Friedensbewegung auf dem Abstellgleis
Einige Gedanken zum letzten Rundbrief des Kasseler Friedensratschlags. Was wie vordergründige Kritik an einzelnen Formulierungen klingt, ist weit mehr. In der Sprache, den Zielsetzungen, den Gewichtungen äußert sich die bewußte Abkehr der Obergurus der Friedensfreunde von eingreifender Politik. "Nur nichts bewegen" scheint das Motto dieser Bewegung zu sein. Marx sagte da mal einen Satz über die Interpretation der Welt durch Philosophen .... 
links O-Ton mein Kommentar
 
1) Zur Situation im Nahen Osten 

Die Eskalation der Gewalt im israelisch-palästinensischen Konflikt hat 
sich auf eine unerträgliche Weise zugespitzt. Die israelische 
Friedensbewegung (in diesem Fall: Gush Shalom und Uri Avnery) ruft zu 
verstärkten Aktionen gegen die angedrohte Ausweisung bzw. Tötung des Palästinenserpräsidenten und Friedensnobelpreisträgers Yassir Arafat auf. ...

So löblich der Aufruf Avnerys und der Hinweis darauf ist: aber was haben wir mit der angedrohten Ausweisung eines Herrn Arafats zu tun? Wäre hier nicht eine Argumentation angebracht? In einer Argumentation ließe sich erkennen, ob ein Protest pure Sympathiebekundung oder ein Appell an internationales Recht ist. Aber weit verräterischer ist die Sprache im ersten Satz: "Die Eskalation der Gewalt ... hat 
sich auf eine unerträgliche Weise zugespitzt."
Hier hat sich nicht nur eine "Eskalation zugespitzt", hier offenbart sich verquaste Politologendenke in verquaster Politologensprache. Für wen ist die "Weise unerträglich"? Für uns Deutsche etwa? Wer handelt? Selbstmordterroristen z.B. scheinen nicht Subjekte des Geschehens und des Satzes zu sein.
2) Weltweiter Aktionstag 27. September 

Verschiedene Gruppierungen, darunter auch das Europäische Sozialforum, haben - ausgehend von einer internationalen Beratung in Djakarta im Mai d.J. - den 27. September zu einem weltweiten Aktionstag gegen die 
Besetzung Iraks und zur Solidarität mit Palästina deklariert. Auch in 
der Bundesrepublik gibt es in verschiedenen Städten Planungen für diesen Tag ( vgl. z.B. für Berlin: 
http://www.achse-des-friedens.de/ ). 
Angesichts der zugespitzten Lage im Nahen Osten und der fortgesetzten 
Besatzung des Irak schlagen wir vor, für den 27. September auch dort 
noch Veranstaltungen (Mahnwachen, Infostände usw.) vorzusehen, wo bisher noch keine geplant waren. Zur inhaltlichen Orientierung mag neben der Nahost-Erklärung (siehe Punkt 1) eine Erklärung zur Situation im Irak 
Verwendung finden, ...

Besetzung fremder Länder ist keine feine Sache, ohne Frage. Der Schutz des armen Dalai Lamas und seiner faschistischen Lamaclique ist out. Die Besetzungen in Afrika, z.B. Kongo: weit weg. Kosovo: dient ja nur der schieren Humanität. Wie kommt es nur, dass sich bei mir bei der Auswahl der Besatzungsländer der Verdacht einer gewisen Einseitigkeit aufdrängt?
"Auch in
der Bundesrepublik gibt es .... - Planungen"!
Da dachte ich, die Friedenratschläger hätten entdeckt, dass die Bundeswehr auch fremde Länder besetzt hält, Teile Serbiens, Afghanistan. Aber nein. Nur nicht an der Politik der rotzgrünen Regierung rühren. Nur nicht konkret vor der eigenen Tür kehren. Nicht die katastrophale Entwicklung in Kabul beachten: # Willy Wimmer schreibt an Struck - über die Lage in Afghanistan (pdf)# und noch ein Brief Wimmers, der es in sich hat
3) Jahrestagung des Trägerkreises "Atomwaffen abschaffen" 

Von Freitag, 19. September, bis Sonntag, den 21. September, dauert die Jahrestagung des bundesweiten Trägerkreises "Atomwaffen abschaffen". Sie findet in Berlin statt. 
Am 19. September, 19 Uhr, ist die Eröffnung im DGB-Haus (Keithstr.). 
Thema: "Die Atompolitik von Iran und Nordkorea". ... 

