Datum 06.03.2003
Quelle
Frankfurter
Allgemeine
FREMDE FEDERN: Jürgen Todenhöfer
Bin Ladin wäre der Gewinner
Selten ist ein außenpolitisches Thema auf so bescheidenem
Niveau diskutiert worden wie die Irak-Krise. In Deutschland genauso wie
bei unseren Freunden in den Vereinigten Staaten von Amerika. Das dürfte
einen einfachen Grund haben: Die meisten, die über den Irak diskutieren
und entscheiden, waren noch nie dort.
Unkenntnis der Fakten scheint die Bildung klarer Meinungen
vor allem bei Sofastrategen ungemein zu erleichtern. Lieblingsargument
der Kriegsbefür- worter ist neuerdings der Vergleich Sad- dam Husseins
mit Hitler und die Gleich- setzung der
Gegner eines Krieges mit den knieweichen Appeasement-Politi-
kern jener Zeit.
Natürlich hat jeder ein Recht auf eine eigene Meinung,
aber gibt es auch ein Recht auf eigene Fakten? Hitler verfügte Ende
der dreißiger Jahre über eine vor Kraft strotzende riesige Armee,
die ganz Europa bedrohte. Sad- dam Husseins Streitkräfte haben nach
amerikanischen Regierungsangaben gerade noch ein Drittel ihrer
früheren Stärke. Nach Aussagen des Vorgängers
von Rumsfeld im Amt des Verteidigungsmini- sters, Cohen, stellt der Irak
selbst ”für seine Nachbarn keine Gefahr mehr dar". Für die Vereinigten
Staaten gilt das erst recht. Keine irakische Rakete, kein irakisches Flugzeug
kann Amerika erreichen. Auch Saddams Beziehungen zu Bin Ladin sind nach
Aussagen aller ernst zu nehmenden Geheimdienste irrelevant. Saddams Stellvertreter
nennt Bin Ladin einen Schurken, und dieser bezeichnet Saddam als Ungläubigen.
Wie soll die- ser eingedämmte und militärisch kastrierte Zwerg
den Riesen Amerika be- drohen? Saddam ist eine Gefahr, aber in erster Linie
für sein eigenes Volk. Die Beseiti- gung brutaler Diktatoren durch
Präven-
tivkriege ist jedoch im Völkerrecht nicht vorgesehen.
Zu Recht. Die Vereinigten Staaten müßten sonst unzählige
Angriffs- kriege führen, zum Teil gegen engste Verbündete. Die
Welt wäre ein einziger bluti- ger Kriegsschauplatz. Außerdem
haben im Irak die
Sanktio- nen, die nicht nur der Vatikan ”pervers" nennt,
laut Unicef bereits mehr als 500 000 Kleinkinder getötet, um Saddam
Hussein aus dem Amt zu jagen. Wie viele Kinder wollen wir noch töten,
um sie vor diesem Diktator zu retten? Das ist nicht nur eine Frage der
Moral, wie westliche Hardliner gerne spotten, sondern auch eine Frage des
Rechts. Bush und Rumsfeld würden das genauso sehen, wenn ihre Kinder
in Bagdad ödet Mossul lebten.
Oder sind muslimische Kinder weniger wert? Ich liebe und
bewundere die Vereinigten Staaten von Amerika, die Offenheit ihrer Menschen,
ihre großen Leistungen auf vielen Gebieten. Trotzdem sage ich, wie
viele Amerikaner von Robert C. Byrd bis Jimmy
Carter: Dieser Krieg wäre als Präventivkrieg unamerikanisch
und völkerrechtswidrig. Man ist kein nai- ver Pazifist, wenn man zu
rechtswidrigen Kriegen nein sagt. Dieser Krieg wäre kontraproduktiv.
Er würde den Nahen Osten weiter desta- bilisieren und eine neue Generation
von Terroristen züchten. Bin Ladin wäre sein einziger Gewinner.
Dieser Krieg wäre unmoralisch. Er würde zahllose unschuldige
Menschen töten, die schon jetzt unendlich leiden. Und dieser Krieg
ist überflüssig. Wir könnten durch
robuste Inspektionen Sad- dam Hussein alle Massenvernichtungs-
waffen aus der Hand schlagen - ohne die Grundwerte unserer eigenen Kultur
mit Füßen zu treten. Krieg ist der unintelligenteste Weg zur
Lösung des Irak-Kon- flikts. Das Nachgeben Saddams in der Frage der
Präsidentenpaläste, der U 2-Flugzeu- ge und der Al-Samoud-2-Raketen,
das die Welt auch der amerikanischen Droh- kulisse verdankt, ist substantiell
und dra- matisch.
Wenn es Präsident Bush wirk- lich um Massenvernichtungswaffen
geht und nicht um einen imperialen Hegemonialkrieg, muß er jetzt
die Kriegsuhr an- halten und den UN-Inspektoren die Chance geben, weiterzuarbeiten.
Die Waffeninspekteure haben in den neunzi- ger Jahren mehr Waffen vernichtet
als der gesamte Golfkrieg - ohne einen Tropfen Blut zu vergießen.
George W. Bush könnte sich dabei auf sein großes Vorbild Ronald
Reagan beru- fen. Dieser ließ die in Deutschland aufgestellten Pershing-II-Raketen
wieder ab- bauen, als die Sowjetunion einlenkte und ihre SS 20
verschrottete. Bush könnte zei- gen, daß die große
amerikanische Nation nicht nur für Härte steht, sondern auch
für Fairneß und Klugheit. Es wäre die er- ste wirklich
erfolgversprechende Aktion im Kampf gegen den Terrorismus.
Der Autor ist Medienmanager und war 18 Jahre Mitglied des
Bundestages (CDU).
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