Ihr wisst schon genug. Nicht an Wissen mangelt es uns. Was fehlt, ist der Mut, begreifen zu wollen, was wir wissen, und daraus die Konsequenzen zu ziehen
S.Lindqvist: „Durch das Herz der Finsternis“ UT227
 

Parallelen
-gezogen von Jens Niestroj-

Die heutige Zeit gilt als schnelllebig. Was auch dazu führt, dass sich viele Menschen nicht mehr an das erinnern, was vor zwei Wochen in der Zeitung stand. Dabei wäre in Blick in die Vergangenheit oft recht nützlich. Wenn man heute liest, was vor 2, 6 oder gar 12 Monaten als „Wahrheit“ verkauft wurde, kommt man oft aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Aber auch der Blick in eine noch fernere Vergangenheit ist interessant. Vor etwa 100 Jahren war Europa auf dem Höhepunkt seiner Macht und beherrschte zusammen mit den USA nahezu die gesamte Welt.

Durch Fortschritte in der Tropenmedizin und durch eine deutlich überlegene Waffentechnik gelang es auch, ganz Afrika zu „kolonisieren“. Und Afrika hatte viel zu bieten. Elfenbein und Kautschuk waren damals fast so wertvoll, wie Gold.

Aber, wie kam man an diese Reichtümer? Durch fairen Handel? Gott bewahre, bei der waffentechnischen Überlegenheit hat man als Weißer doch immer die besseren Argumente! Wie? Sie nennen dies Diebstahl?? Machen Sie sich nicht lächerlich. Schon Darwin hatte das Recht des Stärkeren postuliert, das zu der Zeit – wie zu allen Zeiten – angewendet wurde.

Und diese Stärke, diese waffentechnische Überlegenheit war ja wirklich beeindruckend. So konnten die Weißen unbotmäßige Küstenstädte mit ihren Kanonenbooten wunderbar und ohne jedes Risiko zusammenschießen. Ein Exilpole, J. Conrad beschrieb in dem 1896 erschienenen Roman „Der Verdammte der Insel“ wie sich dieses Zusammengeschossen-Werden aus der Sicht der Opfer anfühlt. „Sie kamen, diese unsichtbaren Weißen und brachten den Tod aus sicherer Entfernung...“ läßt Conrad eines der Opfer in seinem Roman zu Wort kommen.

Aber auch bei den Landwaffen waren die Weißen seit 1885 allen anderen weit überlegen: Automatische Gewehre, weit reichende, präzise Kanonen, DumDum Geschosse. Wie effizient diese Waffen eingesetzt wurden, zeigt die Schlacht (oder besser „das Schlachten“) von Omdurman (Sudan) im Jahr 1898. Kein Sudanese kam dichter als 250 m an die britischen Truppen heran. Die sudanesische Armee wurde einfach aus der Entfernung zusammengeschossen. Über 11.000 toten Sudanesen standen nur 48 Tote auf britischer Seite gegenüber, die alle bei der Verfolgung der flüchtenden sudanesischen Soldaten umgekommen sind. Gefangene haben die Briten im übrigen nicht gemacht...

Angesichts dieser waffentechnischen Überlegenheit war es kein Wunder, dass viele Weiße geradezu begierig darauf waren, Kriege in den „Kolonien“ zu führen. Wo sonst konnte man ohne Strafe zu fürchten massenhaft auf andere Menschen schießen – und das alles ohne ein nennenswertes Risiko für die eigene Gesundheit.

Wie aber wurde dieser „Kolonialismus“ in der Öffentlichkeit in Europa und den USA begründet? Beispiel Kongo: König Leopold von Belgien hatte relativ schnell erkannt, dass im Kongo ungeahnte Reichtümer schlummern (Kautschuk und Elfenbein). Und da sich die europäischen Mächte Großbritannien und Frankreich im Kongo gegenseitig blockierten, war dieser „frei“ für seine Interessen. Nun mußte nur noch ein schöner Grund für die Anwesenheit seiner Interessenvertreter gefunden werden. Man wird es nicht glauben, aber die Begründungen König Leopolds  kommen einem auch heute noch ziemlich bekannt vor:
- Förderung des freien Handels und
- Befreiung der Schwarzen vom Joch arabischer Sklavenhändler!

König Leopold stellte sich demnach als selbstloser Menschenfreund der armen Schwarzen dar. Und die Öffentlichkeit hat diese Motive anfangs unproblematisch geschluckt.

Bis, ja bis einige, heute würde man sagen: linke Spinner nachweisen konnten, dass das ganze Unternehmen des sauberen Königs Leopold nichts weiter, als ein gigantischer bewaffneter Raubüberfall war (Details z.B. in „Schatten über dem Kongo“ von A.Hochschild oder in einem Roman von J.Conrad: „Herz der Finsternis“). Ein Raubüberfall mit einer kaum vorstellbaren Anzahl an Opfern. Herr Hochschild schätzt, dass alleine zwischen 1898 und 1908 im Kongo 10.000.000 Menschen durch die Weißen umgebracht wurden: durch Erschöpfung, Hunger, Krankheiten und durch direkte Gewalteinwirkung.

Nur im Kongo. Und nur zwischen 1898 und 1908. Die Anzahl der weiteren Opfer der Weißen vor 1898 und nach 1908 und außerhalb des Kongo wurden meines Wissens bisher noch nicht ermittelt.
 

Wer Parallelen zu heute bei der Begründung von Kriegen mit anschließender Besetzung von (rohstoff)reichen Ländern, in der waffentechnischen Überlegenheit der Weißen und der skrupellosen Machtanwendung sieht, könnte durchaus Recht haben.



unredigierter, uneditierter Text von Herrn Niestroj, freundlicherweise MAI zur Verfügung gestellt. Es juckt zwar in den Findern, zu ergänzen, zu verlinken, zu analysieren usw. - aber eben das ist ja ein Ergebnis des Textes, das nicht nur bei mir bewirkt wird. Also, liebe Leser, erarbeiten Sie sich weitere Zusatzinfos von Faschoda bis zum Panthersprung von Agadir, lesen Sie Seyfrieds Roman zu Namibia oder Uwe Timms "Morenga", die Erinnerungen Heinrich Barths, Vogels, Nachtigals und Mehringsche Analysen. Nach der Lektüre des Grundgesetzes und des StGB §80 sowie der UN-Charta, die allesamt Resultate der Auseinandersetzung mit der Zeit des Faustrechts sind. First things first. Es gibt keine historische Regel, dass die Menschheit (speziell die Deutschem) geschichtliche Fehler und Verbrechen wieder und wieder begehen muß. A. Hauß