zurechtstutzenden Institutionen, auf die er vertraut.
In einem ganzen Kapitel polemisiert Eppler gegen Kritik an den „geldgierigen Parteien“, vergleicht diese mit Aktiengesellschaften, den Lobbyverbänden und deren Geldern. Eine arme Landesvorsitzende (es scheint Frau Vogt gemeint zu sein) müsse derzeit mit dem eigenen Wagen durchs Land fahren. Und Eppler findet immer mal wieder ein relativierendes Wort für Kohl: „Vodafone bot also für Mannesmann das Einhundertachzigtausendfache von Kohls Bimbes. Natürlich ändert dies nichts am Rechtsbruch.“ (S.61) Natürlich nicht. Wie war das mit den Teilwahrheiten noch mal? Eppler unterschlägt, daß es ein Wesen z.B. von Korruption ist, nicht soviel zu erhalten, wie durch die Korruption an Gewinn zu erwarten ist. Er unterschlägt die fetten Managergehälter, die für ausgediente Politiker beim berühmten Wechsel in die freie Wirtschaft möglich sind. Er unterschlägt das Gesamtsystem der Parteienfinanzierung, der Einflußnahmen, der Machtgefüge schon auf kommunaler Ebene. Wie gesagt: das Wort „Interessen“ kommt nicht vor. Aber das Wort „Peanuts“ (S.61). Einen Zusammenhang zwischen Geld und Macht als MÖGLICHKEIT konstruiert Eppler gerade noch. Z.B. KÖNNTE der ehemalige Mannesmann-Chef Esser mit 5% Zinsen auf seine Abfindungssumme 5 Bundeskanzler besolden (S.63). Da er das aber nicht tut, ist alles in schönster Ordnung.

Die Argumentation hat etwas vom Charme eines Multimilliardärs, der seine Gelder, Profite und Kapitalanlagen deshalb nicht für sozialisierungswert hält, weil er sie nicht nur in Kaviar und Schampus anlegt, sondern immer wieder umschichtet und investiert.
Am Beispiel der Flugbereitschaft mit Bundes-Hubschraubern oder -Jets für Politiker, die nicht eine Partei der anderen vorwerfen solle, entrollt Eppler sein großes Ziel: die Beendigung des „geistigen Bürgerkriegs“ der Parteien untereinander (S.69) und die Einsicht in die „gemeinsamen Interessen“: „Daß Politik möglich bleibt oder wieder möglich wird.“ (S.70) Das Wort Interesse kennt Eppler also doch - bezogen auf das eigene Schaffen und den eigenen Futtertrog.

Er befürchtet (wenn die Parteien nicht zusammenhalten) ein Machtvakuum, das entweder von „der Wirtschaft“ oder den Medien gefüllt werde, oder beiden. Aufgabe der Parteien ist, dem Kapitalismus menschliche Züge abzugewinnen. Eine „praktikable Alternative zum Kapitalismus“ sieht er definitiv nicht (S.71), und so sucht oder fordert er keinen zweiten und keinen dritten Weg. Die Politik solle „der Wirtschaft“ den Rahmen setzen, nicht umgekehrt. Die Aufgabe der Parteien/des Staates als idealer Gesamtverwalter des Kapitalismus führt Eppler anschaulich vor Augen mit Forderungen wie diesen: „daß das staatliche Gewaltmonopol ein hohes Gut ist, das sie mit Zähnen und Klauen zu erhalten beabsichtigen, auch gegen die ganz Reichen, die mit eingesparten Steuern ihre Sicherheit selbst organisieren möchten.“ (S.73) Nach einem kleinen Gedanken über die Geschichte der Parteienbildung und ihre Notwendigkeit nimmt die Frage der Gewalt dann ein ganzes Kapitel ein.

