Bertolt Brechts "Dreigroschenroman" als Muster
antifaschistischer Literatur

Literarische Strategie und Wirkungsintention.
(Die Arbeit repräsentiert in etwa den Forschungsstand von vor 30 Jahren.  Was die angeregte Lektüre nicht behindern muß - denn danach ist unseres Wissens nicht viel geschehen. Der "Dreigroschenroman" ist viel zu aktuell und eingreifend, als daß er Gegenstand weiterer  Forschung hätte sein dürfen. Es ist immerhin ein Lerneffekt nicht auszuschließen. Und wer will das schon.)
Während sich die strukturell selben Kreise, die schon den deutschen faschismus zu verantworten hatten, derzeit über die terrorhysterie eine massenbasis  ihrer Kriegs- und  Unterdrückungspläne zu erschließen suchen, scheint die Linke derzeit noch unfähig, den historischen Charakter dieser Umbruchphase zu erkennen. Brecht als Lehrer anzuerkennen muß so manchem Linken, der heutzutage vor Kraft kaum laufen kann, vor Intelligenz  nicht mehr aufnahmefähig und vor Weisheit und Überarbeitung handlungbehindert ist, ein Unding sein. Wir bieten den ollen Brecht dennoch an.

Fehler in der OCR-Erkennung des Textes bitte  entschuldigen ...

1948 comment on 3Groschenoper: by Ernst Busch
 

Mackie Messer Song

Kuhle Wampe

KPD-Parolen 1932

Wilhelm Pieck 1932
- hier wird der Mittelstand als betrogen erwähnt, Breitscheid und die SPD als Betrüger  benannt-

------ Die Edition ist natürlich miserabel, diesmal dem OCR-Programm geschuldet. MAI-Leser sind solches gewohnt. 


INHALT


 

EINLEITUNG                                                                S.1


TEIL 1 

1)Exil und Faschismus-Analysen                                        S. 4 
2)Brechts Versuch der Faschismus-Analyse                        S.10
3)Brechts antifaschistische Strategie                                  S.14


TEIL II

1)Die Wirkungsintention des "Dreigroschenromans"             S.  21
2)Die Wiederaufnahme des "Dreigroschen"-Stoffs             S.     2?


TEIL III 

1)Die Fabel des "Dreigroschenromans"                                 S.     30
2)Satire im "Dreigroschenroman"                                         S.     33
a)Funktion der Satire                                                            S.     33
b)Die Funktion der Montagetechnik                                       S.    38
c)Die Funktion der Kriminalromantechnik                              S.    44
d)Der "Dreigroschenroman" als historischer Roman             S.  51



 

TEIL IV

1)Figurenaufbau im "Dreigroschenroman"                            S. 55
a)Prinzipien der Figurenzeichnung                                     S.55
b)Das Problem des Humanismus                                        S.59
c)Macheath - Geschäftsmann und Politiker                         S.65 d)Sein und Bewußtsein des kleinen Mannes
im "Dreigroschenroman"                                                       S. 71
2)Der Traum des Soldaten Fewkoombey                              S.76



 

TEIL V
                                                                                      1)Faschismus und faschistische Ideologie im "Dreigroschenroman"                                                         S.83 2)Sozialdarwinismus und seine Folgen
im "Dreigroschenroman"                                                     S. 87 3)Die Rolle der Bildung, der Anspielungen auf Literatur
etc. im "Dreigroschenroman"                                              S.94



 
 

TEIL VI

Die Rezeption des "Dreigroschenromans"                        S.98



 

ZUSAMMENFASSUNG                                    S.112



 

LITERATURLISTE                                                     S.   117



 
 


EINLEITUNG

Brechts "Dreigroschenroman" zu untersuchen, erfordert aufgrund der literaturtheoretischen Positionen Brechts sowie der besonderen Situation des Exils, in der er entstand, eine Herangehensweise, die durch die Themenstellung schon weitgehend angedeutet wird. Deshalb dazu einige vorgreifende Bemerkungen.

"Die erzählende Prosa Bertolt Brechts hat nie jenen Grad von Aufmerksamkeit und Beachtung gefunden, mit dem das dramatische Werk und seine Theorie sowie neuerdings auch -zu Recht- die Lyrik aufgenommen wurden." Brechts eigene Einschätzungen der Prosa und ihrer Wirkung haben dazu wohl mit beigetragen. Entscheidend für diese Situation scheint uns aber die Unsicherheit vieler (Brechts politischen Positionen zurückhaltend gegenüberstehender) Autoren zu sein, die das vermehrte Prosaschaffen im Exil angesichts der politischen Positionen Brechts nicht in Einklang zu bringen vermochten mit seinen bisherigen und auch im Exil parallel laufenden lyrischen und dramatischen Arbeiten. Die Sekundärliteratur denunzierte seine Prosawerke als Nebenarbeiten und als politische Gelegenheitspropaganda, sprach also der Prosa die ästhetische Qualität ab. Oder sie rang sich durch zu Wertungen wie folgender: "So fand Brecht geistig wie künstlerisch erst im Exil seine wahre Heimat."*'Derartige Aussagen wurden verbunden mit Versuchen, Brecht aus seinen politischen Zusammenhängen herauszulösen, ihn als "unabhängigen"
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1)Brecht, Bertolt: Dreigroschenroman.-In: Äers.: Gesammelte Werke(im Folgenden:GW).Bd. 13. Frankfurt/Main 1967 Zitate aus dem "Dreigroschenroman" erscheinen im Folgenden ausgewiesen durch die Seitenzahl im Text.

2)Müller,Klaus- Detlef: Brecht- Kommentar zur erzählen den Prosa.-München 1980, S.11. Vgl. seinen Überblick über den Fopschungsstand.Interessant ist übrigens, daß Müller trotz der treffenden Zus.tandsbeschreibung selbst auch unsicher in der Wertung der Brechtschen Prosa ist: "Das immerhin recht umfangreiche erzählerische Werk entstand eher beiläufig..."(S.11)- "Es wäre aber falsch, von Nebenwerken zu sprechen..."(S.27)..
3)Weisstein,Ulrich: Bertolt Brecht. Die Lehren des Exils -S?392  deutsche ExiHiteratur 1933-19^5.-Stuttgart 1973



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Marxisten zu definieren!', so daß man beruhigt an die Untersuchung Brechtscher Prosa unter ästhetischen Gesichtspunkten herangehen konnte. Problematisch dabei ist allerdings, daß sich derartige Wertungen allein auf die Untersuchung der Sprache beziehen mußten, wenn sie nicht die selbst gesteckten Grenzen überschreiten wollten. Das führte zu einer Forschungssituation, die Emmerich folgendermaßen charakterisiert:"Um so überraschender ist es, daß der enge Zusammenhang zwischen Brechts theoretischer Beschäftigung mit dem Faschismus und seiner antifaschistischen literarischen Praxis bisher nicht gründlich erörtert worden ist - doppelt überraschend angesichts der jährlichen Flut von Literatur über Brecht ."^'Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß in Hinsicht auf die antifaschistische Prosa Brechts die Forschungssituation eher mager ist. Das gilt besonders für die Untersuchung des Dreigroschenroraans, die beide - ästhetische und politische - Gesichtspunkte erfordert. Wir konnten uns besonders auf die erst kürzlich erschienenen Werke Müllers,Peitschs/Schuttes stützen, auf die leider immer wieder vernachlässigten - da schwer zugänglichen- Dissertationen Fischettis, Dakowas und Rieges, auf die Reihe "Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945 in sieben Bänden" und auf eigene Forschungen im Bertolt-Brecht-Archiv sowie im Mikrofilmarchiv des Otto-Suhr-Instituts.
Unser grundlegender methodischer Zugriff bei der Untersuchung des "Dreigroschenromans" ist fundiert in der Berücksichtigung Brechts ästhetischer und politischer Vorstellungen. Wir untersuchen die Einbindung des Autors und seines Werkes in die geistigen und politischen

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1)z.B. schreibt WeissteinCebenda S.379f.):"0hne seinen marxistischen Standpunkt im geringsten aufzugeben, hielt sich Brecht in der Tat soweit wie möglich von diesen ideologischen Scharmützeln fern."(gemeint war die Diskussion über die Notwendigkeit der Bewältigung des Exils oder eine Orientierung auf den raschen Sieg des Sozialismus).

2)Emmerich,Wolfgang:"Massenfaschismus" und die Rolle des Ästhetischen.Faschismustheorien beiErnst Bloch,Walter Benjamin,Bertolt Brecht.-In:Antifaschistische Literatur. Bd.1.Kronberg 197?(=Literatur im historischen Prozeß 11), S.260.


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Auseinandersetzungen seiner Zeit, aus deren Analyse sich der Zugriff auf den "Dpeigroschenroman" erst als fruchtbar erweist. Eine derartige sozialhistorische Methode schließt notwendig die Untersuchung der Leserreaktion, also der realen Wirkung des "Dreigroschenromans", mit ein,



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TEIL I

1)Exil und Faschismus-Analysen

Mit dem Machtantritt des Faschismus in Deutschland ergab sich für die Gesamtheit der deutschen Antifaschisten eine grundsätzlich veränderte Lage, gekennzeichnet durch die Erschwerung des Kampfes für die jeweiligen politischen Ziele. Es wurde eine Analyse der neuen Situation notwendig, die mehr leisten mußte, als die Lage zu erklären: Die Analyse mußte praktikable Schritte zur Überwindung des Faschismus aufzeigen - eine neue Strategie und Taktik aller politischen Gruppen und Parteien war erforderlich.

Uns interessiert im Zusammenhang mit Brechts Position wesentlich die Haltung der Kommunistischen Internationale (KI) und der Kommunistischen Partei Deutschlands(KPD). Die KI reagierte mit dem Plenum des Exekutivkomitees(EKKI) vom 28.11 .-12.12.1933 in Moskau zu den Themen Faschismus und Krieg. Die KI gewann aus den deutschen Ereignissen -verbunden mit der Sicht auf die Stärkung der Positionen des Faschismus in Österreich, Frankreich und Spanien -neue Erkenntnisse, deren Wesenskern darin bestand, daß der Faschismus nicht im Imperialismus schlechthin wurzelt,
sondern in der staatsmonopolistischen Entwicklung des
p)
Kapitalismus. Das führte zu einer Neudefinition des Faschismus: Während der VI.Kongreß der KI 1928 noch von der terroristischen Diktatur des Großkapitals sprachr , definierte das EKKI den Faschismus nunmehr als "die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals".^"'
 

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1)Verschiedene Faschismusanalysen waren schon vorher in der Analyse der NSDAP und des faschistischen Italien erstellt worden.Vgl.:Texte zur Faschismusdiskussion I, Positionen und Kontroversen(=rororo aktuell 1824), Reinbek bei Hamburg 1974.

2)Tgl.:Schumacher,Horst:Die Kommunistische Internationale (1919-1943).Grundzüge ihres Kampfes für Frieden,Demokratie, nationale Befreiung und Sozialismus.-Berlin 1979, S.111 ff.
3)vgl.:Vietzke,Siegfried: Die KPD auf dem Wege zur Brüsseler Konferenz.-Berlin 1966, S.96 ff.
4) Schuma



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Das Klassenwesen des Faschismus war somit besonders hervorgehoben.Diese Definition kennzeichnete nicht nur die etablierten Diktaturen, sondern auch die mit unterschiedlichen Losungen agierenden faschistischen Bewegungen. Entlarvt wurde nicht nur das Monopolkapital als Träger des Faschismus, auch die antikapitalistischen Losungen wurden als Vertuschung dieses Zusammenhangs hingestellt.
Deutlich wird schon hier die Orientierung auf die neueBündnispolitik bis weit ins bürgerliche Lager hinein, die die Beratungen des VII.Weltkongresses der KI 1935 entscheidend bestimmen sollten. Diese Orientierung war allerdings 1933 noch nicht explizit formuliert worden. Das EKKI wandte sich mit der neuen Definition zugleich gegen Thesen, die aussagten, der Faschismus sei eine über den Klassen stehende Staatsmacht, eine Diktatur des Kleinbürgertums oder des Lumpenproletariats.''Mit Brecht gesprochen heißt das, der Kampf der KI ging nicht gegen die im Licht, sondern die im Dunkeln.
Die KPD war zu dieser Zeit organisatorisch geschwächt: Viele Mitglieder waren verhaftet, darunter auch Thälmann. Es wurden Abschnittsleitungen im Ausland aufgebaut, die die Verbindungen mit in bestimmten Gebieten Deutschlands kämpfenden Gruppen aufrechterhielten- der Inlandsleitung war das nur unter großen Schwierigkeiten und Gefahren möglich gewesen. U.a. aufgrund dieser Sachlage und aufgrund der Verbitterung über die erlittene Niederlage, war die Diskussion der Ergebnisse der EKKI-Beratungen bei den Mitgliedern nur schwer und zeitlich verzögert möglich. Es verstärkten sich zeitweilig sektiererische Tendenzen, vornehmlich auf dem Gebiet der Bündnispolitik. Auch die Sozialfaschismustheorie hatte wieder Raum in den Diskussionen gefaßt, da die Erfahrungen mit der Regierungspolitik, mit den 1.Mai-Ereignissen 1929, mit der Ablehnung des gemeinsamen

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1)vgl. dazu die Position Brechts S.10 ff
.


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Vorgehens der Arbeiterparteien gegen die Nazis noch lange vorhielten.  (Das rragcr Manifest der SPD mit der Einschätzung der Fehler der Sozialdemokratie entstand erst am 28.Jan. 193fr«) Doch es gab auch andere Stimmen: Alfred Kurella schrieb schon 1933 in "Unsere Zeit": "Unter den Deutschen, die als Wissenschaftler und Künstler das geschichtliche Erbe dieses großen Volkes verwalten,sind die Antifaschisten gewiß in der großen Überzahl. Von ihnen wird in den kommenden Kämpfen Großes gefordert. Es geht hier auch um die Gewinnung einiger Hunderttausend kleinbürgerlicher oder kleinbürgerlich erzogener Herzen und Hirne für den antifaschistischen Kampf."ayKurella argumentiert im Folgenden für eine Parteinahme zugunsten der Arbeiterklasse und damit äann auch für den Kampf mit ihrer revolutionären Partei, der KPD. Bündnispolitik wird hier auch, wie in der KPD-Politik teilweise auch vorher-.schon, als Notwendigkeit erkannt, jetzt aber schärfer pointiert. Jedoch werden die Bündnispartner noch nicht unter dem Aspekt des gemeinsamen Anliegens gesehen, sondern als Objekt der KPD-Bestrebungen in Richtung auf die Diktatur des Proletariats."Wir haben mit unserem Pfunde schlecht gewuchert."-^ schätzt er zum Schluß ein.
Die "annähernd 1500 Schriftsteller, Kritiker und Publizisten"+,die zur Emigration gezwungen waren, deren Aufenthaltsort sich nicht nur änderte, sondern auch ihre materielle Lage, ihr Publikum, ihre Organisationen, sie alle sollten trotz ihrer schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen zum antifaschistischen Kampf gewonnen werden. Daß es schon lange vor der Brüsseler Konferenz der KPD-^ innerhalb der KPD und besonders unter der kommunistischen
 

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1)vgl.Schleifstein,Josef: Die"Sozialfaschismus"-These.
Zu ihrem geschichtlichen Hintergrund.-Frankfurt/Main 1980 (=Marxistische Taschenbücher:Reihe Marxismus aktuell. 1 i(4).

2)Kurella,Alfred.-In:Zur Tradition der deutschen sozialistischen Literatur.Eine Auswahl von Dokumenten.Berlin und Weimar 1979.S. 561.

3)ebenda S.56*t.

4) Herden, Werner: Wege zur Volks front. Schriftsteller im antifaschistischen Bündnis.Berlin 1978,S.12.

5)Die Brüsseler Konferenz der KPD(3.-15.Oktober 1935). Berlin 1975.


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Intelligenz verstärkte Einheitsfront- und Bündnisbestrebungen gegen den Faschismus gab, die allerdings in ihrer Zielrichtung nicht nur nicht ausgereift, sondern sogar teilweise falsch waren, ist also nachweisbar.

"Die Verbindung mit spzialdemokratischen Schriftstellern und linksbürgerlichen Schriftstellern(in Deutschland,A.H.) ist noch nicht vorhanden. Wichtig ist, daß eine ziemlich breite Literatur, die sich natürlich auf Kleinformen beschränkt, jenseits des Bundes entsteht."(gemeint ist der BPRS,A.H.)2'Die Einschätzung des antifaschistischen Kampfes in Deutschland gehörte also ebenso offensichtlich wie seine Verbreiterung zu den Anliegen der kommunistischen Schriftsteller. Auch die Lage der exilierten Schriftsteller wurde analysiert. Brecht schrieb an Becher(28.Juni 1933): "Ich habe beinah überall stärkste Entmutigung und Verwirrung angetroffen. Getrennt vom Proletariat, mehr und mehr beschäftigt, ihren nackten Lebensunterhalt zu verdienen, was nur durch Kompromisse in allen entscheidenden Dingen möglich ist, dazu über eine Reihe weit auseinander liegender Städte verstreut, werden die proletarischen Schriftsteller ihre revolutionäre Produktion nur sehr schwer weiterführen können... Die linken bürgerlichen Schriftsteller richten sich im allgemeinen auf lange Emigrationszeit ein, sondieren wohl auch noch die Möglichkeiten der Rückkehr und haben für den Kampf mit dem Faschismus keinen Standpunkt.Man verleiht ihnen keinen solchen, indem man sich ab und zu für irgendwas ihre Namen ausborgt. Dabei gäbe gerade der Umstand, dass (sie) sie ihre Standpunktlosigkeit
 

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1)vgl. dagegen :Peitsch,Helmut/Schutte,Jürgen:Bertolt Brechts Dreigroschenroman.Erfahrungen aus einem literaturwissen-
schaftlichen Grundkurs.-In:Sammlung 3.Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst.Frankfurt/Main 1980. S.185 wird behauptet, die KPD habe an der Sozialfaschis-mustheorie festgehalten, eine Position, an der das Sektierer-turn der KPD festgemacht wird.Unseres Erachtens ist sie einseitig und unhistorisch, da der Prozeßcharakter der Theoriebildung in der KPD nicht zum Ausdruck kommt.
2)Becher an IVRS(Sommer 1933).-In:Baumgart,Hans:"Der Kampf der sozialistischen deutschen Schriftsteller gegen den Faschismus«; 1933-1935)Diss. Berlin 1962,5.105.



 

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und Wehrlosigkeit jetzt z.T. empfinden, uns bei ihnen eine wirkliche Chance, deren Zeit allerdings bemessen sein dürfte. Die These, dass (sie) man sie im Grunde in Ruhe lassen muss (sie), um ihre Sympathie nicht zu verscherzen, war nie falscher als jetzt. Wenn überhaupt jemals,dann würden sie jetzt für eine wirkliche politische Schulung zu haben sein."  '
Brecht ist, so wird deutlich, der KPD außerordentlich
2.}
freundschaftlich gesonnen. 'Seine Arbeit steht ganz im •^
Dienste der politischen Aufgabe des Kampfes gegen den
Faschismus. Er arbeitet an Tarnschriften mit, die nach Deutschland geschmuggelt werden und erweist sich dabei wiederum als Meister der "kleinen Form", der agitatorisch wirksamen Sprachbeherrschung. Er wird erstmals Mitglied verschiedener Organisationen (Hauptvorstand des SDS und PEN), arbeitet am ersten Braunbuch mit, konzipiert ein
zweites, dichtet das Einheitsfrontlied, führt Diskussionen

(auch in Form eines regen Briefwechsels),bereitet Kongresse vor:
"lieber Becher, ich habe ein kleines grauen vor Zusammenkünften zum zweck des Zusammenseins, man zählt 
die kämpfer seiner lieben und versichert sich, dass(sie) man einer meinung ist usw. etwas ganz anderes wäre es natürlich, wenn solch ein kongress (sie) zusammenträte, damit ein plan einer ganz bestimmten gemeinsamen arbeit besprochen würde, sagen wir, die herausgäbe einer neuen encyklopädie."^'
Alles ist auf die politische Wirkung ausgerichtet in Brechts Denken, der Kongreß als auch die Vorstellung "der gemeinsamen Arbeit an der Enzyklopädie:
"über bestimmte themen, Schlagwörter, politische paro-len, sätze wie Gemeinnutz geht vor eigennutz' würden immer lf-5 Schriftsteller zugleich ihre meinungen schreiben..."^'

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1)BBA 1386/02 (=Bertolt-Brecht-Archiv,Mappe,Blatt. Die oft benutzte kleinschreibung bei Brecht wird in der Zitierung übernommen^.

2)vgl.Schuhmann, Klaus:Der Lyriker Bertolt Brecht 1913-33.-Berlin 196if, 
S.32?ff.(Anm.6l).

3)BBA 1386/03.

4)ebenda.



 

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Brecht ist also durchaus nicht isoliert1',wie Mennemeier
2\ uns glauben machen will* , sondern nimmt z.B. an
politischen Diskussionen teil. Sein Werk entsteht nicht fernab der Zeitumstände, sondern soll in sie eingreifen. Daß dies natürlich insbesondere bei Theaterstücken mit der Zunahme des Einflußbereiches des deutschen Faschismus auf Schwierigkeiten stößt, ist unbestritten. Uns interessiert aber die Entstehungszeit des "Dreigroschenromans", und da von einer sehr bewußten antifaschistischen Wirkungsintention ausgegangen werden muß, analysieren wir Brechts zeitgenössische Auffassungen vom Faschismus und zum antifaschistischen Kampf.
1)vgl.z.B.:Claas, Herbert:Die politische Ästhetik Bertolt Brechts vom Bääal zum Caesar.-Frankfurt/Main 1977:"Die Phase bis zur Teilnahme Brechts am ersten internationalen Schriftstellerkongreß ist in der Folge gekennzeichnet durch bewußte Umstellung der eigenen Produktion und durch gezielte. Aktivitäten, auf die politische Organisation der antifaschistischen Schriftsteller Einfluß zu nehmen."(S.76)
2)Mennemeier,Franz - Norbert: Bertolt Brechts Faschismus -Theorie und einige Folgen für die literarische Praxis.-In:Festschrift für Wilhelm Emrich.Berlin 1975,S.56l: "Brecht dichtete während der Jahre 1933 bis 194-8 im wesentlichen in äußerster Isolation."
Mennemeier bezieht sich auf eine Bemerkung Brechts im Arbeitsjournal, also aus einer wesentlich späteren Sicht geschrieben. Daß Brecht seine Briefe öfters mit "dänisch -Sibirien" überschreibt, wenn er Skovboestrand meint, deutet allerdings auf eine gewisse Isolation hin, die Brecht umso stärker empfinden mußte, als er die kollek-
>. tive Produktion gewöhnt war. Seine subjektiven Empfindungen können jedoch nicht der Gradmesser für unsere These sein. Es ist nachweisbar- und wird von uns in dieser Arbeit mehrfach getan-, daß Brecht die politische und künstlerische Vereinsamung sehr gui umging: durch Einladung von Freunden(z.B.Benjamin), durch eigene Reisen, durch Briefe. Auch der "Dreigroschenroman" konnte davon profitieren: Elisabeth Hauptmann und Margarete Steffin steuerten Ideen bei, sandten Zeitungsausschnitte, Korsch schickte aus , London Material über englische Gerichtsverhandlungen, Feuchtwanger beriet ihn, Korsch sandte einige Auszüge aus Hitlerreden, aus Feders Wirtschaftsprogramm, dänische Freunde lasen zumindest Korrektur.
 



 

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2) Brechts Versuch der Faschismusanalyse
 

Brechts Einschätzung des Faschismus verlief im Wesentlichen konform mit der der KPD.Peitsch /Schutte weisen darauf hin, daß Brecht nur den als Antifaschisten gesehen habe, der die Eigentumsverhältnisse der kapitalistischen Gesellschaft bekämpfte, er sei sektiererisch gewesen und habe in dieser Frage mit der Politik der KPD 1933/3^ übereingestimmt. Fradkin zitiert diesbezüglich Klaus Schuhmann und ergänzt:"Allerdings hat Brecht den
taktischen Fehlern der Partei auch von sich aus einiges
o) hinzugefügt." Jedoch habe er, so Fradkin, später die
Volksfrontpolitik als richtig erkannt und sei zu einem ihrer geschicktesten und konsequentesten Vertreter geworden. In Bezug auf den "Dreigroschenroman" interessieren uns allerdings nur die Äußerungen Brechts aus den Jahren 1933/3^» und nur mit gewissen Einschränkungen die später gemachten Aussagen.
Brechts Bemühungen um eine adäquate Faschismustheorie waren, das zeigen alle seine Aufsätze, immer funktional gerichtet auf die Ausrüstung der Antifaschisten mit einer handhabbaren Strategie zur Bekämpfung des Faschismus:
. "Wir müssen die Wahrheit über die barbarischen Zustände in unserem Land sagen, daß das getan werden kann, was sie zum Verschwinden bringt, nämlich das. wodurch die Eigentumsverhältnisse geändert werden."^' Mit dem letzten Halbsatz wird schon das angesprochen, was Brecht am meisten bewegte: die Bekämpfung des Faschismus hielt er nur für möglich, wenn sie mit einer Bekämpfung des Kapitalismus zumindest einherging. Sehr krasse Formulierungen fordern auch eine Bekämpfung des Faschismus als Kapitalismus: "Der Kapitalismus existiert in den faschistischen Ländern nur noch als Faschismus, und der

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1)Peitsch/Schutte: ebenda, S.185.
2)Fradkin,IIja:Bertölt Brecht. Weg und Methode.*Frankfurt
/Main 1977, S.123. 3)Brecht,Bertolt:Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der
Wahrheit.-In: GW 18,5.2


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FASCHISMUS KANN NUR BEKÄMPFT WERDEN ALS KAPITALISMUS,ALS NACKTESSER, FRECHSTER, ERDRÜCKENDSTER UND BETRÜGERISCHSTER KAPITALISMUS."1' Diese Ansicht Brechts ist insofern problematisch, als daß die neue Qualität des Faschismus nicht gesehen wird. Es scheint, als ob Brecht im Faschismus einzig hervorhebenswert findet, daß sich hier der Kapitalismus am besten äußert("NACKTESTER").
Indem Brecht eben diesen Zusammenhang seinen Schriftstellerkollegen, den Intellektuellen und anderen Antifaschisten klarzumachen versucht und durchaus richtig die Ausweglosigkeit mancher anderer Denkweisen charakterisiert, wird doch sichtbar, daß er dem Denken dieser Exilierten nicht gerecht wird. Diese sehen im Faschismus eine deutlich andere Qualität als in den Regierungsformen der Weimarer Republik z.B., wenn auch festgemacht an der "Gottlosigkeit","Barbarei", "Ungerechtigkeit" oder dgl. des neuen Systems. 'Brechts Einschätzung, die Regierungsform des Kapitalismus sei nicht so wichtig gegetiüber der Tatsache, daß das ökonomische System kapitalistisch sei, hat vielfache Konsequenzen, die sich, wie wir zeigen werden, auch im "Dreigroschenroman" niedergeschlagen haben. Einige davon sollen.-hier aufgezeigt werden;
"Nach mancherlei Enttäuschungen... entschlossen sich die Kleinbürger meiner Heimat,...nunmehr große Taten zu verrichten...Ein Führer fand sich glücklicherweise, und die Macht wurde ihm übergebe n. "-^' Dieser Bemerkung entspricht folgende Aussage:
"Die nationalsozialistische Bewegung wird vom Kleinbürgertum geführt, einer Schicht, die ökonomisch und ideologisch vollständig unselbständig ist."^ Brecht geht also von einer politischen Verselbständigung des Kleinbürgertums gegenüber dem Großkapital (von dem es ökonomisch und ideologisch abhängig sei) und den anderen
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1)Brecht,Bertolt:ebenda,S.227.

2)vgl. z.B. die Positionen Joseph Roths(S.55,S.172)»Leopold Schwarzschilds(S.2l6 f.) oder Klaus Manns(S.277) in: Deutsche Literatur im Exil.-Stuttgart 1977.

