Armin Fiand 
Rechtsanwalt 
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Dr. Alexander Bahar
Historiker und Publizist
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Der Generalbundesanwalt
beim Bundesgerichtshof
Postfach 27 20

76014 Karlsruhe
 
 

21. Oktober 2005
 

Sehr geehrte Damen und Herren,
 

der Generalbundesanwalt hat es bisher strikt abgelehnt, gegen den Bundeskanzler, den Bundesaußenminister sowie den Bundesverteidigungs-minister im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg ein Ermittlungsverfahren wegen der Beteiligung an der Vorbereitung eines Angriffskrieges einzuleiten.

Dies hat der Generalbundesanwalt im Wesentlichen wie folgt begründet:

· Der Krieg sei auf dem Hintergrund zahlreicher Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu sehen, die gegen den Irak ergangen seien (diese Resolutionen sind in den ablehnenden Bescheiden im Einzelnen mit Nummer und Datum aufgeführt, so als lasse sich schon aus ihnen ohne weiteres die Rechtmäßigkeit des Irak-Krieges ableiten).

· Ob der Krieg gegen den Irak völkerrechtlich legitimiert sei, sei umstritten. Insbesondere könne im Völkerrecht, das einem ständigen Wandel unterworfen sei, gegenwärtig nicht festgestellt werden, was man unter einem Angriffskrieg, also einer völkerrechtswidrigen Aggression, zu verstehen habe.

· § 80 StGB sei nur anwendbar, wenn die Bundesrepublik Deutschland als Krieg führende Macht unter Einsatz ihrer Streitkräfte oder in vergleichbar massiver Weise an der Vorbereitung eines Angriffskrieges beteiligt sein solle. Aus der hohen Strafdrohung des § 80 StGB folge, dass es sich bei der Kriegsbeteiligungshandlung um einen gewichtigen Beitrag handeln müsse. Ein solcher liege hier nicht vor.

· Die Anwendung des § 80 StGB setze voraus, dass durch die Vorbereitung eines Angriffskrieges die Gefahr eines Krieges gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt werde. Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem anderen Staate bestehe im vorliegenden Falle nicht.

· Es komme nicht darauf an, ob die Anwendung von Gewalt durch die Vereinigten Staaten von Amerika ohne oder gegen den Willen des Sicherheitsrats völkerrechtlich zulässig sei. Denn die strafrechtliche Bewertung des angezeigten Sachverhalts sei von der Beantwortung dieser Frage nicht abhängig.
· Mit der Gewährung von Überflugs-, Bewegungs- und Transportrechten habe sich die Bundesrepublik Deutschland nicht als Krieg führende Macht unter Einsatz ihrer Streitkräfte an Kriegsvorbereitungshandlungen beteiligt. Dies stelle keinen derart gewichtigen Beitrag dar, auf Grund dessen Deutschland als Krieg führende Macht angesehen werden könne. Eine Zurechnung der Handlungen der Alliierten sei daher nicht möglich.
· Die Mitwirkung deutscher Soldaten an AWACS-Einsätzen sei im Rahmen der auf Verteidigung angelegten Bündnisverpflichtungen zum Schutze der Türkei zu sehen und stelle keine von Deutschland aus betriebene Vorbereitung einer völkerrechtlichen Aggression im Sinne des § 80 StGB dar.
· Auch bei der Bewachung von US-Militärgelände in Deutschland handele es sich um eine auf Verteidigung angelegte Maßnahme im Rahmen der Bündnisverpflichtungen. Zudem käme dieser Maßnahme bei einer Gesamtbetrachtung nicht das für eine Beteiligungshandlung im Sinne des § 80 StGB erforderliche Gewicht zu.
· Der Nichtabzug der Spürpanzer in Kuwait sei ebenfalls keine Beteiligungshandlung an der Vorbereitung eines Angriffskrieges, sondern eine Maßnahme zur Verteidigung Kuwaits. Entsprechendes gelte für eine mögliche Lieferung von Patriot-Raketen an Israel.
· Der Zeitraum nach Kriegsausbruch sei für die juristische Bewertung des Geschehens nicht entscheidend. § 80 StGB sei nur auf die Vorbereitung eines Angriffskrieges, nicht aber auf die Beteiligung an einem bereits im Gange befindlichen Krieg anwendbar.

1.
Die Position, die der Generalbundesanwalt eingenommen hat, ist unhaltbar. Sie ist getragen vom Bestreben, die angezeigten Personen aus Gründen der Staatsräson von Strafe freizuhalten. Der Generalbundesanwalt erweist sich mit dieser Gefälligkeit als treuer und gehorsamer Diener der deutschen Bundesregierung und der von ihr vertretenen Politik. Der ihm vom Gesetz auferlegten Verpflichtung, bei Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, die zu seinem Zuständigkeitsbereich gehören, und das Legalitätsprinzip zu beachten, entspricht sein angepasstes Verhalten nicht. Das Legalitätsprinzip soll die Gewähr dafür bieten, dass die Staatsanwaltschaft jede Straftat ohne Ansehen der Person verfolgt. Dieser Grundsatz hat, worauf die Website des Generalbundesanwalts hinweist, demokratische, rechtsstaatliche Wurzeln und trägt dem Gleichheitssatz aus Art. 3 GG Rechnung.
2.
Wir erneueren hiermit unsere Strafanzeigen vom 08. Januar 2003 bzw. 20. Februar 2003.

Diese Anzeigen hat der Generalbundesanwalt mit Bescheiden vom 01. April 2003 zurückgewiesen. Die dagegen erhobenen Gegenvorstellungen/ Dienstaufsichts-beschwerden hatten keinen Erfolg. Der Vorgang war unter den Aktenzeichen

3 ARP 16/03-3  / II B 1- 313 BA – 1 (129) -

bzw.

3 ARP 90/03-03

anhängig.

3.

Die erneute Strafanzeige wird darauf gestützt, dass sich inzwischen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht weitere und neue Erkenntnisse ergeben haben, die es erforderlich machen, sich erneut mit dem Vorgang zu befassen. Ein Ermittlungsverfahren kann jederzeit wiederaufgenommen werden, wenn Anlass dazu besteht; ein Vertrauensschutz auf den Bestand der Einstellungsverfügung besteht nicht. Es muss wiederaufgenommen werden, wenn – wie hier – der von der Staatsanwaltschaft bzw. dem Generalbundesanwalt eingenommene Rechtsstandpunkt ganz offenkundig mit der Rechtslage nicht übereinstimmt.

Die neuen Erkenntnisse sind:

a.

Dem Krieg gegen den Irak sind bisher über 100.000 irakische Menschen, vor allem Frauen und Kinder, zum Opfer gefallen. Das ergibt sich aus einer von US-Wissenschaftlern erstellten Studie, die im renommierten Wissenschaftsmagazin „The Lancet“ veröffentlicht worden ist. Wir nehmen an, dass dem Generalbundesanwalt diese Studie bekannt ist, so dass wir zunächst davon absehen können, sie zu überreichen.

Im Irak haben also Massentötungen im großen Umfang aus politischen, vom Völkerrecht nicht gebilligten Gründen stattgefunden. Es gab und gibt keine Rechtfertigung, diese Menschen zu töten. Die Iraker sind nicht zum Abschuss freigegeben. Die USA und ihre willigen Verbündeten haben keine Lizenz zum Töten.

Das Recht auf Leben ist das höchste Rechtsgut auf der Werteskala der international anerkannten Menschenrechte.

Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg im März 2001 in den Verfahren 34044/96, 35532/97 und 44801/98, in denen die BRD Beteiligte war, festgestellt.

Das Recht auf Leben ist ein unteilbares Recht. Es steht allen Menschen zu. Auch die Iraker hatten und haben es.
 
b.

Der Krieg gegen den Irak war damit begründet worden, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfüge und mit dem islamistischen Terrorismus gemeinsame Sache mache.

Der ehemalige US-Außenminister Colin Powell, der die Aufgabe hatte, im Februar 2003 in einer zweieinhalbstündigen Multi-Media-Show vor dem UN-Sicherheitsrat der Weltöffentlichkeit den damals bevorstehenden Krieg gegen den Irak schmackhaft zu machen, hat vor kurzem in einem Interview erklärt, dass die Rede vor dem Sicherheitsrat ein „Schandfleck" in seiner politischen Karriere sei, er fühle sich „furchtbar", dass er damals angebliche Beweise für Massenvernichtungswaffen vorgelegt habe, die sich als falsch erwiesen hätten.

Die in der Show vorgetragenen „Fakten“ waren allesamt erdichtet und erlogen. Der Irak hatte keine Massenvernichtungswaffen, wie das Saddam Hussein auch stets beteuert hatte. Saddam Hussein hatte auch keine Kontakte zu Al Qaida.

Das Weiße Haus hatte bereits kurz nach dem 11.09.2001 entschieden, in den Irak einzumarschieren, um den USA einen Zugang zum zweitgrößten Erdölvorkommen der Welt zu sichern und ihnen eine Operationsbasis dafür zu schaffen, den gesamtem nahöstlichen Raum nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen mittel- oder längerfristig geopolitisch neu zu ordnen. Ob der Irak Massenvernichtungswaffen hatte oder nicht, war völlig gleichgültig. Das „Ringen“ im Sicherheitsrat war eine Farce.
 
Die Kriegsgegner hatten auf diese Aspekte von Anfang an hingewiesen.

c.
 
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 22. Juni 2005 (Aktenzeichen: 2 WD 12.04) ausführlich – die Entscheidung umfasst 136 Seiten – mit der Frage befasst, ob der Krieg gegen den Irak völkerrechtlich zulässig war bzw. ist, und als was die Unterstützungshandlungen, die die Bundesrepublik Deutschland erbracht hat, anzusehen und wie sie völkerrechtlich einzuordnen sind. In dem von  ihm entschiedenen Fall ging es darum, dass sich ein Offizier der Bundeswehr geweigert hatte, an der Entwicklung einer Software mitzuarbeiten, die nach seiner Auffassung in einem völkerrechtswidrigen Krieg, nämlich im Krieg gegen den Irak, verwendet werden könne. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Einwände des Soldaten uberprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Soldat berechtigt war, den Gehorsam zu verweigern, weil er die Ausführung des Befehls mit seinem Gewissen nicht habe vereinbaren können. Denn gegen den Irak-Krieg und die deutschen Unterstützungshandlungen bestünden gravierende völkerrechtliche Bedenken. Das Bundesverwaltungsgericht brauchte diese Fragen nicht „durchzuentscheiden“, weil es aus seiner Sicht für den Freispruch des Soldaten ausreichte, dass er sich mit diesen Fragen gewissenhaft beschäftigt und auf ihrer Grundlage eine zu respektierende Abwägung und Entscheidung getroffen hatte.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil die Gesichtspunkte abgehandelt, die auch in den ablehnenden Bescheiden des Generalbundes-anwalts, wenn auch nur sehr unvollkommen und oberflächlich und im Ergebnis falsch, eine Rolle gespielt haben. Die Argumente, die der Generalbundesanwalt damals vorgebracht hat, sind samt und sonders durch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts als widerlegt anzusehen.

4.

Im Einzelnen führt das Bundesverwaltungsgericht aus:
 

Zu den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats (Seiten 73 bis 77 des Urteils):
 

Für einen Krieg gegen den Irak konnten sich die Regierungen der USA und des
UK entgegen der von ihnen bei Beginn der Kampfhandlungen in förmlichen diploma-
tischen  Noten  an  den  UN-Sicherheitsrat  zum  Ausdruck  gebrachten  Rechtsauffas-
sung(en) auf keine sie ermächtigende Resolution(en) des UN-Sicherheitsrates nach
Art. 39  und 42  UN-Charta  stützen.  In  diesen  Noten  haben  sich  die  Regierung  der
USA am 21. März 2003 (UN Doc.S/2003/351) ausschließlich und die Regierung des
UK (UN Doc.S/2003/350) maßgeblich zwar auf die vom UN-Sicherheitsrat nach der
im Jahre 1990 durch irakische Streitkräfte erfolgten militärischen Besetzung Kuwaits
verabschiedeten Resolutionen 678 (1990) und 687 (1991) berufen (vgl. Bothe, Archiv
des Völkerrechts <AVR> 2003, 255 [259 f.]). Diese stellten jedoch im Frühjahr 2003
keine völkerrechtlich wirksame Ermächtigungsgrundlage für militärische Kampfhand-
lungen gegen den Irak dar.