Eppler läßt eine Suada gegen die Staatsverdrossenheit und den „Bund der Steuerzahler“ los und unterschlägt zugleich, daß der Bundesrechnungshof oft genug Ähnliches oder Gleiches wie diese Vereinigung sagte. Er spricht nicht von Staatshaftungsrecht gegenüber Geschädigten oder gar individueller Haftung für verantwortliche Beamte und Politiker, vergleichbar  strafrechtlichen Regelungen wie bei einer Unterschlagung.
Eppler schlägt nichts Konkretes GEGEN Verschwendung und Korruption vor, er beschreibt nur, was ist und wertet es. Nach dem Hohen Lob des Staates, der nur leider immer so anonym bleibe (im Gegensatz z.B. zu Gemeindeeinrichtungen) kommt der Satz:
„Ernst wird es, wo privatisiert werden soll, was den Staat zum Staat macht: das Gewaltmonopol.“ (S. 84)

Daß nicht nur Krieg, sondern auch verschiedene andere Gewaltformen Unfrieden bedeuten, weiß Eppler. Daß an vielen Stellen der Welt Todesschwadronen, Warlords usw. herrschen, auch. Was er nicht sagt, ist, daß diese nicht aus dem Boden heraus entstehen, sondern zur Absicherung der Geschäfte morden und plündern. Nicht nur in Afrika oder Südamerika, sondern zunehmend auch in „zivilisierten“ Ländern. Das Wort von der „organisierten Kriminalität“ als Pendant zu kolumbianischen Todesschwadronen und als Mittelding zwischen Mafia und Kartellabsprachen ehrenwerter Unternehmen fällt nicht. Obwohl es wunderbar hierhinpaßte. Wie sehr Eppler doch derartige Gewaltausübung eher als Konkurrenz zum bürgerlichen Staats- und Repressionsapparat und nicht als wesensfremden Gegner sieht, erahnt man, wenn er.konstatiert: „Marktwirtschaft braucht Regulierung, und die gelingt nicht ohne einen funktionierenden Staat.“ (S.90) Deshalb wettert Eppler gegen die Deregulierung.
Es sind Beispiele aus Bosnien und dem Kosovo, die Eppler folgern lassen: „Auf der Linken wird das Verständnis für die Bundeswehr wachsen, die Rechte wird den Pazifismus schätzen lernen.“ (S. 92) Fritz Teufel prägte den Satz zur Respektsbezeugung gegenüber der Justiz: „...wenn es der Wahrheitsfindung dient...“ Eppler wünscht sich ein Händchenhalten von Pazifisten und Soldaten, wenn es der Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft dient. Am Beispiel der  gewaltstrotzenden US-amerikanischen Städte notiert er: „Was zählt, ist, daß auch die Sicherheit vor Verbrechen zur Ware wird, die man kaufen kann - oder auch nicht.“ (S. 93) Eppler begreift die Reprivatisierung der Gewalt als Rückfall ins Spätmittelalter. Marx hätte auf seine Ausführungen bzgl. der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals verwiesen - aber Eppler ist kein Marxist. Und so sucht er den Grund für diese alten neuen Phänomene nicht darin, daß die Waren „Gewalt“  oder „Sicherheit“ integrale Bestandteile eines immer brutaleren Kapitalismus incl. Globalisierung sind, sondern versucht sich wie die Maschinenstürmer vergangener Zeiten an der Technik. Die Technik sei schuld an der Gewalt. Es sind die Pistolen, die die Dreizehnjährigen so gefährlich machen. Der zweite Grund sei die Globalisierung des Waffenmarktes, und in einem Anflug von Hellsichtigkeit erkennt Eppler auch die Globalisierung in neoliberaler Form als Schuldigen - ohne darauf genauer einzugehen, was denn das bedeutet - etwa in einer Form, die Worte „Imperialismus“ oder „Kapitalismus“ zu gebrauchen. Da war ja Biedenkopf deutlicher in seinen Aussagen zur Zukunft: „Die Fortführung unserer Lebensweise ist nur möglich, wenn sie auch in Zukunft einer privilegierten Minderheit in den hochentwickelten Industrienationen vorbehalten bleibt.“ Biedenkopf begründet es mit dem „Wesen des Menschen“, daß „eine Korrektur schwer vorstellbar“sei, und gibt „uns“ noch etwa zwei Generationen; er betrachtet das als eine „Zwischenzeit“, in der sich noch mit den „Illusionen vom Sieg des Kapitalismus“ leben läßt. Dann folge der „ökologische Niedergang“. (Kurt Biedenkopf: Ein deutsches Tagebuch - 1989-1990. Siedler Verlag, München 2000, 500 Seiten, DM 49,90)