Aber klar doch, die Schurkenstaaten. Nicht etwa der rotzgrüne Struck, der am Hindukusch Deutschland verteidigen will, bedroht den Frieden, nicht die Atomstaaten USA und GB, die sich rund um den Iran festsetzen und in Deutschland einen Bundesgenossen haben ....
4) Zehnter Friedensratschlag am 6./7. Dezember 2003 in Kassel 

Der nächste Friedenspolitische Ratschlag rückt näher. Zur Zeit werden das Programm erstellt und die Referentinnen und Referenten sowie andere Mitwirkende "festgemacht". Das besondere daran: Der "Ratschlag" begeht ein "kleines Jubiläum", es ist der zehnte (ordentliche) Friedensratschlag! 

Und gewiß wird bei diesem Ratschlag die Rolle der Bundesregierung bei den letzten Kriegen diskutiert, mit Augenmerk auf Ramstein, worüber auch hier und jetzt noch jeglicher Nachschub für die Besetzung des Iraks läuft. Oder? Der 11. September,als Kriegsanlaßlüge, die Rolle der Medien werden Themen sein? Nicht? Das Völkerrecht und sich daraus ergebende Verpflichtungen für uns Deutsche? Auch nicht? Oder nur ferne Länder, exotische Parteien, Expertentum für die "Polymorphe Liberation Front Krakeelistan" (PLFK- Aufbauorganisation) unter besonderer Berücksichtigung von sustainalble development der Kakadupopulation des betreffenden Landes? 
 5) Unterschriften "Abrüstung statt Sozialabbau" 

Wir hatten schon darüber informiert und die Aktionen zum diesjährigen 
Antikriegstag sind bereits vielerorts dazu genutzt worden, 
Unterschriften unter den Appell "Abrüstung statt Sozialabbau" zu 
sammeln. Hier noch einmal der Aufruftext: 

Appell an die Bundesregierung: 
Abrüstung statt Sozialabbau! 
Wir verlangen eine drastische Reduzierung der Rüstung und die Streichung aller Rüstungsvorhaben, die für Auslandseinsätze der Bundeswehr vorgesehen sind. Die dadurch frei werdenden Mittel müssen für soziale Sicherung, zivile Arbeitsplätze, Bildung und Ausbildung sowie für den 
Erhalt einer lebenswerten Umwelt verwendet werden. Rüstung, militärische Intervention und Sozialabbau verschärfen Konflikte 
statt ihre Ursachen zu bekämpfen. ...

Umpf. Ach ja, das gibt`s auch noch: Krittelei an Rotzgrün. Aber nicht so, daß die es merken: " Rüstung, militärische Intervention und Sozialabbau verschärfen Konflikte."
Die Rüstung verschärft Konflikte, diese böseböse Rüstung! Da appellieren wir natürlich mal, die Bundesregierung weiß das nämlich nicht, das muß man ihr gelegentlich mal sagen. Zwar ließe sich auch eine Gegenüberstellung von Airbus A400M, Fregatten, 180 Eurofightern usw.  mit Sozialabbau herstellen, die Bevölkerung gezielt darauf ansprechen, dieses Thema zum Thema Nr. 1 machen, Wahlkämpfe damit für die Berliner Kriegsherren unkalkulierbar machen, aber nein: eine Unterschriftenliste, ein Appell, das muß mal reichen. Viel spammender ist die PLFK-Solidarität mit einer ganz feste scharfen Verurteilung von Bush, die Demo dazu wird Bush gewiß beeindrucken. Er läßt dann ab von seinem verwerflichen Tun.
6) Zur Lektüre empfohlen: EU-Verfassung 