3)Brecht Unpolitische Briefe.-In:GW 20,S.182.

4)Brecht:Interview.-In: GW 20,S.264.



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Klassen und Schichten aus. Diese Einschätzungen stammen schon aus der Zeit nach dem VII.Weltkongreß der KI und offenbaren eine theoretische Unsicherheit, denn es ergibt sich bei der Bekämpfung des Faschismus notwendigerweise das Feindbild "Kleinbürgertum" - doch so will Brecht niemals verstanden werden.Seine Gedankengänge, die in dieser Hinsicht wohl von Thalheimer und Silone beeinflußt sind1', gehen auch in die Richtung der Definition Dimitroffs:
"Für das deutsche Großbürgertum stand es so: Es sollte das große Besitztum aufrechterhalten werden, und die Vereinbarung war: mit allen Mitteln."2' "Das Regime und die Mittelschichten stehen einander gegenüber, in einem wilden Handel begriffen."*' Wiederum an anderer Stelle führt Brecht aus:
•'Ob man annimmt,daß der Kapitalismus seine ökonomische Macht durch Hinzuziehung des mobilisierten Mittelstandes halten will, oder ob man annimmt, daß sich im Nationalsozialismus der Mittelstand als STAAT auf kapitalistischer Basis etabliert, also sich eine Schicht sozusagen zwischen die ökonomisch einander bekämpfenden Klassen geschoben hat...-bekämpft werden kann der Nationalsozialismus nur durch die Bekämpfung des kapitalistischen Wirtschaftssystems."
 

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1)Thalheimer schreibt in "über den Faschismus"(In:Texte zur Faschismusdiskussion I.a.a.O.S.21):"Der gemeinsame Nenner ist die offene Diktatur des Kapitals.Ihre Erscheinungsform ist die Verselbständigung der Exekutivge-waltder Vernichtung der politischen Herrschaft der Bourgeoisie und die politische Unterwerfung aller übrigen Gesellschaftsklassen unter die Exekutive." Thalheimer betont, der Faschismus sei eine Form der Diktatur der Bourgeoisie, aber nicht die Diktatur.Im Faschismus habe die sozial herrschende Klasse der Kapitalisten ihre politische Herrschaft an Emporkömmlinge einer Massenorganisation abgetreten. Ähnliche Positionen vertrat Ignazio Silone in "Der Fascismus"(Zürich 1934)» vgl. S.273-285, wenn auch nicht so ausgeprägt.Mittenzwei weist darauf hin(in:Exil in der Schweiz.-Leipzig 1978) daß Brecht sich sehr interessiert an diesem Buch gezeigt habe(S.149).Brecht schrieb im August 1933 an Brentano: "Das Buch des Silone über den Faschismus mochte ich gern
lesen."(ebenda)Bemerkenswert sind Silones Analysen über Berufsverbrecher und Bürgerturn-vgl.u. unsere Analyse zur Kriminalromantechnik im "Dreigroschenroman".

2)Brecht:Furcht und Elend des dritten Reiches.»In:GW 20,S.249.

3)ebenda S.251.

4)Brecht:Plattform für d±e linken Intellektuellen.-In:GW 20, S.238 f.


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In diesem Zitat wird die Unsicherheit Brechts bei der Bestimmung der Frage der herrschenden Klasse besonders deutlich. Zum einen steht damit die Bündnisfrage noch immer im Raum, zum anderen heißt,den Faschismus als kapitalistisches Wirtschaftssystem zu bekämpfen, den Sozialismus zu fordern,- wiederum mit Konsquenzen für das antifaschistische Bündnis. Brecht behauptet: "Nach dem Faschismus, auch
darin hat der Nationalsozialismus recht, kann nur der
i) Kommunismus kommen, nichts anderes." Auch diese Haltung
wird im "Dreigroschenroman" seinen Niederschlag finden-in Fewkoombeys Traum. Daß Brecht später Erkenntnisse der internationalen antifaschistischen Bewegung, der KI etc. verarbeitete, bzw. aus derrealen Entwicklung der Dinge selber Schlußfolgerungen zog, braucht uns hier nicht zu interessieren. Als Beispiel dafür nur ein Zitat etwa aus dem Jahre 1939:
"Als die Herrschaft der Kleinbürger einsetzte, die nicht
gleich und überall als die der Grundbesitzer und Fabri-
2) kanten zu erkennen war..."
Auch diese Definition entspricht offensichtlich nicht der der KI, zeigt aber einen Erkenntnisfortschritt auf, der in Bezug auf die auch von Brecht mittlerweile vertretene Volksfrontstrategie nutzbar war.
V
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1)ebenda , S. 2^0.
2)Brecht:über die Frage des Krieges.*In:GW 20,S.270, vgl. auch ebenda:Der Reichstagsbrandprozeß, S.292.


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3) Brefchts antifaschistische Strategie
 

In den "Unpolitischen Briefen" setzte sich Brecht scharf mit den Ansichten bürgerlicher Intellektueller auseinander. Diese Auseinandersetzung zieht sich bei Brecht durch sein gesamtes Schaffen während des Exils - von den Schriftstellerkongressen bis zu den "Flüchtlingsgesprächen'.1 Sie war seitens Brecht jedoch nie geprägt von rechthaberischer Besserwisserei, sondern einzig von dem Gedanken, eine wirksame antifaschistische Front auch unter den Intellektuellen zu errichten. "Was ich an ihrem Denken aussetzte, war, kurz gesagt, seine Aussichtslosigkeit." Die Notwendigkeit der"Schulung" für den antifaschistischen Kampf begründete Brecht auch im Brief an Becher vom Juni 33. "Es wäre von den Sozialisten völlig verkehrt, wenn sie glaubten, ihr Licht unter den Scheffel stellen zu müssen, etwa, weil es blenden könnte."-5
Brecht stellte jedoch die Klärung der Positionen nicht in Gegensatz zur gemeinsamen Arbeit, wie ein Urteil über das Auftreten Brechts auf dem I. Internationalen Schriftstellerkongreß lautet:"Anders als die Organisatoren des Kongresses stellte dieser Redner durchaus das Trennende voran. "^"Brecht wollte sich aber nicht abgrenzen, sondern das Bündnis vorantreiben, durch die Klärung der Fragen, die beim gemeinsamen Kampf wichtig waren. Zugleich ging es ihm darum, die bürgerlichen Intellektuellen in "Arbeit zu verwickeln", wie es Brecht bezeichnete.-^Seine Versuche, eine

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1)Brecht:Unpolitische Briefe.-In:GW 20,S. 187.

2)vgl.o.S.8.

3)Brecht:Notizen»-In:GW 20,S.261.
4) Mayer, Hans: Brecht und die Tradition.-In:Brecht in der Geschichte.Frankfurt/Main 1971
Von einer Sprengung des Kongresses kann erst recht nicht die Rede sein, wie es Müller behauptet.(In: Die Funktion der Geschichte im Werk Bertolt Brechts.Studien zum Verhältnis von Marxismus und Ästhetik.Tübingen 1967,5.72.)
5)Claas,Herbert: a.a.O.,S.77 f. Vgl. auch den Brief an Becher (s.o.S.8).


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gemeinsame Plattform auf der Grundlage der Einsicht in die Bedingtheit des Faschismus in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen zu schaffen, gingen allerdings in erstaunlicher Geradheit an den Erkenntnissen seiner kommunistischen Kollegen, an der Politik der KI vorbei, zumindest nach 1935«
"Zu der Klassenanalyse des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale... stehen Brechts Überlegungen nicht in Gegensatz, auch nicht zu den Forderungen nach Einheitsfront und Aktionseinheit
des Proletariats; wohl aber lassen sie die Perspektive
"£) für die antifaschistische Volksfront vermissen... ~"
Sogar^'Esslin sieht in der Volksfront die Phase
"des gemeinsamen Kampfes aller gegen Hitler gerichteten Kräfte.Die Kommunisten standen in der ersten Reihe dieser Kämpfer, und sogar die liberalsten Hitlergegner sahen in ihnen den natürlichen Verbündeten."^"' Wie aber sollte es zu einer solchen Einigung kommen, wie der gemeinsame Kampf organisiert werden, wenn, wie Brecht meint feststellen zu müssen, der geistige Arbeiter "schreibt, was keinen Wert hat"-? , und "im Volk...die größte Verwirrung" herrschte, so daß große Teile des
deutschen Volkes "den Nationalsozialismus freudig oder
n\ wenigstens duldend aufnahmen"' .Abgesehen davon, daß
o \
Brecht hoffte, die Dauer des Regimes sei nur kurz bemessen , zeigt seine Beschäftigung mit der Frage, warum so große Teile des Volkes Hitlers Politik unterstützten  , die intensive Diskussion der Mittelschichtenproblematik und

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1)Die KI orientierte zwar weiterhin auf die Diskussion über die Eigentumsverhältnisse, machte die Haltung dazu aber nicht zur Vorbedingung für den gemeinsamen Kampf.

2)Claas, Herbert:a.a.0.,S.77 f.

3)vgl. die Auseinandersetzung Fradkins mit Esslin(a.a.O., passim).

4)Esslin, Martin: Brecht.Das Paradox des politischen Dichters.-München 1973, S.211.

5)Brecht:Faschismus und Kapitalismus.-In:GW 20,S.189»
6)Brecht:Unübersehbarkeit geschichtlicher Ereignisse.-In:GW 20,S.181.
7)Brecht:R4de über die Frage, warum so große Teile des
deutschen Volkes Hitlers Politik unterstützen.-In:GW20,S.221.
8)vgl.z.B. GW 20,S.227(Die Dauer des Regimes).Die Wahl der Aufenthaltsorte Brechts in der Nähe Deutschlands ist ebenfalls ein Indiz dafür.
9)vgl.Anm. 7).
 


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die Analyse der Person Hitler ,daß Brecht sehr damit befaßt war, die Ideologie der Faschisten und ihre Wirkung auf breite 'Teile des Volkes als zentralen Punkt der Auseinandersetzungen darzustellen.  . Brechts Propaganda für das Denken, für die Wahrheit, läßt erkennen, daß er seinen Teil bei der Bekämpfung des Nationalsozialismus im ideologischen Bereich leisten wollte. Dabei ging es ihm auch darum, Unklarheiten bei den bürgerlichen Antifaschisten über das Klassenwesen des Faschismus zu beseitigen und diese somit zu befähigen, gemeinsam eine handhabbare Strategie zu erarbeiten. Die Mittelschichten, über deren Rolle Brecht sich -s.o.- nicht genau klar war, wurden als das zu revolutionierende Potential aufgefaßt. "Bundesgenosse (für die Intellektuellen, A.H.) im Kampf gegen den Nationalsozialismus kann nur die Arbeiterklasse sein."-^       schrieb Brecht allerdings und engte damit wiederum die Kampffront ein.Seine Vorstellung, die Intellektuellen müßten sich auf sozialistische Standpunkte stellen, um den Faschismus wirksam bekämpfen zu können, war zwar sektiererisch, entsprang aber der Auffassung, nur über ideologische Klarheit in dem für Brecht so wichtigen Punkt der Haltung zu den Eigentumsverhältnissen überhaupt weiterkommen zu können. Es handelt sich offensichtlich nicht Att eine Propaganda für die KPD, für den Marxismus-Leninismus, sondern um die Erfahrung, daß die Standpunkte der meisten Intellektuellen resig* nativ, analytisch falsch oder unscharf in wichtigen Fragen des Wesens des NS-Regimes, in jedem Fall nicht handhabbar waren, um darauf eine gemeinsame antifaschistische Front aufbauen zu können.^Insofern sind Sätze wie:

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1)vgl.Mennemeier, a.a.O.,S.569. 

2)vgl.Emmerich, a.a.O., S.261 ff.

3)Brecht:Plattform für die linken Intelektuellen.-In:GW 20,5.239, /f)vgl.Unpolitische Briefe.-In:GW 20,S.l82ff. und GW 18,S.222 ff. (Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit).


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"Wer den Privatbesitz an Produktionsmitteln nicht preisgeben will, der wird den Faschismus nicht loswerden, sondern ihn brauchen."       nicht abgrenzende, diffamierende Verdikte, sondern -stark emotional gefärbte- Ver-
^
suche der Klärung. Diese Klärung fand, wie die Nichtveröffentlichung vieler Aufsätze mit derartigen Thesen zeigt,
2) zunächst und vor allem bei Brecht selber statt.
Diese Aufsätze waren Reflexionen und Vorarbeiten zu solch
-~
programmatischen Reden wie der auf dem I.Schriftstellerkongreß oder zu Aufsätzen wie "Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit". Hier zeigte sich- die organisierende Kraft der ausgereiften Überlegungen, hier wurde seitens Brechts tatsächlich versucht, "die Leute in Arbeit zu verwickeln n**' bzw. Vorschläge dafür zu machen. Insofern ist die Behauptung: "Brecht ist im Juni 1935... so radikal,
wie der Generalsekretär des Exekutivkomitees der KI und
i \
der Vorsitzende des Zentralkomitees der KPD es sind." 'wenig hilfreich, denn die Aufforderung Brechts: "Kameraden, sprechen wir von den Eigentumsverhältnissen!"5'unterscheidet sich doch stark von den vorherigen Aussagen Brechts und verhinderte gewiß nicht das antifaschistische Bündnis. Brechts Aufforderung, die Wahrheit über die Eigentumsverhältnisse denen zu sagen, die darunter am meisten leiden, "den Arbeitern und-.denen, die wir ihnen als Bundesgenossen zuführen können, weil sie eigentlich auch kein Eigentum an den Produktionsmitteln besitzen, wenn sie auch an den Gewinnen beteiligt sind."     verdeutlicht, daß Brecht in den Antifaschisten nicht etwa das der KPD zuzutreibende Potential, sondern in ihren intellektuellen
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1)Brecht:Faschismus und Kapitalismus.-In GW 20, S.188.

2)vgl. Brechts Brief an Brentano vom Jan.34(BBA 2181A2): "genug: was ich schreibe, mag recht vag sein, aber es zeigt wenigstens, wovon allein ich mir was verspreche, nämlich von einem möglichst beim konkreten bleibenden Studium der läge."

3)Brief Brechts an Kolzow.-In:Herden, Werner: Vorschläge Brechts für das antifaschistische Bündnis.-In:Sammlung 3.a.a.O.S.91.
/f)Claas,Herbert,a.a.O., S.109.

5)Brecht:Rede auf dem I.Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur.-In:GW 18,S.246.

6)Brecht:Fünf Schwierigkeiten...-in:GW 18,S.239.



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Fähigkeiten das Mittel zum Bündnis mit der Arbeiterklasse und den Mittelschichten sah. Der Rigorismus der vorherigen Aussagen wird also zumindest relativiert.
Inwieweit Brecht in den Mittelschichten (die er ja immerhin zeitweise der Macht' ergreifung im Faschismus bezichtigte) auch das Potential sah, das gemeinsam mit der Arbeiterklasse zum Sturz des Faschismus fähig war, wird aus Briefen deutlich, die lange vor den öffentlichen Auftritten 1935, mithin in der Entstehungszeit des "Dreigroschenromans", geschrieben wurden:
"die arbeiter sollen wohl ideologische Stehkragen anziehen zu einer zeit, wo die mittelschichten ihre eigenen Stehkragen nicht mehr findet (sie) und darum uniformkragen verlangt! schliesslich (sie) kann man ja auch den proletarischen karakter (sie) der mittelschichten unterstreichen, dann hat man nicht demagogie getrieben und sich verstellt, sondern die Wahrheit gesagt, was auch etwas wert ist!" Nachdem Brecht die Stellung der Mittelschichten in "Furcht und Elend des dritten Reiches" analysierte, kam er in seinen "Notizen" zu dem Schluß:
"Nicht das Proletariat proletarisiert den Bauern, Handwerker, Angestellten, Intellektuellen, kleinen Geschäftsmann oder will ihn proletarisieren, sondern der Kapitalismus proletarisiert ihn, muß ihn proletarisieren." Brecht schließt daraus:
"Die proletarischen und Mittelschichten würden die sozialistischen Ideale nicht fürchten, wenn sie ihnen erklärt würden, sie haben nichts davon zu fürchten, im Gegenteil."^
Bei dieser Aufklärungsarbeit, bei der er den Intellektuellen - soweit sie einen Standpunkt haben - eine große

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1)Brief Brechts, an Brentano Ende Dezember 1933 In:BBA 1386A4 

2)Brecht:Notizen.-In:GW 20 S.262. - Dieser dem Kapitalismus eigene Zwang zur Proletarisierung der Mittelschichten spielt im "Dreigroschenroman" ein große Rolle. 3)Brecht:Warum droht die Abwanderung kleinbürgerlicher und
sogar proletarischer Schichten zum Faschismus?-In:GW 20, S. 260."



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Rolle zumißt, sieht er allerdings ein Problem:
"ein problem für die marxisten ist es, zu den klein-bürgern zu sprechen, da hier nicht eine klasse ist, die ihre lösung für die Schwierigkeiten bereit hält, besteht kein interesse an der analyse der komplizierten Verhältnisse unserer epoche, in wissenschaftlicher oder künstlerischer weise, die kleinbürger lieben die begriffe1 zu einfach1 und 'zu kompliziert1, sie sagen gern: wenn es so einfach wäre, wäre es längst gemacht; und: es ist eben alles zu kompliziert, da kann man nichts machen, trotzdem müssen wir zu ihnen sprechen, wir müssen, aber da heißt es tatsächlich populär sein... gegen den faschismus muß man sich ihrer Vorurteile bedienen, ihren glauben an den führer könnte man am besten bekämpfen, wenn man an ihren aberglauben appellierte, da wir das nicht können, haben wir es schwer."
Brechts Analyse des Faschismus lief also immer auf die Erarbeitung einer handhabbaren Strategie für den antifaschistischen Kampf hinaus, parallel zur Neubestimmung der Politik der KPD gegenüber den Mittelschichten und anderen Bündnispartnern, bzw. der Diskussion darüber. Brechts Diskussionsansätze und Versuche der Theoriebildung reihen sich ein in diese Diskussionen der kommunistischen Weltbewegung, der KPD und der linken Intellektuellen. Sie bilden kein homogenes System, keine Faschismustheorie,
waren jedoch produktiv für eine auszuarbeitende Volks-
~>\ frontstrategie.  Brechts antifaschistische Aktivitäten
und seine Diskussionsbeiträge zu Fragen der Partei, zum Bündnis, zur Faschismustheorie usw. zeigen auf, daß Brecht sicherlich nicht in der geistigen Auseinandersetzung allein den Kampf gegen den Faschismus führte und geführt wissen wollte. Dennoch wird deutlich, daß die künstlerische
---
1)DBBA 157/27.

2)vgl. Mennemeier, a.a.O. S.571. vgl.dagegen:Haug,Wolfgang Fritz:Brechts Beitrag zum Marxismus.-InAktualisierung Brechts, Berlin 1980,(=AS 50),S.7ff. Haug stellt Brecht als überragenden eigenständigen Theoretiker hin und zieht sogar Vergleiche zu Lenin oder Gramsci.
 


Bewältigung der Gegenwartsprobleme in Brechts antifaschistischer Staategie eine nicht unwesentliche Rolle spielte. ' "Brechts Programm einer Bekämpfung des Faschismus
erweitert sich zum umfassenden Programm für Propa-
2) ganda des Denkens überhaupt."
Unsere Aufgabe ist es, diese Propagandaleistung im "Dreigroschenroman" nachzuweisen.
---
1)Brecht:Das letzte Wort.-In: GW 18, S.219. 

2)Dakowa, Nadesda:Die erzäülende Prosa Brechts 1913-1934. Diss. Leipzig 1962, s> fgg


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TEIL II

1)Die Wirkungsintention des "Dreigroschenromans"

In einem Brief an Becher betont Brecht, ausgehend von dem Marx-Satz, die Welt solle nicht interpretiert, sondern verändert werden, er habe im "Dreigroschenroman" die Realität so dargestellt, "3ass (sie) man Ursachen und Wirkungen deutlich sieht, also eingreifen kann..." . Die oftmals zitierte und falsch interpretierte Bemerkung, die Brecht gegenüber der "Tribüne"2'fallen ließ, läßt sich also relativieren:
"Auch den 'Dreigroschenroman1 habe ich aus ganz materiellen Erwägungen geschrieben. Ich brauchte damals in Dänemark Geld(Emigration) und habe vorher ein genaues Projekt gemacht, was muss(sic) ich schreiben, um möglichst viel Geld dafür zu bekommen. Natürlich habe ich dann auch einige Scherze mit dem Stoff gemacht. Der Roman brachte mir dann tatsächlich viel Geld. Ich habe es immer für richtig gehalten, im Kapitalismus Geld zu verdienen..."-'
Auch wenn zeitgenössische Äußerungen Brechts den Eindruck bestätigen könnten, der Roman sei wesentlich wegen des Geldes geschrieben worden^"',ist eine derartige Wertung falsch. Sie beruht auf dem Glauben, einen Widerspruch
---

1)BBA 1386/01. vgl. u. den gesamten Brief!

2)Klaus Hermsdorf geht bei der Anführung dieses Zitats von einem Gespräch mit Paul Dessau aus und bezieht sich auf dieselbe Mappe im BBA.
Das Zitat wird meist dazu benutzt, um Brechts "Dreigroschenroman als "Nebenarbeit" abzuqualifizieren. Dabei wird die Satire des Zitats übersehen. Klaus Hermsdorf wertet den Roman nicht so ab. Hermsdorf,Klaus/Müller-Waldeck,Gunnar:Experimentelle Prosa im Exil.Bertolt Brecht:»Tui«-Roman.-In: Erfahrung Exil. Berlin und Weimar 1979, S.1/tO.

3)BBA 13W77 Aktennotiz Käthe Rülickes vom 2iu5.5^.
Jf)"Ich kann gut leben, habe einen 500 Seiten langen Roman geschrieben und, was wichtiger ist, ich habe einen guten Handelsvertrag mit einem holländischen Verlag." Brief Brechts an George Grosz vom 2.9. 1934.-In:Bock, Sigrid: Roman im Exil.Enstehungsbedingungen,Wirkungsabsichten und Wirkungsmöglichkeiten.-In:Erfahrung Exil.Berlin und Weimar 1979, S. 12.



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zwischen Brechts künstlerischen und politischen Intentionen einerseits und seinen materiellen Interessen andererseits konstruieren zu können. Das ist jedoch unmöglich. Sein Briefwechsel mit dem Verlag Allert de Lange beweist, daß Brecht durchaus keine Abstriche an seiner Haltung und seinem Schaffen zu machen bereit war, so daß u.U. der Roman nicht verlegt worden wäre. 'Es könnte nun der Schluß naheliegen, die Verlegung derROmanhandlung ins England des Jahres 1902 sei eine Form von "Sklavensprache", aber-wie wir unten ausführlich zeigen werden- Brecht hatte damit eine Absicht verwirklicht,die in der"Geschichte der deutschen Literatur so beschrieben wird: Diese Verlegung der Roman-handlung sei notwendig gewesen,
"um die auch unter Antifaschisten verbreitete Auffassung zu widerlegen, der Faschismus beruhe ausschließlich
auf Besonderheiten der deutschen Entwicklung oder sei
p) gar der Ausdruck des deutschen Volkscharakters."
In den Verhandlungen über den Satz des "Dreigroschenromans"
schreibt Brecht:
"Meine dänischen Freunde, denen ich die Bogen zeigte, und die gut deutsch können, versichern mir, die Schrift sei für sie fast unleserlich. Dabei kommt es gegenwärtig doch auf die Auslandsleser sehr   "-^
DBBA 580/17 Allert de Lange an Brecht(25.8.33) :"Sehr geehrter Herr Brecht, Sicher wird Herr Alexander Ihnen schon mitgeteilt haben, dass(sic) wir prinzipiell keine Romane oder Bücher verlegen, worin gegen das heutige Regiem(sic) in Deutschland agitiert wird, oder wovon (sie) selbst die Rede über die heutige Lage in Deutschland ist."
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1)BBA 580/18 Brecht an Allert de Lange(9.10.33):"Ein solches Zensurrecht über die geistig-politische Haltung einer meiner Arbeiten kann ich natürlich unter keinen Umständen zugestehen, so wenig wie irgend ein and rer Autor von Gesinnung."  vgl. dazu auch die Ausführungen über die politische und verlagsprogrammatische Haltung des Verlages in:Hermsdorf,Klaus u.a.:Exil in den Niederlanden und in Spanien.-(=Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-194-5 in sieben Bänden,Bd.6), Frankfurt/Main 1981,S.139 ff.(bes. S.HO) und S.150ff.

2)Geschichte der deutschen Literatur Bd.10,Berlin 1978,S.
3)BBA 780/25 Brecht an Allert de Lange (207.34).



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Brecht wollte also auch den deutschsprechenden Ausländer mit seinem Werk erreichen, jetzt besonders. Dieses Potential war seit den Ereignissen in Deutschland 1933 sicherlich weitaus interessierter, aber schon immer nicht unbeträchtlich groß gewesen. 'Dem Anliegen der Verbreitung des Wissens über die sozialökonomischen Grundlagen des Faschismus entsprach auch die Heraaagabe von Übersetzungen des "Dreigroschenromans"in anderen Landern. Für den englischen Leser schrieb Brecht ein Vorwort, aus dessen verschiedenen Fassungen hervorgeht, daß die Schilderung Londons gewiß nicht mit der Wirklichkeit übereinstimme, daß es auch nicht um Einbrecher gehe, nicht um den Burenkrieg, aber daß der Leser erkennen könne, daß Brecht, Lügen und Irrtümer der Machthaber bekämpfend, ein Gleichnis geschrieben habe, das alles enthalte, was man über den Burenkrieg und überhaupt über Kriege wissen müsse.^ Es gibt - und darauf weist schon die stiefmütterliche
1)vgl.Bock,Sigrid: Roman im Exil. Enstehungsbedingungen, Wirkungsabsichten und Wirkungsmöglichkeiten.-In: Erfahrung Exil,Berlin und Weimar 1979,S.12:Schon vor 1933 seien 10-15% der deutschen Buchproduktion im Ausland verkauft worden.Dieser Anteil habe sich nach 1933 beträchtlich vergrößert.
2)vgl.Melzwig, Brigitte:Bibliographie deutscher »oaialist-ischer Schriftsteller. 1-918-1945.-Berlin und Weimar 1977, S.111 ff.
3)BBA 294/136(Fassung.In der Ausgabe nicht enthalten.) "VORREDE ZU THE JOB OF THE POORS
die vorliegende geschichte enthält eine darstellung des gefühlslebens und der sitten der hefe der bevöl-kerung. der Verfasser geht davon aus, dass(sic) ein verhalten wie etwa das der polly peachum oder die gedan-kengänge solcher traurigen Individuen wie der herren peachum, coax und machieth(sic) seinem publikum neu sind, männer und frauen, die in der läge sind, romane zu kaufen, können nie und nimmer im stände sein, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie weit die Verwilderung der sitten und die niedrigkeit der gesinnung in den unteren schichten der bevölkerung vorgeschritten sind, sie benötigen, um sich eine kenntnis von den Schattenseiten der menschlichen natur zu machen, eben solche romane wie den vorliegenden.
das pfund stand zur zeit der niederschrift dieses romans recht niedrig, die gefühle englischer leser konnten daher kaum einen anspruch darauf erheben, besonders berücksichtigt zu werden, sollte das pfund inzwischen wieder steigen, können die englischen leser
 



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Behandlung des "Dreigroschenromans" seitens der Sekundärliteratur hin - die Auffassung, Brecht habe im "Dreigroschenroman" ein Nebenprodukt geschaffenes sei leichthin geschrieben (u.a. um, an den Erfolg der "Dreigroschenoper" anknüpfend, Geld zu verdienen-was von uns ja auch nicht generell bestritten wird,s.o.-), sein Talent habe er in die Gedichte und Dramen gelegt,der
überzeugt sein, dass(sic) der Verfasser es lebhaft bedauert, den Schauplatz seines romans gerade nach england verlegt zu haben, der Verfasser bedauert auch, dass(sic), wie ihm englische freunde versichern, seine Studien englischer gebrauche und des londoner kolorits, die er an der hand verbürgt englischer kriminalromane vornahm, ihm wenig genützt haben, es wird ihm glaubhaft versichert, dass(sic) seine Schilderung londons nicht ganz mit der Wirklichkeit übereinstimmt, nun, dann stimmt sie mit der Schilderung englischer autoren überein." BBA 29^/l37(Bruchstück.In die Ausgabe nicht übernommen): "aus dem Vorwort
der Schauplatz des vorliegenden romans ist london, die zeit die der burenkriege. der autor hat sich das Studium londons, das er selbst nicht gesehen hat, angelegen sein lassen, er hat eine reihe englischer kriminalromane sorgfältig durchgearbeitet, selbstverständlich kann man für drei groschen nicht eine bis ins einzelne genaue Schilderung einer so großen Stadt verlangen, es gibt immer leser, welche glauben, für ihre par(sic) groschen, die sie für einen roman zahlen, sich den ankauf eines bädeckers für 7 mark ersparen zu können, das ist nichts weiter als Unverschämtheit! auch eine gründliche geschicht-te des burenkriegs ersetzt der vorliegende ronan nicht. aber auch so wie er ist enthält er nach auffassung des autors im großen und ganzen alles, was man über den buren-krieg und überhaupt über kriege wissen muß- und das ist mehr.als für drei groschen verlangt werden kann!" BBA 29%A41 (Entwurf zur Vorrede):
"manchmal denke ich: nicht, dass (sie) ich die Unwahrheit erzähle über die sogenannte unterweit; jedermann kann erkennen, dass(sic) icg(sic) gar nicht über die einbrecher rede, die mit dietrich und blendlaterne ein kärkliches(sic) brot verdienen, arme leute, in jedem fall zu arm,um schuldig zu sein, sondern über Andere, aber ich erzähle ein gleichnis, in dem kommen sie vor und ich möchte nicht gerne, lügen und irrtümer über die machthaber bekämpfend, irgend einen kleinen irrtum über machthaber befestigen oder zulassen, wenn ich auch nicht sehe, wie er schaden könnte: er wird schon schaden."
 