Die UN-Resolution 678 vom 29. November 1990, mit der die Verbündeten Kuwaits
seinerzeit vom UN-Sicherheitsrat autorisiert worden waren, „alle erforderlichen Mittel"
(einschließlich militärischer) einzusetzen, um Kuwait von den damals einmarschier-
ten irakischen Truppen zu befreien, kam für die militärischen Kampfhandlungen der
USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak im Frühjahr 2003 - und damit mehr als
ein Jahrzehnt später - als Ermächtigungsgrundlage nicht mehr in Betracht (vgl. dazu
u.a. Bothe, AVR 2003, 255 [263 f.] m.w.N.). Denn das Ziel jener Ermächtigung aus
dem  Jahre  1990,  nämlich  die  Vertreibung  der  irakischen  Aggressoren  aus  Kuwait,
war bereits im Jahre 1990/91 erreicht worden. Sie war damit gegenstandslos gewor-
den und schied folglich als eine Ermächtigung für den Einsatz militärischer Gewalt im
Jahre 2003 aus. Zudem waren 1990/91 weder die USA noch ihre Verbündeten auto-
risiert worden, das Regime von Saddam Hussein im Irak mit militärischen Mitteln zu
stürzen,  zu  entwaffnen  und  einen  politischen  Systemwechsel  herbeizuführen,  was
aber die erklärten oder jedenfalls  nachträglich eingeräumten Ziele des  im Frühjahr
2003 begonnenen Krieges waren.

Die des Weiteren von den Regierungen der USA und des UK in ihren zu Beginn der
militärischen Kampfhandlungen gegen den Irak an den UN-Sicherheitsrat versandten
Noten  (UN  Doc.S/2003/351  und  UN  Doc.S/2003/350)  herangezogene  Resolution
687 (1991) vom 3. April 1991 über den Abschluss eines Waffenstillstandes mit dem
Irak kam im Frühjahr 2003 als Ermächtigungsgrundlage für den Krieg ebenfalls nicht
mehr in Betracht. Die umfangreiche Resolution enthielt seinerzeit zahlreiche Bedin-
gungen  einer  förmlichen  Feuereinstellung  („cease-fire")  zwischen  Irak  und  Kuwait
und  den  mit  Kuwait  kooperierenden  UN-Mitgliedsstaaten.  Zunächst  wurde  im  Text
auf  die  früheren  vom  UN-Sicherheitsrat  verabschiedeten  Resolutionen  Bezug  ge-
nommen und festgestellt, dass Kuwait seine Souveränität, Unabhängigkeit und terri-
toriale Integrität zurückerhalten hat und dass seine Regierung zurückgekehrt ist. An-
dererseits wurden damals dem Irak für den Fall eines weiteren Einsatzes gasförmi-
ger oder bakteriologischer Waffen „ernste Konsequenzen" angedroht. In Abschnitt C
der Resolution wurden die Verpflichtungen des Irak bezüglich seiner Kampfstoffbe-
stände, Subsysteme und Komponenten sowie aller Forschungs-, Entwicklungs-, Un-
terstützungs-  und  Produktionseinrichtungen  festgehalten.  In  Nr. 32  der  Resolution
verlangte der UN-Sicherheitsrat, „dass Irak dem Sicherheitsrat mitteilt, dass es Hand-
lungen des internationalen Terrorismus weder begehen noch unterstützen wird und
dass  es  Organisationen,  deren  Ziel  die  Begehung  derartiger  Handlungen  ist,  nicht
gestatten  wird,  auf  seinem  Hoheitsgebiet  zu  operieren,  und  dass  es  alle  terroristi-
schen Handlungen, Methoden und Praktiken unmissverständlich verurteilt und davon
Abstand  nimmt".  In  Nr. 33  der  Resolution  erklärte  der  UN-Sicherheitsrat  damals,
„dass, sobald Irak dem Generalsekretär und dem Sicherheitsrat offiziell die Annahme
der vorstehenden Bestimmungen notifiziert, eine formelle Feuereinstellung zwischen
dem Irak und Kuwait und den mit Kuwait gemäß Resolution 678 (1990) kooperieren-
den  Mitgliedsstaaten  in  Kraft  tritt".  In  Übereinstimmung  damit  stellte  der  UN-
Sicherheitsrat in der von ihm am 15. August 1991 beschlossenen weiteren Resoluti-
on 707 (1991) fest, dass in Anbetracht der daraufhin erfolgten schriftlichen Zustim-
mung  des  Irak  dazu,  die  Resolution  687  (1991)  vollinhaltlich  durchzuführen,  die  in
Nr. 33  der  genannten  Resolution  gestellten  Vorbedingungen  für  eine  Waffenruhe
(„cease-fire") erfüllt worden waren. Obwohl der UN-Sicherheitsrat in der Resolution
707 (1991) zahlreiche Verstöße des Irak gegen die Resolution 687 (1991) feststellte,
sah er davon ab, die Waffenruhe aufzuheben. Auch eine spätere Aufhebung dieser
rechtswirksam  zustande  gekommenen  Waffenruhe  ist  nicht  erfolgt.  Der  Anspruch
einzelner  Staaten,  ungeachtet  dessen  eigenständig  über  eine  Aufkündigung  dieser
Waffenruhe  zu  entscheiden,  stand  mithin  schon  deshalb  dazu  in  Widerspruch.  Er
widersprach ferner der in der Resolution 687 (1991) vom UN-Sicherheitsrat getroffe-
nen Feststellung, im UN-Sicherheitsrat selbst über weitere Schritte zu entscheiden.
Für  die  – ungeachtet  der  1991  rechtswirksam  zustande  gekommenen  Waffenruhe –
am 20. März 2003 erfolgte Aufnahme militärischer Kampfhandlungen gegen den Irak
durch die USA und ihre Verbündeten ohne vorhergehende Ermächtigung durch den
UN-Sicherheitsrat stellten die angeführten UN-Resolutionen keinen Rechtfertigungs-
grund dar (im Ergebnis ebenso u.a. Ausarbeitung für die Wissenschaftlichen Dienste
des Deutschen Bundestages vom 2. Januar 2003, in Ambos/Arnold <Hrsg.>, a.a.O.
S. 224 [227 f.]; Bothe, AVR 2003, 255 [263 f.]).

Dies gilt auch für die – nach der 1991 erfolgten Beendigung des Krieges des Irak ge-
gen Kuwait – in der Folgezeit vom UN-Sicherheitsrat damals verabschiedeten Reso-
lutionen 688 (1991) vom 5. April 1991, 707 (1991) vom 15. August 1991, 715 (1991)
vom 11. Oktober 1991, 986 (1995) vom 14. April 1995 und 1284 (1999) vom 17. De-
zember 1999. Soweit der UN-Sicherheitsrat diese Resolutionen über die Einsetzung
und  Entsendung  eines  UN-Inspektionsteams  (UNSCOM  und  seit  1999  UNMOVIC)
zum Aufspüren und Vernichten möglicher im Irak vorhandener atomarer, biologischer
und chemischer Waffensysteme verabschiedete, ermächtigten diese gerade nicht zur
Anwendung militärischer Gewalt gegen den Irak. Sie sahen weder vor, dass die Ko-
operation  mit  dem  UN-Inspektionsteam  durch  militärische  Mittel  erzwungen,  noch
dass gar das Regime von Saddam Hussein durch Krieg gestürzt werden sollte. Dies
ergibt  sich  unmittelbar  aus  dem  Wortlaut  der  genannten  Resolutionen  und  bedarf
keiner weiteren Begründung.

Auch alle weiteren in der Folgezeit vom UN-Sicherheitsrat zum Irak-Konflikt gefass-
ten Resolutionen enthielten keine Autorisierung eines kriegerischen Vorgehens der
Regierung der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak (so auch Ausarbeitung für
die  Wissenschaftlichen  Dienste  des  Deutschen  Bundestages  vom  2. Januar  2003,
a.a.O.  [S. 228 ff.];  Bothe,  AVR  2003,  255  [264 ff.];  Murswiek,  NJW  2003,  1014
 [1015 f.]; Bruha in Lutz/Gießmann <Hrsg.>, Die Stärke des Rechts gegen das Recht
des  Stärkeren,  2003,  S. 289 ff.  sowie  auf  der  Internetseite  der  Deutschen  Gesell-
schaft für die Vereinten Nationen e.V., www.dgvn.de/publikationen). Dies gilt insbe-
sondere für die nach wochenlangen Verhandlungen am 8. November 2002 vom UN-
Sicherheitsrat  einstimmig  verabschiedete  Resolution  1441  (2002)  (Originaltext  in
englischer Sprache in: www.un.org./doc; deutsche Übersetzung in: VN 2002, 232 f.).
Diese legte zwar ein relativ präzises inhaltliches und zeitliches Regime für die an die
irakische Regierung gerichteten Forderungen sowie die Grundsätze für die Arbeit der
Inspektionsteams   der   UNMOVIC   und   der   Internationalen   Atomenergiebehörde
(IAEA) fest, das spätestens 45 Tage nach Verabschiedung der UN-Resolution, mithin
spätestens am 23. Dezember 2002 mit seiner Tätigkeit im Irak beginnen und diese
weitere 60 Tage später, also spätestens bis zum 21. Februar 2003 mit einem Bericht
an den UN-Sicherheitsrat abschließen sollte. Für den Fall, dass die irakischen Stel-
len mit den Inspektionsteams nicht in vollem Maße zur Implementation der Resoluti-
on kooperieren oder diese in irgendeiner Weise behindern sollten, wurden der Vor-
sitzende der UNMOVIC, Hans Blix, und der Generaldirektor der IAEA, Mohamed El-
Baradei,  angewiesen,  hierüber  dem  UN-Sicherheitsrat  unverzüglich  zu  berichten,
damit dieser über die entstandene Situation beraten konnte, um „international peace
and security" zu sichern. Welche Entscheidungen der UN-Sicherheitsrat in einer sol-
chen Situation dann fassen würde, wurde offen gelassen. Der UN-Sicherheitsrat rief
in Nr. 13 dieser Resolution jedoch in Erinnerung, dass er in der Vergangenheit den
Irak wiederholt gewarnt habe, und drohte, dass der Irak mit „ernsthaften Konsequen-
zen" („serious consequences as a result of its continued violations of its obligations")
rechnen müsse. Worin diese „serious consequences" bestehen würden, konkretisier-
te er nicht. Nach wochenlangen Beratungen brachte der UN-Sicherheitsrat in dieser
Resolution  1441  (2002)  in  Nr. 14  selbst  jedoch  unmissverständlich  zum  Ausdruck,
dass  er  (auch  nach  ihrer  Verabschiedung)  mit  der  Angelegenheit  befasst  bleiben
werde. Er stellte damit der Sache nach klar, dass er nicht bereit war, die Angelegen-
heit  aus  der  Hand  zu  geben,  sondern – wie  in  der  UN-Charta  vorgesehen –  (auch) künftig selbst darüber entscheiden wollte, welche Konsequenzen aus einem Fehlver-
halten  des  Irak  im  Zusammenhang  mit  der  Durchsetzung  der  einschlägigen  UN-
Resolution(en) gezogen werden sollten. Mit dieser Resolution 1441 (2002) und ins-
besondere  mit  der  in  Nr. 13  gewählten  Formulierung  („serious  consequences")
sprach er mithin letztlich „lediglich" eine nicht näher bestimmte Warnung aus, nahm
jedoch bewusst davon Abstand, die von den Regierungen der USA und des UK an-
gestrebte Gewaltanwendung zu billigen oder sonstwie zu legitimieren. Nur wenn der
UN-Sicherheitsrat  ausweislich  des  Resolutionstextes – innerhalb  der  von  der  UN-
Charta  gezogenen  Grenzen –  eine  Gewaltanwendung  positiv  gebilligt  hätte,  wären
militärische Gewaltmaßnahmen gegen den Irak nach der UN-Charta zulässig gewe-
sen.  Ein  diesbezügliches  „Schweigen"  oder  Offenlassen  der  Art  der  angedrohten
„ernsthaften  Konsequenzen"  reichte  als  Ermächtigungsgrundlage  nicht  aus.  Denn
grundsätzlich sind nach Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta „jede" Androhung und Anwendung
militärischer  Gewalt  gegen  einen  anderen  Staat  völkerrechtswidrig,  so  lange  nicht
der UN-Sicherheitsrat nach Maßgabe der UN-Charta Gegenteiliges  hinsichtlich der
Anwendung (und der Androhung) von Gewalt beschlossen hat oder der Ausnahme-
fall des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 UN-Charta vorliegt. Dem kann nicht
entgegengehalten werden, die Vertreter der USA und des UK hätten im UN-Sicher-
heitsrat dann nicht für die schließlich verabschiedete Fassung der Resolution 1441
(2002) gestimmt, wenn sie in den darin gefundenen Formelkompromissen nicht zu-
mindest  soviel  Interpretationsspielraum  gesehen  hätten,  dass  auch  ihre  Einschät-
zung einer erfolgten Ermächtigung zum Krieg gegen den Irak zumindest vertretbar
wäre. Für die Ermittlung dessen, was der UN-Sicherheitsrat in einer solchen Resolu-
tion  beschlossen  hat,  ist  aber  nicht  entscheidend,  was  sich  Regierungsbeauftragte
bei  der  Beratung  und  Beschlussfassung  im  UN-Sicherheitsrat  „gedacht"  haben.
Vielmehr kommt es darauf an, was im Text der verabschiedeten Resolution seinen
Niederschlag  gefunden  hat.  Fehlt  es  daran,  mangelt  es  insoweit  an  einer  entspre-
chenden  Beschlussfassung.  Mentalreservationen  von  Regierungsbeauftragten  oder
ihrer Auftraggeber sind völkerrechtlich insoweit nicht maßgeblich. Wie der Text der
Resolution 1441 (2002) ausweist, ist eine Ausnahme vom grundsätzlichen Gewalt-
anwendungsverbot  vom  UN-Sicherheitsrat  gerade  nicht  beschlossen  worden.  Von
einer Ermächtigung oder Autorisierung irgendeiner Regierung oder eines Staates zur
Gewaltanwendung nach Kapitel VII der UN-Charta ist an keiner Stelle die Rede. Der
Begriff „Autorisierung" („authorization") taucht im Resolutionstext in diesem Zusam-
menhang nicht einmal auf. Der Versuch der Regierungen der USA, des UK und des
Königreichs  Spanien,  durch  eine  weitere  Resolution  später  dann  unmittelbar  vor
Kriegsbeginn doch noch eine Ermächtigung für die Anwendung militärischer Mittel zu
erreichen, fand im UN-Sicherheitsrat keine Mehrheit. Um eine Abstimmungsniederla-
ge zu vermeiden, wurde der entsprechende Resolutionsentwurf zurückgezogen.
 