"Wir brauchen Mut zur Zivilität", hat der scheidende Bundespräsident 
Johannes Rau in seiner diesjährigen "Berliner Rede" im Mai gefordert 
( http://www.uni-kassel.de/fb10/
frieden/themen/Aussenpolitik
/rau.html ). 
In den Gremien der Europäischen Union ist dieses Wort nicht gehört 
worden. Die EU marschiert vielmehr mit Riesenschritten in eine 
Militärunion mit Interventionskompetenzen in aller Welt. Der Verfassungsentwurf der EU 
(http://www.uni-kassel.de/
fb10/frieden/themen/Europa/
verfassungsentwurf2003.pdf) 
enthält mehr Regelungen zur Militarisierung als jede andere Verfassung der Welt. Das kann keine noch so wohl klingende Grundrechte-Charta wettmachen. 
Der Friedensbewegung ist dringen ans Herz zu legen, ihre weitgehende 
Europa-Abstinenz aufzugeben und sich mit dieser Entwicklung, ..., intensiv auseinanderzusetzen. ...

Habe ich die Lektüreempfehlungen zur UN-Charta und zur deutschen Verfassung (die nennt sich "Grundgesetz!, nur mal zur Info) überlesen?
Ist es denkbar, daß uns anempfohlen wird, uns "auseinanderzusetzen" mit einem Text in Entstehung - jedoch nicht KONKRET etwas zu tun zur Verteidigung vorhandener Rechte?

Wer sind die konkreten Akteure?
"Die EU marschiert vielmehr..."

Herr NATO, Frau EU, was die alles so machen. Daß Herr Fischer und Herr Schröder und Herr Struck ganz KONKRET etwas damit zu tun haben und daß wir nicht einmal die vorhandenen konkreten Einflußmöglichkeiten nutzen, wird schamhaft verschwiegen. Keine Forderung an rotzgrün - neine, abstraktes "auseinandersetzen".

7) Zu guter Letzt: Verfahren gegen Blockierer eingestellt 

Eine gute Nachricht zum Schluss: Die Verfahren gegen die 
Anti-Kriegs-Demonstranten vor der US-Airbase vor und während des 
Irakkrieges sind eingestellt worden. Dies berichteten vor kurzem die 
Freunde von der Friedenskooperative und von "resist". Die entsprechende 
Pressemitteilung ist erhältlich bei: 
http://www.friedenskooperative.
de/themen/golfk-70.htm 

Na dann ist ja alles wieder gut. Da hatte man für die Damen mit Dutt und die Schüler sowie Beamte die Aktionsform "Kerzen halten" "angeboten" und für die hardcore-Fraktion die Aktionsform "Blockade".
Daß es sich bei der Frage "US-Airbase" um die Frage der deutschen Beihilfe zum völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelte, wird wieder und wieder verschwiegen. Daß es sich nicht um eine AktionsFORM, sondern um einen Inhalt handelt, der nicht in den Mittelpunkt der deutschen Verantwortung der deutschen Friedensbewegung gestellt wurde, wird schamhaft verschwiegen. Daß unter Bezug auf unser Recht in der Frage der Überfluggenehmigungen ein Erfolg zwar auch nicht leicht, aber doch weit näher zu organisieren gewesen wäre: kein Kommentar. Die Blockierer: alleingelassen.
Mit besten Grüßen 
Peter Strutynski 
(einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag) 
Kassel, den 16. September 2003 

Zur Erinnerung noch einmal die Bitte: 
Um einen Überblick über die bundesdeutschen Aktivitäten zum 27. 
September (internationaler Aktionstag zum Nahen Osten und zum Irak) zu 
erhalten und entsprechend die Öffentlichkeit zu informieren, wäre es 
gut, wenn Ihr die Veranstaltungen kurz an uns zurückmeldet. 
(mailto:strutype@uni-kassel.de). - Danke!

Herr Strtynski hätte gerne einen Überblick. Warum schicken wir die "Aktivitäten" nicht gleich an das Bundespresseamt? 
Wenn es darum geht, Nichtstun durch Aktivismus zu verbergen, Interventionismus als "Internationale Solidarität" zu verkaufen, den ehrlichen Friedenswillen der deutschen Bevölkerungsmehrheit für die eigene Profilierung zu nutzen und sie in Sprüchen einzulullen, sind das Kanzleramt, das AA, Strucks Haufen und nachgelagerte Ministerien die erste Adresse.

Herr Strutynski - ....- nein, ich schreib es nicht.

(c) A:Hauß, September 2003, medienanalyse-international.de