Den Zerfall der Gesellschaft vor Augen, warnt uns Eppler der Weise: „Wenn es nicht mehr Aufgabe des Staates ist, für soziale Sicherheit zu sorgen, warum sollten die Underdogs es dann nicht mit dem Beißen versuchen?“ (S. 97) Seltsam, daß derartig „sozialdemokratische“ Gedanken zuletzt wohl bei Herrn Bismarck bei seiner Einführung des Versicherungssystems zu finden waren. GEGEN die damalige Sozialdemokratie und den Bebelschen Biß gerichtet. Und so fehlt am Ende des Kapitels auch nicht der Appell an die Gemeinsamkeit mit den Christdemokraten - und auch an die Reichen, es nicht so dolle zu treiben mit dem Markt und den Privatisierungen. 

Die Revolution oder ähnliche Unbill im Nacken, trompetet Eppler: „Die Reprivatisierung der Gewalt, vor der Dieter Senghaas gewarnt hat, ist in vollem Gang.“ (S. 84) Etwa jener Prof. Senghaas, der in der FAZ am 12.07.1999 auf der Seite 12 schrieb: „RECHT AUF NOTHILFE - Wenn die Intervention nicht nur erlaubt, sondern regelrecht geboten ist“? Er schreibt dort vom  „Eingreifen“ (also bomben wie in Jugoslawien), wenn im „Hinblick auf entsprechende Problemlagen, insbesondere im Fall von gravierenden einschlägigen Rechtsverstößen "Weltinnenpolitik" (und nicht nationale Interessenpolitik) gefragt ist.“
Epplers Komplizen bei der Durchsetzung allumfassender Gewalt sind also solche, die sich über UNO-Regeln hinwegsetzen und allgemeine staatliche Gewalt im Sinne von Polizeigewalt gleich weltweit durchsetzen wollen. Apologeten des staatlichen Terrors zur Durchsetzung der freien Marktwirtschaft -so könnte man die feinen Herren auch nennen.