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"Dreigroschenroman" sei naiv usw.  Brecht selber antwortete darauf: "das gegenüber einem werk, an dem ich lange und intensiv gearbeitet habe." ' Brechts Vorliebe für Gedichte und Dramen ist dabei nicht in Zweifel zu ziehen, und somit wird auch die Äußerung Brechts gegenüber Margarete Steffin verständlich: "Ich möchte so schnell wie möglich mit ihm (dem "Dreigroschenromany A.H.) fertigwerden, um mich dann etwas Interessanterem zuwenden zu können»"^'Auch die Bemerkung, dem "Dreigroschenroman" fehle eine gewisse Solidität^', spricht nicht gegen die Ernsthaftigkeit, mit der Brecht an das Werk heranging - der "Dreigroschenroman"befand sich ja noch in Arbeit. Der Stolz Brechts auf sein fertiggestelltes Werk wird deutlich in einer Reverenz an Steffin als Mitarbeiterin, wenn Brecht schreibt:"überhaupt hat es den Anschein, als hättest Du ein Meisterwerk geschaffen, alter Muck. Insbesondere wirdDeine klare Sprache gepriesen. .'.'-" Brecht selber spricht vom revolutionären Charakter seines Romans  , und in der Untersuchung seines Werkes im Verhältnis zu seinen Äußerungen zur Romantheorie wie zur aktuellen politischen Situation können wir feststellen, daß Brecht mit dem "Dreigroschenroman" eine Analyse der imperialistischen Ausbeutungsverhältnisse liefern wollte, die in ihrer Handhabbarkeit zur direkten Verwendung im Kampf gegen den Faschismus, seine Ideologie, die Kriegsgefahr und den hilflosen
---
1)vgl.z.B. Esslin, a.a.O., S.100.

2)Dieses Zitat stammt ursprünglich aus einem anderen Zusammenhang, trifft hier aber dennoch derartige Vorwürfe.BBA 1386/01 Brief Brechts an Becher, etwa Jan.1935. vgl. das GesamtZitat in Teil VI.

3)In:Exil in der Tschecheslowakei,in Großbritannien, Skandinavien und in Palästina.-Frankfurt/Main 1981 (=Kunst und Literatur im antifaschistsichen Exil 1933-1945 in sieben Bänden, Bd.5),S.486.

4)ebenda, S.486,

5)ebenda, S.488.

6)BBA 1386/38 Brief Brechts an Brentano, vgl. Gesamtzitat in Teil VI.
 



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Antifaschismus gedacht war. Brechts "DEMONSTRANDUM EINES DREIGROSCHENROMANS"1^(das zwar oft zitiert wird, doch meist unvollständig, so daß nicht der Zeitpunkt des Entstehens deutlich wird-    während der Niederschrift des Romans) umfaßt offensichtlich nicht die gesamtheit der Intentionen Brechts, sondern muß als eine Sammlung von Lehrsätzen gewertet werden. Diese beziehen sich nur auf die "ökonomische Seite" des Romans, nicht auf die Untersuchung der Ideologie im Verhältnis zum Sein und Handeln der Figuren.
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1)BBA 295/1 T. "DEMONSTRANDUM EINES DREIGROSCHENROMANS
die kleinen Verbrecher sind ebenso bürgerlich wie die kleinen bürger
die großen bürger sind ebenso verbrecherisch wie die kleinen Verbrecher
auch die hilfe, die den ausgebeuteten geleistet wird ist ausbeutung
und zwar ausbeutung der kleinen  direkt und erpressung der groäsen indirekt
kämpf des machieth gegen den peachum:beraubung des schwächeren
kämpf des peachum gegen den machieth:erpressung einer gewinnbeteiligung ".
 



- 27 -2) Die Wiederaufnahme des'*Dreigroschen^Stoffs
"Brechts Entschluß, es nun ebenfalls mit einem Roman zu versuchen....ging auf Feuchtwangers Rat und Beispiel zurück." 'Franco Buono führt als Begründung zur Wiederaufnahme des Dreigroschen - Stoffs die Vorliebe Brechts für die Geschichten um das Thema Gaunerstreich ant sowie die Neigung des Autors zur Bearbeitung alter Texte. Die Popularität de» "Dreigroschenoper" auszunutzen als geheimer oder offensichtlicher Wunsch
des Autors erkläre jedoch nichfeinfach" die radikale
?} Umarbeitung zum Roman.  Wenn Buono auch vom "Mehr"
des "Dreigroschenromans" gegenüber der Oper spricht,-*' wird dennoch die neue Qualität des RomaHS in seiner Aussage nicht in Beziehung gesetzt zur Stofftradition. Unsere These hält dem entgegen: Der "Dreigroschenroman" entstand aufgrund der neuen Bedingungen-des Exils als Roman.Er formuliert gegenüber der "Dreigroschenoper" eine andere Aussage aufgrund der politischen Entwicklung (die seit 1928 durch den Machtantritt Hitlers geschaffen war), als auch durch die künstlerische und politische Weiterentwicklung Brechts. Er steht in der Stofftradition aus mehr als nur innerliterarischen Gründen: im wesentlichen aufgrund der Notwendigkeit, dem Roman als Brechts Erstlingswerk in dieser Gattung ein breites und dennoch ausgesuchtes Publikum zu verschaffen.
Auf den Auslandsleser komme es jetzt sehr an, formulierte Brecht gegenüber seinem Verleger(s.o.S.22), und seine Aussagen zur politischen Situation der exilierten Schriftsteller, denen er gerade jetzt eine
---
1)Völker,Klaus:Bertölt Brecht.Eine Biographie.-München und Wien 1976, S. 205 f. Mit "Beispiel" ist Feuchtwangers Roman "Die Geschwister Oppermann"(ursprünglich Oppenheim) aus dem Jahre 1933 gemeint. Brecht, der im "Dreigroschenroman" vielfach Anspielungen auf Literatur unterbrachte, erwies Feuchtwanger durch die Benennung der Commercial-Bankherren mit dem Namen Opper eine kleine Reverenz.

2)Buono, Franco:Zur Prosa Brechts.-Frankfurt/Main 1973» S.7 ff.

3)Buono,ebenda S.9.
 


politische Schulung verschaffen möchte (s.o.S.8), umschreiben in etwa das Feld der Leser, an die sich der "Dreigroschenroman11 wendet. Dem deutschsprachigen Leser des "Dreigroschenromans"- auch des Auslands - war Brecht besonders als der Autor der "Dreigroschenoper" bekannt. Ihn anzusprechen und vor einer deutschen Entwicklung zu warnen, mußte Brechts Anliegen sein. Darauf verweist auch die Verlegung des Romangeschehens - wie in der Oper- in das imperialistische England, womit die Allgemeingültigkeit der im "Dreigroschenroman"transportier-ten Aussage dargestellt wird. Das Demonstrandum des Dreigroschenromans, das Hauptmotiv der Verbrecher-Bürger-Relation, ist ebenso für andere kapitalistische Länder wie für Deutschland gültig. Damit setzt sich Brecht u.a. auch von der Ansicht ab, die faschistische sei eine ausschließlich deutsche Entwicklung. Die neue Qualität in der politischen Entwicklung Deutschlands erforderte aber über die Beibehaltung des Motivs der Oper hinaus entscheidende Änderungen; die Bedrohung durch das Verbrechersystem des Faschismus war offensichtlich, doch daß das Verbrecherische nicht in der Roheit der Herrschenden, nicht in einzelnen verbrecherischen Handlungen, sondern in der sie bedingenden Notwendigkeit der Machterhaltung zur Weiterführung der "Geschäfte" bestand, mußte durch eine Änderung der Fabel und der Motivierung der Handlungen sowie durch die Montage von Realitätsdetails und faschistischen Ideologemen aufgezeigt werden.
Die Ansprache des exilierten Intellektuellen und seine Ausrüstung mit einem tragfähigen Wissen um das Verhältnis zwischen Geist und Macht, Ideologie und politischer Ökonomie, zum Zwecke des gemeinsamen Handelns erforderte ebenso das Festhalten am Stoff der "Dreigroschenoper" als auch seine Umarbeitung. Die rhetorische Frage:
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1) Darauf verweist u.a. auch Schlenstedt in:
Sc^lenstedt,Dieter:Das Demonstrandum des Dreigroschenromans. -In: Brechts Tui-Kritik.Karlsruhe 1976(=AS 11),S.153,



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"Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie?"- ein Schlüsselsatz auch der "Dreigroschenoper" - reicht nicht aus, um ein Eingreifen des Rezipienten in die realen Vorgänge zu erreichen. Zur vergnüglichen Zurschaustellung von Wissen um das Verbrecherische der bürgerlichen Gesellschaft muß die Analyse ihrer Wirkungszusammenhänge treten, die aktivierend für den antifaschistischen, aber bürgerlichen Leser wirkt. Somit gilt es, das Wissen, das Bewußtsein selbst zum Gegenstand der Handlung zu machen, die Ideologie im Verhältnis zum Geschehen zu untersuchen. Indem Brecht durch seine souveräne Handhabung epischer Mittel seine Vertrautheit auch mit dem Genre Roman beweist, kann er, wie wir unten ausführen, über direkte Leseransprachen, durch die Brechung des Erzählgestus seitens des auktorialen Erzählers und verschiedene Anspielungen auf den Kulturbetrieb eine Vertraut-heit mit dem belesenen Publikum herstellen, die nicht nur einen besseren Transport der Aussage erlaubt, sondern auch ermöglicht, beispielhaft Brechts Auffassung von der Wirkung der Kunst, des Romans im speziellen, zu verdeutlichen und zu empfehlen. Die Wirkungsintention selber wird zum Thema des Romans - ein Verfremdungseffekt, der aus Brechts darmatischem Werk schon bekannt ist. Die Ansprache ainer bestimmten Leserschicht als Interesse Brechts erforderte also die Übernahme der Personnage und des Stoffes der "Dreigroschenoper" als auch die Modellierung derselben, sowie die Form des Romans: "Am meisten entsprach der Roman den Lesegewohnheiten dieses heterogenen, in vielen Ländern der Welt verstreuten Publikums; auch für seine Übersetzung bestanden am ehesten Chancen."
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1)Hermsdorf,Klaus u.a., a.a.O. S.140.
 



Teil III
1)Die Fabel des "Dreigroschenromans"
Brecht hat auf die Ausgestaltung der Fabel des "Dreigroschenromans" aus den o.a. Gründen große Mühe verwandt, wie die verschiedenen Planskizzen aufzeigen.
Die Grundfabel war von Brecht folgendermaßen ausgelegt:    "grundfabel        machieth(sio) braucht in seinem B-ladengeschäft pollys mitgift. peachum kann seine tochter nicht entbehren, da er für sein Schiffegeschäft seine tochter für den makler coax braucht, am ende klappt das B-ladengeschäft des machieth tatsächlich dadurch, daß er peachums geld in form einer mitgift (mit hilfe pollys) in die wagschale werfen kann, auch peachum kommt aus dem Schiffegeschäft heraus durch machieth.
Die Fabel des fertigen Romans sieht jedoch in mancher Hinsicht anders aus^':  Es handelt sich um zwei ineinander verwobene Geschäfte, die in London 1902 abgewickelt werden. Auf der einen Seite steht Peachum, Besitzer eines Bettlerkonzerns, der den Gescheiterten der Gesellschaft (so u.a. dem im Burenkrieg verwundeten Fewkoombey) als Angestellte Arbeit gibt. Er läßt sie entweder Bettlerutensilien herstellen oder diese auf der Straße im von ihm organisierten Bettel benutzen. Da der Bettel nicht weiter ausbaufähig (da durchrationalisiert) ist, stürzt sich Peachum in ein Geschäft, das vom Makler Coax organisiert ist: drei verrottete Schiffe sollen zu einem überhöhten Preis an die Regierung zwecks Nutzung zum Soldatentransport im Burenkrieg
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1) Eine Übersicht über die Ausgestaltung mit vielen Zitaten aus dem BBA ist zu finden bei:Fischetti, Renate:Bertolt Brecht: Die Gestaltung des Dreigroschen-Stoffes in Stück, Roman und Film.- Diss. University of Maryland 1971. Besonders interessant Ursprünglich hatte Brecht einen anderen Schluß vorgesehen(Fischetti S.198,S.310): "Skandal in der TSV, die niederkunft pollys, Versöhnung mit mac" (BBA 294/153- Auszug).
2)BBA 295/ 19,
3)Eine Handlungsübersicht findet man bei Peitsch/ Schutte, a.
 



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verkauft werden. Coax organisiert gegen Provision die Verträge zwischen der Regierung und der TSV vermittels des bestochenen Staatssekretärs Haie, erpreßt dann jedoch zuerst die Instandsetzung der alten als auch den Ankauf neuerer Transportschiffe(angeblich zum Zweck des Austauschs gegen die alten). Peachum gerät wie die anderen Mitglieder der TSV in finanzielle Schwierigkeiten und versucht deshalb, sowohl £oax mit seiner Tochter Polly zu verheiraten als auch die National Deposit Bank (NDB) um einen Kredit anzugehen.Ersteres gelingt nicht, da Polly insgeheim Macheath geheiratet hat. Macheath ist Besitzer des Billigkeits-(B-)Laden-konzerns, in dem arme Leute versuchen, sich aus eigener Kraft aus dem Elend herauszuarbeiten, indem sie in den B-Läden von Macheath gelieferte Waren umarbeiten und absetzen. Macheath hat das Liefermonopol für diese Waren, die zunächst aus Einbrüchen der von ihm gegründeten Bande stammen. .Für den Ausbau dieses Geschäfts erhofft sich Macheath eine Mitgift von Peachum als auch einen Kredit der NDB. Da Peachum dazu nicht in der Lage ist,
^_^
und die NDB mit den Chreston-(C-)Läden zusammenarbeitet, gründet Macheath die ZEG, die,mit Mitteln seines Freundes Brown aus dem Polizeipräsidium, sowohl die Waren von Macs Bande als auch Konkursware beschafft und aufgrund der so gefüllten Lager Kredit der Commercial-Bank erhält. Dafür muß die ZEG allerdings auch außer den B-Läden die Aaronschen-(A-)Läden beliefern. Kurz vor der angekündigten Werbewoche der A+B-Läden läßt Mac trotz der Konkurrenz der C-Läden die Warenlieferungen seitens der ZEG stoppen. Die B-Läden geraten in eine Krise, so daß u.a. Mary Swayer , eine B-Ladenbesitzerin, Selbstmord
begeht. Auf Peachums Betreiben (er hofft, so seine Tochter
-•--'
für Coax freizubekommen) wird Macheath als Mörder vor Gericht gestellt. Dieser kann jedoch sein Alibi nicht preisgeben, da es sich um eine Sitzung der ZEG, in der der Warenfluß auch für die A-Läden gestoppt wurde »handelt.
v                                                                                            '                            -
Die Preisgabe des Alibis ist erst möglich, nachdem
 
 
 


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Mac aufgrund seines Wissens um die Veruntreuung von Depotgeldern durch die NDB deren Präsident wird, und somit Peachum als deren Kunden als auch die C-Läden in seiaer Hand hat. Peachum läßt die Klage fallen und löst sein Problem mit der TSV durch die Ermordung von Coax, wozu er Fewkoombey zwingt. So bekommt er als Präsident der TSV die Unterlagen in die Hand, aus denen ersichtlich ist, daß ein zweiter Regierungsvertrag den Verkauf aller 6 Schiffe vorsieht. Macs Bande wird eingesetzt zur Zerschlagung des Streiks der Dockarbeiter,
so daß die Verträge realisiert werden können. Der Untergang eines der Schiffe wird den Dockarbeitern und Kommunisten zur Last gelegt. Mit dem Geld aus diesem Geschäft ist Peaehum dann in der Lage, die ZEG zum Ankauf von Waren für die sich nun in Macs Abhängigkeit befindlichen A-,B- und C-Läden zu finanzieren. Der Monopolist Macheath wird von der Mordanklage freigesprochen, Fewkoombey für den Mord an Mary Swayer aufgehängt.
 
 


2) Satire im"Dreigroschenroman" a) Funktion der Satire
Brechts "Dreigroschenroman" wird vielfach mit Swifts "Gulliver" oder Cervantes1 "Don Quichotte" verglichen, wenn es um den Realitätsgehalt der Satire des "Dreigrsoschen-romans" geht. Das Problem, ob es gegenüber der Brutalität und Hnmenschlichkeit des Faschismus angebracht ist, satirisch zu schreiben (an dem Satiriker wie Tucholsky innerlich zerbrachen), wurde von Brecht eindeutig zugunsten der Satire beantwortet. Folgende Überlegungen mögen dabei Pate gestanden haben:
Angesichts des hohlen Pathos, das sich die faschistischen Führer zulegten, wirkt eine satirische Reduktion des großen Führers» (z.B. Macheath) auf einen Verbrecher entlarvend. Es wird so auch die Uberwindbarkeit der-
x—-
artiger "Helden" aufgezeigt, ebenso, wie die"verkehrte Welt" des "Dreigroschenromans" als Ideal eine andere, bessere Welt postuliert. Zudem war Brecht immer an der leichten Lesbarkeit, am Vergnügen an seinen Werken interessiert. Ohne Leserinteresse, das wird aus seinen roman-und dramentheoretischen Äußerungen vielfach deutlich, ist die lehrende Funktion seiner Werke nicht zu realisieren, wird der Inhalt - an dem die Leser/Zuschauer ja mitarbeiten sollen - nicht transportiert. So schrieb Brecht an Allert de Lange:"Er (der Satz der Korrekturbögen,A.H.) wirkt so schwer und pathetisch;" ich stelle mir direkt die Angst des Lesers vor, einem so toternsten und feierlichen Autor gegenüber zu treten. Die Leichtigkeit der Erzählung kommt dabei zu Schaden."  Parallel schrieb Brecht an Landauer: "Aber die Schrift unterstreicht doch recht unpassend das Ernsthafte des Romans. Der Leser wird sozusagen noch vor der Lektüre gewarnt. Es ist ein so
DBrecht an Allert de Lange, 23.7.34 (BBA 780/26).



2) Satire im"Dreigroschenroman" a) Funktion der Satire
Brechts "Dreigroschenroman" wird vielfach mit Swifts "Gulliver" oder Cervantes1 "Don Quichotte" verglichen, wenn es um den Realitätsgehalt der Satire des "Dreigrsoschen-romans" geht. Das Problem, ob es gegenüber der Brutalität und Hnmenschlichkeit des Faschismus angebracht ist, satirisch zu schreiben (an dem Satiriker wie Tucholsky innerlich zerbrachen), wurde von Brecht eindeutig zugunsten der Satire beantwortet. Folgende Überlegungen mögen dabei Pate gestanden haben:
Angesichts des hohlen Pathos, das sich die faschistischen Führer zulegten, wirkt eine satirische Reduktion des großen Führers» (z.B. Macheath) auf einen Verbrecher entlarvend. Es wird so auch die Uberwindbarkeit der-
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artiger "Helden" aufgezeigt, ebenso, wie die"verkehrte Welt" des "Dreigroschenromans" als Ideal eine andere, bessere Welt postuliert. Zudem war Brecht immer an der leichten Lesbarkeit, am Vergnügen an seinen Werken interessiert. Ohne Leserinteresse, das wird aus seinen roman-und dramentheoretischen Äußerungen vielfach deutlich, ist die lehrende Funktion seiner Werke nicht zu realisieren, wird der Inhalt - an dem die Leser/Zuschauer ja mitarbeiten sollen - nicht transportiert. So schrieb Brecht an Allert de Lange:"Er (der Satz der Korrekturbögen,A.H.) wirkt so schwer und pathetisch;" ich stelle mir direkt die Angst des Lesers vor, einem so toternsten und feierlichen Autor gegenüber zu treten. Die Leichtigkeit der Erzählung kommt dabei zu Schaden."  Parallel schrieb Brecht an Landauer: "Aber die Schrift unterstreicht doch recht unpassend das Ernsthafte des Romans. Der Leser wird sozusagen noch vor der Lektüre gewarnt. Es ist ein so
DBrecht an Allert de Lange, 23.7.34 (BBA 780/26).
 
 
 
 



feierlicher, langbärtiger, würdevoll wandelnder Satz. Natürlich bin ich auch sehr dafür, der Erzählung einen •distinguierten» Charakter zu verleihen." Brecht wollte als Autor also nicht"toternst"dem Leser gegenübertreten - das bezog sich nicht nur auf den Satz, sondern auf die Schreibweise ebenso. Dabei spricht Brecht durchaus von der Ernsthaftigkeit des Romans. Diese Bemerkungen widersprechen einander nicht.
"Satire ist ästhetisch sozialisierte Aggression...", d.h.:"Satire hat ... eine psychologische, eine soziale und eine ästhetische Dimension." ' Indem eine "verkehrte", aber in sich stimmige Welt aufgebaut ("deren Gesetz die
Perversion der wahren Ordnung ist") und zugleich ein
2\ "Schattenriß der wahren Ordnung j des Ideals" ' dargestellt
wird, ist die satirische Schreibweise des "Dreigroschenromans" zugleich ernsthaft in Bezug auf die durchzusetzende Norm einer menschlichen Gesellschaft und komisch in der Vorführung des grotesken Gleichnisses für imperialistische Geschäfte und Ideologie.
"Vielfältig sind die Techniken, mittels derer diese 'verkehrte Welt' als die vollendete Alltäglichkeit ausgestellt ist."-^ Fische tti verweist auf die Ironie als das
eigentliche Gestaltungsprinzip^ »die nicht nur bezeichnend für die Konstellation zwischen Autor, Leser und Romangeschehen sei, sondern vor allen Dingen den Gehalt des
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0)Brecht an Doktor Walter Landauer ,23.7.34- (BBA 780/27), Brecht war zudem an einer Illustrierung des Romans interessiert: "Sie müsste(sic) meines Erachteas aus ganzseitigen Blättern bestehen mit einem Satz aus dem Roman darunter, wie das in Büchern der 90ger Jahre üblich!" Brecht an Allert de Lange, 23.6. 34 (BBA 780/19),

1)Brummack,Bürgen: Zu Begriff und Theorie der Satire.-In:Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 45(1971) Sonderheft,S.282,

2)ebenda,S.339.

3)Peitsch/Schutte:a.a.O., S.177.

4)Fischetti,a.a.O.»S.208.
 
 



Dargestellten in Frage stellt. Der Autor meint nicht - so wird deutlich - was er sagt. Die Modellhafigkeit der "Dreigroschenroman"-Welt tritt offen vor Augen.
Weitere satirische Techniken sind: Die Hyperbolik , die durch die sachlich wirkende, nicht dramatisch gesteigerte indirekte Rede, durch die episch ruhig die Handlung begleitenden Erzählerkommentare die verkehrte Welt in sich glaubwürdig wirken läßt. Z.B. erhält die Szene der "Schlacht bei den Westindia-docks" so ihre Komik (1085).
Die Parodie der faschistischen Machthaber z.B. durch die Figurenreden(vornehmlich des Macheath) oder der Trivialliteratur (Pollys Romanlektüre).
Die naive Selbstentlarvung der Figuren in Rede und Handlung vermittels unmittelbarer Kontrastierungen. Riege beschäftigt sich besonders mit der Sprachschicht und ihrer Wirkung in der Satire.  Sie führt die unterschiedlichen Redeformen an, die im "Dreigroschenroman" vorkommen; direkte, indirekte, teils auch die erlebte Rede, in der die Gedanken des Autors und der handelnden Personen ineinanderfließen (z.B. in den aahezu marxistischen Analysen des Elends bei Peachum oder Macheath, jedoch nicht bei Fewkoombey, wie Riege meint- vgl.Teil IV 2))
Die Analyse der Stilfärbungen zeigt auf, wie gekonnt Brecht alle Register der Sprachkunst zieht und im Wechsel von emotionaler Rede, pathetischen Wendungen, aggressiven und emphatisch- expressiven usw. Elementen die Leseraktivität anregt, da kaum ein Abschnitt von einer Stilform geprägt ist. Der Leser wird gezwungen, da er unmöglich die Redeweise der Figuren oder die Kommentare des Erzählers auf längeren Strecken als Identifizierungsobjekt nachvollziehen kann, zu allem und allen Distanz zu gewinnen. Bildhafte Bezeichnungen wie "anderthalb Jahrhunderte"-für die NDB-Bankherren, "Allesüberdie-lippenbringer" für Coax oder "der Chor der nähenden
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1)Riege,Helga: Studien zur Satire in Bertolt Brechts Dreigroschenroman.-Diss. Jena 1956,5.156 ff.
 


