Ossistan, BenQ total
Anmerkungen zum 3.Oktober 2006 und zu Befindlichkeiten 
Bei all den Leistungsbilanzen und Ost-West-Vergleichen, die in diesen Tagen veranstaltet werden, fehlt ein historischer Blick. Hier seien einige Aspekte nachgeliefert, zum Nach-Denken.

Wir befinden uns im Jahr nach dem Mauerbau, mitten im Kalten Krieg. Nicht ? Also mal systematisch: es geht um die jeweils 17 vergangenen Jahre nach dem Zusammenbruch des vorherigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, alles sehr grob nach Ost und West sortiert.

Gleich war 1945: Zerstörung der Städte, 12 Millionen zu integrierender Flüchtlinge, Fehlen von Millionen arbeitsfähiger Männer (und als wieder welche verfügbar waren: ab in die unproduktiven Armeen des Kalten Kriegs), das mentales Down naziverhetzter Besiegter.

Über den Osten kam nun nach all der Nazipropaganda die Herrschaft der bolschewistischen Untermenschen, der Vergewaltiger und Gleichmacher. Im Westen hatten Lucky Strike und Camel, Nylonstrümpfe und Kaugummi, Bananen, Schokolade und Big Band Jazz gesiegt. Im Osten hingegen ? Genau: Kasatschok. Die Mongolen hatten ja selber nix.

Völlig uncool kam im Osten auch: wenig Carepakete, kein Marshallplan, weit härtere Reparationen als im Westen. Heutzutage wäre es unwichtig, aber damals fehlten Kohlen zur Energie- und Stahlerzeugung und zum Heizen, Kunstdünger zur Bodenverbesserung. Also waren fehlende Rohstoffe und die „märkische Streusandbüchse“ ein Thema im Osten. Da haben die Ossis einen Zirkel statt einer Sichel in ihre Fahne gemalt. Kaum ausgebildet in „Arbeiter- und Bauern- Fakultäten“, machte die „Intelligenz“ aber gleich in den Westen rüber, den Bananen nach.

„Niiiiemand hot die Absicht, äine Mouer zu errichten“ – nie nicht. Es gab stattdessen einen hübschen Schutzwall. Im Westen mußten nun Arbeitskräfte aus Italien, Spanien und der Türkei importiert werden, aus dem Osten kam nichts
 mehr. Ossistan und Westnien wurschtelten dann jeweils 30 Jahre in RWG bzw. EWG vor sich hin mit den bekannten Ergebnissen.

Dann kam statt Mauer Wände, pardon: die Wende.
Und eine Zeitspanne wie von 1945 bis 62. Es siegten nicht Bolschewisten, sondern die  heiß begehrte D-Mark. Die bewunderte Demokratie setzte sich durch, nicht eine weitere Diktatur. Rohstoffe ? Hunger ? Bombentrichter ? Das West-System siegte ohne sich mit all dem auseinandersetzen zu müssen. Eine begeisterte, gut ausgebildete und junge Bevölkerung, kaufgeil und offen für Experimente wurde seit 89 verwestlicht. Was zuvor in „Päckchen“ nach Osten geschickt wurde, KAUFTEN die Ossis jetzt bei Aldi.

Heute fühlen sich 74% der Jammerlappen im Osten als „Bürger zweiter Klasse“.  Ach. Dieselben, die sich nach dem Krieg durch alle Widrigkeiten durchgeboxt hatten, mosern nun. Liegt das an den Genen ?

Oder ist ein Wirtschaftssystem, das vor dem Mauerbau Arbeit, Geld und Karriere zu bieten hatte, Bananen und Röstkaffee, evtl. jetzt objektiv entzaubert ? Sind es wirklich nur die Polykliniken, die einen zweiten Blick wert sind ? Ist es mentaler Dünnschiß, vom Leben mehr zu verlangen als Mallorca und einen Videorecorder ? Pardon: den neuen Golf und DVD-Player. Wichtig ist, was am Ende dabei herauskommt. 

Bei BenQ sagt man: Eroberung enes riesigen Marktes, Übernahme der Patente, Image durch den  Markennamen, Marktbereinigung. Und Geld obendrauf. Markt,Mark, Markt. Kapital. 

Siemens begreift immerhin so langsam, daß der Imageschaden beträchtlich werden könnte. Unseren kapitalhörigen Politikern dämmert es hingegen nicht einmal, was der Imageschaden des Westsystems bedeutet. Man werde nochmals so etwa 15-20 Jahre brauchen für einen Aufschwung Ost, sagen sie. Und meckern, wenn kritisiert wird, das Glas sei halb leer. Es IST halb leer, oder auch halb voll. Aber eben HALB.  Halb leere Gläser fließen nicht über. Der Überfluß ist anderswo zu besichtigen, bei den Kapitaleignern. 
Das halbe Volk hat keine Arbeit. Das halbe Volk geht nicht mehr wählen. Vielleicht wird das liebe Kind Grundgesetz nach einem Bad im halben Glas mit ausgeschüttet ? Jedenfalls hat die DDR nach einer vergleichbaren Zeitspanne unter schlechtesten Ausgangsbedingungen relativ viel bewirkt, einen stabilen Aufschwung hingelegt. Unabhängig davon, daß DAMALS der Westen noch attraktiver aussah und war.