Zur völkerrechtlichen Legitimität des Irak-Krieges (Seiten 72 bis 73 und Seiten 78 bis 80 des Urteils):
 

Gegen die von den Regierungen der USA und des UK am 20. März 2003
eingeleiteten  offensiven  militärischen  Kampfhandlungen  gegen  den  Irak  bestanden
bereits  damals  gravierende  rechtliche  Bedenken  im  Hinblick  auf  das  Gewaltverbot
der UN-Charta und das sonstige geltende Völkerrecht.
 
Grundsätzlich  ist  nach  Art. 2  Ziff. 4  UN-Charta  „jede"  Androhung  und  Anwendung
militärischer  Gewalt  gegen  einen  anderen  Staat  völkerrechtswidrig.  Dieses  strikte
Gewaltverbot ist nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs (vgl. u.a.
„Military  and  Paramilitary  Activities  in  and  against  Nicaragua"  <ICJ  Reports  1996,
S. 14,  97 ff.,  Ziff. 183 ff.>)  zugleich  Bestandteil  des  völkerrechtlichen  Gewohnheits-
rechts und wird zum „ius cogens" gerechnet (vgl. dazu u.a. Heintschel von Heinegg
in  Knut  Ipsen  <Hrsg.>,  Völkerrecht,  a.a.O.,  § 15  RNr. 53 ff.  [59];  Kadelbach,  Zwin-
gendes Völkerrecht, 1992, S. 228 f. m.w.N.). Es verpflichtet alle Staaten unmittelbar,
und zwar unabhängig davon, ob sie Mitglied der Vereinten Nationen sind oder nicht.
Damit gehört das Gewaltverbot auch nach Art. 25 GG zu den „allgemeinen Regeln
des Völkerrechts", die nach dieser Verfassungsnorm „Bestandteil des Bundesrechts"
sind, den innerstaatlichen Gesetzen „vorgehen" sowie „Rechte und Pflichten unmit-
telbar für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen".

Militärische Gewalt darf gegen den Willen des davon betroffenen Staates unter der
Geltung der UN-Charta - ausnahmsweise - angewandt werden, nämlich nur wenn ein
völkerrechtlicher Rechtfertigungsgrund dies im Einzelfall erlaubt.
 
Die  UN-Charta  sieht  lediglich  zwei  solcher  Rechtfertigungsgründe  vor.  Zum  einen
kann der UN-Sicherheitsrat nach gemäß Art. 39 UN-Charta erfolgter förmlicher Fest-
stellung  einer  „Aggression",  eines  „Friedensbruches"  oder  zumindest  einer  „Frie-
densgefährdung" die Anwendung militärischer Maßnahmen beschließen und entwe-
der diese in eigener Verantwortung durchführen (Art. 42, 43 UN-Charta) oder aber
hierzu andere Staaten (Art. 48 UN-Charta) oder ein „regionales System" (Art. 53 UN-
Charta) ermächtigen. Die Anwendung militärischer Gewalt ist ferner auch dann er-
laubt, wenn ein Staat allein oder im Zusammenwirken mit seinen Verbündeten das
Selbstverteidigungsrecht nach Maßgabe des Art. 51 UN-Charta wahrzunehmen be-
rechtigt ist.
 
Ein Staat, der sich - aus welchen Gründen auch immer - ohne einen solchen Recht-
fertigungsgrund über das völkerrechtliche Gewaltverbot der UN-Charta hinwegsetzt
und zur militärischen Gewalt greift, handelt völkerrechtswidrig. Er begeht eine militä-
rische Aggression.

Für die im Frühjahr 2003 begonnenen militärischen Kampfhandlungen gegen den Irak  konnten  sich  die  Regierungen  der  USA  und  ihrer  Verbündeten  auch  nicht  auf Art. 51 UN-Charta berufen.
 
Art. 51 UN-Charta gewährt nach seinem Wortlaut lediglich „im Falle eines bewaffne-
ten Angriffs" (in der englischen Fassung: „if an armed attack occurs", die insoweit von
den nach Art. 111 UN-Charta gleichermaßen  maßgeblichen anderen vier Vertrags-
sprachen keine Abweichungen aufweist) das naturgegebene Recht („inherent right")
zur  individuellen  oder  kollektiven  Selbstverteidigung,  bis  der  UN-Sicherheitsrat  die
zur  Wahrung  des  Weltfriedens  und  der  internationalen  Sicherheit  erforderlichen
Maßnahmen getroffen hat. Auch wenn hinsichtlich der Reichweite und der Grenzen
dieses Selbstverteidigungsrechts eine Vielzahl von Zweifelsfragen besteht, greift es
jedenfalls allein „im Falle" eines „bewaffneten Angriffs" ein. Die Anwendung von Waf-
fengewalt muss durch den Angreifer bereits erfolgt sein oder erfolgen, ehe militäri-
sche Verteidigungsschläge zulässig sind.
 
Allerdings  besteht  bislang  keine  hinreichende  Klarheit  darüber,  von  welchem  Zeit-
punkt an ein „bewaffneter Angriff" („armed attack") im Sinne des Art. 51 UN-Charta
vorliegt (vgl. dazu die Einzelnachweise zum Meinungsstand im in- und ausländischen
Fachschrifttum bei Nolte in Ambos/Arnold <Hrsg.>, a.a.O., S. 303 [306 f.]; Bothe in:
Graf  Vitzthum  <Hrsg.>,  Völkerrecht,  2. Aufl.  2001,  8. Abschn.,  RNr. 9;  Breitwieser,
NZWehrr 2005, 45 [56 ff.]).

Von den Regierungen einzelner Staaten ist wiederholt unter Berufung auf Art. 51 UN-
Charta oder Völkergewohnheitsrecht auch  eine so genannte „präventive Selbstver-
teidigung"  in  Anspruch  genommen  worden.  Dabei  wurde  argumentiert,  angesichts
des erreichten Entwicklungsstandes und der Zerstörungskraft moderner Waffen so-
wie der kurzen Vorwarnzeiten sei es nicht angezeigt zu erwarten, dass Staaten zu-
nächst ihre drohende Verwüstung bereits durch den ersten Waffeneinsatz des Gegners  „abwarten"  müssten,  bevor  sie  selbst  militärisch  tätig  würden.  Dies  ist  jedoch umstritten  geblieben  (vgl.  dazu  einerseits  Randelzhofer  in  Simma  <Hrsg.>,  Charta der Vereinten Nationen, 1. Aufl. 1991, Art. 51 RNr. 9 bis 14 sowie 34; ders. in Simma Hrsg.>,  The  Charter  of  the  United  Nations,  2. Aufl.  2002,  Art. 51  RNr. 39  m.w.N.; Horst Fischer in Knut Ipsen, Völkerrecht, a.a.O., § 59 RNr. 30, sowie andererseits die Nachweise u.a. bei Murswiek, a.a.O., [1016, Fußnote 12] und Nolte, a.a.O. [S. 307]). Ungeachtet dessen haben einzelne Regierungen freilich in der Folgezeit immer wieder ein solches Recht für sich und andere beansprucht. Eine gewohnheitsrechtlich relevante allgemeine Anerkennung hat dies jedoch nicht gefunden. Solche Militäreinsätze  sind  bis  heute  regelmäßig  auf  Widerspruch  gestoßen  (vgl.  dazu  die  Einzelnachweise bei Bothe in Graf Vitzthum <Hrsg.>, a.a.O., Fußnote 22; Ausarbeitung für die  Wissenschaftlichen  Dienste  des  Deutschen  Bundestages  vom  2. Januar  2003, a.a.O. [S. 227 f.]).

