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Die
Welt war noch in Ordnung , solange sie in drei übersichtliche Teile
zerfiel: die 1. Welt des prosperierenden Westens, die 2. Welt des roten
Ostens und die 3. Welt der Unterentwickelten. Nun ist aber die 2. Welt
vor unseren Augen kollabiert. Und mit Green Cards ködern wir heute
Experten aus der 3. Welt, die unsere Computersysteme auf Vordermann bringen
sollen. Und die ganze Welt zittert, wenn ein Twen aus Manila einen Virus
in die Netze schickt. Im Erschrecken über diese Entwicklung tut sich
eine 4. Welt auf, die nicht mehr durch territoriale Grenzen markiert ist,
sondern durch die Unterscheidung von Medienkompetenz und Inkompetenz. 'Digital
divide' nennt man das in Amerika: die Kluft zwischen der Internet-Kultur
und den Computeranalphabeten. Wer hat Zugang zum Netz? Vernetzt oder nicht
vernetzt - das ist hier die Frage. Sehen wir näher zu.
Globalisierung, Vernetzung,
Weltkommunikation - da kommt man leicht ins Träumen. Als ob alles
zusammenwachsen würde zur Einen Welt, zum digitalen Weltdorf. In der
Tat fallen ja allerorten die Grenzen: zwischen den Staaten Europas, zwischen
den Geschmäckern der Klassen, zwischen den Ebenen der Unternehmen.
Überall strahlen die Sterne von Hollywood, überall gibt es McDonalds,
überall herrscht Microsoft. Und zumindest in der Chance, arbeitslos
zu werden, sind wir fast alle gleich. Doch wenn man aus diesem Millenium-Traum
aufwacht, kann man schon recht deutlich neue Grenzen erkennen. Die schärfste
Grenzlinie hat Benjamin Barber markiert: Dschihad gegen McWorld, also der
Heilige Krieg des Fundamentalismus gegen eine westliche Netzwerk- und Medien-Kultur,
die eben gar kein Fundament mehr hat. Ähnlich verläuft die Demarkationslinie
zwischen den Angeschlossenen und den Ausgeschlossenen, den 'linked' und
'linked-nots'. Wer keine IP-adress hat, fällt durch die Maschen des
Weltnetzes. So weit, so einfach.
Schwieriger ist
es schon, die Grenze zwischen Programmierern und Programmierten zu sehen
und die Folgen dieser neuen Klassenspaltung abzuschätzen. Das ist
vor allem deshalb schwierig, weil die Software-Industrie alles daransetzt,
den User als lernunfähigen Konsumenten zu umgarnen. Der ideale Kunde
soll nichts von der logischen Tiefe des Computers wissen - 'nur vom Fachmann
zu öffnen...', hieß es früher. Und auch durch den Cyberspace
zieht sich heute eine klare Grenzlinie, nämlich zwischen Kapitalismus
und Anarchie.
Neue Medien funktionieren
wie ein Rorschachtest: Jeder projiziert seine Wünsche und Ängste
hinein. Unter humanistisch gebildeten Menschen überwiegen zur Zeit
wohl noch die düsteren Visionen von der Sintflut der Bilder, vom Zerfall
der Kultur - es geht rasend schnell auf den Untergang des Abendlandes zu.
Doch dieser Pessimismus hat seine beste Zeit schon hinter sich. Heute mehren
sich stattdessen die Heilsversprechen, die das Pfingstwunder des Internet
ankündigen: alle Menschen werden Brüder im Netz. Das technische
Netzwerk nährt das soziale Phantom der Gemeinschaft. Und schon verklärt
sich das Internet als Soziallabor - Kommunitarismus online!
Das derart im
Cyberspace beschworene neue Kommunalgefühl läßt das Internet
zur Projektionsfläche von Aufklärungsutopien werden: elektronisches
Rathaus, virtuelles Parlament, Ja 'neues Athen'. Die Bürger der Digitalen
Nation sind jung, gebildet, ehrgeizig: sie arbeiten in den Universitäten,
Telekommunikationsgesellschaften, Medienhäusern und Banken; sie sind
tolerant, vernünftig, medienkompetent und - nein, nicht unpolitisch,
sondern 'postpolitisch'. Diese Netzbürger haben nur eine Leidenschaft:
den freien Fluß der Informationen. Jeder soll sprechen und gehört
werden können. Und von der politischen Aufklärungsutopie zur
Mystik der Vernetzung ist dann nur noch ein Schritt. New-Age- und Gaia-Träumer
verheißen die Spiritualität des Cyberspace und zelebrieren Weltkommunikation
als Religion.