Blutsäuferinnen" für die voller Patriotismus strickenden älteren Damen verhindern in ihrer Drastik eine unreflektierte Übernahme dieser Metaphern seitens des Lesers. So schafft der Erzähler auch durch den emotionalaggressiven Kommentar eine Distanz zum Leser,die erst nach erfolgter Reflexion über die Wahrheit dieser Bezeichnungen tendenziell aufgehoben wird, jedoch nie zu einer völligen Identifikation mit dem Erzähler als Leitfigur führtj Denn dieser überrascht immer wieder duch seinen Standpunktwechsel, Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der intensiven Untersuchungen Rieges zur Sprachschicht und zu Strukturelementen der Satire führt Fischetti an.
"Alle diese Besonderheiten der Schreibweise dienen dem Zweck, die Ausnahme( von der1normalen1 Weltsicht) als die Regel erscheinen zu lassen, das Perverse als das Gewohnte. Auf diese Weise wird die LOGIK des Systems, nicht seine Moral, zum Maßstab der Beurteilung; die beabsichtigte AKTIVIERUNG DES LESERS zielt darauf, das Gewohnte in der Wirklichkeit und im Bewußtsein gleichermaßen als fragwürdig zu markieren. Die im Erschrecken und im Lachen angestoßene Reflexion des Lesers richtet sich auf den funktionalen ZUSAMMENHANG VON WIRKLICHKEIT UND IDEOLOGIE in der kapitalistischen Gesellschaft, der Adressat des DGR ("Dreigroschenromans",A.H.) ist ein Leser, ' welcher bisher gewisse Anschauungen nicht auf die Folgerungen untersucht hatte, welche sich aus ihnen ergaben".(BB,Fünf Schwierigkeiten, GW 18,235)."^
Die Aktivierung der Leser als die wesentliche Funktion der Brechtschen Satire ist also kein Selbstzweck, sondern zielgerichtet auf die Erzeugung der Faltung des Lesers zur ihn umgebenden Realität. Die Hyperbolik des Modells lehrt den Leser, seine Situation zu begreifen, das Wesen eines Zusammenhangs, einer Person zu durchschauen. Angesichts der Situation, in der der Leser des
DFischetti, a.a.O., S.210f. ,5.313 (Anm.125), 2)Peitsch/Schutte, a.a.O.,S.177,
 



 

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"Dreigroschenromans" steckte, war somit die Satire gegen den Faschismus gerichtet, der allerdings, so Brecht(s.o.) nur als Kapitalismus bekämpft werden konnte. Die Verzahnung der kapitalistischen Ökonomie mit der Politik, der Geschäfte mit der Haltung des Staates (in Form von Brown,Hale und der Justiz u.a.), der bürgerlichen Ideologie mit faschistischen Ideologemen, wie sie Brecht satirisch vorführt, deutet in diese Richtung. Erreicht werden sollte die Bereicherung des Lesers mit Kenntnissen von den Gesetzen seiner kapitalistischen Umgebung und dem faschistischen Deutschland. In der satirischen Form, in der diese Erkenntnisse dargeboten werden, wirdzugleich eine Distanzierung des Lesers von diesem Sein und dem vorherrschenden Bewußtsein erreicht. Dazu dienen auch die Montage-und die Kriminalromantechnik.


- 38 -b) Die Funktion der Montagetechnik
"Besonders der Roman schien für eine umfassende Untersuchung vielschichtiger und widerspruchsreicher Wirklichkeitsvorgänge geeignet zu sein." '' "Unter den Bedingungen der Faschismus- und Weltkriegserfahrungen mußte ein neues Epochenverständnis erarbeitet werden." ' Die Suche nach neuartigen Wegen "kam zum Ausdruck in der Ausbildung einer Art 'zusammengesetzten1 Erzählens ... und in der Hinwendung zu einem offenen Schluß... Die Produktivität eines inneren Monologs, eines Bewußtseinsstroms, wurde ebenso genutzt wie die Simultan-und Montagetechnik."-*'
Diese allgemeine Charakterisierung der Exilromane trifft sehr gut auf die verwendeten Techniken des "Dreigroschenromans" zu. Insofern erweist sich der "Dreigroschenroman" nicht nur durch seinen antifaschistischen Gehalt, seine Wirkungsintention, sondern auch in der Verwendung bestimmter Techniken als der gesamten Literaturbewegung gerecht werdend.
Die wesentliche satirische Technik ist die der Montage, die im "Dreigroschenroman" das Modell der imperialistischen Welt konstituiert. Sie wird eingesetzt zur Herstellung einer Simultaneität der Handlungsführung und zur Kommentierung des Romangeschehens durch Figurenreden.  Ihre Funktion ist die der Darstellung der Widersprüche, die in Brechts dialektischem Verständnis der Gesellschaftsentwicklung konstitutiv für ihre Fortentwicklung sind. Im "Dreigroschenroman" stellen sich diese Widersprüche als die Widersprüche materieller Interessen dar. Sie sind an Personen und Personengruppen ge-
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1)Bock,Sigrid, a.a.O. S. 49.

2)ebenda, S.51-

3)ebenda, S.52,

4)Brecht äußerte später zur Funktion der Montage (GW 19,S.303): "Ich habe keinen Grund, auf Gedeih und Verderb die Dos Passos'sehe Montagetechnik zu propagandieren; als ich einen Roman schrieb, habe ich selber so etwas wie "kämpfvolle und verschlungene Wechselbeziehungen1 zu
festalten versucht. (Was ich von der Montagetechnik enutzte,benutzte ich in diesem Roman anderweits.),"
 



bunden und werden, wenn nicht durch "freiwillige" Aufgabe des materiellen Interesses einer Seite (B-Ladenbesitzer) durch den Zufall (Nebel), zumeist jedoch durch das planende Kalkül der Figuren in der Form wirtschaftlicher Macht oder roher Gewalt gelöst. Die Operatio-nalität der Montagetechnik erweist sich also als dem darzustellenden Gegenstand angemessen. Es gilt, die Komplexität der kapitalistischen Welt aufzuzeigen, in der auch die Herrschenden ökonomischen Gesetzen unterworfen sind, diese jedoch zu ihren Gunsten ausnutzen können, da sie sich dieser Gesetzmäßigkeiten bewußt sind.
Die Konkurrenz verschiedener Interessen treibt auch im "Dreigroschenroman" die Entwicklung voran, und die Kenntnisse sind in der Anarchie der Romanwelt begrenzt, sie müssen beschafft werden, Ansichten und Überzeugungen erweisen sich in dieser Welt als hinderlich, wenn sie kontinuierlich vertreten werden :
. -.1- "EIN. MENSCH, DER-DREI JAHRE LANG EIN UND DIESELBE ANSICHT HAT,ZEIGT DADURCH NUR, DASS ER SEIT DREI JAHREN NICHT MEHR ZUM SPIEL ZUGELASSEN WIRD*"(883)
Die Montagetechnik deckt diese Zusammenhänge auf, indem sie das Alltagsbewußtsein des Lesers mit dem Wesen der Gesellschaft konfrontiert. Sie verfremdet die Realität unter Hinzuziehung von Realitätsdetails, setzt diese neu zusammen und schafft so ein Bild, das den Wesenskern des Imperialismus und die Notwendigkeit zur faschistischen Machterhaltung bloßlegt in modellhafter Form. Dem Leser wird allerdings immer die Modellhaftig-keit vor Augengeführt durch die satirische Form, den Erzählgestus, die dem Leser den Überblick und damit die Souveränität über das Romangeschehen geben: er soll zu einer analogen, wissenschaftlich analysierenden Betrachtung der eigenen gesellschaftlichen Realität gebracht werden.
l)zum Verhältnis Verfremdung-Montage vgl.: Lindner, Burk-hardt: Avantgardistische Ideologiezertrümmerung. Theorie und Praxis des Brechtschen Theaters am Beispiel der Faschismusparabeln.-In:Arbeitsfeld Materialistische Literaturtheorie. Frankfurt/Main 1975 (=FAT.20?9),S.238ff,
 



 

Im "Dreigroschenroman" sind TSV-Handlung und das ABC-Geschäft parallel angeordnet. Die Montage ermöglicht, die gleichzeitig ablaufenden Geschäfte zu überblicken. Der Leser erfährt im ersten Buch sowohl den Stand der Grundlage der Peachum1sehen Unternehmung, des Bettlergeschäfts, als auch den der B-Läden Macheaths. Allen Protagonisten ist, das wird deutlich, eine Notwendigkeit bewußt:" Im Geschäftsleben hatte man geradezu die Pflicht, jede Gewinnshance rücksichtslos auszunutzen..." (788) Denn:11 Es gibt kein Geschäft, das so gemein wäre, daß nicht sofort ein anderer es macht, wenn man darauf verzichtet."(770) Da Peachum weiß,"daß an seinem Betrieb nicht mehr viel zu rationalisieren war"(797),ist er gezwungen, in das TSV-Geschäft einzusteigen. Und da auch Macheath der Ausbau seiner B-Läden nicht mehr möglich ist, gerät sein Unternehmen"in jene Schere, die alle unsere Geschäftsleute so fürchten"(869). Macheath ist sich über diese Entwicklung im Klaren:
"FRÜHER BESASS EINER EINEN LADEN ODER EIN HAUS,UND DAS WAR EINE EINNAHMEQUELLE.HEUTE KANN D£S EINE AUSGABEQUELLE SEIN? DER GRUND DES RUINS.WIE SOLL SICH DA EIN CHARAKTER BILDEN?"(882)
Die Konkurrenz, so wird deutlich, ist also treibendes Prinzip für die Romanhandlung, nicht der Charakter der Figuren bringt die Ereignisse voran. Und dennoch,so wie die Handlungsstränge   ineinander geknüpft sind, daß sie sich bei der Geldbeschaffung bei der NDB und beim Kampf um Polly als Tauschobjekt treffen müssen, so wird auch in der Montierung der Reden der Protagonisten zu ihren Handlungen deutlich, daß Menschen es sind, die diese Verhältnisse schaffen, stets aufs neue produzieren. Machaefeh wird nicht, so zeigt Brecht, aus seiner Verantwortung entlassen zugunsten der Umstände, die sein Verhalten begründen. Die Montage der Sentenzen, Injektionen, Überschriften usw. legt bloß, wie das Verhältnis von Ideologie und Gesellschaft beschaffen ist.
 
 



 

"Durch die Montage von Zitaten, Kursivtexten und Kontext wird hier ein Denken ausgestellt, das unter anderem auf Hegeischen Ideen von der weltbestimmenden K?aft der Individualität beruht, das ausgeht vom Ich als Maß
der Dinge, wobei die Individualität für sich auch Macht und Gewalt in Anspruch nimmt und dies zugleich als schicksalhaft erklärt und dadurch legitimiert. Es ist dies das Denken der spätbürgerlichen Phase zur Zeit des Imperialismus, wie Brecht es in seiner Kindheit und Jugend erlebt hat." '
Dieses Denken eignet nicht nur Macheath und Peachum, auch wenn diese es hauptsächlich verbreiten und nutzen. Auch Fewkoombey vertritt deren Parolen (z.B. 951 f.) und ist zutiefst davon Uberzeugt<1065 ff.) Oft, aber nicht immer, sind diese Passagen kursiv gesetzt. Brecht legte darauf großen Wert:
"Die Kursivstellen müssen Zitatcharakter .haben, das heisst(sic) der Leser muss(sic) die Assoziation 'Zitat'
haben...Der Leser muss(sic) denken:warum plötzlich
p S eine andere Schrift?"
Offensichtlich ist mit"Zitatcharakter"gemeint, daß der Leser darauf aufmerksam gemacht werden soll, daß die kursiv gedruckten Sentenzen so oder so ähnlich schon einmal gesehen wurden, daß ihre Inhalte der Realität entstammen (könnten). In der Tat ist es so: teilweise wurden für sie Hitlerreden und Zitate von anderen Politikern verwendet, die im BBA noch als Material vorzufinden sind. Zugleich finden wir in den Reden Alltagsbewußtsein gemischt mit marxistischem Gedankengut. Die Reden sind in sich schon montiert, deutlich auch in der Hervorhebung einzelner Worte oder Satzteile.Es wird wahre Erkenntnis mit falschem Bewußtsein gemischt, Interessen mit Werten verdeckt bzw.
---
1)Keller,Otto:Brecht und der moderne Roman.Auseinandersetzung Brechts mit den Strukturen der Romane Döblins und Kafkas.Bern und München 1975,S. 52.

2)Brecht an Allert de Lange, 1.Sept£August ist durchgestrichen)34.

3)vgl.die ausführliche Darstellung und Kommentierung dieses Materials in der Sekundärliteratur, bes. bei Fischettia.a.O.
und Müller(Brecht-Kommentar)a.a.O.- Wir verzichten deshalb auf die Wiedergabe.
 
 



 

in Einklang gebracht. Die Sprache der Werte wird allerdings nur von den Ausgebeuteten gebraucht. Einzig Macheath und seinesgleichen sind in der Lage, ihre materiellen Interessen in der Sprache sowohl auszudrücken als auch durch hohe Moral, Alltagsweisheit oder dgl. zu kaschieren. Die Drastik in dem Wechsel der Standpunkte (z.B. führt ihn Peachum der Polizei vor - S.1092 f.) oder im Verhältnis zur realen Lage schafft die verfremdende Distanz, die satirische Qualität. Die Welt der Macheath-Reden ist eine Vverkehrte Welt" gegenüber der Romanwelt. Der Leser wird somit aufgefordert, sich die Fragen so zu stellen, wie sie Brecht formulierte: "1. Wem nützt der Satz?
2. Wem zu nützen gibt er vor?
3. Zu was fordert er auf?
4. Welche Praxis entspricht ihm?
5. Was für Sätze hat er zur Folge? Was für Sätze stützen
6. In welcher Lage wird er gesprochen? Von wem?" '  n* Insbesondere dort, wo es sich um faschistische Ideologeme handelt, wir der Leser die Zusammenhänge zwischen Bewußtsein und Ideologie gegenüber der Realität erkennen, aber die Vermengung mit dem Alltagsbewußtsein schafft die Erkenntnis, daß es sich bei den faschistischen Ideologemen nicht um eine aufgesetzte, "falsche" Ideologie handelt, sondern um ein Substrat gefährlicher Anschauungen, die weit verbreitet sind. Das Bewußtsein der Leser selbst wird auf den Prüfstand gestellt, und dem Leser ist das durch die satirische Überspitzung sehr wohl bewußt. Er wird gezwungen, sich Rechenschaft abzulegen über seine Haltungen. Die Plumpheit und Roheit der faschistsichen Denkweise abzulehnen, fiel den bürgerlichen Antifaschisten leicht, doch ihre Herkunft aus den -kapitalistischen Ver-
---
1)Brecht:Darstellung von Sätzen in einer neuen Enzyklopädie.- In: GW 20, S.



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hältnissen zu erkennen, die Ideologeme wie z.B. Elemente des Sozialdarwinismus hervorbrachten, fiel entschieden schwerer. Die Lösung aus diesem Denken anzustreben, hielt Brecht für unabdingbar für einen konsequenten antifaschistischen Kampf.
"Nötig ist für alle Schreibenden in dieser Zeit der Verwicklungen und der großen Veränderungen eine KennW nis der materialistischen Dialektik, der Ökonomie und der Geschichte."1'
Die "Propaganda für das Denken" ' ist konstitutiv im "Dreigroschenroman". Die Montagetechnik leistet durch die Vorführung der Einheit in den Widersprüchen - insbesondere im satirischen Kernmotiv Verbreeher/Bürger-dazu einen wesentlichen Beitrag.
 


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c) Die Funktion der Kriminalromantechnik
Brechts Versuche der Analyse des Faschismus beschäftigten sich, wie wir sahen, in großem Maße mit der Rolle der Mittelschichten. Aber auch die Rolle deklassierter bürgerlicher Elemente und sogar von Verbrechern in der faschistischen Partei fand seine Aufmerksamkeit.  Brechts Inter-
?}
esse am Silone-Bu< ch  ist sicherlich auch damit zu erklären, daß dort in ausführlicher Weise über die Rolle der Verbrecher in den Reihen der Fasci berichtet wird: "Denn niemand sehnt sich so sehr nach Privateigentum niemand sehnt sich so sehr, Mitglied der Bourgeoisie zu werden, wie der Berufsverbrecher... Auf jeden Fall, selbst wenn er ein elendes Leben führt, bleibt er bis ins Mark durchdrungen von der bürgerlichen Ideologie und damit ständiger Kandidat der irregulären Truppen der bürgerlichen Gesellschaft, von der ehrwürdigen bonapartistischen Gesellschaft des 10.Dezember an bis zu den Fasci Mussolinis."-^
Schon allein aus diesem Grund bot es sich an, das Verbrecher-Milieu der "Dreigroschenoper" in den Roman hinübrezunehmen, um die These der Infceressensidentitat zwischen Verbrecher und Bürger aufrechtzuerhalten und die Notwendigkeit für den Bürger, sich verbrecherischer Methoden bedienen zu müssen, zu beweisen. Weitaus wahrscheinlicher noch lag es an den romantheoretischen Vorstellungen Brechts, den "Dreigroschenroman" mit Elementen des Kriminalromans zu versehen(nicht als Kriminalroman zu konzipienen).
"Brecht greift vielmehr das Schema des traditionellen Kriminalromans auf und modifiziert es entscheidend, um eine literarische Form zu erhalten, in der adäquat eine zeitgemäße Kritik des Faschismus als eines ins
l)vgl. z.B. Brechts:Die Horst-Wessel-Legende.-In GW 20,S.2o9ff.


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Verbrecherische gesteigerten Kapitalismus geleistet
werden kann." '
Zeitgemäß heißt hiar auch: den Leser aktivierend. Das ist das Hauptmotiv Brechts zur Wahl der Kriminalromantechnik.
"Die Marxisten sind die einzigen, die auf Fragen wie:
WAS WILLST DU MIT DEINEM ROMAN ERREICHEN? Antwort geben.
Satzregulierung: Welche Änderung im Verhalten der Leser
2") willst du erreichen?"
In einem Aufsatz über den aristotelischen Roman wählte Brecht schon ein Beispiel aus der Welt der Justiz, und sehr oft hielt Brecht weiterhin, wenn er gegen den aristotelischen Roman polemisierte, als Gegenbeispiel den Kriminalroman entgegen.
"Der Kriminalroman handelt vom logischenDenken und verlangt vom Leser logisches Denken."-*' Die Leseraktivität anzuregen war das Hauptziel der Brecht-schen Schreibweise und entsprach der antifaschistischen Wirkungsintention. Auch die folgenden Äußerungen treffen in hohem Maße auf den "Dreigroschenroman" zu:
"Der Leser wird nicht getäuscht, alles Material wird
ihm unterbreitet..." '
"Entscheidend ist, daß nicht die Handlungen aus den
Charakteren, sondern die Charaktere aus den Handlungen
entwickelt werden... Als ausschlaggebend für ihre
Handlungen werden ihre Interessen angenommen, und
zwar beinahe ausschließlich ihre materiellen Interessen."-7
"Aber die handelnden Typen sind sehr grob gezeichnet,
die Motive des Handelns sind massiv, die Vorkommnisse
l)Goebei,Rolf J.:Brechts DREIGROSCHENROMAN und die Tradition des Kriminalromans.-In:Brecht-Jahrbuch 1979.Fran-furt/Main 1979, S.67   Goebel läßt leider die satirische Verfremdung im "Dreigroschenroman" außer acht, setzt sie also auch nicht in Beziehung zur Kriminalromantechnik. Somit glaubt Goebel, die Gleichsetzung von Verbrecher und Bürger als ernstgemeinte, direkte Kritik Brechts
. _am Faschismus verstehen_zu können. 2)Brecht:Kleine Notiz.In:GW 18,S. 17.
3)ders.:über die Popularität des Kriminalromans.-In:GW 19,S.450


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plump,alles, besonders die Verkettung, ist so unwahrscheinlich, es gibt viel zu viel Zufall darinnen..." Peachum sagt uns, warum der Leser in das plumpe Denken eingeübt werden soll: Da die Verbrecher es auch so machen, und erst durch die Suche nach den meist plumpen Motiven des Verbrechens die Lösung erkannt werden kann:
"DABEI WIRKT NUR DAS PLUMPE,EBEN SCHON DESWEGEN, WEIL ES UNWAHRSCHEINLICH IST!"(950)
Nachdem Brown auf die Gewinne und die Art, wie sie erzielt werden, verwiesen hat, sagt Macheath:
"Wenn jetzt einer mitschriebe, was dur daherredest, wäre es^auch Schwarzmalerei."(1108)
So erreicht Brecht seine Leser über die agierenden Figuren, spricht damit ironisch die vorherrschende Lesehaltung an (nämlikh nicht die Wahrheit des Erzählten zu sehen, sondern Literatur als etwas ohne Wahrheitsgehalt zu betrachten) und fordert auf, sich nun aufgrund des vorhandenen Materials selber eine Meinung zu bilden. Die Zwiesprache des "Dreigroschenromans" mit dem Leser verfolgt das Ziel, das Verbrechen aufzudecken durch die Suche des Rezipienten nach den Motiven. Henn auch das Material vorhanden, die Motive durch die Reden der Romanhelden vielfach dargestellt und in ihrem Wahrheitsgehalt durch die Handlung entweder unterstrichen oder widerlegt sind, so ist der Leser dennoch immer wieder versucht, sich in das Romangeschehen hineinzudenken oder sogar Sympathien für einzelne Figuren aufkommen zu lassen.
Mit der Technik des ausgiebigen Erzählerkommentars, sogar der direkten Leseransprache, und den Techniken der Kriminalromanschreibweise wirkt dem Brecht entgegen.
"Wir ziehen Vergnügen aus der Art, wie der Kriminalromanschreiber uns zu vernünftigen Urteilen bringt, indem er uns zwingt, unsere Vorurteile aufzugeben... Er führt uns irre durch seine CHARAKTERSCHILDERUNGEN."2^ Das Mitleid mit Fewkoombey wird spätestens gebrochen, als er aus Not den Mord an Coax begeht; und ob Peachum oder
1)Brecht:Uber den Kriminalroman,-In:GW 19,8,457. 2)Brecht:Über die Popularität des Kriminalromans.-In:GW 19,


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Macheath von der Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen überzeugt sind oder nicht, ob sie ehrlich sein können, Liebe und Freundschaft empfinden oder nicht, wird unerheblich angesichts ihrer Aktivitäten. Zudem kommentieren sie sich in einer Weise, die die Lösung dieser Fragen schnell aufdeckt. So geht die Suche des Lesers vom Nachvollziehen des TSV-Geschäfts z.B. anhand von Erkenntnissen Peachums über in die Suche nach den Motiven der Verbrechen und Geschäfte, sucht in den Charakteren - und wird fündig erst in der Aufdeckung des großen, alles umfassenden Verbrechens- der kapitalistischen Gesellschaftsordung. "Es sind lediglich die gesellschaftlichen Umstände, die das Verbrechen ermöglichen oder nötig machen: Sie vergewaltigen den Charakter, sowie sie ihn gebildet haben. Natürlich ist der Mörder ein böser Mensch, aber das zu finden, müssen wir ihm den Mord anhängen können. Einen direkteren Weg zur Ausfindung seiner Moral zeigt der Kriminalroman nicht."'
So sehen wir den Mord Fewkoombeys an Coax als durch seine Lage hervorgerufen, die Gesellschaftsordnung zwingt ihn dazu. Doch der "Dreigroschenroman" leistet mehr: er deckt auch auf, wieso die Gesellschaftsordnung mörderisch ist: Herkunft, Motiv, Verbrechen in einem ist die Grundlage dieser Gesellschaft: Das "Geschäft", basierend auf der Ausbeutung.
Nicht das einzelne Verbrechen wird untersucht, sondern das Prinzip des Verbrecherischen:
"Die Kausalität menschlicher Handlungen zu fixieren ist
die hauptsächlichste intellektuelle Vergnügung, die
2)
uns der Kriminalroman bietet."
. Dieser Aspekt der Aufspürung des Kausalnexus - im "Dreigroschenroman" des von Geschäft und Gewalt- ist das für Brecht Wesentliche, das den Kriminalroman vor anderen Romanformen auszeichnet. Deshalb benutzt er die Techniken
1) ebenda, S. 2)ebenda, S


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des Kriminalromans, die dieses Wesentliche hervorbringen: Dazu zählen: der ausgezirkelte Lebensabschnitt,in seiner Verknüpfung unglaubwürdig, aber streng logisch;
die Unterbreitung allen Materials für den Leser durch Handlungsführung,Figurenreden,Erzähler;
die Figuration umfaßt nur insofern psychologisch motivierte Charaktere, als daß ihre Motive für die Aufdeckung der Verbrechen wichtig oder zur Verknüpfung der Handlungsstränge notwendig sindfsonst sind die Personen nicht mit Individualität ausgestattet, sondern notwendige Staffage dei? Handlung;
Elemente wie der Londoner Nebel, der in die Handlung eingreift, aber      nur den innerhalb des Romans Agierenden die Sicht versperrrt, nicht dem Leser;
Verhaftung und Hinrichtung der Falschen;
die Zeichnung der O'Hara-Bande mit ihren Rivalitäten, Extrawünschen usw.
Alles das rundet das Bild des Kriminalromanhaften ab. Fischetti verweist darauf, daß man nicht von einer Detektivgeschichte reden könne, da weder ein Detektiv agiere noch die Form des "Dreigroschenromans" analytisch sei; und daß man auch nicht von einem Kriminalroman sprechen könne,
da es sich nicht um eine Aufdeckung bereits geschehender
in 2)
Verbrechen handele.  Immerhin könne man beim "Dreigroschen-
roman" von Kriminalliteratur sprechen.'
Wesentlich erscheint uns nicht die Zuordnung zu Formtypen, sondern die Leistung der verschiedenen Techniken. Sie sind nicht allein aus dem Genre des Kriminalromans
entnommen, sondern auch aus der Trivialliteratur der Courths-Mahler*' ,aus der Operette^" bei Joice, Dos Passos etc.
Mahler*' ,aus der Operette^" , aus der Technik der Montage
l)Fischetti, a.a.O.,S.20?.
2)Buono:Zur Prosa Brechts.a.a.0., S.27 spricht explizit vom Kriminalroman; Goebel a.a.O.,S.67 spricht wie Benjamin vom "Grenzfall des Kriminalromans".
3)vgl.:Brecht:Verlogenheit unserer Literatur.-In:GW 18,S.35 . :Buono,ebenda,S.24,


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"...das 'gesunde Schema1 des Kriminalromans ist Analogen der analytischen Methode im wissenschaftlichen Vorgehen."1^
Den Leser in diese Methode einübend das satirische Kernmotiv (Verhältnis Verbrecher/Bürger) erkennen und analysieren zu lassen, ist Hauptziel dieses Schemas, dieser Techniken. Was im bürgerlichen Bewußtsein und Recht als strikt getrennt erscheint,das legale Geschäft und das illegale Verbrechen, erscheint im "Dreigroschenroman" als eine historische Stufenfolge von Raub und Ausbeutung, die nur hin und wieder mit Rückschlägen, mit der Rückkehr zu Raub und Mord, verbunden ist.
"WAS IST EIN DIETRICH GEGEN SINE AKTIE?"(998) fragt Macheath und deutet so den Zug der Zeit an. Doch Peachum, gezwungen, sich seines Gegners Coax zu entledigen, zeigt auf, daß diese Entwicklung vom Neandertaler-Verhalten zur Zivilisation durchaus nicht unumkehrbar ist:
"MIT VERTRÄGEN UND REGIERUNGSSTEMPELN FING ES AN UND AM ENDE WAR RAUBMORD NÖTIG! WIE SEHR BIN GERADE ICH GEGEN MORD! WELCH SINE ABSCHEULICHE BARBAREI! ABER DIE GESCHÄFTS MACHEN IHN NÖTIG.MAN KANN IHN NICKT GANS ENTBEHREN."(1083)
Auch Macheath greift zum Einbruch zurück, als er dazu gezwungen ist. Der zivilisatorische Prozeß in der Form der Monopolisierung unter Zuhilfenahme der Staatsmacht, der Legalität der Ausbeutung mithin, ist also teilweise umkehrbar, da die Aneignung fremden Eigentums dac tertium comparationis zwischen legaler Ausbeutung und illegalem (Raub-)Mord ist. Insbesondere in der Darstellung der "Ermordung" Mary Swayers verdeutlicht Brecht die Identität von Verbrechen und Ausbeutung. Zugleich macht er anhand der Schilderung der Justizmaschinerie klar, daß die Voraussetzungen für eine gerechte Gesellschaft, eine
gerechte Justiz nicht gegeben sein können, wenn die Justiz
~>\ im Dienste der Verbrecher steht. 'Die üblichen Mittel der
Verbrechensaufklärung    , beispielsweise die Frage nach
1)Müller:Brecht-Kommentar, a.a.O.,S.22 .
2)vgl. dazu das Beispiel bei Brecht in :Uber den aristotelischen Roman.«in:GW 18,S.17



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dem Motiv für eine Tat, verkehren sich ins Gegenteil: "••• wer hatte sie nötig, die Untat? V/er sie nötig hatte,der hat sie vollbracht!" (1079)
So endet das Plädoyer für die Verurteilung Fewkoombeys, der diesen Mord nicht nötig hatte (allerdings den an Coajc), während Macheath freigelassen wird. Denn:"ES GIBT FÜR SEINESGLEICHEN KEINE GESETZE.»(857), bzw. diese sind zu seinen und seinesgleichen Gunsten gemacht.(vgl.1107) So ist also die Technik des Kriminalromans - zugleich mit der Aufdeckung des Verbrechens seitens des Lesers - auch genutzt, um zu verdeutlichen, daß das Schema des Kriminalromans (die Unterscheidung zwischen Verbrechen und legalen Handlungen) nicht zutrifft auf diese Gesellschaft, da diese jegliche Moralkategorien in ihr Gegenteil pervertiert. Die für den Kriminalroman notwendige Abgrenzung der in sich stimmigen Welt (im "Dreigroschenroman" in der Form der Handlungsebene London, TSV-Geschäft, ZEG-Gründung und die Entwicklung dahin) bedeutet also eine Umkehrung der dem Leser bewußten Welt. Es handlet sich um eine "verkehrte Welt" , deren positive Werte die Kritik des Lesers herausfordern, deren Normalität und Stimmigkeit es gerade sind, die die Verkehrung der Werte bedeuten.