Auch von denjenigen, die eine erweiternde Interpretation des Art. 51 UN-Charta be-
fürworten, wird die Anwendung militärischer Gewalt nach der so genannten Webster-
Formel vom 24. April 1841 (zurückgehend auf den damaligen US-Außenminister Da-
niel Webster) allenfalls in einer Gefahrenlage für zulässig gehalten (vgl. dazu die Ein-
zelnachweise bei Nolte, a.a.O. [S. 307]), die „gegenwärtig und überwältigend" ist und
„keine Wahl der Mittel und keinen Augenblick zur Überlegung lässt" („instant, overw-
helmig, leaving no choice of means and no moment for deliberation", vgl. State Sec-
retary  Webster,  zitiert  nach  Horst  Fischer  in  Knut  Ipsen,  Völkerrecht,  a.a.O.,  § 53
RNr. 30). Die Herausbildung einer übereinstimmenden völkerrechtlichen Staatenpra-
xis und einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung („opinio iuris") über das Bestehen
eines  noch  darüber  hinausgehenden  „präventiven  Selbstverteidigungsrechts"  und
damit von entsprechendem Völkergewohnheitsrecht lässt sich dagegen nicht feststel-
len. Eine solche Gefahrenlage („instant, overwhelming, leaving no choice of means
and no moment for deliberation") lag selbst nach dem Vorbringen der Regierungen
der USA und des UK im Frühjahr 2003 nicht vor. In ihren - oben bereits angespro-
chenen -  diplomatischen  Noten  an  den  UN-Sicherheitsrat  vom  21. März  2003  wird
Gegenteiliges  nicht  substantiiert  behauptet.  Die  ursprünglich  öffentlich  geltend  ge-
machte Behauptung einer Bedrohung durch ABC-Waffen des Irak als Rechtfertigung
für den militärischen Gewalteinsatz blieb im Bereich der politischen Erklärungen, war
jedoch insbesondere nicht Bestandteil der rechtlichen Rechtfertigung gegenüber dem
UN-Sicherheitsrat.  Sie  wurde  zudem  von  maßgeblichen  Mitgliedern  der  US-Re-
gierung  relativiert  oder  gar  zurückgenommen  (vgl.  dazu  u.a.  Tomuschat,  FW  78
<2003>, 141 [149], u.a. unter Hinweis auf ein vom US-Verteidigungsministerium pu-
bliziertes  Interview  des  stellvertretenden  US-Verteidigungsministers  Paul  Wolfowitz
in der Zeitschrift „Vanity Fair" vom 9. Mai 2003; Wolfowitz erklärte darin, die offizielle
Kriegsbegründung  der  Regierung  sei  für  die  Öffentlichkeit  bestimmt  gewesen  und
dazu  entwickelt  worden,  um  in  der  Administration  „bürokratische"  Widerstände  zu
überwinden und weil es „der eine Grund war, dem jeder zustimmen konnte"; wichti-
ger   sei   es   gewesen,   dass   mit   einem   Erfolg   im   Irak-Krieg   die   Präsenz   von
US-Truppen   im   benachbarten   Königreich   Saudi-Arabien   tendenziell   überflüssig
werde  [www.defenselink.mil/transcripts/2003/tr20030509-depsecdef0223.html]).  Of-
fenkundig waren – wie auch der Inhalt ihrer diplomatischen Note an den UN-Sicher-
heitsrat  vom  21. März  2003  zeigt –  die  Entscheidungsträger  in  der  US-Regierung
selbst der Ansicht, dass der Irak kein geeigneter Fall war, um eine Berufung auf ein
Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta zu rechtfertigen (so zu Recht u.a.
Bothe, AVR 2003, 253 [261 f.]; vgl. ferner u.a. Horst Fischer, HuV-I 16 <2003>, 4 ff.,
6; Tomuschat, a.a.O. [144 ff.]; Kurth, ZRP 2003, 195 ff., jeweils m.w.N.).
 
Dementsprechend hat auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan,
die von den USA und ihren Verbündeten im Frühjahr 2003 ausgeführte militärische
Invasion des Irak als „illegalen Akt" bezeichnet (vgl. u.a. dpa-Meldung vom 16. Sep-
tember 2004).

Zu den Unterstützungshandlungen der Bundesrepublik Deutschland  (Seiten 80 bis 85 des Urteils)

Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen steht fest, dass die Bun-
desregierung  der  Bundesrepublik  Deutschland  im  Zusammenhang  mit  diesem  am
20.  März  2003  begonnenen  Krieg  insbesondere  die  Zusagen  machte  und  erfüllte,
den USA und dem UK für den Luftraum über dem deutschen Hoheitsgebiet „Über-
flugrechte" zu gewähren, die Nutzung ihrer „Einrichtungen" in Deutschland zu ermög-
lichen sowie für den „Schutz dieser Einrichtungen" in einem näher festgelegten Um-
fang zu sorgen; außerdem hatte sie im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg dem wei-
teren Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Flugzeugen „zur Überwachung des tür-
kischen  Luftraums  zugestimmt".  Dies  ist  in  dem  von  dem  Zeugen  S.  in  der  Beru-
fungshauptverhandlung  dem  Senat  überreichten  „Punktations-Papier"  ausdrücklich
festgehalten,  das  der  Zeuge  in  seiner  seinerzeitigen  Eigenschaft  als  Leitender
Rechtsberater des S. auf seine Anforderung hin von der zuständigen Stelle des Bun-
desministeriums der Verteidigung im Rahmen seiner Dienstaufgaben erhalten hatte.
Der Senat hat keine Veranlassung, die Richtigkeit der in diesem Papier dargestellten
Tatsachen in Zweifel zu ziehen, zumal weder der Bundeswehrdisziplinaranwalt noch
der Soldat in der Berufungshauptverhandlung dagegen Einwände erhoben haben.
Gegen  die  völkerrechtliche  Zulässigkeit  dieser  Unterstützungsleistungen  bestehen
gravierende  rechtliche  Bedenken,  die  der  Sache  nach  für  den  Soldaten  Veranlas-
sung waren, die Ausführung der ihm erteilten beiden Befehle zu verweigern, weil er
sonst eine eigene Verstrickung in den Krieg befürchtete.

Ein Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot kann nicht ohne Weiteres des-
halb verneint werden, weil die Regierung der Bundesrepublik Deutschland öffentlich
wiederholt  zum  Ausdruck  gebracht  hatte  (vgl.  u.a.  Erklärung  von  Bundeskanzler
Schröder  am  19 März  2003,  15. WP,  34. Sitzung,  Verh.  des  Deutschen  Bundesta-
ges, Bd. 216 S. 2727 C), „dass sich deutsche Soldaten an Kampfhandlungen nicht
beteiligen  werden".  Die  Unterstützung  einer  völkerrechtswidrigen  Militäraktion  kann
nicht  nur  durch  die  militärische  Teilnahme  an  Kampfhandlungen  erfolgen,  sondern
auch auf andere Weise. Ein völkerrechtliches Delikt kann durch ein Tun oder - wenn
eine  völkerrechtliche  Pflicht  zu  einem  Tun  besteht –  durch  Unterlassen  begangen
werden.  (vgl.  dazu  u.a.  von  Münch,  Das  völkerrechtliche  Delikt,  1963,  S. 134
m.w.N.).  Eine  Beihilfe  zu  einem  völkerrechtlichen  Delikt  ist  selbst  ein  völkerrechtli-
ches Delikt (speziell zum Irak-Krieg vgl. insoweit u.a. Puttler, HuV-I 16 (2003), 7 f.;
Bothe, AVR 2003, 255 [266] m.w.N.).
 
Anhaltspunkte und Maßstäbe für die Beantwortung der Frage, wann eine Hilfeleis-
tung durch eine Nicht-Konfliktpartei zugunsten eines kriegführenden Staates völker-
rechtswidrig ist, ergeben sich für den Bereich der Unterstützung eines völkerrechts-
widrigen militärischen Angriffs durch einen Drittstaat u.a. aus der von der General-
versammlung  der  Vereinten  Nationen  am  14. Dezember  1974  ohne  formelle  Ab-
stimmung im Wege des allgemeinen Konsenses als Bestandteil der Resolution 3314
(XXIX) beschlossenen „Aggressionsdefinition" (abgedr. u.a. in der Sammlung „Wehr-
recht" <Beck-Verlag, Stand 1. November 2004> unter Nr. 15), aus den Arbeiten der
„Völkerrechtskommission"  der  Vereinten  Nationen  („International  Law  Commission"
– ILC –)  sowie  aus  dem  völkerrechtlichen  Neutralitätsrecht.  Letzteres  hat  seine
Grundlage im Völkergewohnheitsrecht und im V. Haager Abkommen (V. HA) betref-
fend  die  Rechte  und  Pflichten  neutraler  Staaten  im  Falle  eines  Landkriegs  vom
18. Oktober 1907 (RGBl. 1910 S. 151) in Deutschland in Kraft seit dem 25. Oktober
1910  (vgl.  Bundesministerium  der  Justiz  <Hrsg.>,  Fundstellennachweis B,  Stand:
31. Dezember 2004, S. 238).
 
In Art. 3 Buchst. f) der o.g. „Aggressionsdefinition" heißt es, dass als „Angriffshand-
lung" im Sinne des Art. 39 UN-Charta unter anderem folgende Handlung anzusehen
ist:

„Die Handlung eines Staates, die in seiner Duldung besteht, dass sein Ho-
heitsgebiet,  das  er  einem  anderen  Staat  zur  Verfügung  gestellt  hat,  von
diesem anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen ei-
nen dritten Staat zu begehen."

Selbst wenn bis heute zweifelhaft ist, ob die in Art. 3 aufgeführten Schädigungshand-
lungen nicht nur einen „act of aggression" im Sinne von Art. 39 UN-Charta, sondern
auch  einen  Fall  des  „armed  attack"  im  Sinne  von  Art. 51  UN-Charta  darstellen,
kommt  in  Art. 3  jedenfalls  eine  gewichtige  in  der  Staatengemeinschaft  vorhandene
Überzeugung  zum  Ausdruck:  Dulden  die  Organe  eines  Territorialstaates  die  Vor-
nahme  von  Angriffshandlungen  eines  „Fremdstaates"  oder  unterlassen  sie  es,  von
diesem  Territorium  aus  unternommene  militärische  Angriffshandlungen  zu  verhin-
dern,  so  sind  die  Angriffshandlungen  damit  im  Falle  des  Art. 3  Buchst. f)  der  „Ag-
gressionsdefinition"  auch  dem  betreffenden  Territorialstaat  zuzurechnen  (vgl.  dazu
u.a.  Kersting,  NZWehrr  1981,  130  [139]).  Allerdings  darf  nicht  übersehen  werden,
dass  die  Generalversammlung  der  Vereinten  Nationen  und  die  in  ihr  vertretenen
Staaten aller großen Rechtskreise mit dieser im Konsens beschlossenen Resolution
seinerzeit  nicht  den  Anspruch  erhoben,  damit  Völkerrecht  „in  verbindlicher  Weise
festzuschreiben". Die „Aggressionsdefinition" stellt jedoch zumindest ein nicht unwe-
sentliches Element eines universalen völkerrechtlichen Konsens- und damit Rechts-
bildungsprozesses  dar  (vgl.  dazu  Bruha,  Die  Definition  der  Aggression,  1980,
S. 274 f., Fischer in Knut Ipsen <Hrsg.> Völkerrecht, a.a.O. § 59 RNr. 10).

 
Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang ferner auch Art. 16 des von der ILC,
die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einem entsprechenden
Kodifikationsauftrag betraut wurde (vgl. dazu u.a. von Münch, a.a.O., S. 52 ff.; Knut
Ipsen in: ders. <Hrsg.>, Völkerrecht, a.a.O., § 39 RNr. 1 ff.>), erstellten Entwurfs zur
Staatenhaftung vom 26. Juli 2001 (abgedr. in Tomuschat <Hrsg.>, Völkerrecht, 2001,
S. 97 ff.), der die diesbezügliche in den verschiedenen völkerrechtlichen Rechtskrei-
sen vorhandene Grundauffassung wiedergibt und wie folgt lautet:

„A State which aids or assists another State in the commission of an inter-
nationally wrongful act by the latter is internationally responsible for doing
so if:
(a)  that State does so with knowledge of the circumstances of the interna-
tionally wrongful act; and
(b)  the act would be internationally wrongful if committed by that State."

Von  Bedeutung  für  die  Bestimmung  der  völkerrechtlichen  Grenzen  von  Unterstüt-
zungsleistungen, die ein an einem militärischen Konflikt nicht unmittelbar beteiligter
Staat gegenüber einer Konfliktpartei erbringt, ist zudem vor allem das V. HA, dessen
Regelungen auch in die vom Bundesministerium der Verteidigung erlassene Zentrale
Dienstvorschrift (ZDv) 15/2 vom August 1992 aufgenommen worden sind.
 