Die Frage lautet: wie kommt es, daß der Exportweltmeister mit dem besten Grundgesetz, der mal so attraktiv war, einen derartigen Imageverlust hat ? Es ist das selbe Wirtschaftssystem mit dem selben GG, oder ? Oder auch nicht: ökonomisches und politisches System kehren jetzt die schlechtesten Seiten heraus.

Es sind nicht nur Ostbewohner, die sich über die Entzauberung wundern. Geistige Leere, fehlende Zukunftsperspektive, ein Gefühl des Ausgeschlossenseins macht sich auch im Westen breit. Nicht nur bei den Hartz IV-Leuten. Auch bei denen, die bis zum völligen Ausgelaugtsein schuften, die alle Hirnwindungen in die Arbeit einbringen, deren Arbeit nichts mehr "wert ist", sondern sich als reine Beschäftigung darstellt. Die Facetten sind viel und bunt. Wofür das alles ? In den 50ern konnten die Menschen immerhin sagen: für das eigene Häuschen, den Käfer, den Italienurlaub. Urlaub und Häuschen waren auch für einen Busfahrer mit einer Verkäuferin als Frau reale Perspektiven, der Käfer ein Statussymbol.

Vom Ansehen unseres Landes im Ausland redet niemand mehr. Hauptsache, wir verkaufen gut. Vor 30, 40 oder 50 Jahren war es noch wichtig, wer in Bern Tore schoß, was "Made in Germany" bedeutete, wie die neue Ostpolitik ankam und dass man dann in die UNO aufgenommen wurde.

Heute freut man sich nicht über das Besondere, sondern über das Normale und daß das Normale wahrgenommen wird. Daß Deutschland eine Fußball-WM ausrichten kann. Gottchen: warum denn nicht ? Ist es etwa eine Leistung, nicht jeden Neger niederzuknüppeln ?

Normal wirkt, daß die deutsche Sonderstellung, ein halbes Jahrhundert Frieden zu halten, jetzt aufgegeben wird. Seit Rotzgrün im Kosovo "eingriff", ist das Kriegführen wieder normal geworden. Noch sind die Chinesen, die Indonesier, Brasilianer usw. nicht auf die Idee gekommen, auch als "Ordnungsmächte" weltweit auftreten zu wollen. Und das, obwohl sie nie unterschrieben, dass die Grundlage ihrer staatlichen Einheit sei, dass von ihrem Boden nur noch Frieden ausgehen solle. Wie wir es im 2+4-Vertrag völkerrechtlich verbindlich zusicherten.

Frieden zu halten ist die Grundlage der Einheit - und wird tagtäglich mit Stiefeln getreten. Soziale Marktwirtschaft entpuppt sich als Raubtierkapitalismus. Das Grundgesetz wird nicht bekannt gemacht und nicht gelebt und nur noch als wertloses Papier erwähnt. Die Gesellschaft wird gespaltet statt gestaltet. Soll das so weiter gehen ?

Jammerer und Bedenkenträger sind bei den "Machern" nicht gern gesehen. Wer genug Bedenken getragen hat, beginnt die Gedanken in Taten umzusetzen. Statt jammern und picheln kommt hammern und sicheln. Oder auch nicht, das ist das Blöde an einer ergebnisoffenen Geschichte. Man weiß es nicht.

Vom "Ende der Geschichte" schwätzen jetzt diejenigen, die früher jeden Geschichtsdeterminismus der Sozialisten geißelten und  ablehnten. Der "Clash of Civilisations" wird von denen propagiert, die den Klassenkampf ganz eklig fanden. 

Schaun wir mal, wie es weiter geht.


P.S. Daß diese Anmerkungen nur so strotzen von nicht ausgeführten Gedanken, Holzschnitten usw., ist unübersehbar. Andernfalls stände "Esssay" darüber und nicht "Anmerkungen". Peinlich ist mir hingegen die Politologen-Grammatik: das "ES" dominiert den Satzbau, obwohl ich sonst Wert darauf lege, die handelnden Subjekte jeweils möglichst genau zu benennen. Es (!) sollte aber kein Buch werden.
(c) Andreas Hauß, Oktober 2006
http://www.medienanalyse-international.de/ueberblick.html
Aktuelles: http://www.medienanalyse-international.de/index1.htm

Im Übrigen bewundere ich Frau Klarsfeld.