Das Hauptkapitel seines Büchleins kommt fast schon harmlos daher. „Jede Regierung plagt sich überwiegend mit Fakten und Ereignissen ab, die vor der Wahl niemand erahnen konnte. Aber die Wertungen, die dem Entwurf zugrundeliegen, werden deshalb nicht ungültig.“ (S.107) Ach.
„Das politische Vakuum ist noch nicht erfunden.“ (S.109) Rund um derartige Weisheiten kreist ein wenig Medienschelte, eine Ermahnung an „die Politiker“, so zu sprechen, daß der Bürger sie auch versteht, ein Plädoyer für Pragmatismus und gegen Wurstelei. Bei allem methodisch Korrekten plädiert Eppler immer wieder auch für Inhalte, für erkennbare Wertungen, an denen sich der Bürger orientieren können müsse. Und dafür, „den Markt“ nicht die Politik verdrängen zu lassen, da dann die Moral unter die Räder komme. Die Politik zu Beginn des neuen Jahrhunderts sei defensiv geworden (S. 120), gestritten werde nur noch über das, was man wie verhindern müsse. Die großen Zukunftsentwürfe fehlten und würden auch wegen der großen Dynamik „der Wissenschaft“ einerseits und der Resignation der ehemaligen Marxisten scheitern müssen. Eppler sagt es nicht so offen, aber es ist zu spüren, wie sehr ihm eine vehement verfochtene sozialistische Theorie fehlt, an der er sich einerseits reiben könnte, aus der er andererseits wie ehedem Versatzstücke für den Ideologiebedarf der Sozialdemokratie klauen könnte. Mit der Niederlage des Sozialismus ergibt sich auch eine unklare Bedarfsentwicklung für Sozialdemokratie - und sich das einzugestehen, vermag Eppler gewiß nicht. Symptomatisch dafür ist es, wenn man erkennen kann, wie sehr Eppler Politik individualisiert, nur noch von „dem Politiker“ und nicht mehr von „den Parteien“ spricht, je weiter er die Perspektivlosigkeit durchleuchtet. Mutter SPD mit Zukunftslosigkeit in Verbindung zu bringen, das kann er sich auch in einem Intellektuellen-Bändchen nicht leisten. Was Auseinandersetzungen um Zivilgesellschaft (dafür), Amtszeitbegrenzungen (dagegen) und Plebiszite (dafür) im Kapitel über die „unfreiwilligen Erben des Karl Marx“ zu suchen haben, verstehe ich nicht, die Wirrnis der Epplerschen Gedanken unterstreicht es aber. Erst am Ende von 140 Seiten, nachdem er unzählige Male beschwor, ein Politiker und eine Partei müsse sagen, was sie wolle, kommt er zum Thema „Programm der Partei“. Was dem Programm allerdings zugrundeliegen solle als Überzeugung und Leitfaden, ob Grundgesetz, Bibel, Erklärung der Menschenrechte, das Schröder-Blair-Papier oder dgl. - was also als Maßstab dienen solle (keinesfalls eine Teleologie der Geschichte), beantwortet Eppler nicht. Er deutet an, daß es das Gelingen einer Antwort auf den Neoliberalismus sein könne, was ein Programm auszeichne (S.139). Ob das die CDU und die FDP auch so sehen? Ist die Aufstellung des Neoliberalismus als schwammiger Buhmann genug zur Selbstfindung?

Eppler haut statt einer Antwort Imperative aufs Papier: „Der erste Imperativ politischer Moral heißt daher: Du sollst Politik machen! Das heißt, Du sollst wissen, was Du willst! Du sollst wollen, was Du sagst! Du sollst sagen, was Du für richtig hälst! ...“(S.140) Besser hätte das auch ein Zehntklässler nicht formulieren können. Den Satz:
„Du sollst nicht an unwandelbare Geschichtsgesetze glauben.“(ernsthaft, das steht so da: S.141) kann man beim Zehntklässler allerdings nicht finden, denn daß die Geschichte nach vorn offen sei, ist ein rein Epplersches Gesetz. So wie:
„Du sollst den Staat weder vergöttern noch verteufeln.“ und
„Du darfst Deine Partei lieben wie eine Mutter ihr häßliches Kind.“ Die Epplerschen Gesetzestafeln wirft er leichthin vom Berge unters einfache Volk. Moses hatte schwer unter den Tafeln zu tragen. Sie hatten mehr Gewicht.
Hat Eppler seine Imperative vielleicht bei Murphy oder bei Scientology geklaut, lautet die Folgefrage.

Mein Fazit: Im Sumpf (Eppler würde hier „Spannungsfeld“ sagen) zwischen Traditionslosigkeit und beginnender Vergreisung, Resignation vor „der Wirtschaft“ und Unverständnis der realen Welt außerhalb religiös-sozialer Hoffnungen sucht Eppler einige Fäden eines Netzwerkes zu ziehen, die an Allerwelts- Satzpflöcken festgezurrt werden. Die Fäden sind jedoch dünn, sie sind wirr gestrickt, und manchmal reichen sie nicht zu den Pflöcken. So bleiben riesige Löcher, durch die die Moral durchplumpst. In den Sumpf, in dem sozialdemokratische Politiker derzeit wohlig suhlen. Wer von denen braucht die Epplerschen Fäden? Keiner. Wer sonst? Und was würde sein Parteigenosse Clement dazu sagen?

© Andreas Hauß, Oktober 2000


 


Clement bei der Privatisierung der politischen Moral in Form eines freundlichen Dialogs mit der Jugend