Nach allgemeinem Völkerrecht ist ein Staat zwar grundsätzlich frei zu entscheiden,
ob er sich an einem militärischen Konflikt beteiligt. Er darf dies freilich ohnehin nur
auf  der  Seite  des  Opfers  eines  bewaffneten  Angriffs,  nicht  auf  der  des  Angreifers
(vgl. Nr. 1104 ZDv 15/2; Bothe in Fleck <Hrsg.>, Handbuch des humanitären Völker-
rechts in bewaffneten Konflikten, 1994, S. 389). Ein Staat, der an einem bewaffneten
Konflikt zwischen anderen Staaten nicht beteiligt ist, hat den Status eines „neutralen
Staates" (vgl. Nr. 1101 ZDv 15/2; Bothe, ebd., S. 386 m.w.N.). Abgesehen von den
Regeln,  die  im  Falle  einer  rechtlich  begründeten  „dauernden  Neutralität"  (z.B.
Schweiz  und  Österreich)  bereits  in  Friedenszeiten  Anwendung  finden,  beginnt  die
Pflicht eines nicht an einem bewaffneten Konflikt zwischen anderen Staaten beteilig-
ten Staates („neutraler Staat") zur Neutralität im Sinne des V. HA mit dem Ausbruch
des bewaffneten Konflikts (vgl. Nr. 1106 ZDv 15/2). Folge des neutralen Status sind
gegenseitige Rechte und Pflichten zwischen dem neutralen Staat auf der einen und
den Konfliktparteien auf der anderen Seite. Nach Art. 1 V. HA ist das Gebiet eines
„neutralen",  also  nicht  am  bewaffneten  Konflikt  beteiligten  Staates,  „unverletzlich";
jede Kriegshandlung ist darauf untersagt (vgl. dazu auch Nr. 1108 ZDv 15/2), insbe-
sondere  „Truppen  oder  Munitions-  oder  Verpflegungskolonnen  durch  das  Gebiet
einer neutralen Macht hindurchzuführen" (Art. 2 V. HA). Ein „neutraler Staat" – damit
also  im  Hinblick  auf  den  allein  von  den  USA  und  ihren  Verbündeten  seit  dem
20. März  2003  geführten  Krieg  gegen  den  Irak  auch  die  Bundesrepublik  Deutsch-
land –  darf  auf  seinem  Territorium  „keine  der  Konfliktparteien  unterstützen"  (vgl.
Nr. 1110  ZDv 15/2),  insbesondere  „keine  der  in  den  Artikeln 2  bis 4  bezeichneten
Handlungen  dulden"  (Art. 5  V. HA).  Dies  gilt  sowohl  für  die  Hindurchführung  von
Truppen,  Munitions-  oder  Verpflegungskolonnen  (Art. 5  Abs. 1  i.V.m.  Art. 2  V. HA;
Nr. 1115  ZDv 15/2:  Truppen-  oder  Versorgungstransporte  dürfen  auf  neutralem
Staatsgebiet  „nicht  stattfinden";  Heintschel  von  Heinegg  in  Horst  Fischer/Ulrike
Froissart/Wolff Heintschel von Heinegg/Christian Raap <Hrsg.>, Krisensicherung und
Humanitärer  Schutz  – Crisis  Management  and  Humanitarian  Protection,  Festschrift
für Dieter Fleck, 2004, S. 221 [226]) als auch für die Einrichtung oder Nutzung einer
„funkentelegraphischen <‚radiotélégraphique'> Station oder sonst irgend eine(r) An-
lage, die bestimmt ist, einen Verkehr mit den kriegführenden Land- oder Seestreit-
kräften zu vermitteln" (Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Buchst. a) und b) V. HA). Den Kon-
fliktparteien ist es weiterhin „untersagt, mit Militärluftfahrzeugen, Raketen oder ande-
ren Flugkörpern in neutralen Luftraum einzudringen" (Nr. 1150 ZDV 15/2 unter Be-
zugnahme  auf  Art. 40  der  Haager  Regeln  des  Luftkrieges  vom  19. Februar  1923
(HLKR - Teil 14 der ZDv 15/3); Bothe, AVR 2003, 255 [267]). Im Verhältnis zu einer
Konfliktpartei, die den Verboten der Art. 1 bis 4 V. HA zuwiderhandelt, im Sinne des
V. HA Territorium eines neutralen Staates mithin als Basis für militärische Operatio-
nen im weitesten Sinne nutzt, ist der „neutrale Staat" zum aktiven Tätigwerden und
damit zum Einschreiten verpflichtet, um die Neutralitätsverletzung zu beenden (vgl.
dazu  u.a.  Nr. 1109  ZDv 15/2  unter  Bezugnahme  auf  Art. 5  V. HA  sowie  Art. 2,  9
und 24 XIII. HA; Bothe, ebd.; Heintschel von Heinegg in Festschrift für Dieter Fleck,
a.a.O.,  S. 224).  Der  „neutrale  Staat"  ist  völkerrechtlich  gehalten,  „jede  Verletzung
seiner  Neutralität,  wenn  nötig  mit  Gewalt,  zurückzuweisen",  wobei  diese  Verpflich-
tung allerdings durch das völkerrechtliche Gewaltverbot eingeschränkt ist. Streitkräfte
einer Konfliktpartei, die sich auf dem Gebiet des „neutralen Staates" befinden, sind
daran zu hindern, an den Kampfhandlungen teilzunehmen; Truppen von Konfliktpar-
teien, die auf das neutrale Staatsgebiet „übertreten", also nach Beginn des bewaffne-
ten  Konflikts  in  das  neutrale  Staatsgebiet  gelangen,  sind  „zu  internieren"  (Art. 11
Abs. 1 V. HA; Nr. 1117 Satz 1 ZDv 15/2; Bothe, ebd.; Heintschel von Heinegg, ebd.,
S. 225). Nur Offiziere, die sich auf Ehrenwort verpflichten, das neutrale Gebiet nicht
ohne  Erlaubnis  zu  verlassen,  dürfen  freigelassen  werden  (Art. 11  Abs. 3  V. HA;
Heintschel  von  Heinegg,  ebd.,  S. 225).  Die  Pflicht  zur  Internierung  ergibt  sich  aus
dem Sinn und Zweck des Neutralitätsrechts, da nur so verhindert werden kann, dass
von  neutralem  Territorium  aus  Kampfhandlungen  unterstützt  werden  und  dass  es
dadurch zu einer Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen unter Einbezie-
hung des neutralen Staates kommt (vgl. Heintschel von Heinegg, ebd., S. 225).

Zu den Bündnisverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland  (Seiten 85 bis 95 des Urteils):

Von  diesen  völkerrechtlichen  Verpflichtungen  wurde  die  Bundesrepublik
Deutschland im Falle des am 20. März 2003 begonnenen Krieges, gegen den gravie-
rende völkerrechtliche Bedenken bestehen, nicht dadurch freigestellt, dass sie Mit-
glied der NATO war und ist, der auch die Krieg führenden USA und das UK (sowie
weitere Mitglieder der Kriegskoalition) angehören.
 
In dem „Punktations-Papier" des Bundesministeriums der Verteidigung, das dem Se-
nat in der Berufungshauptverhandlung vorgelegt worden ist und nach den glaubhaf-
ten Bekundungen des Zeugen S. mit der Leitung des Ministeriums abgestimmt war,
wird zwar angeführt, die Bundesregierung habe mit ihren Zusagen ihren „politischen
Verpflichtungen Rechnung getragen, die sich aus dem NATO-Vertrag sowie den ent-
sprechenden  Abkommen  ergeben"  (ähnlich  Bundeskanzler  Schröder  in  der  bereits
zitierten  Rede  am  19. März  2003,  a.a.O.,  S. 2728).  Weder  der  NATO-Vertrag  vom
4. April  1949  (BGBl. 1955 II  S. 289) – dazu  nachfolgend  a) –  noch  das  NATO-
Truppenstatut vom 19. Juni 1951 (BGBl. 1961 II S. 1190) oder das Zusatzabkommen
zum NATO-Truppenstatut vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) in der
hier  maßgeblichen  Fassung  des  Abkommens  vom  18.  März  1993  (BGBl. 1994 II
S.2594, 2598) – dazu nachfolgend b)– sehen jedoch eine Verpflichtung der Bundes-
republik Deutschland vor, entgegen der UN-Charta und dem geltenden Völkerrecht
- völkerrechtswidrige - Handlungen von NATO-Partnern zu unterstützen. Gleiches gilt
hinsichtlich der Regelungen im „Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräf-
te   in   der   Bundesrepublik   Deutschland"   vom   23. Oktober   1954   (BGBl. 1955 II
S. 253) -  dazu  nachfolgend  c).  Darüber  hinausgehenden  „politischen"  Erwartungen
oder  Absichten  darf  durch  die  im  demokratischen  Rechtsstaat  des  Grundgesetzes
strikt  an  „Recht  und  Gesetz"  nach  Art. 20  Abs. 3  GG  gebundene  Bundesregierung
nur insoweit Rechnung getragen werden, wie dies mit geltendem Völker- und Verfas-
sungsrecht vereinbar ist.
 
a) Ein NATO-Staat, der einen völkerrechtswidrigen Krieg plant und ausführt, verstößt
nicht nur gegen die UN-Charta, sondern zugleich auch gegen Art. 1 NATO-Vertrag.
Darin haben sich alle NATO-Staaten verpflichtet,
 
 „in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden inter-
nationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu
regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit
nicht gefährdet werden und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder
Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen
der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind."

Art. 1 NATO-Vertrag war bei seinem Abschluss Ausdruck des Willens aller Vertrags-
staaten,  zwar  einerseits  die  Möglichkeiten  der  UN-Charta  zur  Schaffung  einer  wir-
kungsvollen  Verteidigungsorganisation  auf  der  Grundlage  von  Art. 51  UN-Charta
auszuschöpfen,  andererseits  jedoch  strikt  die  Grenzen  einzuhalten,  die  durch  die
UN-Charta gezogen sind. Das heißt zugleich, dass ein durch Art. 51 UN-Charta nicht
gerechtfertigter  Krieg  auch  keinen  „NATO-Bündnisfall"  nach  Art. 5  NATO-Vertrag
darstellen oder rechtfertigen kann: Was gegen die UN-Charta verstößt, kann und darf
die NATO nicht beschließen und durchführen, auch nicht auf Wunsch oder auf Druck
der Regierungen besonders wichtiger Mitgliedsstaaten. Art. 7 NATO-Vertrag hebt die
Bindung aller NATO-Staaten an die UN-Charta nochmals besonders hervor. In der
Vorschrift  heißt  es  unmissverständlich,  dass  der  NATO-Vertrag  „weder  die  Rechte
und Pflichten, welche sich für die (NATO-Vertrags-)Parteien, die Mitglieder der Ver-
einten  Nationen  sind,  aus  deren  Satzung  (=  UN-Charta)  ergeben",  berührt;  er  darf
auch  nicht  „in  solcher  Weise  ausgelegt  werden".  Ein  gegen  die  UN-Charta  versto-
ßender  Angriffskrieg  eines  NATO-Staates  kann  mithin  selbst  durch  die  Ausrufung
des „NATO-Bündnisfalles" nicht zum Verteidigungskrieg werden.
 
Im Falle des am 20. März 2003 von den Regierungen der USA und des UK (zusam-
men mit weiteren Verbündeten) begonnenen Krieges gegen den Irak lag noch aus
einem weiteren Grund kein „Bündnisfall" der NATO vor. Art. 5 NATO-Vertrag normiert
eine völkerrechtliche Beistandspflicht für jede Vertragspartei „nur" im Falle eines be-
waffneten Angriffs „gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordameri-
ka". Der Umfang dieser Beistandspflicht ist dabei ausdrücklich offen gelassen wor-
den. Im zweiten Halbsatz des Artikels ist geregelt, dass jede Vertragspartei

„Beistand  leistet,  indem  jede  von  ihnen  unverzüglich  für  sich  und  im  Zu-
sammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich
der  Anwendung  von  Waffengewalt,  trifft,  die  sie  für  erforderlich  erachtet,
um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets  wiederherzustellen und zu
erhalten."
 
Für den Eintritt des Bündnisfalles ist die räumliche Belegenheit des Angriffsobjektes
maßgebend:  Nach  Art. 6  NATO-Vertrag  gilt  als  bewaffneter  Angriff  im  Sinne  des
Art. 5 auf eine oder mehrere Parteien jeder Angriff mit Waffengewalt

„1. auf das Gebiet eines dieser Staaten in Europa oder Nordamerika, (in-
zwischen aufgehoben: auf die algerischen Departments Frankreichs,) auf
das Gebiet der Türkei oder auf die der Gebietshoheit einer der Parteien un-
terliegenden Inseln im nordatlantischen Gebiet nördlich des Wendekreises
des Krebses;

2. auf die Streitkräfte, Schiffe oder Flugzeuge einer der Parteien, wenn sie
sich in oder über diesen Gebieten oder irgendeinem anderen europäischen
Gebiet,  in  dem  eine  der  Parteien  bei  Inkrafttreten  dieses  Vertrages  eine
Besatzung  unterhält,  oder  wenn  sie  sich  im  Mittelmeer  oder  nordatlanti-
schen Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses befinden."