 

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d) Der "Dreigroschenroman" als historischer Roman
Es fällt auf, daß der "Dreigroschenroman" nach dem so einschneidenden Erlebnis der Machtübernahme der deutschen Nationalsozialisten nicht diesen Beginn einer neuen Zeit, diese radikale Änderung der Lebensbedingungen nicht nur der Exilierten, sondern auch des deutschen Volkes zum Thema hat. Der "Dreigroschenroman" reiht sich ein in die Menge der historischen Romane, die nach 1933 geschrieben wurden und denen nicht selten der Vorvrurf der Flucht vor den Anforderungen des antifaschistischen Kampfes gemacht wurde. ' Der "Dreigroschenroman" spielt im London des Jahres 1902 zur Zeit des Burenkrieges. Sofort aber wird die geringe Plastizität des geschilderten Milieus sichtbar, die schon auf den ersten Blick die Frage aufwirft, wieso der Roman eigentlich so wenig mit den Zeitumständen zu tun hat. Englische Leser beschwerten sich über die sachunkundige, teils absurde, jedenfalls unglaubwürdige Darstellung der englischen Verhältnisse. 'Brecht vermerkte ironisch in Vorausschau dieser Reaktionen, dann habe die Schilderung ja immerhin noch mit den Darstellungen der englischen Kriminalromane eine Übereinstimmung.  In der Tat hat sich Brecht nicht um eine genaue Sachkenntnis bemüht, einzig von Korsch ließ er sich minutiös berichten, wie der Verhandlungsverlauf bei englischen Gerichten vor sich ging.^" Bei der Durchsicht der Materialien des BBA fanden sich mehrere Zeitungsausschnitte, die, teils von Brecht selbst gesammelt, teils von Elisabeth Hauptmann u.a. zugesandt, groteske Vorkommnisse meist aus den SOger und 30ger Jahren kommentieren. Es handelt sich vielfach um kriminelle Delikte, die mit enormem Witz und erstaunlicher Unverfrorenheit begangen wurden. Sie sind alle im "Dreigroschenroman" verarbeitet (Holzdiebstahl, Autoversteigerung usw.). Brefeht verwendete also Details aus der Realität anderer Zeitabschnitte als der Zeitebene des Romans, ohne daß jedoch die Glaubwürdigkeit des Romangeschehens dadurch zugenommmen hätte.
Uvgl.Hermsdorf u.a.:Exil in den Niederlanden und in Spanien. a.a.O., S.151 ff. und Schiller,Dieter:... von Grund auf anders.Programmatik der Literatur im antifaschistichen Kampf während der dreißiger Jahre.- Berlin 1974, S. 128ff.
2)s.u. Teil VI.
3)s.o. S.2k •
4)Brief Korschs an Brecht vom 17.3.34 in:Alternative,18.Jg. (1975),Heft 1o5,S.242 ff.


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Im "Dreigroschenroman1' finden sich, einmoatiert in die Zeit zwischen Juni und Oktober 1902, auf der Ebene der Schilderung der geschäftlichen Transaktionen, in der Personencharakterisierung etc. verschiedene Entwicklungsstadien der bürgerlichen Gesellschaft, die auf bestimmte Phasen der ökonomischen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft gründen, Dakowa versucht anhand von Marxzitaten nachzuweisen, daß Brecht Marx habe mit dem Roman kommentieren wollen;
"Es ist offensichtlich, daß die Konzeption der B-Läden und der B-Ladenbesitzer gleichsam als Illustration der Marx'schen Feststellungen erscheint." ' Sie verkennt damit die satirische Überspitzung und Verzerrung der "Dreigroschenroman"-Welt, die eben nicht in ihren Erscheinungsformen eindeutig auf bestimmte Entwicklungsetappen des Kapitalismus zurückweisen. Es lassen sich gleichwohl bestimmte Züge dieser Etappen auffinden, jedoch ineinander verwoben, im Fluß und in ihren Auswirkungen überspitzt. Es handelt sich in der TSV-Handlung u.a. um den Rückwerweis auf den frühen englischen Kapitalismus, im Aufbau der ABC-Läden um die Entwicklung von der ur-
sprüaglichen Akkumulation des Kapitals zum Monopolkapi-
?}
talismus^', und um Anspielungen auf den deutschen Faschismus.  Brecht intendierte aber nicht eine literarische analytische Darstellung der realen Ereignisse, es handelt sich auch nicht um einen Marx-Kommentar, sondern die Welt des "Dreigrsochenromans" bleibt - in sich geschlossenein Modell, ein Gleichnis.  , dessen Realitätsgehalt auf einer anderen Ebene als der der direkten Identität mit historischen Ereignissen liegt.-"Sicherlich werden, wenn Brecht die historischen Entwicklungen des Frühkapitalismus z.B. anhand der "Verlagstätigkeit" der B-Ladenbesitzer

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1)Dakowa, a.a.O.,S.203.
2)vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Peitsch/
Schutte, a.a.O., S. 79 ff. 4)vgl. dazu Brechts kurzgefaßten Realismusbegriff in:
Volkstümlichkeit und Realismus.-In:GW 19.S. 326. 3)Diese untersuchen wir gesondert-Teil V 1) 5)vgl. BBA 294/1 *f1 (S


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aufgreift, die gerade von den Faschisten als idyllisch geschilderten Episoden des Kapitalismus als grausam entlarvt. Insofern liegt schon im Aufgreifen dessen, was Schriftsteller vom Schlage Jüngers als "positives Erbe" begriffen und darstellten, um sich glaubhaft gegen den Kapitalismus der "Systemzeit" zu wenden, eine antifaschistisch wirkende Kraft. Aber wichtiger noch ist die Allgemeingültigkeit der Aussage, die sich aus der historischen Betrachtungsweise ziehen läßt:
"Brecht versteht also seinen Kampf gegn den Nationalsozialismus, der die Produktivität seiner fruchtbarsten Jahre bestimmt, im weiteren Sinne als Kampf gegen den Kapitalismus; in einem noch größeren Zusammenhang geht es ihm um den Widerstand gegen eine historisch gewordene Entfremdung des Menschseins: Dieser mehrfache Horizont eröffnet sich durch die spezielle historische Betrachtungsweise, die das Besondere auf -  seine allgemeine Struktur zurückführt." Die allgemeine Struktur ist im "Dreigroschenroman" die Struktur des Imperialismus in seinen ökonomischen, aber auch in seinen ideologischen, politischen, juristischen Zusammenhängen, also in den Bereichen, die zum überbau gezählt werden. So ist der Übergang vom Verbrecher zum Bürger als ein historischer Prozeß dargestellt: Macheath steigt auf: erst "Messer", dann Bandenchef, dann Holzhändler,B-Kettenladenchef, Chef der ZEG,der NDB, des ABC-Syndikats. In verschiedenen Stufen seiner Entwicklung ist Mac jedoch gezwungen, zum Verbrechen zurückzukehren (Einbruch, Mord). Das Verbrechen erscheint jedoch als Teil der Geschäfte, es ist notwendig und im Wesen damit identisch.
Da Brecht im deutschen Faschismus keine speziell deutsche Angelegenheit sah, auch, weil er die neue Qualität des Faschismus nicht erkannte, war für ihn die Uberbau-problematik in allen kapitalistischen Ländern im wesentlichen gleich - wenn auch in Deutschland besonders scharf hervortretend.

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1)Müller,Klaus-Detlef:Die Tunktion der Geschichte im Werk Bertolt Brechts. Studien zum Verhältnis von Marxismus und Ästhetik. Tübingen 1967,S. 72.


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"Vielleicht war die gleich zu Beginn des Exils einsetzende und heftig umkämpfte Flutwelle historischer Romane u.a. aus der Tendenz zu erklären, nicht allein den deutsch Literaturmarkt zu bedienen. Die Wahl der Stoffe-- zum wenigsten wurden Probleme deutscher Geschichte vorgestellt- mag als Versuch angesehen werden, sich mit der Vergangenheit des Gastlandes auch dem Leserpublikum dieses Landes zuzuwenden und eine gegenseitige Kontaktaufnahme auszuprobieren. Eine solche Haltung wird auch solchen Büchern zugrundegelegen haben?, die faschistischen Terror, faschistische Barbarei zu entlarven gedachten'.1 '
Diese spekulative Einschätzung mag auf den "Dreigroschenroman" dennoch zutreffen, die Leseransprachen im Vorwort zur englischen Übersetzung zeugen davon. Eine zu enge Definition dessen, was ein historischer Roman im Exil ist, geben Hahn u.a., wenn sie den "Dreigroschenroman" davon abgrenzen und folgendermaßen verbuchen:
"Romane, die ein Funktionsmodell des imperialistischen Zeitalters zu geben suchen ('Dreigroschen-Roman1 , 'Pardon wird nicht gegeben1). Sie zielen auf den Mechanismus der imperialistischen Herrschaft und enthalten bzw. provozieren den Drang zur Veränderung, zur Entscheidung. Dabei bleiben bewußt wesentliche nationalhistorische Voraussetzungen und Charakteristika des deutschen Faschismus aus dem Spiel." '
Dennoch ist diese Definition treffend - siespricht nicht gegen eine Einordnung des "Dreigroschenromans" als historischem Roman in weiterem (nicht nationalhistorischen) Sinne, charakterisiert aber das Besondere des Romans: ohne vordergründige Aktualität dennoch, mithilfe des Funktionsmodells des Imperialismus, u.a. eine Kritik des Faschismus als dessen extremste Stufe zu leisten. Der Wahlspruch Macheathft "NIEMALS ZURÜCKBLICKEN"(1148) verweist auf die Notwendigkeit;für den Leser, wesentliche historische politische und ökonomische Zusammenhänge eben im Rückblick, in der Aneignung von Wissen über diese Beziehungen zu erarbeiten, auch um den Faschismus besser analysieren zu können,

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1)ßock, a.a.O. ,5.42.
2)Manfred Hahn u.a.:Aus :Thesen zum deutschen Roman im
20.Jahrhundert.-In:Textsammlung zur Literaturgeschichte.
Berlin 1975, S.256.


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TEIL IV
l) Figurenaufbau im "Dreigroschenroman" a) Prinzipien der FigurenZeichnung
Die Figuren des "Dreigroschenromans" erfahren eine nur minimale individuelle Ausstattung. "Die Dreigroschenfiguren, auch die tätigsten, sind lediglich Sklaven der Konkurrenz und des Geschäftes."  Auch wenn die Handlungsführung im Romanaufbau dominant gegenüber der individuellen Reflexion ist, nimmt die Darstellung des Bewußtseins sowohl der Protagonisten als auch der Nebenfiguren einen großen Raum ein. Zumeist geschieht das in der Form von kursiv gedruckten Stellen, aber auch darüber hinaus finden wir Sentenzen und Überlegungen, die konstitutiv für das Bewußtsein sind. Satirisch überspitzt sind nahezu alle. Die Bewußtseinsinhalte verweisen weniger auf die Figuren als auf ihre Zugehörigkeit zu einer Klasse. Sie sind immer funktional für das Romangeschehen in dem Sinne, daß auch Reflexionen über Liebe,Moral etc. Auswirkungen auf die Handlungen bzw. das Nichthandeln zeigen. Die satirische Figurenzeichnung wird durch Brecht mittels verschiedener Techniken erreicht, deren gemeinsames Element der Widerspruch ist.
Zunächst ist besonders auffällig der Kontrast zwischen sozialer Lage und Bewußtsein, besonders bei den B-Ladenbesitzern. Eine große Drastik gewinnnen die Widerspirübke zwischen den Idealen und Ideen einerseits und der bestimmenden materiellen Praxis andererseits bei Macheath. Das Aufeinanderprallen verschiedener Standpunkte, derer sich auch eine Person in ein urid derselben Rede bedienen kann,verdeutlicht dabei besonders, daß es nicht das Bewußtsein im Allgemeinen ist, das das Tun oder Lassen der Figuren bestimmt^ sondern die materiellen Interessen, die aus der sozialen Lage entstehen. Sprachliche Kontrastierungen finden wir in der Spannung zwischen Gesagtem und Gemeintem (z.B. wenn Macheath von der Freiheit des

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1)Dakowa,a.a.O., S.


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Geistes spricht, aber seine Möglichkeiten zur Weiterführung der Geschäfte auch vom Gefängnis aus meint - S.990). Sie äußert sich mitunter auch in der Wahl zweier Sprachebenen: in der Sprache der Werte und der Interessen in einer Rede( z.B. als Peachum von den moralischen Folgen der Arbeitslosigkeit spricht, jedoch damit die Erledigung des Mordauftrages fordert - von Brecht sowohl durch den Kursivdruck als auch durch die Verwendung der direkten und indirekten Rede voneinander abgehoben.). Eine besondere Komik entsteht im Kontrast zwischen Sprache und

Situation, wenn in einem Hinterhof des schmutzigsten Viertels Londons Fewkoombey von einem Bettler brutal zusammengeschlagen wird, dieser dabei jedoch in gewählten Sätzen von den Regeln des Britischen Fauskämpferverbandes spricht. Hier hat also auch der Sprachduktus im Verhältnis zur Situation satirischen Charakter. Besonderen Witz gewinnt diese Situation durch die Eindeutigkeit,mit der diese Sprache fehl amPlatze ist, denn der geforderte offene, ehrliche Kampf kann aufgrund des körperlichen Unterschieds zwischen den Kontrahenten nur zuungunsten Fewkoombeys ausgehen.
Diese Kontrastierungen im "Dreigroschenroman" verfolgen einen Zweck: durch das Zusammenziehen der Widersprüche unter jeweils einem Aspekt wird in dem bewußt Unterschiedenen das Identische verdeutlicht. So wie Sprache und Situation im letzten Beispiel auseinanderklaffen, sind sie gleich in Bezug auf die Herrschaft, die ausgeübt wird. Der von Natur Stärkere (in anderen Situationen: der sozial überlegene) wendet eine Sprache an, die seine Überlegenheit in der Anwendung sprachlicher Mittel verdeutlicht. Die Figuren sind zwar nicht mit sich selbst identisch, aber in ihren Bewußtseinsformen entsprechen sie oft ihrer momentanen Lage, auf dam Hintergrund der Einbindung ihres Bewußtseins in das durchschnittliche Bewußtsein: ihrer Klasse oder Schicht. Das Denken in traditionellen Formany die Unflexibilität, das Hinterherhinken des Bewußtseins hinter der Entwicklung des materiellen


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Seins, unterscheidet die B-Ladenbesitzer zu ihrem Antipoden Macheath. Es ist nicht nur das fehlende Wissen, das sie an der Erkenntnis ihrer Situation hindert, sondern eher noch die Form des Denkens, das Lernprozesse verhindert. Brecht verdeutlicht das durch die mehrfachen Reflexionen über das "plumpe Denken", aber auch dadurch, daß die aktuelle Lageeinschätzung als Sprache (direkte und indirekte Rede) dargestellt wird, die Weltanschauung indessen als Denken, oder als Sprache, der mit Hilfe des SrZählerkommentars die aktuelle Bezugnahme genommen wird.   Peachums einzige Überzeugung sei, daß es in der Schlechtigkeit keine Grenze gebe, sagt uns der Erzähler (772). Peachums Äußerung auvor hat den Anschein eines einzelnen Gedankengangs. Im Zusammenahng mit dem Erzählerkommentar wird aler deutlich, daß sie Tsil seiner Weltanschauung ist. Peachum wird uns bekannt als prüder Mensch, Feind jeder Sinnlichkeit usw. Der Erzähler kommentiert seine Äußerungen mehrmals mit: "Sagte er . oft", "Pflegte er oft zu sagen" usw. (z.B. 949, 1073). Ebenso, wie Peachum "seiner Gewohnheit folgend"(830) dieses oder jenes macht, geht Macheath jeden Donnerstag nach Turnbridge zu seinen Frauen, Coax in Feathers Wannenbäder usw. Als Macs tiefste Überzeugung ist "Der starke Mann ficht, der schwache Mann stirbt" festzumachen. Einzig diese Grundüberzeugungen entsprechen den Handlungen der Protagonisten und umgekehrt(vgl.883) Alles andere, was "oft" gesagt wird, was "Gewohnheit" ist, wird bei Bedarf und Notwendigkeit über den Haufen geworfen. Diese Flexibilität haben die B-Ladenbesitzer nicht. Ihnen eignen gesamte Weltanschauungen, Konctrukte des Denkens, die keiner Realität entsprechen und in bestimmten Situationen (bei der Abschaeidung der Warenzufuhr u.a.) nur noch komisch in ihrer Unangemessenheit wirken. Der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis ist ihnen jedoch nicht bewußt, im Gegensatz zu ihren Gegenspielern. Diese ziehen, wie mehrfach betont wird, einen Trennungstrich zwischen Geschäftsund Privatleben (u.a. 788), sind in der Lage, sich von Ansichten zu trennen. Die Rolle der Weltanschauungen für die


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soziale Determinierung der Figuren ist also evident. Zu untersuchen wäre demnach, inwiefern Ideologie im "Dreigroschenroman" aufgesetzt, fehl am Platz ist, welche Rolle sie bei der Unterdrückung der Ausgebeuteten spielt,
Einen besonderen Platz im "Dreigroschenroman" nehmen die Andeutungen auf faschistische Ideologie ein, die wir besonders bei Macheath vorfinden.


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b) Das Problem des Humanismus
 

"Damit der Mensch werde, muß er vollständig ruiniert werden: das ist das Endergebnis der INQUIRY, ihre letzte nützliche Lehre'.'  So endet der Aufsatz Buenos über den "Dreigroschenroman". Das Menschenbild Brechts, der humanistische Charakter seiner Dichtung sind aus dem ersten Leseeindruck nur unvollkommen zu verstehen, sie erschließen sich erst aus der Reflexion des Gelesenen. Ihre Bedeutung in der Zeit des antifaschistischen Kampfes ist offenbar: der Unmenschlichkeit ein Gegenbild vorzuhalten, die Barbarei als Barbarei zu entlarven, war Hauptanliegen vieler Dichter des Exils. Der Faschismus in Deutschland hatte es, aufbauend auf der ideologischen Tradition eines romantischen Antikapitalismus, verstanden, die materielle Krise und die Sinnentleerung der Persönlichkeit auszunutzen für eine Ideologie, deren Grundschema etwa so aussieht:
"Zurücknahme des geschichtlichen Prozesses im völkischen Mythos als Mittel, um die ideologischen Grundlagen der antiimperialistischen Opposition zu zerschlagen: Identifizierung von Humanismus und Sozialismus mit dem Zweck, die wirklichen Klassengegensätze ideologisch zu kaschieren und ein einheitliches Feindbild aufzubauen, das die Fiktion der sog. Volksgemeinschaft demagogisch absichern soll; Umfunktionierung antikapitalistischer Stimmungen zu imperialistischen Aggressions- und Mobilisierungsideologien." Zum gesellschaftlichen Ideal wurde erhoben, daß die Volksmassen als Objekt der Geschichte existieren, eine wirkliche Gemeinschaft der Individuen wurde durch die Vermassung im "Volkskörper" verhindert, das Schicksal sollte als Sinnerfüllung des Lebens gedeutet werden. Die totale Unterwerfung unter ein unbegriffenes Schicksal wurde im Faschismus zur unreflektierten Voraussetzung des Handelns. Anna Seghers beschrieb diesen ideologischen Prozeß auf dem Pariser Schriftstellerkongreß 1935 so:

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1)Buono:Zur Prosa Brechts, a.a.O.,S 50. 2)Schiller:...von Grund auf anders. a.a.O. S.78 f.



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"Der Mensch an der Stempelstelle, am laufenden Band... ist ein Niemand. Der dem Tod konfrontierte Mensch scheint wieder alles... Bis jetzt war derselbe Mensch mit all seinen reichen Werten, mit all seiner Begabung unverwertbar, unbrauchbar, lästig... Auf einmal ist er verwertbar... Das Vaterland(braueht auf einmal) den ganzen Menschen, den letzten Einsatz... er kann sich bewähren. Der Krieg wird zur Verwertung der Unverwertbaren, zum Ausweg der ausweglosen Welt... jetzt gibt es... die Gleichheit vor dem Tod."
Die Diskussionen um das Menschenbild im BPRS der 20ger Jahre gewannen angesichts dieser menschenfeindlichen Ideologie, die zur Staatsdoktrin erhoben war, eine neue, größere Bedeutung, zumal die Frage des Humanismus im Rahmen der Volksfront- und Einheitsfrontbest^ebungen die einzige positiv-gemeinsame Wertgebung für die antifaschistischen Schriftsteller und Intellektuellen bedeutete. Die bündnisstiftende Funktion der Haltung zum Humanismus erwies sich als bedeutend, als den verschiedenen Denkweisen,Weltanschauungen und PerspektiveVorstellungen und der Kompliziertheit der teils widersprüchlichen Entwicklung der bürgerlichen Intellektuellen gerecht werdend.
Während bürgerliche Autoren oftmals nur deskriptiv zur Entleerung der Persönlichkeit, zur Entfremdung etc. Stellung bezogen, nahmen sozialistischen Autoren die Ursachen dieser Entwicklung unter die Lupe. Brecht hatte sich schon lange mit dieser Frage beschäftigt- sie war Hauptgebiet seines Schaffens.
"Die von ihm gerade vor 1933 ständig wiederholte These, daß es für die Unterdrückten keinen Ausweg aus ihrer Lebenslage ohne die revolutionäre Veränderung der Machtverhältnisse gab, war aber eine These, die nicht allein die Politik, sondern das neue Verständnis des Menschen überhaupt betraf. Die Ansicht vom Heldentum, von Moral und Erziehung, ja selbst von der Liebe
p\ war von dieser Konzeption prinzipiell betroffen." '

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1)In iSchiller, ebenda, S. 81.
2)Brandt, Helmut:Sozialkritischer Umgang mit dem Erbe: Bertolt Brecht.-In: Schriftsteller.und literarisches Erbe. Zum Traditionsverhältnis sozialistischer Autoren. Berlin und Weimar 1976, S. 281.



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Das findet, wie zu zeigen ist, im "Dreigroschenroman" seinen Niederschlag, so wie sich im gesamten literarischen Schaffen Brechts der Kampf gegen die Entleerung und Ver-krüppelung des Menschen als roter Faden hindurchzieht. Das impliziert nicht, daß der Realismus und Humanismus Brechts unbedingt die volle Persönlichkeit, reich an Seelenleben, zu schildern fordere, wie es ein verengter Realismusbegriff als notwendig ansieht.  Denn:
"Der Schriftsteller, welcher bestrebt wäre, die Menschen lediglich 'anders' einzuschätzen, als es die Kapitalisten tun, und sie deshalb 'rund', 'harmonisch', 'seelisch reich1 schilderte, würde nur auf dem Papier 'runde' Menschen formen, er wäre ein schlimmer Formalist." ' Brecht wendet sich somit gegen die Schriftsteller, die, ohne Modelle für ihre Figuren in der Realität zu finden, finden zu können, Charaktere"von der bisher üblichen Festigkeit, Übersichtlichkeit uüd Eindeutigkeit"-^schil-dern. Da er von der depravierenden Funktion des Kapitalismus ausgeht, ist Brecht lange davon überzeugt, es gebe diese Persönlichkeiten nicht, die er so gern schildern würde, ohne lügen zu müssen. So dauert es, bis er über die Beschäftigung mit dem Marxismus zur Schilderung des klassenbewußten, kämpferichen Proletariers findet.
Im "Dreigroschenroman" kommt dieser nur in der Statisterie vor. Dem Proletarier wird keine Stimme verliehen, er ist sprachlos (im doppelten Sinne). Es wird über ihn geredet, über die Kommunisten und Sozialisten hergezogen. Wahrheitsgemäße Äußerungen, z.B., daß die Kommunisten gegen den Krieg sind(796,9l6) wechseln ab mit Verleumdungen (1080,1086,1091,1112). Das Verhältnis zu ihnen ist z.B. seitens Peachums(830) das gleiche wie seitens der B-Ladenbesitzer(1071,1091). Diesen wird jedoch bewußt sozialistisches Gedankengut vorenthalten, indem man sie nicht sozial absinken läßt (1056), so daß kein Interesse
an kommunistischer Propaganda entsteht(10l8 f.) oder durch 
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1)vgl. Kantorowicz-Rezension(s.u.), oder Brecht-Lukacs-
Debatte z.B. in:Dialog und Kontroverse mit Georg Lukacs.
Der Methodenstreit deutscher sozialistischer Schrift-
.steller.-Leipzig 1975. 2.) Brecht: Bemerkunr'
;en zum Formalismus.In: GW 19,S.3l6. 3) Brecht: Gibt es noch Charaktere für den modernen Romanschriftsteller?-In: GW 18,S.


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an kommunistischer Propaganda entsteht(1018 f. ) f «fder durch die Verfolgung der Kommunisten mittels Verhaftung (1112),Aufhängend 071)oder zumindest durah das "Wortab-schneiden"d009,1012). Dennoch wird die Stärke der Kommunisten in Organisation und Bewußtsein deutliche 775»1007, 1009), denn sie beherrschen das"plumpe Denken"(830,91 6).

Doch die Klassenbewußten Proletarier setzen sich nicht durch im "Dreigroschenroman11. So signalisiert Brecht u.a. auch die Niederlage der Arbeiterklasse gegenüber dem Faschismus, ohne daß allerdings etwa Mitleid oder dgl. mit der Arbeiterklasse, hier z.B. den Dockarbeitern intendiert wäre. Die einfache Darstellung dieses Sachverhalts ist auch nicht das Thema des Romans, sondern die Analyse der Verhältnisse, in denen "homo homini lupus" ist.

"Gebt auch negative, lebendige Beispiele, zeigt Menschen aus Fleisch und Blut von Schlage van der Lubbes, damit die Jugend an lebendigen Beispielen lernt."  forderte Dimitroff auf dem Kongreß der Sowjetschriftsteller 1935» Der Fewkommbey des "Dreigroschenromans" ist zwar nicht eine Figur von "Fleisch und Blut", entspricht aber einer solchen Erfordernis des Kampfes gegen den Faschismus. Die Depravation, Entfremdung des Menschen zu schildern, geht im "Dreigroschenroman" einher mit dem Aufzeigen der Ursachen dafür: "Dargestellt wird, wie die menschlichen Beziehungen innerhalb der Funktionen des Kapitals anonym werden, wie sich die Welt des erbitterten Konkurrenzkampfes von Mann zu Mann überholt und damit auch die Eigenschaften, die in ihm nötig waren. Dargestellt wird, wie sich die Bedingungen der Tätigkeiten nicht allein scheinbar, sondern wirklich fremd gegen den Menschen
setzen, wie in diesem Zusammenhang der Schein eines
2) Naturverhältnisses allgemein wird."

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1)Dimitroff,Georgi:Die revolutionäre Literatur im Kampf gegen den Faschismus.-In:ders.:Ausgewählte Schriften. Bd.2. Berlin 1958, S.512.
2)Schlenstedt, a.a.O.,S.171.