Surfen im Internet
ist also sehr viel mehr als ein Spiel - es ist ein Glückszwangsangebot.
Dabeisein ist hier wirklich alles, und wer will schon von gestern sein.
Hier droht Schlimmeres als die Arbeitslosigkeit - nämlich die 'digitale
Obdachlosigkeit', von der Nicholas Negroponte spricht. Und vor ihr schützt
nicht das soziale Netz, sondern das Internet.
In der Zeit der
Weltkommunikation ist Freiheit der Inbegriff von Kommunikationschancen.
Und alle machen mit. Doch können einen Logik und Geschichte belehren:
keine Inklusion ohne Exklusion, kein Thema ohne Anathema. So stellt sich
die Frage: Welche Möglichkeiten grenzt die Weltgesellschaft aus? Jenseits
der Gesellschaftsgrenze ist die Sprachlosigkeit. Aber auch diesseits der
Gesellschaftsgrenze muß man differenzieren. Inklusion in die Weltkommunikation
heißt: nicht jeder kann Designer sein, aber jeder muß User
sein können. Das Zugangsproblem wird, wie stets, auf die Komplentärrolle
reduziert; es gibt keinen gleichen Zugang zur Leistungsrolle. Dabei sein
ist zwar fast alles, aber nicht jeder kann alles.
Und damit sind
wir bei der Frage nach der Macht im 21. Jahrhundert. Die Frage des Zugangs
zu den Schlüsselpunkten der Entscheidung erweist sich heute immer
deutlicher als Frage nach dem Zugang zum Wissen. Die alte Formel ‘Wissen
ist Macht’ gewinnt unter Computerbedingungen eine ganz neue Konkretheit.
Verteilung und Zugang zum Wissen sind die großen Machtfragen des
21. Jahrhunderts. Politik kreist dann um Probleme des Datenschutzes, der
Privatsphäre, des Geheimnisses und des freien öffentlichen Zugangs
zu Daten - insofern hatte die verkorkste Debatte über den Großen
Lauschangriff weit über den Anlaß hinaus symptomatische Bedeutung.
Politik als Kontrolle
des Wissens - das ist ein ganz neues Feature. Die Spione der Zukunft arbeiten
an Computerterminals, die Piraten des 21. Jahrhunderts navigieren in der
virtuellen Realität der Software. Es ist deshalb klar, daß man
die neue Politik der Wissenskontrolle nicht zentralisieren kann - sie bestimmt
ja fast alle modernen Arbeitsplätze. Das bekommt schon heute jeder
zu spüren, der in einem großen Computernetzwerk arbeitet. Hat
man oberste Kommunikationspriorität oder hängt man in der Warteschleife?
Wer bekommt welche Informationen? Wer hat Zugang zu den Datenbanken und
wer darf dort neue Daten einschreiben? Solche Fragen machen deutlich, daß
der politische Gehalt einer Botschaft die Geschichte ihrer Prozessierung
ist. Und man könnte weiter fragen: Wem gehören die Daten? Wer
designed die Software?
Was lernen wir
daraus? Heute ist es nicht mehr ausschlaggebend, ob man aus Bangalore oder
Manila, Moskau oder Paderborn stammt. Viel wichtiger ist die Frage, ob
man Softwaredesigner, User oder Computeranalphabet ist. Und die chaotische
Diskussion über Green Cards für Inder hat gezeigt: Es gibt viel
4. Welt in Deutschland.
Norbert Bolz:
1953 in Ludwigshafen geboren. Er studierte in Mannheim, Heidelberg und
Berlin Philosophie, Germanistik, Anglistik und Religionswissenschaften.
In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Ästhetik
Adornos, in der Habilitationsschrift mit dem 'Philosophischen Extremismus
zwischen den Weltkriegen'. Seit 1992 ist Bolz Professor für Kommunikationstheorie
am Institut für Kunst- und Designwissenschaften der Universität
Essen. Sein neuestes Buch trägt den Titel 'Die Konformisten des Andersseins'
(München 1999). |
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