Daraus ergibt sich, dass ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 5 NATO-Vertrag
nicht vorliegt, wenn etwa Schiffe oder Flugzeuge außerhalb des in Art. 6 näher be-
stimmten Vertragsgebietes angegriffen werden oder wenn gar „lediglich" in politische,
ökonomische  oder  militärische  Interessen  einer  oder  mehrerer  NATO-Vertragspar-
teien eingegriffen wird, ohne dass ein militärischer Angriff in dem durch Art. 6 NATO-
Vertrag definierten „NATO-Gebiet" erfolgt und abzuwehren ist. Auch ein durch völker-
rechtswidrige  Gewaltanwendung  durch  einen  NATO-Mitgliedsstaat  provozierter  An-
griff  unterfällt  nicht  dem  strikt  an  Art. 51  UN-Charta  orientierten  Angriffsbegriff  im
Sinne der Art. 5 und 6 NATO-Vertrag.
 
Wer die Entscheidung darüber trifft, ob ein „bewaffneter Angriff" im Sinne des Art. 6
NATO-Vertrag vorliegt, ist im Wortlaut des Vertrages nicht ausdrücklich geregelt wor-
den. Im  Fachschrifttum  ist  früher  teilweise  die  Auffassung  vertreten  worden,  der
NATO-Bündnisfall trete bei Vorliegen der in Art. 6 NATO-Vertrag normierten Voraus-
setzungen  automatisch  ein.  Dafür  könnte  der  Wortlaut  der  Bestimmung  insofern
sprechen,  als  es  darin  heißt,  dass  als  „bewaffneter  Angriff"  im  Sinne  des  Art. 5
NATO-Vertrag jeder bewaffnete Angriff auf eines der in den Nrn. 1 und 2 genannten
Zielobjekte „gilt". Art. 5 Abs. 1 NATO-Vertrag umschreibt jedoch die Beistandspflicht
ausdrücklich dahingehend, dass jede Partei im Bündnisfall „für sich und im Zusam-
menwirken mit den anderen Parteien" diejenigen Maßnahmen trifft, die „sie" zur Wie-
derherstellung und Erhaltung der Sicherheit des nordatlantischen Gebiets „für erfor-
derlich erachtet". Die Vertragsstaaten sind „lediglich" gehalten, die von ihren (nach
dem innerstaatlichen Verfassungsrecht) dazu berufenen Organen für erforderlich ge-
haltenen Maßnahmen auf Bündnisebene aufeinander abzustimmen. Bestimmte Ge-
genmaßnahmen werden durch Art. 5 NATO-Vertrag nicht vorgeschrieben.
 
Der  US-Senatsausschuss  für  „Auswärtige  Angelegenheiten"  hat  diese  sich  bereits
aus dem Regelungszusammenhang der Art. 5 und 6 NATO-Vertrag ergebende Kon-
sequenz  (im  Rahmen  des  Ratifizierungsverfahrens)  in  seinem  Bericht  vom  6. Juni
1949 ausdrücklich zum Ausdruck gebracht und erklärt, dass im Konfliktfall „jeder Par-
tei die Verantwortung obliege, selbst die Tatsachenfrage zu entscheiden", ob ein An-
griff im Sinne des Art. 6 NATO-Vertrag vorliegt. Die anderen Vertragsparteien sind
dieser amerikanischen Position weder in den Verhandlungen noch später entgegen-
getreten, sondern haben sie konkludent akzeptiert (vgl. dazu u.a. Heindel u.a. in A-
merican  Journal  of  International  Law  (AJIL)  1949,  634  [647];  Knut  Ipsen,  Rechts-
grundlagen  und  Institutionalisierung  der  Atlantisch-Westeuropäischen  Verteidigung,
1967, S.  47 ff.; ders., JöR 21 <1972>, 23 ff.; ders., AöR 94 <1969>, 554). Das Bun-
desverfassungsgericht hat dementsprechend entschieden, „dass der NATO-Vertrag
es  jedem  Vertragsstaat  überlässt  zu  beurteilen,  ob  ein  Bündnisfall  im  Sinne  des
Art. 5 Abs. 1 vorliegt" (Urteil vom 18. Dezember 1984 – 2 BvE 13/83 – <BVerfGE 68, 1
[93]>).   Für   diese   Auslegung   spricht   neben   der   vom   zuständigen   US-Senats-
ausschuss  wiedergegebenen  erfolgreichen  amerikanischen  Verhandlungsposition
auch die völkerrechtliche Auslegungsmaxime des „in dubio mitius": Wenn weder der
Vertragstext  noch  andere  Anhaltspunkte  für  den  wirklichen  Parteiwillen  hinreichen-
den  Aufschluss  über  das  Vereinbarte  geben,  sind  völkervertragsrechtliche  Bestim-
mungen,  die  Beschränkungen  der  staatlichen  Entscheidungs-  und  Gestaltungsfrei-
heit enthalten, im Zweifel einschränkend auszulegen.
 
Eine explizite authentische Interpretation durch die Vertragsparteien (Art. 31 Abs. 2
und Abs. 3 WVK) ist, soweit ersichtlich, bislang nicht erfolgt. Im bisher einzigen Fall
einer  tatsächlichen  (positiven)  Feststellung  des  NATO-Bündnisfalles  (vgl.  Art. 31
Abs. 3 Buchst. b) WVK) sind die NATO-Staaten nach den terroristischen Anschlägen
vom 11. September 2001 in New York und Washington nach der Maxime verfahren,
dass der NATO-Vertrag es jedem Vertragsstaat überlässt zu beurteilen, ob ein Bünd-
nisfall im Sinne des Art. 5 Abs. 1 vorliegt. Ihre Vertreter haben Anfang Oktober 2001
nach zuvor erfolgten Entscheidungen ihrer jeweiligen Regierung im NATO-Rat (ein-
stimmig)  einen  solchen  Fall  nach  Art. 5  und 6  NATO-Vertrag  förmlich  festgestellt.
Erst  nach  Ergehen  dieses  Beschlusses  lag  nach  gemeinsamer  Überzeugung  der
NATO-Staaten ein „Bündnisfall" im Sinne des NATO-Vertrages vor.
 
Im Falle des am 20. März 2003 begonnenen Krieges gegen den Irak ist vom NATO-
Rat ein solcher „Bündnisfall" nicht beschlossen worden. Unabhängig davon, dass ein
durch Art. 51 UN-Charta nicht gerechtfertigter „Präventivkrieg" völkerrechtlich keinen
„NATO-Bündnisfall"  nach  Art. 5  NATO-Vertrag  darstellen  oder  rechtfertigen  kann,
war  mithin  schon  deshalb  kein  NATO-Staat  nach  dem  NATO-Vertrag  verpflichtet,
NATO-Partner  mit  militärischen  Mitteln  im  Irak-Krieg  zu  unterstützen.  Ein  durch
Art. 51  UN-Charta  nicht  gerechtfertigter  Krieg  begründet  bereits  nach  den  Art. 1,  5
und 6 NATO-Vertrag keine Beistandsverpflichtungen, sondern steht diesen – wie ins-
besondere die Regelung in Art. 1 NATO-Vertrag deutlich macht – gerade entgegen.
 
Der  NATO-Vertrag  enthält  darüber  hinaus  einen  ausdrücklichen  rechtlichen  Vorbe-
halt, wonach keine Vertragspartei durch den NATO-Vertrag oder durch spätere Ent-
scheidungen  bei  der  Durchführung  des  Vertrages  (z.B.  Beschlüsse  in  den  NATO-
Gremien) gezwungen werden kann, gegen die eigene Verfassung zu verstoßen (sog.
„protective   clause").   Auf   nachdrückliches   Betreiben   der   damaligen   US-Regie-
rungsadministration des Präsidenten Truman ist 1949 in die „Urfassung" des NATO-
Vertrages die Klausel aufgenommen worden, die sowohl seine Ratifizierung als auch
seine  Durchführung  in  Art. 11  Satz 1  einem  ausdrücklichen  Verfassungsvorbehalt
unterstellt. In dieser Regelung wird explizit bestimmt,  dass der NATO-Vertrag „von
den Parteien in Übereinstimmung mit ihren verfassungsmäßigen Verfahren zu ratifi-
zieren und in seinen Bestimmungen durchzuführen ist". Damit sind mögliche Konflik-
te zwischen dem NATO-Vertrag, seiner Durchführung und daraus (für die Mitglieds-
staaten) resultierenden Verpflichtungen einerseits und der jeweiligen Verfassung des
einzelnen Mitgliedsstaates andererseits von vornherein entschieden worden. Die ver-
fassungsrechtliche Regelung des jeweiligen Bündnis- und Vertragspartners geht im
Konfliktfalle der NATO-Vertragsregelung (und den zur Durchführung des Vertrages
getroffenen  Entscheidungen)  vor.  Es  gibt  nach  dem  NATO-Vertrag  mithin  keine
rechtlichen  Bündnisverpflichtungen  jenseits  des  Verfassungsrechts  des  jeweiligen
Mitgliedsstaates und damit auch nicht jenseits der durch Art. 20 Abs. 3 GG begrün-
deten Bindung der (deutschen) „vollziehenden Gewalt" an „Recht und Gesetz" sowie
an die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts" (Art. 25 GG).
 
Gegenteiliges  ergibt  sich  auch  nicht  aus  den  Regelungen  des  NATO-Trup-
penstatuts und des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut.
 
Nach allgemeinem Völkerrecht, das auch in internationalen Übereinkommen seinen
Niederschlag gefunden hat (vgl. u.a. Art. 1 des Abkommens über die internationale
Zivilluftfahrt  vom  7. Dezember  1944 – so  genanntes  Chicagoer  Abkommen  <BGBl.
1956 II, S. 411>) – besitzt jeder Staat im Luftraum über seinem Hoheitsgebiet „volle
und ausschließliche Lufthoheit". Sind allerdings – wie in Deutschland – ausländische
Truppen stationiert, so werden Umfang und Grenzen ihrer Bewegungsfreiheit regel-
mäßig in speziellen völkerrechtlichen Abkommen geregelt. Nach der am 6. Mai 1955
erfolgten Aufhebung des Besatzungsregimes geschah dies in Deutschland in Gestalt
des am 1. Juli 1963 in Kraft getretenen (vgl. BGBl. 1993 II S. 745) so genannten Zu-
satzabkommens (ZA-NTS 1959), das das NATO-Truppenstatut ergänzte.
 
In der bis 1994 geltenden Fassung dieses Zusatzabkommens, das in diesem Bereich
die Regelungen aus der Besatzungszeit als Vertragsrecht weitgehend fortführte, war
den in Deutschland im Rahmen der NATO stationierten US-Truppen eine sehr weit-
gehende Bewegungsfreiheit im deutschen Luftraum eingeräumt: Eine „Truppe" war
berechtigt, mit Luftfahrzeugen „die Grenzen der Bundesrepublik zu überqueren sowie
sich in und über dem Bundesgebiet zu bewegen" (Art. 57 Abs. 1 ZA-NTS 1959). Im
Zuge der Neufassung des Zusatzabkommens ist diese Regelung im Jahre 1994 ge-
ändert   worden   (BGBl. 1994 II   S. 2594,   2598). Danach   bedarf   nunmehr   die   in
Deutschland stationierte „Truppe" grundsätzlich jeweils einer Genehmigung durch die
deutsche Bundesregierung, wenn sie mit Land-, Wasser- oder Luftfahrzeugen in die
Bundesrepublik  „einreisen  oder  sich  in  und  über  dem  Bundesgebiet  bewegen"  will
(Art. 57  Abs. 1  Satz 1  Halbsatz 1  ZA-NTS  1994).  Der  Genehmigungsvorbehalt  ist
schon nach dem Wortlaut der Vorschrift eindeutig. Allerdings wird diese grundsätzli-
che Genehmigungspflicht im folgenden zweiten  Halbsatz des Art. 57 Abs. 1 Satz 1
ZA-NTS 1994 teilweise wieder eingeschränkt. Die Vorschrift lautet:

„Transporte  und  andere  Bewegungen  im  Rahmen  deutscher  Rechtsvor-
schriften,  einschließlich  dieses  Abkommens  und  anderer  internationaler
Übereinkünfte, denen die Bundesrepublik und einer oder mehrere der Ent-
sendestaaten  als  Vertragspartei  angehören,  sowie  damit  im  Zusammen-
hang stehender technischer Vereinbarungen und Verfahren gelten als ge-
nehmigt."