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So wie anhand der eindringlichen Schilderungen des Elends im "Dreigroschenroman" deutlich wird, wie berechtigt ein Kampf der B-Ladenbesitzer, der Elenden an der Seite der streikenden Dockarbeiter wäre, wenn er erst einmal geführt würde, so berechtigt erscheint aus der Sicht der Peachums und Macheaths ihr Kampf. Die einen haben nur ihre Arbeitskraft zu verkaufen, die anderen müssen sich bei der Strafe des Untergangs angesichts der übermächtigen Konkurrenz zu behaupten suchen. Beide Sichtweisen sind objektiv richtig, verdeutlicht Brecht, und verweist darauf, daß beide Personengruppen Funktionsträger des Kapitalverhältnisses sind. Es ist also der Kapitalismus und seine Gesetze, die diesen Widerspruch schaffen und reproduzieren. Zwischen zwei Rechten entscheidet die Macht, die Gewalt-diese Erkenntnis ist grundlegend zum Verständnis des Faschismus, der dort Gewalt einsetzt, wo die Aufrechterhaltung der Kapitalverhältnisse ohne Roheit nicht mehr ginge. Brechts Gestaltung des "Dreigroschenromans" mit Techniken des Kriminalromans ist somit der Realität und der zu gewinnnenden Erkenntnis-angemessen.
Die Funktion des Kapitalverhältnisses darzustellen, drastisch ihre Konsequenz der Gewalt schildern zu können, erfordert die Verlagerung der Geschäfte an den Rand der für die Zirkulationssphäre normalen und konstitutiven Gesetzmäßigkeiten. Nicht die Normalität des Kapitalismus soll zum Ausdruck kommen, sondern die Bedingungen für die Inhumanität des Kapitalismus, die Bedingungen, die den Faschismus zeitweilig notwendig machen.
So sind auch die agierenden Personen nicht die realen Personen, die die kapitalistische Wirklichkeit der 30ger Jahre beherrschen, sondern vereinigen in sich Züge des Patriziers, des Schatzbildners, des Bankiers usw. - entsprechend der Montierung der verschiedenen Zeitebenen(s.o.)
Die Entfremdung betrifft nicht nur die kleinen Leute, sondern auch Peachum, Macheath, Coax etc.:


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Coax: »JEDENFALLS STELLTE ICH AN MIR EIN GEFÜHL VOLLSTÄNDIGER ENTFREMDUNG FEST."(l037)
Macheath:"ES HAT HEUTZUTAGE NUR NOCH WENIG SINN, SICH EINE PERSÖNLICHKEIT ZUZULEGEN."(1043) -                           Peachura:"Ich bin nicht Herr über mich selbst".(789)
Sie umfaßt sämtliche Lebensbereiche, Werte und Gedanken: Familie (780), Freundschaft(985), Mitleid(745) usw.
Besonders versinnbildlicht Brecht das durch die zur "Sinnlichkeit" verkommenen Liebesbeziehungen, die im Geschäftsinteresse genutzt werden. Der Mensch wird nach seinem Wert für die Geschäfte taxiert: z.B., als Polly seitens ihres Vaters für 500 Pfund von Macheath zurückgekauft werden soll(983). Der Mensch stirbt in solchen Verhältnissen ab, stückweise, aber dafür sicher (910). So kann "von wirklichem Leben natürlich nicht gesprochen werden."(1152)
Die Figuren des Romans erkennen diese Umstände also durchaus, sie sind aufgrund der Einbindung in ihre Funktionen (so sind sie ja von Brecht bewußt angelegt) jedoch gar nicht bereit und auch nicht fähig, daraus Konsequenzen zu ziehen. Sie sind als Cha»aktermasken unfähig, menschlich zu sein. Besonders Macheath entspricht dieser Funktionsbestimmtheit: "Aber Mac ließ ja nicht einmal, wenn sie unter vier Augen sprachen, diese Maske fallen."(941 f.) So wird also aus der Distanz,.des Lesers zu diesen Figuren sogar eine gewisse Sympathie gegenüber deren Erfindungstalent möglich, die aus dem Vergnügen erwächst, die Tricks und Machenschaften zu durchschauen. Daß diese Erzähltechnik Folgen hat für die Distanzierung von den so nahen realen gesellschaftlichen Erscheinungen des Faschismus, ist u.a. die Absicht.
1) vgl. Claas, Herbert: Satirische Gesellschaftsromane mit historischem Stoff bei Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht.-In: Antifaschistische Literatur.Bd.3 S.220.



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c) Macheath - Geschäftsmann und Politiker
Manche Äußerungen Macheaths, die aus dem Munde Hitlers hätten kommen können, und Beschreibungen durch andere Figuren des Romans legen die Vermutung nahe, der "Dreigroschenroman" sei ein Schlüsselroman, in dem zumindest Macheath als Hitler wiedererkannt werden könne. Die Stilisierung Macheaths als Führer durch sich und andere (z.B. 1121) ist durchaus auf Hitler gemünzt.Jedoch die Herkunft Macheaths aus dem Straßenräubermilieu wäre dann nicht zu erklären, seine Geschäftspraktiken würden einer derartigen Interpretation widersprechen usw. Andererseits ist dieser "gemischte Charakter", wenn-man ihn unter dem Gesichtspunkt seiner Funktion betrachtet.; durchaus für eine antifaschistische Wirkungsintention produktiv. Indem Straßenräuber und Führer, Verbrecher und Bürger in dieser Person als identisch angelegt sind, schafft der satirische Verfremdungseffekt eine neue, nüchterne Betrachtungsweise der historisch "großen" Persönlichkeiten, also auch Hitlers. Der Leser wird durch Macheath auf das Verhältnis zwischen Mentalität und Interessenslage sowohl der Industriekapitäne als auch der politischen Größen aufmerksam gemacht und vermittels der Verfremdungseffekte, der Parodie auf Hitler, der satirischen Schreibweise insgesamt, dazu befähigt, ein eigenes Urteil darüber abzulegen. Macheath wird, entsprechend dem Hergang der Handlung, als Beckett eingeführt, über seine wahre Identität, Charakter etc. erfährt der Leser zunächst nichts. Auch die"Frühgeschichte" Macheaths bleibt zunächst im Dunkeln, endgültige Klarheit darüber, daß Macheath das "Messer" ist, gewinnt der Leser erst zum Schlußd129). So wird zweierlei im Leserverhalten erreicht: die Entwicklung Macheaths aufmerksam mitzuverfolgen, als auch das Interesse wesentlich auf die Handlungsweise dieser Figur zu legen anstatt auf die Identität, den Charakter. Wesentlich, das wird so deutlich, ist Macheaths Funktion als Charaktermaske, als Personifikation großbürgerlicher Interessen und dem-entsprechender Ideologie.
1 JvgTT z.B. die Rezension in der "Deutschen Freiheit",s.u.


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Die Erzählerkommentare veranschaulichen, daß der Erkenntnisfortschritt im Verlaufe der Handlung gemacht werden soll: "Er hatte eine Vorliebe für große Worte." (778)  Das charkterisiert Macheath ebensowenig wie die Beschreibung seines Rettichkopfes, wohingegen die ausführliche Beschreibung der Art, in der er ein Ei ißt(111 8f.), seine Brutalität, Genauigkeit und Systematik hervorragend verdeutlicht - nachdem Macheath dem Leser schon bekannt ist. Der Typ des eiskalten Geschäftemachers, und ein solcher ist Macheath, nutzt jeweils die Gunst der Stunde, Stimmungen, Wünsche etc.aus(779: den Wunsch der B-Ladenbesitzer, 889s die Forderungen seiner Bande usw.) Nicht er selber erscheint als die treibende Kraft, sondern er macht sich anderer Leute Bedürfnisse zu eigen und ist bestrebt, ihnen zu dienen (z.B. durch den"Dienst am Kunden") In diesen Fällen wird der Politiker hervorgehoben - doch das Handeln Macheaths insgesamt verweist auf die Identität des Politikers mit dem Geschäftsmann. Die eigenen Interessen dürfen also nicht zum Vorschein kommen, sie müssen aber durchgesetzt werden. Dazu dient, wie Macheath es vorführt, die Bereitstellung einer Ideologie, die die wahren Zusammenhänge des Geschäfts verdeckt. Da die geschäftlichen Angelegenheiten oftmals andere Züge als geplant annehmen, wird diese Ideologie auf die jeweils herrschenden Notwendigkeiten zurechtgeschuster t. Das ist möglich, da sie von Anfang an die Wechselfälle des Geschäftslebens integriert.
"EIN MENSCH, DER DREI JAHRE LANG EIN UND DIESELBE ANSICHT HAT, ZEIGT DADURCH NUR, DASS ER SEIT DREI JAHREN NICHT MEHR ZUM SPIEL ZUGELASSEN WIRD."(883) So kann es geschehen, daß Macheath im tiefsten Brustton der Überzeugung jeweils unterschiedliche Ansichten äußert-wenn es dem"Spiel" nützt. Und das besteht aus der Wahrnehm, ung der materiellen Interessen, die verschiedene
Methoden nötig machen:
"WAS IST EIN DIETRICH GEGEN EINE AKTIE? WAS IST EIN


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EINBRUCH IN EINE BANK GEGEN DIE GRÜNDUNG EINER BANK? WAS, MEIN LIEBER GROOCH, IST DIE ERMORDUNG EINES MANNES GEGEN DIE ANSTELLUNG EINES MANNES?"(998) "

Macheath erweist sich hier wie an vielen Stellen als das "spekulative Genie" kapitalistischer Verhältnisse, indem er geschichtsphilosophisch deren Gesetz formuliert."1'
Er kann das nur aufgrund seines Wissens, auf das er nicht ohne Stolz verweist:"ICH WEISS VIEL."(907) Es ergeben sich, da Macheath nicht aus wissenschaftlichem, sondern materiellem Interesse arbeitet, dabei durchaas Korrelationen zu marxistischen Erkenntnissen(z.B.1015)> so daß Grooch bei der o.a. Erkenntnis verblüfft sein muß(998). Denn Macheath beherrscht im Gegensatz zu den Kleingewerbetreibenden die Formen des plumpen Denkens, das nicht nach Ideen und Werten, sondern nach Interessen fragt - und so • werden Interessen gleich für Handlungen genutzt- ohne Rücksicht auf die Folgen, die sich daraus ergeben.Es wird damit egal, ob Macheath selber glaubt, was er sagt. 0-Hara ärgert sich über Macs Hang zur Pose, denn Mac benimmt sich so, "als glaube man selber an seine eigenen Worte? Aber Mac ließ ja nicht einmal, wenn sie unter vier Augen sprachen, diese Maske fallen."(9^-1 f.) Der Erzähler kommentiert an anderer Stelle:"...Macheath glaubte wirklich in diesem Augenblick, was er sagte."(1052) Damit wird zwar offensichtlich die betrügerische Funktion der meisten seiner Reden dargestellt, aber bei einem Menschen, der seine Ansichten so oft wechselt, ist diese Frage belanglos. Wichtig ist, daß Mac bewußt Wissen und Einfluß, Ideologie und Macht in feinem Wechselspiel dazu nutzt, seine Interessen durchzusetzen. Seine Überzeugungen helfen ihm insofern, als sie funktional auf das Erreichen der jeweiligen Ziele gerichtet sind:
"ICH BIN LEIDER NICHT ANSTÄNDIG, KEIN WIRKLICH FEINER MENSCH. ABER ICH SCHAFFE WAS. WENN DIE BANKSACHE UNTER DACH IST, DA WERDE ICH ANSTÄNDIG SEIN, DIESMAL. ES IST SO ANGENEHM, WENN MAN ANSTÄNDIG IST, UND ES SCHADET EINEM NICHT FINANZIELL. ODER WENIG. ODER NÜTZT SOGAR."(825)

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1)Peitsch/Schutte, a.a.O.,S.178.


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Als seine Idee der Werbewoche Chreston zugespielt wird, erdadurch den ersten Einblick in die bürgerliche Geschäftspraxis erhält, formuliert er das Wesen dieser "höheren Sphäre"so :"DIESEN LEUTEN SIND WIR EINFACHEN VERBRECHER NICHT GEWACHSEN, FANNY."(878) Der satirische Effekt, daß ein Verbrecher die bürgerliche Geschäftswelt als ebenso verbrecherisch, aber in höherem Maße, bezeichnet, läßt Macheath in seiner Funktion als Propagandist dieser bürgerlichen Ordnung unbeschadet. Macheath weiß:
"FREILICH IST MIT DER EINFACHEN,NATÜRLICHEN UND SCHLICHTEN STRASSENRÄUBEREI HEUTE NICHTS MEHR ZU MACHEN. SIE VERHÄLT SICH ZU DER KAUFMANNSPRAXIS WIE DIE SEGELSCHIFFFAHRT ZUR DAMPFSCHIFFAHRT."(11 29)
So legt Brecht in der Person Macheath das gemeinsame der verschiedenen Praxen der Ausbeutung bloß. Was als historischer Prozeß von einer niedrigeren zur höheren Qualität erscheint, ist im Aufstieg Macheaths in einer Person ver-einigt:"Für einen Räuber .war er ziemlich gut bürgerlich, aber für einen Bürger war er ziemlich räuberisch."(922)
Die Einheit des Bürgers und Räubers in einer Person wird auch in der Selbsteinschätzung Macheaths deutlich: "ICH HABE MEINE TÄTIGKEIT KLEIN BEGONNEN, IN EINEM ANDEREN MILIEU.SIE BLIEB ABER IM GROSSEN UND GANZEN IMMER DIE GLEICHE."(1H7)
Das Wesen der Tätigkeit Macheaths faßt der Erzähler in einem Satz zusammen: "Man mußte aus seinen Angestellten herausholen, was irgend ging ..."(973- vgl. auch 848) Die Ausbeutung, das Beutemachen, ist also das tertium comparationis zwischen Bürger und Räuber, und in dieser Hinsicht formuliert die satirische Gleichsetzung dieser im Bewußtsein der Leser einander entgegengestellten Tätigkeitsbereiche die Lehre, die Brecht verbreiten will. Deshalb wird auf die zusammenfassende Aufdeckung dieses Sachverhalts im Traum Fewkoombeys-auch so großer Wert gelegt. Deshalb ist dieser Traum als Epilog die Bestätigung der Erkenntnisse,die der Leser in der Verfolgung der Handlungen des Macheath schon mehrfach gewonnen hat. Insofern


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ist die Person Macheath auch nicht als solche interessant (z.B. für eine Charakterstudie des Geschäftsmanns oder dgl.) Denn Macheath formuliert selber mehrfach, daß nicht seine Individualität zu seinen Taten Anlaß ist: "ICH WOLLTE NUR IMMER DEM ARMENHAUS ENTGEHEN."(11/f8) Daß es die Verhältnisse sind, die bürgerliche Gesellschaft selber, die ihn zu Entscheidungen treiben, wird auch aus der Handlung deutlich: Die Entscheidungsschlacht gegen Chreston kann zunächst nicht stattfinden, da die Lager der ZEG leergeräumt sind, so daß die objektive Notwendigkeit für neue Pläne besteht. Macheath ist aufgrund seiner Stellung sowohl in der Lage als auch gezwungen, diese Pläne zu entwickeln (921). Sie laufen darauf hinaus, die Warenzufuhr zu verlangsamen und zu stoppen, da Macheath aus der Not eine Tugend macht. Auf die Frage, ob Mac Aaron hängen lassen wolle, antwortet er:"Was heißt, ich will? Ich muß!" 932) Die Zwangslage, in der Mac sich befindet, wird auch dadurch verdeutlicht, daß der Erzähler kommentiert:
"Wie vielen großen Männern graute ihm vor seinen eigenen Entschlüssen, wenn sie ausgeführt werden mußten."(925) Dem entspricht das Napoleon-Zitat: "On s'engage et puis on voit."(392) Dieses Motto verdeutlicht die Unabsehbar-keit menschlicher Handlungen und ihrer Folgen in der Anarchie der kapitalistischen Ökonomie, die nahezu zwangsläufig zu Vorstellungen wie dem Sozialdarwinismus führen muß(vgl.u. TEILV 2)) Macheath ist also konsequenter Durchsetzer der objektiven Notwendigkeiten, die sich aus der kapitalistischen Geschäftspraxis ergeben.Im Gegensatz zu den kleinen Geschäftsleuten weiß er um diese Zwänge und nutzt sie für seine Interessen aus. Seine Konsequenz erwächst aus seinem Wissen um die Konkurrenz und ihre Folgen. Hin und wieder formuliert er dieses Wissen - und so läßt Brecht den Leser daran teilhaben, sofern dieser nicht schon aus dem Verlauf der Geschäfte diese Erkenntnisse gewinnt. In dem, was Mac gegenüber den Kleingewerbetreibenden vertritt, kann er das nicht formulieren, was er selber weiß. Er muß lügen, muß eine Sprache der Werte und nicht der Interessen sprechen, um eben seine Interessen durchzusetzen.


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Brecht legt Macheath Sätze in den Mund (er läßt ihn z.B. von Moralität im Kleinhandel sprechen), die mit seiner Praxis unvereinbar sind.Da Macheath, indem er z.B. zu den Kleingewerbetreibenden spricht, nicht nur redet, sondern zugleich handelte denn seine Ideologie ist Bestandteil seiner Pläne und seiner Praxis), wird in einer Person die Trennung zwischen bürgerlicher Praxis und bürgerlicher Ideologie aufgehoben. Die objektive Unfähigkeit der Bourgeoisie, die Gesetzmäßigkeit ihres Handelns auch auszusprechen, wird so von Brecht satirisch aufgezeigt. Daß es also eine der Bourgeoisie und also auch dem Faschismus innewohnende Notwendigkeit zur Ideologieproduktion gibt, und daß diese Ideologie die Verhältnisse notwendig falsch darstellen muß, erkennt der Leser ebenso wie die Wahrheit dieser Verhältnisse. Diese wird sowohl von den Figuren verdeutlicht als auch durch die Handlung, und insofern wird den Bourgeois zu den Worten verholfen, die ihnen sonst fehlen. Die Wahrheit dieser Verhältnisse läuft darauf hinaus, daß "die Unfähigkeit der Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie/ N den Staat ordentlich zu ver-
1"}                                 ^ *
walten"  , aufgezeigt wird, und damit die Notwendigkeit
eines Umsturzes zugunsten der Ausgebeuteten. Darin liegt, angesichts der Aufgabe, die der Roman haben mußte (die bürgerlichen Antifaschisten zusammenzuschließen), das Problem. In einer brieflichen Diskussionmit Korsch(?) orientierte er auf eine "staatliche form, die auf grund dieser wahrhaften, radikalen, elementaren Umwälzung sich ergeben wird", sie "kann eine demokratie sein - sofern man das wort weitergebrauchen will, nachdem der inhalt jedenfalls grundsätzlich gewechselt hat." Gemeint ist eine "Umwälzung der materiellen Produktion" ', aber die Auswirkungen auf den überbau, auf die Moral und das Bewußtsein der Menschen ist mit gemeint. Indem die Moral, Ideologie und Handlungsweise des Macheath so wie im "Drei-groschenroman" dargestellt werden, kann die Alternative nur im Sozialismus liegen. Damit entspricht der Roman Brechts Insistieren auf der Frage der Eigentumsverhältnisse, deren Änderung allein die Abschaffung der Barbarei ermögliche.

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1)BBA 1386/Mt Brecht an Brentano.Ende Dez.33.Brentano solle 2)BBA 2181AO Brecht an Korsch(?) ,o.D.    darüber schreiben,


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d) Sein und Bewußtsein des kleinen Mannes im "DreigrE>schen-roman"
Wenn auch Peachum und Macheath die Protagonisten im "Dreigrosahenroman" sind, die Handlung durch sie und die sie treibenden Gesetze des Kapitals vorwärtsgebracht wird, nimmt doch die Schilderung des Elends des kleinen Mannes und seines Bewußtseins einen nicht unerheblichen Raum im "Dreigroschenroman" ein. Sofern das Bewußtsein der Kleinbürger nicht durch Erzählerkommentare, Macheaths Gedanken usw.,dargestellt wird, wird am ehesten den B-Ladenbesitzern unter ihnen Stimme verlieben. Schon das deutet die Verzahnung zwischen dem Handeln und der Moral der Kleinbürger einerseits mit den Strategien der Kapitaleigner andererseits an, die Brecht gestalten wollte. Anhand der B-Ladenbesitzer, die ökonomisch und bewußtseinsmäßig als von Macheath abhängig vorgeführt werden, kann dieses Verhältnis am besten gestaltet werden.
"Daß kleinbürgerliche Ideologie und Verhalten gerade an einer Gruppe kleiner Gewerbetreibender dokumentiert werden, zeigt die Beobachtungsgabe Brechts. Tatsächlich erwies sich dieser Berufszweig auch in der Realität aufgrund seiner erbärmlichen wirtschaftlichen Situation als besonders anfällig für faschistische Ideo-logeme." '
Die prinzipielle Organisation der B-Läden erfahren wir schon ganz zu Beginn(779): Die B-Ladenbesitzer sind offensichtlich in der Hand von Macheath: weder gehört ihnen der Laden, in dem sie arbeiten, noch die Einrichtungen, noch sind sie frei in der Wahl ihrer Lieferanten und des Verkaufspreises. Diese Abhängigkeit wird im Verlaufe der Handlung durch den Lieferstop für die ZEG-Waren drastisch vorgeführt. Brecht gestaltet also eine grundlegende politische Überzeugung in Bezug auf die Kleinbürger: die ten-
1 )Boie-Grotz, Kirsten:Brecht** der unbekannte Erzähler. Die Prosa 1913-193/f. Stuttgart 1978(= Literaturwissenschaft- Gesellschaftswissenschaft 38), S. 194.


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denzielle Proletarisierung des Mittelstandes, die nicht durch das Proletariat erfolge, sondern durch die alle
Geschäfte durchdringende Konkurrenz, mithin also durch die wirtschaftlich Mächtigen. Somit besteht objektiv von Seiten der B-Ladenbesitzer ein Interesse, sich gegen Macheath, gegen die Abhängigkeit von seinesgleichen und für ein Zusammengehen mit dem (im Roman kaum auftretenden) organisierten Proletariat einzusetzen. Eine derartige Konstellation wird jedoch im "Dreigroschenroman" nicht gestaltet. Allein in diesem Umsatnd drückt sich schon Brechts Sicht der Verhältnisse im nationalsozialistischen Deutschland aus: die Mittelschichten waren, wie Brecht mehrfach beschreibt (s.o.), eher eine Stütze des Regimes als ein Gegner. Doch liegt die Funktion der Darstellung der Haltung der B-Ladenbesitzer und ihresgleichen nicht darin, eine Zuständs beschreibung der deutschen Verhältnisse künstlerisch zu gestalten.
Vielmehr geht es Brecht um die Analyse dieser Situation, was sich im "Dreigroschenroman" in der intensiven Darstellung des Verhältnisses zwischen objektiver ökonomischer Lage und Bewußtssein und dem daraus resultierenden Handeln bzw. Nichthandeln ablesen läßt. Wie schon dargestellt, besteht ein objektives Interesse der B-Ladenbesitzer, sich gegen Mac zu wenden. Außerdem besteht aber ein anderes, dem entgegenstehendes Interesse: Mac kann in seinen Ansprachen an die B-Ladenbesitzer auf ihren Wunsch nach Selbständigkeit bauen(778), ein Interesse, daß mehrfach im "Dreigroschenrpman"betont wird und das sogar das erstgenannte Interesse überdeckt. Aufgrund der Unkenntnis der Gesetze des Geschäftemachens wird der Wunsch nach Selbständigkeit unterstützt von dem Glauben an die eigene Tüchtigkeit. Dieser Glauben, das zeigt Brecht vielfach auf, braucht nicht von Macheath oder anderen Ideologieproduzenten eingeimpft zu werden, sondern entspricht dem Interesse dem Interesse der Kleingewerbetreibenden an der Verwirklichung ihrer Persönlichkeit. Der Wunsch nach Ausdruck der Individualität wird abgesetzt von der"öden Gleichmacherei"(779), der z.B. Arbeiter


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unterworfen sind. Darauf kann Macheath aufbauen, denn:
"Wie die Geschichte zeigt, haben gerade diese Schichten eine Schwäche für Weltanschauungen, die es gutheißen, wenn der Starke über den Schwachen triumphiert."(935) Brecht gestaltet so künstlerisch ein marxistische Erkenntnis über das Wesen des Powußtseins, die sich in etwa so zusammenfassen laßt: Aus der Tatsache, daß die erscheinende Wirklichkeit Doppelcharakter besitzt, zugleich unmittelbare Empirie und Schein ist,sich also das Wesen einer Sache oder eines Verhältnisses nicht aus der unmittelbaren Betrachtung ergeben kann, folgt die Enstehung falscher Bewußtseins formen, und, darauf aufbauend, Theorien, die sich zur Wirklichkeit apologetisch verhalten. Das gilt insbesondere für das KapitalVerhältnis, wie Marx am "Fetischcharakter" der Ware im"Kapital" aufzeigt. Unter den Bedingungen des Klasseninteresses, das bei den B-Ladenbesitzern widersprüchlich ist, müssen also notwendig falsche Bewußtseinsmomente entstehen. Dieses Bewußtsein zu verändern-zugunsten einer bewußten Parteinahme gegen den Kapitalismus und Faschismus, so wird im "Dreigroschenroman" vorgeführt, stößt also auf objektive Probleme. Brecht betonte auch in den theoretischen Überlegungen, daß es die Marxisten objektiv schwer haben, zu den Kleinbürgern zu sprechen(s.o.). Diese Analyse des Bewußtseins der Kleinbürger im "Dreigroschenroman" trägt also direkt funktionalen Charkter in Bezug auf den Kampf gegen den Faschismus. Ihre Darstellung erfolgt sowohl über die Reden der B-Ladenbesitzer selberC z.B. wird die Unkenntnis über die Gründe der Krise der B-Läden vorgeführt - 1023- in Verbindung mit dem Sozialdarwinismus in der Form des Schicksalsglau-bens), in der Konfrontation ihres Bewußtseins mit der Realität der Geschäfte( die dem Leser immer besser bekannt sind als den B-Ladenbesitzern), und über Erzähler- und Figurenkommentare. So sagt Peachum: "JEDERMANN WEISS, DASS DIE VERBRECHEN DER BESITZENDEN DURCH NICHTS SO GESCHÜTZT SIND, WIE DURCH IHRE UNWAHRSCHEINLICHKEIT."(949)Dem Kleinbürger^ der der Vermassung die Individualität entgegenstellen will, dem sozialen Elend seine Tüchtigkeit gegen-


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überstellt, der also durch Hoffnung auf ein besseres Leben sich selber den Blick verstellt über die Realität, diesem Kleinbürger fällt es schwer, in den Vorbildern, den Menschen, die "es zu etwas gebracht haben", nur Verbrecher zu sehen. Sie träfen damit sich selbst, ihre Zukunftsvorstellungen und Ideale. Das "plumpe Denken"(949 f.)» das Peachum beschwört, also die Voranstellung der materiellen, unmittelbaren Interessen, das die B-Ladenbesitzer selbst nicht benutzen(wollen und können), wollen sie erst recht nicht den Personen zuschreiben, die sowohl ihre Leitbilder sind als es auch so wie Macheath verstehen, in ihrer Sprache zu reden. Damit entsteht der Nährboden für Macheaths Ideologie. In der Gesamtheit stellen sich dann die Hauptzüge ihres Denkens und Seins so dar: "- die Läden sind Eigentum Macheath1 und gehören also nicht denen, die drin schuften ...
- die 'Besitzer' werden vielmehr von M. und der ZEG rücksichtslos ausgebeutet, die B-Läden heißen auch 1Betrugs-Läden*...
- entsprechend sind sie wahre Schattengestalten mit allen Anzeichen der äußersten Verelendung
- sie sind verschuldet..., wirtschaftlich zerrieben von der Konkurrenz der größeren Unternehmen
- sie GLAUBEN, frei und selbständig zu wirtschaften (Illusion der Selbständigkeit'als Urtrieb')
- sie VERTRETEN einen sozialdarwinistischen Standpunkt (Lob von Fleiß und Tüchtigkeit)...
- sie GRENZEN SICH AB gegen Arbeiter, Juden und Kommunisten.. .; ihr STOLZ macht sie(noch) untauglich für eine Angestelltenrolle
- sie DENKEN, sittliche Motive seien 'höherwertig' als wirtschaftliche...
- sie HALTEN DAFÜR, daß wirtschaftlicheKatastrophen Naturkatastrophen sind...."