Mit  anderen  Worten:  Soweit  dieser  zweite  Halbsatz  eingreift,  bedarf  es  keiner  Ge-
nehmigung für die „Einreise" und alle Bewegungen mit Luftfahrzeugen „in und über
dem  Bundesgebiet".  Wie  weit  der  Anwendungsbereich  dieser  Regelung  reicht,  ist
nach den allgemeinen völkerrechtlichen Auslegungsregeln zu ermitteln.
 
Nach ihrem Wortlaut ist gemäß Art. 57 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 ZA-NTS für die fikti-
ve „Vorabgenehmigung" durch diese Vorschrift („gelten als genehmigt") maßgeblich,
ob die „Transporte und anderen Bewegungen" der stationierten Truppe im Rahmen
der deutschen Rechtsvorschriften und der genannten Abkommen erfolgen. Verstößt
eine Aktivität der stationierten Truppe in Deutschland oder im Luftraum darüber ge-
gen eine solche Rechtsvorschrift, so entfällt die „Vorabgenehmigung" durch das Zu-
satzabkommen.
 
Für die Interpretation der Regelung ist ferner ihr Kontext, also der Zusammenhang, in
dem  sie  steht  (vgl.  Art. 31  Abs. 1  WVK),  von  Bedeutung.  Insoweit  ist  das  Regel-
Ausnahme-Verhältnis  zu beachten: Sie ist als Ausnahme von dem im allgemeinen
Völkerrecht geltenden Grundsatz der vollen Hoheitsgewalt jedes Staates über sein
Territorium und seiner „vollen und ausschließlichen Lufthoheit" über seinem Hoheits-
gebiet ausgestaltet. Als Ausnahmevorschrift ist sie mithin nach allgemeinen Ausle-
gungsgrundsätzen („singularia non sunt extendenda") eng auszulegen.

Die  Regelung  des  Art. 57  Abs. 1  Satz 1  ZA-NTS – und  zwar  sowohl  in  ihrer  Ur-
sprungsfassung als auch in der Neufassung von 1994 – betrifft zudem wie sich schon
aus ihrem Wortlaut ergibt, nur die Bewegungen von Luftfahrzeugen einer „Truppe"
(sowie eines „zivilen Gefolges", ihrer „Mitglieder und Angehörigen"), mithin also nicht
jede  „Einreise"  von  Militärluftfahrzeugen  aus  einem  Vertragsstaat  in  die  Bundesre-
publik Deutschland. Was im Sinne dieser Vorschrift als „Truppe" zu verstehen ist, ist
in  Art. I  Abs. 1  Buchst. a)  des  NATO-Truppenstatuts  definiert:  „Truppe"  ist  danach
das zu den Land-, See- oder Luftstreitkräften gehörende Personal einer Partei (des
NATO-Truppenstatuts),  „wenn  es  sich  im  Zusammenhang  mit  seinen  Dienstoblie-
genheiten in dem Hoheitsgebiet" einer Vertragspartei, hier also Deutschlands, „befin-
det". Es geht also bei der durch Art. 57 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 ZA-NTS unter be-
stimmten Voraussetzungen für Militärluftfahrzeuge von Vertragsstaaten generell ge-
nehmigten „Einreise in die Bundesrepublik" und Bewegungsfreiheit „in und über dem
Bundesgebiet" allein um die im NATO-Rahmen stationierten Truppenteile. Denn die
Stationierungsbefugnisse auf deutschem Boden sind den USA und dem UK „um ihrer
Stellung als Mitglieder der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft willen und im
Hinblick   auf   die   daraus   entspringenden   Verpflichtungen   eingeräumt   worden"
(BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1984 – 2 BvE 13/83 – <a.a.O. [98]>). Sollen dage-
gen außerhalb des NATO-Rahmens in den USA oder im UK stationierte Truppenteile
mit Militärluftfahrzeugen etwa auf ihrem Weg in das Kriegsgebiet lediglich den deut-
schen Luftraum benutzen oder auf ihnen in Deutschland überlassenen Flugplätzen
zwischenlanden, um aufzutanken, Material oder Waffen aufzunehmen und anschlie-
ßend  – ohne  „NATO-Auftrag" –  in  das  außerhalb  des  „NATO-Gebiets"  gelegene
Kriegsgebiet weiterzufliegen, bleibt es bei der grundsätzlichen Genehmigungsbedürf-
tigkeit. Der Krieg der USA und des UK gegen den Irak war kein „NATO-Krieg". Er
erfolgte außerhalb der Entscheidungsstrukturen der NATO.

Entsprechendes gilt für die in Deutschland gelegenen Militär-Stützpunkte. In diesen
Liegenschaften, die den stationierten Streitkräften „zur  ausschließlichen  Benutzung
überlassen" worden sind, dürfen diese nach Art. 53 Abs. 1 ZA-NTS „die zur befriedi-
genden  Erfüllung  ihrer  Verteidigungspflichten  erforderlichen  Maßnahmen  treffen".
Nach Abs. 2 der Vorschrift gilt dies „entsprechend für Maßnahmen im Luftraum über
den  Liegenschaften".  Ungeachtet  aller  sonstigen  Auslegungsschwierigkeiten  ergibt
sich daraus für die zuständigen deutschen Stellen, d.h. vor allem für die Bundesre-
gierung, im Konfliktfall – jedenfalls rechtlich – die Befugnis zu kontrollieren, ob die Sta-
tionierungsstreitkräfte auf den überlassenen Liegenschaften (sowie im Luftraum da-
rüber)  im  Einzelfall  ausschließlich  „Verteidigungspflichten"  im  Sinne  des  Zusatzab-
kommens  und  des  NATO-Vertrages  wahrnehmen  oder  aber  andere  Maßnahmen
vorbereiten oder gar durchführen. Art. 53 Abs. 3 ZA-NTS soll dabei – nach dem Ver-
tragstext – ausdrücklich sicherstellen, dass die deutschen Behörden „die zur Wahr-
nehmung deutscher Belange erforderlichen Maßnahmen" innerhalb der Liegenschaf-
ten durchführen können. Was dabei zur „Wahrnehmung deutscher Belange" erforder-
lich ist, ist, soweit ersichtlich, weder in dieser Bestimmung noch in anderen Abkom-
men  im  Einzelnen  definiert.  Die  Konkretisierung  der  „deutschen  Belange"  und  die
Festlegung  der  Mittel  zu  ihrer  Durchsetzung  ist  damit  zuvörderst  Aufgabe  der  zu-
ständigen  deutschen  Behörden  und  damit  insbesondere  der  Bundesregierung,  die
dabei freilich nach Art. 20 Abs. 3 GG an „Recht und Gesetz" und nach Art. 25 GG an
die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts" gebunden ist. Zur „Wahrnehmung deut-
scher  Belange"  im  Sinne  der  genannten  Regelungen  gehört  jedenfalls  u.a.  auch,
dass alle erforderlichen Maßnahmen eingeleitet und vorgenommen werden, die ver-
hindern,  dass  etwa  vom  Territorium  der  Bundesrepublik  Deutschland  aus  völker-
rechtswidrige Kriegs-Handlungen erfolgen oder unterstützt werden. Dies gilt um so
mehr, als sich Deutschland im Zuge der Wiedervereinigung in Art. 2 des Vertrages
über  die  abschließende  Regelung  in  Bezug  auf  Deutschland  (so  genannter  Zwei-
Plus-Vier-Vertrag) vom 12. September 1990 (BGBl. II S. 1318), der die maßgebliche
Grundlage der im Jahre 1990 erfolgten Herstellung der staatlichen Einheit Deutsch-
lands bildet, völkerrechtlich verpflichtet hat, dafür zu sorgen, „dass von deutschem
Boden nur Frieden ausgehen wird".

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem „Vertrag über den Aufenthalt aus-
ländischer  Streitkräfte  in  der  Bundesrepublik  Deutschland"  vom  23. Oktober  1954,
dem so genannten Aufenthaltsvertrag (AV). In Art. 1 Abs. 4 AV wurde zwar die Rege-
lung  getroffen,  dass  die  Bundesrepublik  Deutschland  „auf  der  gleichen  Grundlage,
nach der dies zwischen anderen Parteien des Nordatlantikpaktes" (= NATO-Vertrag)
„üblich  ist  oder  mit  Wirkung  für  alle  Mitgliedsstaaten  im  Rat  der  Nordatlantikpakt-
Organisation  vereinbart  wird",  unter  anderem  den  amerikanischen  und  britischen
Streitkräften das Recht gewährt, „das Bundesgebiet auf dem Wege nach oder von
Österreich  (so  lange  diese  dort  weiter  stationiert  sind)  oder  irgendeinem  Mitglieds-
staat der Nordatlantikpakt-Organisation zu betreten, es zu durchqueren und zu ver-
lassen". Unabhängig von der Frage, ob der Aufenthaltsvertrag gemäß seinem Art. 3
mit dem in Gestalt des Zwei-Plus-Vier-Vertrages vom 12. September 1990 erfolgten
„Abschluss einer friedensvertraglichen Regelung mit Deutschland" außer Kraft getre-
ten ist oder ob er aufgrund der zwischen den beteiligten Regierungen gewechselten
diplomatischen  Noten  einstweilen  fort  gilt,  beschränkt  sich  Art. 1  Abs. 4  AV  schon
nach seinem Wortlaut eindeutig darauf, das Bundesgebiet auf dem Wege nach oder
von „irgendeinem Mitgliedstaat der Nordatlantikpakt-Organisation" zu betreten, es
zu durchqueren und zu verlassen. Die in Art. 1 Abs. 4 AV eingeräumten Rechte be-
ziehen    sich    mithin    allein    auf    Transitvorgänge    vom    Gebiet    eines    NATO-
Mitgliedstaates in das Bundesgebiet oder von diesem aus in das Territorium eines
NATO-Mitgliedstaates. Eine Regelung für das Betreten, Durchqueren oder Verlassen
des   Bundesgebietes   „auf   dem   Wege   nach   oder   von"   irgendeinem   Nicht-
Mitgliedsstaat der NATO enthält der Aufenthaltsvertrag gerade nicht.
 
Dies gilt auch für den Fall, dass zwischen der Bundesrepublik Deutschland sowie
den USA und dem UK völkerrechtliche Geheim-Abkommen geschlossen worden sein
sollten, die für den Fall eines militärischen Konflikts Gegenteiliges vorsehen, jedoch
– entgegen  Art. 102  UN-Charta –  nicht  beim  Sekretariat  der  Vereinten  Nationen  re-
gistriert und veröffentlicht worden sind.

Unabhängig davon, ob solche Geheim-Abkommen überhaupt rechtliche Wirkungen
auszulösen vermögen, ist jedenfalls die Vorschrift des Art. 103 UN-Charta zwingend
zu beachten, die folgenden Wortlaut hat:

„Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Na-
tionen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internatio-
nalen  Übereinkünften,  so  haben  die  Verpflichtungen  aus  dieser  Charta
Vorrang."

Art. 103 UN-Charta stellt ganz allgemein den Vorrang des Rechts der UN-Charta ge-
genüber Verpflichtungen aus allen anderen völkerrechtlichen Abkommen fest. Dies
hat  im  vorliegenden  Zusammenhang  die  Konsequenz,  dass  aus  solchen – für  den
Senat nicht ersichtlichen, jedoch nicht auszuschließenden – Geheim-Abkommen für
die USA und für das UK gegenüber Deutschland jedenfalls keine Rechte und Ver-
pflichtungen ableitbar sind, die der UN-Charta widersprechen, also etwa gegen das
Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta verstoßen.
 
Wie  sich  aus  den  vorstehenden  Darlegungen  ergibt, bestehen gegen mehrere im „Punktations-Papier" des Bundesministeriums der Verteidigung aufgeführte und vom Senat in der Berufungshauptverhandlung festgestellte Unterstützungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland zugunsten der USA und des UK im Zusammenhang mit dem am 20. März 2003 begonnenen Krieg gegen den Irak gravierende völkerrechtliche Bedenken.
 