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1) Peitsch/Schutte, a.a.O.,S.182.


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Brecht leistet mit der Darstellung des Verhältnisses zwischen Sein und Bewußtsein der B-Ladenbesitzer mehr als nur die Kritik an der Unangemessenheit der Vorstellungen der Kleinbürger gegenüber der Realität. Den Erzähler läßt er anführen:
"Da sie von den Agenten des Herrn Macheath an die Luft gesetzt würden waren, war ihre SELBSTÄNDIGKEIT noch gestiegen. Ihre UNABHÄNGIGKEIT hatte ein schier unerträgliches Maß erreicht, sie waren nicht einmal mehr an feste Wohnungen gebunden. Durch EIGENE TÜCHTIGKEIT waren sie bis zu Körpergewichten von hundert Pfund abgemagert."(9^-2, vgl. auch 1071) Brecht stellt zudem klar, daß die Mentalität der Kleinbürger den Interessen der großen Geschäftemacher entspricht. Das Ziel der satirischen Kritik an den Bewußtseinsformen der Kleinbürger ist also nicht allein darin zu erblicken, daß sich der Leser von derartigen Vorstellungen auch löst, sondern daß sich dieser der Hauptrichtung des Kampfes gegen den Kapitalismus und seine Verfechter bewußt wird. Nicht die Kleinbürger^ nicht die Mittelschichten werden als Gegener angegriffen, sondern der Imperialismus, die Bourgeoisie.
Der "Dreigroschenroman" steht als veröffentlichtes Werk in dieser Hinsicht durchaus in Gegensatz zu den Konsequenzen mancher unveröffentlichter Überlegungen Brechts über das Wesen des Faschismus(s.o.).So wird Brecht schon 1 93^f der später formulierten Volksfrontstrategie gerecht.
 

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1)Bloch nennt dieses Verhältnis"Ungleichzeitigkeit", vgl.:Bloch, Ernst: Erbschaft dieser Zeit. In: ders. Gesamtausgabe Bd.Jf. Frankfurt/Main 1962 vgl. dazu die Kritik Mittenzweis in:Exil in der Schweiz, a.a.O., S.H5 ff.


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2) Der Traum des SoldatenFewkoombey
Der Traum Fewkoombeys als Schlußkapitel des "Dreigroschenromans" hat in der Sekundärliteratur und in Rezensionen (s.u.) vielfache Aufmerksamkeit gefunden. Er beendet einen satirischen Roman, dessen Aktualität und Realitätsnähe- mit Ausnahmen- als bedeutend erkannt werden, in der Form der Vision eines Gerichts. Angesichts der Tatsache, daß dieser Schluß so nicht vorgesehen war (s.o.), und der Vermutung, Brecht habe als Marxist aus historischem Optimismus oder, um "die Genossen mit ihrem bornierten Realismusverständnis" zufriedenzustellen, das sozialistische "i-Tüpfelchen" auf den Roman gesetzt, läge der Schluß nahe, mit dem Traum sei die Weltrevolution gemeint. So beklagen Rezensenten
sich über die "Aufgesetztheit" des Schlußkapitels  ,
2) oder sie ziehen daraus falsche Schlüsse  . Auch wenn
die Aussage Brechts, nach dem Faschismus könne nur der Kommunismus kommen(s.o.), auf eine derartige antifaschistische Intention des Traums hindeuten könnte, kommen wir zu einem anderen Ergebnis, wenn wir den Traum im Gesamtkontext des "Dreigroschenromans" untersuchen:
1)so z.B. Reich im Brief an Brecht(s.u.), oder Schlen-stedt:"Im träumerischen Vorausgriff wird hingewiesen auf einen nötigen Eingriff in den historischen Prozeß
.i selbst, auf die Weltrevolution"..."Der Schluß ist problematisch- das Problem liegt in der Realität selbst." Schlenstedt:Das Demonstrandum des Dreigroschenromans, a.a.O.,S. 167 f.
2)Hüller,Klaus-Detlef:Die Funktion der Geschichte im Werk Bertolt Brechts.a.a.O.S.75:"Kurz vor seinem Tode hat Fewkoombey einen Traum, der strukturell und gehaltlich den Höhepunkt des Romans bildet: die Vision des Weltgerichts... Er(Fewkoombey,A.II.) verurteilt Christus als Autor des Gleichnisses und damit letztlichen Begründer des kapitalistischen Systems zum Tode, ebenso alle, die das Gleichnis verbreitet und alle,die es schweigend angehört haben; das bedeutet eine Aufhebung des Systems und ist so gemeint. Die Traumlogik ist radikal, die Vision des Weltgerichts erweist sich als Vision der Weltrevolution..."   S.76:"So stehen auch hier in Romanhandlung und Traumvision Revolution und Faschismus als logische und verbrecherische Lösung des verschärften Klassankanrofes nebeneinander, und der bezeichnete Augenblick läßt sich als das Ende der Vorgeschichte in das marxistische Geschichtsschema einordnen." vgl. auch Brandt, Helmut, a.a.O., S. 2?1.


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Zunächst einmal ist darauf zu achten, daß der Traum Fewkoombeys durchaus nicht der einzige Traum im "Drei-groschnroman" ist, sondern der letzte und längste einer Anzahl von Träumen verwandten Inhalts. Es handelt eich dabei um eine künstlerische Technik zur Darstellung von Bewußtseinsinhalten. Auch wenn die Trauminhalte meist aus dem erzählten Geschehen herausfallen, nicht der Realität der Romanwelt entsprechen, haben die Träume dennoch durchaus in Romanhandlung und satirischer Erzählweise ihren Platz. '
So malt sich Polly gleich auf den ersten Seiten des Romans in ihren Träumen erotische Abenteuer aus, deren Verwirklichung-als ihrem Kalkül widersprechend-sie jedoch ablehnen muß. Als sie einen derartigen Traum (den sie später verwirklicht, da "sexuelle Gründe dafür sprachen"-989 und keine Entdeckung droht) ihrem Mann Macheath beichtet, nimmt dieser den Traum aufgrund seines Wissens um das Bewußtsein, das zu entsprechenden Handlungen führen kann, sehr ernstC96l). Macheaths eigener Traum von der Erziehung"seines"Sohnes nimmt sich dann auch eher wie einer seiner Plane aus(907). Die geplante Abtreibung des Kindes wird zeitweilig verhindert, da Polly und ihre Mutter zunächst tief bewegt ein "filmisches Kunstwerk" verdauen müssen, in dem eine Mutter in einer Vision ihr gestorbenes Kind erblickt und ihrer moralischen Pflichten gewahr wird(1049).
Schon an diesen Träumen wird erkennbar, daß Brecht nicht Realität gegenüber einer "verkehrten Welt" des satirischen Romans gestalten wollte, sondern daß die Träume integraler Bestandteil der Erzählung sind. Sie sollen ebenso Bewußtseinsinhalte der in der Romanhandlung agierenden Personen darstellen wie die Reden und Sentenzen, die ja immerhin auch zuweilen vom Erzähler den Personen in den Mund gelegt werden, ohne daß sie explizit von diesen ausgesprochen werdenCz.B. Few-koombey S.804). Und zu diesen Bewußtseinsinhalten

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1)Fischetti hingegen meint(S.213):"Mit dem Schlußkapitel sprengt Brecht den satirischen Rahmen und geht über die ursprüngliche Absicht der reinen Negation hinaus."
2)5.754


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gehört in einer imperialistischen Realität auch eine - wie auch immer sie aussehen mag- alternative Vorstellung einer anderen Welt oder zumindest der Veränderung der Realität. Im "Dreigroschenroman" nimmt aufgrund der Brechtschen Wirkungsintention die Vorführung dieser Hoffnungen einen nur geringen Stellenwert ein - es ging Brecht um die Analyse der bestehenden sozialökonomischen und ideologischen Verhältnisse. So wird der Leser einzig mit den den handelnden Figuren entsprechenden Träumen "bekannt gemacht, und seitens Peachums, Browns, Pollys oder Macheaths können diese Träume nur in dem Wunsch nach Erhaltung der bestehenden Verhältnisse und der Angst vor der Veränderung bestehen. Brecht gebraucht in der Beschreibung der Angstträume dieser Herrschaften das Bild der Wassermassen, der See, die sich unaufhaltsam über das Bestehende ergießt und es wegreißt.
Browns Traum vom Elend, das in breiter Welle auf die schlummernde Stadt zumarschiert, entspricht Browns Bewußtsein.(1110 f.) Die Aussage:"Das füllt ja alles wie Wasser, das geht durch alles durch wie Wasser, es hat ja keine Substanz (1110) symbolisiert sowohl die Ahnung der Unaufhaltsamkeit eines formierten "Elends" als auch die Erkenntnis, daß zur Zeit das Elend substanzlos ist, für Brown nicht als formierte Kraft ersichtlich - was auch der Realität des Romans entspricht.
Peachums Gedankengänge laufen in dieselbe Richtung. Nachdem er .das Elend selber formiert hat (Bettlerdemonstration) und sich dieser Entschluß nun zu seinen Un-gunsten entwickeln kann, bleibt ihm nur die Hoffnung, der alles verschwommen machende Nebel werde die von den Bettlern getragenen Tafeln mit den Anklagen unsichtbar machen - und die Angst:" Alle sind hier voller Optimismus. Sie wissen nicht, was über ihnen schwebt, kennen die Tafeln nicht, die auf sie zuschwanken.Ach." (1138) Die in diesem Falle echte Gefahr soll durch den Einsatz des Militärs gebannt werden. Doch auch das


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Militär ist unfähig zu handeln wegen des Nebels. Es ist Öie Aufgabe der Soldaten, "ihre ertrunkenen Kameraden vor den Ausschreitungen des Pöbels(zu)beschirmen, nicht vor den Ausschreitungen der Wassermassen".(1140)
Der Pöbel, die organisierten Bettler, das Elend entsprechen der Romanrealität, das Bild der Wassermassen ist ihr Pendant in den Träumen.
So ist es auch bei Polly: sie träumt, daß ihres Vaters Haus "im Meere unterging, so daß die Meeres-r fluten durch die Türe kamen"(854 f.). In den Träumen eines Küchenmädchens(945 f•) zerstört ein Schiff die Stadt, die "Herren" werden getötet - alle - und das Schiff nimmt das Küchenmädchen auf und entschwindet. Das ist offensichtlich nicht die Vision einer Weltrevolution, sondern ein Traum der Rache, in dem der Kampf stellvertretend für das Küchenmädchen und damit für die Unterdrückten von der Besatzung des visionären Schiffes ausgefochten wird. Dieser Traum entspricht etwa dem des Fewkoombey.
Dieser ist bewußtseinsmäßig immerhin weiter als Mary Swayer. Diese ist nicht einmal - angesichts ihrer Lage - dazu fähig, sich in ihren Träumen einen Rachefeldzug gegen Macheath oder dgl. auszudenken:
"Wenigstens träumen möchte ich es, wie ich ihn bestrafe für seine Gemeinheit. Ich will immer, das ich gerade das träume, aber ich träume es nie. Ich bin nachts zu müde."(950f.) Fewkoombey gebraucht schon hier die Metapher des Talents, das die einen im Übermaß, die anderen nicht haben. Diese müssen sich demzufolge "doppelt und dreifach nützlich machen"(952). Das ist die Moral, die er der Swayer predigt und für die er sich - im Traum - selber verurteilt. Sie in der Realität zu überwinden, fehlt ihm die Kraft und das Wissen. Er verurteilt sich im Traum zu Tode, die Justiz der Peachums und Macheaths verurteilen ihn in der Realität.        Da Brecht in der Beschreibung des Traums Wert darauf legt, daß erkannt wird, daß Fewkoombey nicht vom Jüngsten Gericht träumt, nicht


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"vom Ende aller Zeiten"(1152), sondern vom Beginn des "wirklichen Lebens"(1152), liegt der Schluß nahe, daß es sich um ein geträumtes irdisches Gericht handelt. Es beschäftigt sich nach dem Tag des Triumphes mit den Ursachen des Elends(also kann es sich nicht um eine Weltrevolution handeln - \venn überhaupt davon die Rede sein kann, hat diese schon stattgefunden im Traum). Damit steht dieses Gericht in der Tradition der von Brecht verwendeten Kriminalromantechnik, die den Leser an der Aufklärung von Verbrechen teilhaben läßt. ' Der Leser- und es ist ja nicht der Marxist als Leser angesprochen- erkennt die Beschaffenheit des Zusammsn-hangs zwischen Ausbeutung und Ideologie besteht und erhalten wird, wenn er es nicht schon aus dem gesamten Romangeschehenvorher erkannt hat.
Fewkoombey erkennt nur im Traum, und erst in der Zeit, in der man mit der Roheit keine Geschäfte mehr macht(1152). Im Gegensatz zu Fewkoombey sind die Lösungen für den Leser sofort handhabbar. Er braucht sich nicht zum Tode zu verurteilen, wenn er die Schlüsse aus dem "Dreigroschenroman" zieht. Gerade der "Dreigroschenroman" ist ein Beispiel für ein Buch, das
weiterhelfen kann. Die Bücher stehen also nicht auf
?\ "der Seite des Gegners"  , und das gilt auch nicht für
die vierzig Bände der Britischen Enzyklopädie. Es gibt nur, so führt Brecht vor, Unterschiede in der Handhabbarkeit des Wissens, aber Brecht spricht nicht gegen das Wissen überhaupt oder gegen die Intellektuellen.
Die Funktion des Traums ist also nichts weiter, als eine Zusammenfassung der wichtigsten im"Dreigroschen-roman" vorgeführten Erkenntnis zu geben(deshalb auch die epilogische Form) .Daß der Mensch des Menschen Pfund ist, und daß sich aus dieser unmenschlichen gesellschaftlichen Formation heraus sowohl die Geschäfte als auch

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1)vgl.Goebel, a.a.O.,S.79.
2)Buono,Franco: Die drei Kongresse der Tuis oder Brecht und die Intellektuellen.-In:Brechts Tui-Kritik,Karls-_. ruhe 1976(=AS 1l),S.55.
-?' vgl.Boie-Grotz,a.a.o.,S. 1 98 ,


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die Roheit ergeben. Und es entstehen die faschistischen Bewußtseinsmomente als notwendige Bestandteile der all-
gemeinen-auf der Wolfsmoral der Geschäfte basierenden-Ideologie sowohl der Ausbeuter als auch der Ausgebeuteten. Aus dieser Erkenntnis Schlüsse für das eigene Handeln zu ziehen, ist entsprechend den politischen Aufrufen Brechts, der bündnisstiftende Appell an den Leser. Nicht um eine Verurteilung des bürgerlichen Intellektuellen handelt es sich demzufolge, sondern um eine Bereicherung und Nutzbarmachung des Wissens des Intellektuellen Lesers. Buono versucht zu beweisen, daß Brecht den Fewkoombeys -also den Entrechteten etc.-
den Schluß aufgezwungen habe, " daß die Repräsentanten der Kultur ihrem Kampf feindlich gesonnen sind" ' Buono stützt sich dabei allein auf die Episode, in der der Richter Fewkoombey die "vermeintlichen Verbündeten" (= vierzig Bände der Encykl opädie Britannica) zur Aufhellung seines Wissens herbeizitiert, jedoch keine erschöpfende Auskunft erhält. Aber es treten auch Kleinbürger auf, auch Lehrer und Dienstmägde - und keiner kann eine erschöpfende Auskunft geben.Es handelt sich also offensichtlich nicht um eine alleinige Verurteilung der Intellektuellen, und Fewkoombey schlußfolgert auch durchaus nicht, "die 'Wissenden1(seien,A.Hr)dem Kampf der Armen feindlich" gesonnen. Es wird einzig festgestellt, daß die Geschichtsbücher und Biographien nicht genügen, also um die Lohnlisten ergänzt werden müssen.^' Brecht eine generelle Verurteilung der "Wissenden"zu unterstellen, kann also nicht bewiesen werden.Aber auch die Intention würde völlig den Brecht-
schen Aktivitäten für ein antifaschistsiches Bündnis widersprechen. Das bekannte Zitat Lenins^' war Brecht sicherlich bekannt bei der Abfassung des Traumkapitels:
1)ebenda,  S.55. 2)ebenda,S.55.
3)"Dreigroschenroman"S.1165.
4)Lenin,W.I.:Was tun?-In:ders.Werke Bd.5,Berlin 1973,S. S.529f. Lenin zitiert selber Pissarew.


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"Der Zwiespalt zwischen Traum und Wirklichkeit ist nicht schädlich, wenn nur der Träumende ernstlich an seinen Traum glaubt, wenn er das Leben aufmerksam beobachtet, seine Beobachtungen mit seinen Luftschlössern vergleicht und überhaupt gewissenhaft an der Realisierung seines Traumgebildes arbeitet. Gibt es nur irgendeinen Berührungspunkt zwischen Traum und Leben, dann ist alles in bester Ordnung." Fewkoombey träumt jedoch nur, und erträumt nicht vom Weg zu dem Gericht, in dem er den Vorsitz hat, "weil niemand einen Träumer davon abhalten kann zu siegen..."
wie der Erzähler ironisch kommentiert. Fewkoombey ,_
träumt von der Erkenntnis, die er in einem derartigen
Gericht gewinnen könnte. Insofern kann einzig der Leser angesprochen sein, Ideal und ?/irklichkeit zu beobachten und seine Schlüsse zu ziehen. Der "Drei -
N
groschenroman ist dazu Denkhilfe in der Form gemachter Beobachtungen, künstlerisch verarbeitete Realität. Er repräsentiert weder Ideal noch Wirklichkeit. Der Traum
zählt zum Modell hinzu, ist Teil der Satire. •
Da jedoch nicht dem Publikum der Vorwurf gemacht
werden kann, das nicht erkannt zu haben(weil vom Marxisten Brecht eine direkt kämpferische Aussage gewünscht und in den Traum Fewkoombeys hineininterpretiert wurde), stellt sich trotz alledem die Frage, ob nicht diese Fehlinterpretation zu umgehen gewesen wäre.Denkbar wäre es ja auch, daß Macheath in einem
Anflug von Realitätssinn - den er ja hat- diese Aussage -*•
des Traums im Epilog hätte machen können. Eine gewiß hypothetische Alternative, aber sie zeigt nochmals auf, welchen Stellenwert der Traum hat.




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TEIL V
1) Faschismus und faschistische Ideologie im "Dreigroschenroman"
v^-
So, wie Ereignisse und Ideologeme verschiedener
Epochen im "Dreigroschenroman" zusammenmontiert sind, um das Klaseenwesen des Imperialismus bloßzustellen, finden sich im Roman Anspielungen auf die Geschichte des deutschen Faschismus und seine Ideologie.
"Der Roman verzichtet zwar darauf, eine Faschismusdarstellung in struktureller Analogie zu leisten, er zeigt seine Ideologie jedoch in ihren genetischen Zusammenhängen, ihrer Funktion und Wirkung und erfüllt damit gerade auch eine Forderung Brechts in den Notizen des Jahres 1932: denSchwerpunkt nicht auf die "essentielle" Darstellung des Wesens gesellschaftlicher Vorgänge in ihrer Totalität zu richten, sondern eine operative Darstellung jener Zusammenhänge zu geben, die an ehesten das Verhalten des Lesers beeinflussen könnten."
Insbesondere Macheath hat Züge des faschistischen Führers, jedoch sind die Anspielungen über den gesamten Roman verteilt, die Ideologieproduktion ist nicht allein auf Macheath beschränkt. Ausgesprochen faschistische Ideologeme sind:
- Der Antisemitismus. Macheath verbreitet diese Ideologie unter den B-Ladenbesitzern, indem er ihre Lage als von jüdischen Banken hervorgerufen charakterisiert (83^-)» was Mac jedoch nicht hindert, sich mit einem fetten Heren "von sehr jüdischem Aussehen"(Aaron) zusammenzutun(895). Peachum befürchtet Ungutes für Mac: "NUR EINES HÄTTE HERRMACHEATH NICHT TUN SOLLEN: SICH MIT DEM JUDEN AARON EINLASSEN"(1071). Der Antisemitismus nimmt nur sehr geringen Raum im "Dreigroschen roman"ein, da Brecht in diesem Ideologen zu dieser Zeit wohl keine wesentliche Rolle sah.
- Der Führerkult. Ilehrfach wird auf Macheaths Führernatur verwiesen.(889,928,935,1 121)
1)Boie-Grotz, a.a.O., S. 197 f.


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- Die Volksgemeinschaft. Zum einen wird auf diesen Begriff verwiesen in der andauernd gepredigten Notwendigkeit, Opfer zu bringen(855> 905, 936, 941 u.a.), was den Zusammenhalt der B-Ldenbesitzer z.B. mit Mac sichert, zum anderen wird auf die Ablehnung von Parteien und Parlamentarismus verwiesen(1108).
Ereignisse aus der Geschichte des deutschen Nationalsozialismus v/erden auch angesprochen:
- Die Besuche und das Einstehen Hitlers für verhaftete Nazis (889).
- Die Verbundenheit mit den Kämpfern der "Bewegung", die von den Leitern der NSDAP zur Schau gestellt wurde (u. a. 934).
- Der Reichstagsbrand v;ird nach Westminster verlegt(950).
- Die "Treue" Hindenburgs zu verschiedenen Staatsformen wird durch die Satire als Opportunismus bloßgestellt (977f.).
- Görings Verhalten im Reichstagsbrandprozeß gegenüber Dimitroff wird angesprochene 1 009).
- Der Terror der SA-Banden wird unter dem Stichwort Ordnungssinn (1085) dargestellt.
- Im Kapitel "Säuberungsaktion" wird auf die dauernden Fraktionskämpfe in der NSDAP verwiesen (SA-Flügel, Strasser- Flügel).
- Da es sich um die letzten Seiten des Romans handelt, die also erst kurz vor der endgültigen Drucklegung im August 1934 geschrieben worden sein werden, ist es wahrscheinlich, daß der"Röhm-Putsch" vom 1.Juli 34 bei Macheath Gedanken(1099) gemeint ist. Indizien dafür wären auch die Stichworte "Unmoral" und "älteste Kameraden".
- Der Verweis auf die Staatsführung unter Ausschaltung der Parteien und des Parlaments(1008f.) bezieht sich eindeutig auf die Staatsführung der Nazis.
- Der Hinweis auf die Festungshaft Hitlers 1924 ist ebenfalls eindeutig:"Ich bin selber auch gesessen. FÜR DIE SACHE."(1126).



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Weitere Anspielungen auf den Faschismus finden wir in der Wortwahl, die auf oft benutzte Ideologeme und Schlagworte der Nazis hinweist: "Herrenrasse"(854)»"Dutzend-Mensch" VKleingläubige","Meckerer und Miesmacher"(904)> "friedlicher Kampf","gesund denken","Rad der Geschichte" (1000),"opferfreudige Arbeit"*Genügsamkeit"(905),"Verbundenheit auf Gedeih und Verderb»(928),"Schicksalsfrage"(9VI), "zerschmettern'^986), "fanatisch"( 1025) '»'Ordnungssinn'1 (1 085)» Parlament als "schwatzbude"(1108),"Untermenschen"(l109).
Victor Klemperer wies an zahlreichen Beispielen auf, daß die Sprache des Faschismus nicht isoliert betrachtet werden kann, insbesondere, da viele Ausdrücke aus dem Ausland und der Vergangenheit übernommen wurden.
Wortschö '.pfungen waren selten, zumeist wurde durch die Nazis der Wortschatz nur verändert:
"Aber sie (die nazistische Sprache,A.H.) ändert Wort-wert und Worthäufigkeiten, sie macht zum Allgemeingut,
was früher einem einzelnen oder einer winzigen Gruppe gehörte... und in alledem... macht sie die Sprache ihrem
fürchterlichen System dienstbar, gewinnt sie an der Sprache
1) ihr stärkstes, ihr öffentlichstes und geheimstes Werbemittel."
Was hier über die Sprache gesagt wird, gilt gewissermaßen auch für die anderen angeführten Ideologeme: Der Antisemitismus baute auf Rassismus, dieser wieder auf sozialdarwinistischen Vorstellungen auf. Auch der Führerkult konnte nur auf dem weit verbreiteten Sozialdarwinismus entstehen, und die Ideologie der Volksgemeinschaft
basierte auf tradierten Vorstellungen von der Verantwort-
••-
lichkeit der Staatsführung für das Gemeinwohl, also auf der idealistischen Geschichtsauffassung und der Unkenntnis der Interessen - sprich:Klassengebundenheit der Handlungen der Staatsmacht.   Brecht deckt mit Mitteln der Parodie
1)Klemperer,Victor:LTI.Notizen eines Philologen.Leipzig 1978,5.22.
2)vgl.Hegel,G.W.F.:Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse.-Stuttgart 1970,5.328. Im Zusatz zum § 182 des Abschnitts über die bürgerliche Gesellschaft:"Wenn der Staat vorgestellt wird als eine Einheit verschiedener Personen, als



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und Satire den wahren Sachverhalt auf, er illustriert gleichsam die Abhängigkeit des Bewußtseins vom Sein. Die faschistischen Ideologeme kommen zwar vor, aber nicht ihre Analyse steht im Mittelpunkt, sondern das Denken, auf dem sie entstehen. Zentraler Angiffspunkt u.a. ist der Sozialdarwinismus, dessen Darstellung im Zusammenhang mit den Handlungen der Personnage des "Dreigroschenromans" wir exemplarisch untersuchen wollen.
eine Einheit, die nur Gemeinsamkeit ist, so ist damit nur die Bestimmung der bürgerlichen Gesellschaft gemeint... In der bürgerlichen Gesellschaft ist jeder sich Zweck, alles Andere ist ihm nichts. Aber ohne Beziehung auf Andere kann er den Umfang seiner Zwecke nicht erreichen:Diese Ändern sind daher Mittel zum Zweck des Besonderen. Aber der besondere Zweck gibt sich durch die Beziehung auf andere die Form der Allgemeinheit und befriedigt sich, indem er zugleich das Wohl des Ändern mit befriedigt..."
Sandig räumt in diesem ZusammenhangeTradition imperialistischer Ideologie als Voraussetzung für faschistische Ideologeme) dem Satz Brechts"Kameraden, sprechen wir von den Eigentumsverhältnissen!" eine ausgesprochen positive Funktion für die Volksfrontstrategie zu.vgl.: Sandig,Volker:Brecht und die Volksfront.-In: Weimarer Beiträge 24,1978,Heft 9, S.86 ff.