Dies gilt jedenfalls für die Gewährung von Überflugrechten für Militärluftfahrzeuge der
USA und des UK, die im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg über das Bundesgebiet
hinweg in das Kriegsgebiet in der Golfregion flogen oder von dort zurückkamen. E-
benfalls gilt dies für die Zulassung der Entsendung von Truppen, des Transports von
Waffen  und  militärischen  Versorgungsgütern  von  deutschem  Boden  aus  in  das
Kriegsgebiet  sowie  für  alle  Unternehmungen,  die  dazu  führen  konnten,  dass  das
Staatsgebiet  Deutschlands  als  Ausgangspunkt  oder  „Drehscheibe"  für  gegen  den
Irak gerichtete militärische Operationen diente. Denn objektiver Sinn und Zweck die-
ser Maßnahmen war es, das militärische Vorgehen der USA und des UK zu erleich-
tern oder gar zu fördern. Wegen dieser Zielrichtung bestehen gegen das diesbezüg-
liche Verhalten der Bundesregierung im Hinblick auf das völkerrechtliche Gewaltver-
bot und die angeführten Bestimmungen des V. HA gravierende völkerrechtliche Be-
denken (vgl. Bothe, AVR 2003, 255 [268]).

Ob diese gravierenden völkerrechtlichen Bedenken auch für die Beteiligung von Sol-
daten der Bundeswehr an Einsätzen von AWACS-Flügen über der Türkei und ihre
Verwendung zur Bewachung von Kasernen sowie von militärischen und zivilen Ein-
richtungen  der  US-Streitkräfte  in  Deutschland  gelten,  ist  nicht  zweifelsfrei.  Bei  den
AWACS-Flügen hängt die Beantwortung der Frage maßgeblich davon ab, ob die bei
diesen Einsätzen gewonnenen Daten für die Kriegshandlungen im Irak von Bedeu-
tung waren und ob die Streitkräfte der USA und des UK darauf de facto Zugriff hat-
ten. Die Vereinbarkeit des Schutzes und der Bewachung von in Deutschland gelege-
nen Einrichtungen der US-Streitkräfte durch die Bundeswehr mit geltendem Völker-
recht war davon abhängig, ob damit entsprechende Aufgaben der in das Kriegsge-
biet verlegten US-Verbände gleichsam stellvertretend und kompensatorisch wahrge-
nommen wurden, um diesen den Abzug entsprechender Truppen in das Kriegsgebiet
zu ermöglichen oder zu erleichtern. Wäre dies der Fall gewesen, bestünden wegen
dieses  Verstoßes  gegen  das  in  Art. 5  Abs. 1  i.V.m.  Art. 2  V. HA  normierte  Verbot,
„keine der Konfliktparteien zu unterstützen" (vgl. Nr. 1110 Satz 1 ZDv 15/2), gravie-
rende völkerrechtliche Bedenken.
 
5.
 
Mit diesen Ausführungen in einem höchstrichterlichen Urteil wird sich der Generalbundesanwalt sorgfältig auseinanderzusetzen haben. Er wird sich die Mühe machen müssen, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufmerksam zu lesen, auch wenn es mit seiner Sicht der Dinge, die wohl identisch ist mit der Sicht der Bundesregierung, nicht übereinstimmt. Er muss eine endgültige Antwort auf die Fragen gegen, die das Bundesverwaltungsgericht aufgeworfen hat. Das Resümee, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei nicht „einschlägig“, wäre ebenso oberflächlich wie falsch. Das Urteil ist in jeder Beziehung „einschlägig“. Man muss sich nur mit ihm beschäftigen. Das Ergebnis der strafrechtlichen Prüfung des angezeigten Sachverhalts einerseits und die völkerrechtliche Bewertung des Vorgehens der Vereinigten Staaten von Amerika sowie der hierzu geleisteten Unterstützungshandlungen andererseits ist durchaus deckungsgleich. Man muss den Unterstützungshandlungen nur den Stellenwert geben, den sie tatsächlich hatten. Der deutsche Beitrag war erheblich, sehr erheblich sogar. Ohne die Unterstützungshandlungen Deutschlands hätten die USA und ihre Verbündeten den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak nicht so führen können, wie er geführt worden ist.

Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt. Ein Staat, der einem anderen Staat sein Hoheitsgebiet zur Verfügung stellt, wird, wenn der andere Staat die Überlassung dazu benutzt, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen, und der überlassende Staat dies duldet, so behandelt, als sei er selbst der angreifende Staat.

Es kann keineswegs dahinstehen, ob der Krieg gegen den Irak und die Besatzung des Landes völkerrechtswidrig sind oder nicht. Es macht einen großen Unterschied, ob die Beihilfe zu einem völkerrechtsgemäßen oder zu einem völkerrechtswidrigen Krieg geleistet worden ist. Die Frage muss beantwortet werden, weil sich nur auf diese Weise die Unterstützungshandlungen der deutschen Bundesregierung richtig zuordnen und bewerten lassen.

Ich gehe davon aus, dass dem Generalbundesanwalt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in der vollständigen Fassung vorliegt.

6.

Was ein völkerrechtswidriger „Angriffskrieg“ ist, lässt sich ohne Schwierigkeit definieren, wenn man sich auf diese Frage konzentriert und nicht abschweift, beispielsweise Theorien wie die von der angeblichen Rechtmäßigkeit eines „Präemptivschlages“ erörtert, die im Völkerrecht außer von den nach alleiniger Weltmacht strebenden USA bislang von keinem ernsthaft vertreten werden, und die hier schon deshalb nicht zur Diskussion stehen können, weil es an den tatsächlichen Voraussetzungen fehlt. Ein Staat, der über keine Massenvernichtungswaffen verfügt und auch mit Terroristen nicht paktiert, stellt keine, auch keine potenzielle, Gefahr für den Weltfrieden und die Völkergemeinschaft dar. Natürlich kann jeder Staat eines Tages im Besitz von Massenvernichtungswaffen sein, mit denen er andere Staaten bedroht. Hier „prophylaktisch“ einzugreifen, würde bedeuten, dass man rund um die Uhr in allen Regionen der Welt Kriege gegen alle möglichen Staaten führen könnte und dürfte.

7.

Der Generalbundesanwalt schreibt in seinem Bescheid vom 01. April 2003 auf Seite 7:

„  … Strafbarkeit soll nur dann eintreten, wenn eine evidente Verletzung des Gewaltverbots vorliegt, die Tathandlung mithin nach den Regeln des Völkerrechts eindeutig zu missbilligen ist …“

Diese Eindeutigkeit ist hier gegeben.
 
 

8.

In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg war die Vorbereitung und das Führen von Angriffskriegen der Hauptanklagepunkt. Die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Führung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Vereinbarungen oder Zusicherungen oder Teilnahme an einem gemeinsamen Plan oder einer Verschwörung zur Ausführung einer der vorgenannten Handlungen, wurde als Verbrechen gegen den Frieden angesehen.

Das Internationale Tribunal erklärte damals, dass „Krieg im Wesentlichen etwas Böses ist. Seine Folgen beschränken sich nicht nur auf die Krieg führenden Staaten, sondern sie treffen die ganze Welt. Einen Angriffskrieg einzuleiten ist daher nicht nur ein internationales Verbrechen, es ist das größte internationale Verbrechen und unterscheidet sich von anderen Kriegsverbrechen insofern, als dass es die Summe des gesamten Bösen in sich enthält."

In den Jahren 1945/46 waren die Vereinigten Staaten die nachdrücklichsten Verfechter der These, dass das Einleiten eines Angriffskriegs ein Verbrechen darstellt. Der Oberste Richter Robert Jackson, der als Hauptankläger der Vereinigten Staaten fungierte, erklärte, dass die Rechtsprinzipien der Nürnberger Prozesse von universeller Gültigkeit seien. Er betonte, dass

„wenn bestimmte Verstöße gegen ein Abkommen ein Verbrechen darstellen, ist dies sowohl der Fall, wenn die Vereinigten Staaten sie begehen, als auch wenn Deutschland sie begeht. Wir sind nicht bereit, kriminelle Verhaltensregeln gegen andere festzulegen, deren Anwendung wir nicht auch gegen uns zulassen würden."

Und Sir Hartley Shawcross, der britische Hauptankläger, erklärte in seiner Eröffnungsrede vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal:

„Wenn dies [die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit] eine Neuerung darstellt, so handelt es sich um eine längst überfällige Neuerung, eine wünschenswerte und segensreiche Neuerung, die mit der Gerechtigkeit, mit dem gesunden Menschenverstand und mit den ewigen Zielen des Völkerrechts voll übereinstimmt.“

9.

Dass die deutsche Bundesregierung das wahr gemacht hat, was sie durch Bundeskanzler Schröder angekündigt hatte, ist offenkundig. Von der Umsetzung der von Schröder angekündigten Unterstützungsleistungen geht auch der Generalbundesanwalt aus, wenn er auf Seite 2 seines Bescheides vom 01. April 2003 ausführt:

Bundeskanzler Schröder hat sowohl vor dem Deutschen Bundestag als auch bei zahlreichen anderen Gelegenheiten bekundet, Deutschland werde sich an einem Krieg gegen den Irak unter keinen Umständen beteiligen. Er hat weiterhin erklärt, dass Deutschland im Falle eines militärischen Vorgehens gegen den Irak seine Bündnispflichten erfüllen und den Vereinigten Staaten von Amerika sowie der NATO Überflug-, Bewegungs- und Transportrechte gewähren werde. Zum Schütze des Bündnisgebietes würden AWACS-Flugzeuge mit deutschen Soldaten besetzt sein.

Dieser Punkt bedarf also keiner weiteren Aufklärung.
10.

Dass durch Art. 26 GG i.V. mit § 80 StGB lediglich die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe gestellt werde, nicht jedoch seine Durchführung, ist pure Rabulistik. Der Durchführung eines Krieges geht logischerweise ein Stadium seiner Vorbereitung voraus. Kriege „aus dem Stand“ gibt es nicht.

11.

Richtig ist, dass in § 80 StGB die Strafbarkeit der Vorbereitung oder Durchführung eines Angriffskrieges davon abhängig ist, dass die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt wird. Was unter einer solchen „Kriegsgefahr“ zu verstehen ist, muss sich an den Kriterien orientieren, die moderne Kriege, insbesondere den so genannten Krieg gegen den Terrorismus, auszeichnen. In einem solchen Krieg stehen sich nicht mehr zwei feindliche Parteien „symmetrisch“, sondern „asymmetrisch“ gegenüber. Die eine Partei setzt ihr modernes Waffenpotenzial ein, die andere Partei, die dem nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hat, agiert eher im Untergrund. In diesem Sinne ist die Bundesrepublik Deutschland durch ihre, wenn auch indirekte, Teilnahme am Irak-Krieg einer erhöhten Terror- und damit Kriegsgefahr ausgesetzt. Der Krieg gegen den Irak hat den Terrorismus nach Europa gebracht. Siehe die Ereignisse in Madrid im März 2004 sowie in London im Juli diesen Jahres. Ein gleiches Schicksal kann jederzeit die Bundesrepublik Deutschland ereilen.

12.

Die Bundesrepublik Deutschland  bezeichnet sich als Rechtsstaat. In einem solchen Staat sollte es eigentlich nicht vorkommen, dass man großspurig durch entsprechende Regelungen im Grundgesetz und im Strafgesetzbuch einen „Angriffskrieg“ ächtet und unter Strafe stellt, dann jedoch im Falle eines Falles so tut, als lasse sich nicht feststellen, was überhaupt ein „Angriffskrieg“ ist. Das ist ein beschämender Vorgang, der mit  den Worten „Heuchelei“ oder „Doppelzüngigkeit“ noch sehr milde umschrieben ist.

13.

Wir bitten, uns den Eingang dieses Schriftsatzes zu betätigen und uns mitzuteilen, unter welchem Aktenzeichen der Vorgang nunmehr bearbeitet wird. Im übrigen verweisen wir auf unser Vorbringen in den früheren Verfahren (Aktenzeichen: siehe oben).
 
 

Mit freundlichen Grüßen

 

(Armin Fiand)       (Dr. Alexander Bahar)