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2) Sozialdarwinismus und seine Folgen im "Dreigroschenroman"
"SOZIALDARWINISMUS- in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandene Richtung der bürgerlichen Soziologie, die, an die Lehren DARWINS anknüpfend, biologische Prinzipien, vor allem das Prinzip vom Kampf ums Dasein und der natürlichen Auslese, mechanistisch auf das soziale Gebiet übertrug."1 "*
Im "Dreigroschenroman" wird diese Ubertragbarkeit oftmals beschworen, im Zusammenhang dargestellt auf S. 1067 und 1101 ff.   Das Wesen^dieser Ideologie wird von Brecht sachgerecht aufgedeckt: es soll damit verdeckt werden, daß die Gesellschaft und ihre Gebrechen abhängig von Menschen sind, daß die Gesellschaft nicht so sein muß, wie sie ist, indem ihre Veränderbarkeit unter dem Mantel des unbegreifbaren Schicksals verdeckt wird.
Die Essenz dieser Ideologie wird im "Dreigroschenroman" zusammengefaßt unter dem Schlagwort "Der starke Mann ficht, der schwache Mann stirbt", dessen Ursprung im Roman selber angegeben wird(906):es stammt von Kipling.
Brechts satirische Technik bei der Darstellung der Folgen dieser Ideologie ist die der parodistischen Übertreibung. Nicht allein die Figuren reden in Begriffen der Biologie, wenn es um das Geschäft geht, auch der Erzähler kommentiert in dieser Weise. Er stellt damit die sozialdarwinistischen Lehren als den Grundkonsens dar, der auch den Leser umfaßt. Völlig "natürlich" wird so gedacht und geredet, und erst im Verlauf der Handlung wird- allerdings gründlich- der Beweis angetreten, daß nicht Schicksal oder Natur die Verhältnisse bestimmen. Deutlicht wird, daß allein die materiellen Interessen einer geringen Anzahl von Personen, die nur entstehen und sich auswirken können in einem System wie dem der Romanwelt, die Machenschaften bestimmen, unter denen die Bettler, B-Ladenbesitzer usw. zu leiden haben.
1)Philosophisches Wörterbuch,Bd.2.»Berlin 1972,S.995



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Gleich in der Vorstellung des B-Ladensystems wird deutlich, daß der Sozialdarwinismus nicht als systematische Ideolgie entsteht,
"Dargestellt wird, wie sich die Bedingungen der Tätigkeiten nicht allein scheinbar, sondern wirklich fremd gegen den Menschen setzen, wie in diesem Zusammenhang der Schein eines Naturverhältnisses allgemein wird." ' Der Sozialdarwinismus basiert auf der Entfremdung und auf den materiellen und sozialen Interessen eines Großteils der Bevölkerung, hier:der B-Ladenbesitzer. Selbständigkeit und Tüchtigkeit, Recht auf individuelle Freiheit und Menschenwürde sind die Ideale, denen die B-Ladenbesitzer zustreben. In der undialektischen Entgegensetzung zur "öden Gleichmacherei" liegt die Chance, die Macheath ergreift; 'erdefiniert diese Gedankenwelt der "kleinen Leute" als den "menschlichen Selbständigkeitstrieb", als "Urtieb der menschlichen Natur"(779) und verwischt also die gesellschaftliche Basis der Wünsche der B-Ladenbesitzer.
Da die Denkweise der "kleinen Leute" ihnen nicht aufgepfropft worden ist, kann Macheath sagen es komme für die' Geschäftswelt darauf an, sich ihr "zu fügen" und sie sich nutzbar zu machen. So kann Macheath von Anbeginn   als der Vollstrecker des Willens der "KleinenLeute" gelten und eine Gemeinsamkeit postulieren, die ihm die Macht gibt, sich auch im Bewußtsein dieser Menschen als Führer zu behaupten. Man müsse nicht gegen die menschliche Natur handeln, sondern mit ihr, ist sein Credo. Zunächst läßt Brecht den Leser .in dem Glauben, daß dieses Denken nicht schade. Er schildert die formale Organisation der B-Läden, aber nicht die Folgen(779f.). Der Erzähler selber spricht von der "Natur des §eschäftslt(752) und kommentiert Macs Glaubensbekenntnis "Das Leben ist hart, wir dürfen nicht weich sein" allein mit der Bemerkung, Mac habe eine Vorliebefür große Worte.(778)  Erführt uns in die Gedankenwelt von Coax ein mit dem Hinweis, daß dessen Ansicht über die Pflicht zur Rücksichtslosigkeit im Geschäft, da eine Gewinnchance wie ein Stück Brot eine Gottesgabe sei, von vielen geteilt werde(788).Diese Vorgehensweise Brechts
1)Schlenstedt, a.a.O., S.171.


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in der Handhabung des Erzählers läßt den Leser absichtlich nicht zu einer vorschnellen Verurteilung dieser Positionen bzw. ihrer Vertreter gelangen. Auf dieser Stufe der Darstellung der Geschäfte könnten die Folgen dieser Ansichten nicht verdeutlicht werden, und jeder Erzählerkommentar müßte aufgesetzt oder moralisch argumentierend sein. Außerdem spielt Brecht mit der wirklich (auch beim Leser) weit verbreiteten Ansicht, daß Brot z.B. eine Gottesgabe sei und nicht ein von Menschen bewußt hergestelltes Lebensmittel. Eine Aufklärung des Verhältnisses zwischen Sozialdarwinismus und sozialen Verhältnissen kann erst im Verlaufe der Handlung erfolgen. Einen besonderen Stellenwert nimmt der Rassismus ein, den Brecht satirisch überspitzt darstellt, indem er das Prinzip der Zucht und Auslese-nicht als ein biologisches Prinzip, sondern als Verfahrensweise bewußt denkender Menschen auf der Grundlage der Nutzung der Biologie vorführt."RASSEPFERDE LÄSST MAN RENNEN. HERRENRASSEN ZÜCHTET MAN DOCH AUCH NICHT ZUM VERGNÜGEN."(851)
Eastmans Bemerkung zum Hochadel läßt schon erkennen, daß mit derartigem Rassismus durchaus "niedrige materielle Zwecke" verfolgt werden.
Fewkoombeys Gedanken stellen diesen Sachverhalt etwas anders dar, da Fewkoombey zu 'diesem Zeitpunkt noch nicht erkannt hat, daß nicht die Natur Auslese im menschlichen Bereich treibt, sondern die Menschen selber. Dennoch stellt er die Tatsache, daß die Zivilisation der "Dreigroschenromna"-Welt auf Konkurrenz berufct, richtig vor:
"DIE KONKURRENZ,MEIN HERR! DARAUF BERUHT UNSERE ZIVILISATION, WENN SIE ES NOCH NICHT WISSEN SOLLTEN! DIE AUSWAHL DER TÜCHTIGSTEN! DIE AUSLESE DER ÜBERRAGENDEN!"(1067) Fewkoombeys Vergleiche der menschlichen Gesellschaft mit der Natur basieren also auf der Unkenntnis der treibenden Gesetze der Gesllschaft , so daß die "Auslese" Weniger gegenüber dem Elend der Vielen als unbegriffenes Schicksal gedacht werden muß und sich der Analogschluß zur Natur geradezu aufdrängt.




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Doch gerade in den R«fl«xionen Fewkoombeys kommt zum Ausdruck, daß die geäußerten Gedanken nicht bei Fewkommbey entstanden, sondern offensichtlich die Verarbeitung von Reden Peachums sind. Fewkoombey, der seine Entfremdung dunkel ahnt und in Zorn gerät, steht vor dem Problem, daß "DIE WELT ... EBEN UNGLÜCKLICH, SO WIE DER BAUM GRÜN IST."(1067) Diese herrschende Auffasung bedeutet auch, daß die Schwachen in dieser Gesellschaft zugrundegehn müssen, und daß dieser Umstand nicht als vermeidbar angesehen wird, sondern als Schicksal, dem man sich zu fügen hat. Macheath hat sich diesen Standpunkt zu eigen gemacht, wie wir sahen, und gibt sich als Vollstrecker derartiger "Naturgesetze" aus:"Außerdem stehe er auf dem Standpunkt: laß fallen, was fällt, bzw. was fällt, muß man noch stoßen." (941)  Auch Peachum weiß, "daß kranke Leute auf keine Schonung rechnen konnten."(912) Nur sind Peachum und Macheath über die Ursachen der "Krankheit" informiert. Sie selber galuben nicht daran, was sie den B-Ladenbesitzern und ihresgleichen predigen: "Die B-Ladenbesitzer müßten jetzt zeigen, WAS IN IHNEN STECKE".(941) Macheath nutzt die Unwissenheit der von ihm Abhängigen aus, indem er ihnen sugger iert, es sei ihre natürliche Veranlagung, ihr Können, ihr Talent, die sie aus dem Elend herausführen könnten. Leute wie Fewkoombey glauben daran. Dieser rät Mary Swayer,"SICH DOPPELT UND DREIFACH NÜTZLICH (ZU) MACHEN"(952),um den Mangel an Talenten auzugleichen. Der Erzähler kommentiert im Verlaufe der Handlung zunehmend diesen Irrglauben:"Von Natur stehen die Menschen zu Beginn ihres dritten Jahrzehntes vor ihrer besten Zeit, aber sie dürfen nicht einen B-Laden in Soho besitzen1.' (948)
Diese Entgegensetzung von Natur und Gesellschaft wird vom Erzähler nicht durchgängig vertreten. Meist besteht der Kommentar in ironischen Wendungen, die sozialdarwinistische Vorstellungen auf die Spitze treiben und sie ins Verhältnis zur Realität setzen, so daß es Aufgabe der Leser wird, sich an der Wahrheitsfindung zu beteiligen. Bmerkun-gen wie "Das Elend zeigt einen enormen Fortpflanzungstrieb" (1063) stehen in einem Zusammenhang, in dem aufgezeigt


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wird, daß es die Menschen und die Verhältnisse sind, die das Elend erzeugen. Auch die Charakterisierungen der Menschen als Tiere führt, da dem Leser klar ist, daß Notwenigkeiten des Geschäfts und nicht animalische Gelüste zu "bestimmten Handlungen treiben, nicht zu einer Verwischung der vom Leser gewonnenen Erkenntnisse. So wie Macheath als "Haifisch"(u.a.857, 862, 998)bezeichnet wird, verwandelt sich Peachum "in einen Tiger, auch äußerlich"(1032) und handelf'wie ein Bluthund"(1032).Daß Menschen, die sich den Sozialdarwinismus zu eigen gemacht haben und nutzen, menschliche Werte über Bord werfen, wird so anschaulich gezeigt. Wie sehr Macheath aus Geschäftskunden an der Aufrechterhaltung und am Ausbau dieser Vorstellungen interessiert ist, sie zur Ideologie ausbaut, macht Brecht durch die Reden Macs deutlich: Macheath spricht von der Fäulnis der Aaronschen Läden(834), um einen B-Lader.besitzer bei der Stange zu behalten, von der Schicksalsverbundenheit mit seiner Bande,(889)» um Geld zu sparen, vom Trieb zur Selbstverwirklichung, zur "Persönlichkeit"(899), um an Oppers Geld zu kommen, vom Kampf zwischen Stärkeren und Schwächeren (905)» um die B-Ladenbesitzer auf ihren sozialen Abstieg vorzubereiten, usw.
Macheath ist sich dabei sehr wohl bewußt, daß er eine falsche Ideologie verbreitet. Er schätzt ihren Wahrheitsgehalt selber als nicht vorhanden ein:Er weiß, daß Peachums Haß gegen ihn nicht natürlich, sondern auf die materielle Abhängigkeit von Coax gegründet ist(923). Er glaubt nicht an Glück im Sinne von Schicksal, sondern "nahm sich vor, Glück zu haben.n(9/f4) Doppeldeutig ist sein Gedanke über die biologischen Gründe, was der Erzähler durch das Wort"immer" betont: "DIE BIOLOGISCHEN GRÜNDE SIND IMMER DIE BESTEN!"(987) Wenn sich die "Biologie" des Geschäfts allerdings gegen Mac zu richten drohen, hält er allerdings nicht mehr so viel davon:"Pfui! Wirklich, Hawthorne, das ist zuviel Natur!"(992) Und so, wie er von der Natur sagt, sie sei gerissen(1051)» aber sich selber meint, vergleicht er sein Wirken mit Naturgewalten: "UND EINES TAGES MUSS MAN DURCHGREIFEN, PLÖTZLICH, AUS HEITERM HIMMEL, WIE DER BLITZ, ALS CHEF."(1


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Der Erzähler hingegen spielt mit sozialdarwinistischen Gedanken, indem er sie auf die Spitze treibt und so eine drastische Komik erreicht, die entlarvend ist: So wie die Natur noch einigermaßen glaubhaft Peachum in einen Tiger verwandelt, als er kämpfen muß(1032), verwandelt die Natur Hawthorne in ein Häufchen Elend, als er verloren hat:
"Sein Rücken krümmte sich, seine Zähne fielen aus, sein Haar wurde schütter, seine Weisheit nahm zu."(993) Wie fehl am Platze jedoch das falsche Bewußtsein der B— Ladenbesitzer ist, wird hin und wieder auch sehr klar und deutlich gesagt(905,935, 1007).
In der Darstellung der sozialdarwinistischen Züge im Denken der Figuren des"Dreigroschenromans" und des Erzählerkommentars wird deutlich, daß es Brecht nicht darauf ankommt, wer eine V/ahrheit über das Wesen dieser Ideologie ausspricht, und daß sie überhaupt ausgesprochen wird. Wesentlich ist, daß vorgeführt wird, wie diese Weltanschauung wirkt, welche Folgen sie hat, und daß es sich von ihr zu trennen gilt. Wenn sowohl Macheath, Peachum und ihresgleichen als auch die B-Ladenbesitzer, Bettler und auch der Erzähler Begriffe und Denkweisen des Sozialdarwinismus vorführen, sie hin und wieder auch widerlegen oder auf ihre Folgen aufmerksam machen, wird sowohl die Verbreitung des Sozialdarwinismus veranschaulicht als auch der Leser in Anspruch genommen. Denn ihm obliegt die Aufgabe, aus dem vorhandenen Material die Wahrheit herauszufinden. Es ist in diesem Zusammenhang unwesentlich, ob sich der Leser an Ideologemen des Sozialdarwinismus oder anderen Ideologiesubstraten orientiert, ob er die Rolle der Persönlichkeit, das Wesen der oft beschworenen "Idee" untersucht. Der "Dreigroschenroman" führt viele bürgerliche Ideologeme vor^ die nur einen Sinn haben: Das Wesen der Ausbeutung und damit das Wesen des Elends zu verdecken. Die Ursprünge der Denkweisen, die Abhängigkeit des Bewußtseins vom materiellen Sein wird zwar hin und v/ieder vor-1)vgl.Keller, a.a.O.,S.52 f.


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geführt, aber das Wissen darüber ist nicht der operative Zielpunkt Brechts. Das führt dazu, daß die Rolle der Zeitungen z.B., also die Rolle des Wissens, der Information, der Ideologieprod uktion in einem sehr großen Umfang dar-gestellt, ihre Bedeutung für die Bewußtseinsbildung verzerrt wird. Es gilt also zu untersuchen, ob Brecht im "Dreigroschenroman" der Aufklärung über die Verhältnisse einen zu großen Stellenwert eingräumt hat. Das würde dazu führen, den Kampf der antifaschistischen Exilanten falsch zu orientieren auf eine Propagandaarbeit, die allein nicht zu einam Sturz des Faschismus geführt hätte.


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3) Die Rolle der Bildung, der Anspielungen auf Literatur etCe im "Dreigroschenroman"
"Man möchte doch ganz gern wissen," sagt Mary Swayer, "und wo kann man schon was erfahren?"(953)• Diese Frage, die sich für Mary Swayer ebenso stellt wie für die exilierten Antifaschisten, wird im "Dreigroschenroman mehrfach abgehandelt. Die Kriminalromantechnik, die Einbeziehung des Lesers durch den Erzähler usw. führen schon dazu, daß der Leser einen Einblick in den Wert des Wissens erhält, zumal er verfolgen kann, welche Folgen Unwissen über die Interessen der handelnden Personen für ihre Gegenspieler haben kann. Besonders deutlich wird dieser Umstand bei der Geheimhaltung der Präsidentschaft Macheaths in der ZEG, die dazu führt, daß Macheath seine Fäden weiterspinnen -hier:in die NDB eintreten kann. Aber auch durch direkte Kommentare des Erzählers oder der Figuren wird deutlich, welches Wissen zur Aufhellung der Gründe des Elends führt und welches nicht. Wissen und Bildung erscheinen im "Drei- • groschenroman" als eine Ware, die in abgemessenen Portionen den Figuren verabreicht werden. So wird "JEDES ENTSTELLENDE WISSEN PEINLICH FERN»(85l) vom Hochadel gehalten(vgl.843), und wie sehr die Schulbildung zum Verhalten der Menschen beiträgt, wird mehrfach verdeutlicht(z.B. 1077,1158). Sogar das Rechnen beherrscht in dieser Welt nicht jeder: Mac kann Kopfrechnen(924)» aber die Käufer in den B-Laden sollen es nicht( 875)»Wissen wird im "Dreigroschenroman" zumeist über die Zeitungen vermittelt. Diese Zeitungen werden zugleich als Meinungsmacher dargestellt. Sie machen die
\
streikenden Werftarbeiter für den Untergang des Optimist verantwortliche 1008) wie auch für Coax' Tod(1080). Eine weitere Funktion ist die, mittels Skandalnachrichten zu erpressen, also bewußt die Unwahrheit zu schreiben oder nicht die volle Wahrheit(8lOf.,813,826,872,880,1007,1073). Angesichts der Zusammenarbeit der Zeitungen mit Leuten wie Macheath oder Peachum ist es nicht verwunderlich, daß ein Polizist es gewohnt ist, "Verbrecher mit Presseleuten wie mit ihresgleichen sprechen zu sehen..."(11 2if). Das


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Wissen und die Meinungen, die diese bürgerlichen Zeitungen verbreiten, nützen Peachum und Macheath in vielfacher Weise (z.B.795, 1100), den Kleingewerbetreibenden jedoch gar nicht,: über das *!Messer" weiß man nichts- "Nur, was in den Zeitungen steht."(1016)
Einzig die proletarischen Zeitungen schreiben gegen Macheath, erwähnt der Erzähler(1018, vgl.1111), aber lehnt mit der Ironie der Ubertreibung diese als "unsportlich" ab. In diesem Einwarf des Erzählers steckt eine kaum verdeckte Aufforderung an den Leser, sich eben nur dieser Zeitungen zu bedienen, um die Wahrheit zu erfahren. Den Kommunisten "das Wort abzuschneiden"(1009) war eine vielgeübte Praxis der Bourgeoisie nicht nur im Faschismus, sondern-auch in der Weimarer Republik. BrechtsAndeutungen in diese Richtung korrespondieren mit seinen Vorwürfen gegenüber den bürgerlichen Intellektuellen, die sich nicht dagegen ausgesprochen hatten.  Diese Vorv/ürfe wurden damals nicht veröffentlicht, da sie der antifaschistischen Bündnisbewegung geschadet hätten. Auch im "Dreigroschenroman" ist kein direkter Vorwurf gegen die bürgelichen Intellektuellen herauszulesen, etwa in dem Sinne, diese würden objektiv das kapitalistische System stützen. ' Es wird einzig deutlich gemacht, daß eine bestimmte Art Bildung und Erziehung nichts nützt zur Aufklärung des Wesens der Ausbeutergesellschaft: "Die Geschichtsbücher und Biographien genügen nicht! Wo sind die Lohnlisten?"(l165) Es gint also zwei Arten von Bildung: die eine, offiziell gelehrte, verwischt eher das, was notwendiggewußt werden muß, die andere ist nur in mühseligem Studium, vor allem der Realität(vgl. 863f.,907), zu erschließen. "DIE HINTERGRÜNDE SIND ABER RECHT EIGENTLICH DAS WICHTIGSTE;NUR WER SIE KENNT, KENNT DAS L3BEN"(1142)
Einekomplette Bildung ist auch nicht durch die vierzig Bände der Britischen Encyklopädie zu erreichen, wie im Traum des Soldaten Fewkoombey verdeutlicht wird. "Aber wer hat die schon?" fragt der Erzähler ironisch(798). Insbesondere durch das Auswendiglernen, durch Oberflächenwissen ohne das Begreifen dor Zusammenhänge, läßt sie sich nicht
1Jvgl.Brecht:Faschismus und Kapitalismus.-In:GW 20,S.l88f. 2)vgT.dagegen:Buonoin:Brechts Tui-Kritik.a.a.O.,S.53ff.



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erreichen, wie an Fewkoombeys Traum verdeutlicht wird(vgl. auch 805: Denn:"...die Biographien unserer großen Geschäftsleute (sind, A.H.) auf vielen Seiten so stoffarm"(848), da sie das Halbdunkel dieser Leute nicht lüften wollen und können. Diese Vorenthaltung des wirklichen Wissens basiert auf den nämlichen Verhältnissen, die das Wissen überhaupt erforderlich machen, nämlich auf dem Zustand der Gesellschaft, in der nur die materiellen Interessen gelten. Brecht läßt Peachum formulieren: "...BILDUNG,GÜTE,MENSCHLICHKEIT ALLEIN SIND NICHT STARK GENUG, REICHEN NICHT ENTFERNT AUS, DEN MORD IN DER ODER JENER FORM ZU BESEITIGEN, ZU GROSS SIND DIE PRÄMIEN, DIE AUF IHN GESETZT SIND UND ZU SCHWER DIE STRAFEN, DIE AUF SEINER UNTERLASSUNG STEHEN!"(1083) Brecht weist so darauf hin, daß zum Wissen das Denken hinzugehört (das "plumpe Denken" unter Voranstellung des materiellen Interesses)und das dementsprechende Handeln.
Das Interesse an der Veröffentlichung der Wahrheit, um sie zum Handeln für die eigenen Interessen zu nutzen, liegt nur bei den Ausgebeuteten, nicht bei den Ausbeutern: "Wie die meisten unserer erfolgreichen Industriellen, Schriftsteller, Geihrten, Politiker und.so weiter las er am liebsten in der Zeitung, daß er seine Taten ohne eigentliches materielles Interesse, eher aus einer Art SPORT oder Schaffensfreudigkeit verübe, wenn nicht aus einem unerklärlichen DÄMONISCHEN TRIEB heraus."(865) Leute wie Macheath haben also ein Interesse an der Veröffentlichung der Unwahrheit.Brecht schießt aber nicht nur gegen die Unwissenheit scharf, sondern auch gegen die Bildung und Erziehung, die als "kultivierend" angesehen wird, Peachum formuliert sein Interesse an derartiger Bildung so: "SIE MÜSSEN IHM AUCH BILDUNG VERKAUFEN, ICH MEINE BÜCHER, ICH DENKE AN BILLIGE ROMANE, SOLCHE SACHEN, DIE DAS LEBEN NICHT GRAU IN GRAU, SONDERN IN LICHTEREN FARBEN MALEN, DIE DEM ALLTAGSMENSCHEN EINE HÖHERE WELT VERMITTELN, IHN MIT DEN FEINEREN SITTEN DER HÖHEREN SCHICHTEN BEKANNT MACHEN, DER SO ERSTREBENSWERTEN LEBENSWEISE DER GESELLSCHAFTLICH BEVORZUGTEN."( 1 H6)
1)vgl. dagegenrBoie- Grotz, a.a.O.,S.195.


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Derartige Schundliteratur wird von Brecht im "Dreigroschenroman" mehrfach charakterisiert und dem realen Leben der Romanwelt gegenübergestellt und so in ihrer Funktion deutlich gemacht.(753f.,782,857,10Zf7ff.) Auch die klassische Bildung wird von Brechts beißendem Spott nicht verschont. Peachum werden Worte in.iden Mund gelegt, die in ihrer Abgehobenheit von der realen Situation, in der er steckt, nur komisch wirken(832). Gleiches gilt für Jaques Opper, der sich mit einer Biographie des Lykugus befaßt(899,901 f.) Macheath als Realist hält nichts von derartiger Bildung(936, 81 if). Brecht stellt dem die Bildung entgegen, die der "Dreigroschenroman vermittelt, indem er den Erzähler auf die Art, in der der "Dreigroschenroman" geschrieben wurde, ironische Bemerkungen machen läßt. Die damit erreichte direkte Leseransprache läßt den Leser sich dazu Gedanken machen, was ihm der Roman vermittelt: geboten wird bewußte "Schwarzweißmalerei"(1108), jedoch nicht "Vergleiche, die diesem Roman, wenn sie wiedergegeben werden könnten, durch ihre poetische Kraft eine fast unbegrenzte Dauer verleihen würden."(829)
So dient der "Dreigroscheenroman" gewissermaßen selber als romantheoretisches Werk, zumindest sollen derartige ironische Bemerkungen diese Funktion erfüllen und sowohl die Rolle des "Dreigroschenromans" als auch die seines Lesers abstecken.


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TEIL VI Die Rezeption des "Dreigroschenromans"
Zeitgenössische Rezensionen würdigen den "Dreigroschenroman" als ein Buch,das eine "tiefgründige Analyse der
kapitalistischen Gesellschaft einschließlich des sozialen
"1 ^)
Funktionierens faschistischer Demagogie beinhalte. •
Sicherlich die heute bekannteste - da mehrfach veröffentlichte- Rezension stammt von Benjamin. Sie entstand wohl
2) als einzige im direkten engen Kontakt mit Brecht ', und
wird von den zeitgenössischen Analysen dem Roman auch wohl am besten gerecht.Die Jahre zwischen "Dreigroschenoper" und - Roman bezeichnet Benjamin als "politisch entscheidende"-5 "Ihre Lektion hat sich der Verfasser zu eigen gemacht, ihre Untaten hat er beim Namen genannt, ihren Opfern hat er ein Licht aufgesteckt." Benjamin sieht im "Dreigroschenroman" ein Werk, in dem die Epoche des Beginns des Kapitalismus und die, in der die Barbarei der Ausbeuter wiederum jene Drastik erreicht, zusammengezogen sind. Die Gangster, die zur Zeit der "Dreigroschenoper" Deutschland noch fremd gewesen seien, hätten sich nun dort heimisch gemacht und eingerichtet. So sieht Benjamin in Macheath deutliche Parallelen zur Führerfigur der Zeitgeschichte, in der die Verbrecher soziale Vorbilder sind. Der Faschismus verlange "nicht nur einen Retter des Kapitals, sondern auch, daß
X-'
dieser ein Edelmensch ist. Das'ist der Grund, aus dem ein Typ wie Macheath in diesen Zeiten unschätzbar ist."^"' Peachum erweist sich, so Benjamin, "als ein höchst aktueller Denker. Er könnte sich ruhig mit Spengler messen, welcher
1)Peter Weber:Nachbemerkung(zur Benjamin-Rezension).In:
Weimarer Beiträge,12.Jg,(1966),Nr.:3, S. 443 ff-2)ebenda.
3)Benjamin, vValter: Brechts Dreigroschenroman, ebenda, S.436. 4)ebenda S.439,


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gezeigt hat, wie unbrauchbar die humanitären und philan-tropischen Ideologien aus den Anfängen des Bürgertums für den heutigen Unternehmer geworden sind." Der Benjaminsche Essay stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 1935. Er wurde jedoch nicht gedruckt.-^ Eine persönliche Bemerkung Benjamins für Brecht lobt den Roms.n außerordentlich:
"Den Roman habe ich nun im Druck gelesen, und zwar mit immer wieder erneutem Vergnügen an vielen Stellen, diesmal habe ich Walley besonders ins Herz geschlossen... - Das Buch scheint mit sehr dauerhaft. Ich hörte auch von G., daß es ihm vollkommen gelungen erscheint."^' Aber es gab auch andere Herangehensweisen an den Roman: Kantorowics schrieb: "Brecht will nicht ERBAUEN, sondern ERZIEHEN; seine Schriften sind nicht Genuss-(sie)sondern LEHRMITTEL."-7 Diese plumpe und undialektische Entgegensetzung entspricht nicht nur nicht Brechts Intentionen, sondern auch den Erfahrungen anderer Rezensenten(vgl. Lania, s.u.). Kantorowics beachtet wie fast alle seine Zeitgenossen besonders die kursiv gedruckten Stellen im "Dreigroschenroman", zieht jedoch folgende Schlußfolgerung: "Die Thesen, die... eine bürgerliche Weltanschauung (enthalten) , versetzen den Leser in die Situation des Opponenten: denn niemand identifiziert sich gerne mit der Meinung von Leuten, die hier GLEICHNISHAFT als Banditen gesetzt
1)ebenda S
2)Weber, ebenda, S.4Mf«
3)ebenda S.445> vgl. dazu auch Benjamins Brief an Gerhard Scholem vom 20.Mai 1935,In:Benjamin, Walter:Briefe,Bd 2, ^rankfurt/Main 1966,S.653.
4)BBA 478/10-12, entspricht:Benjamin an Bertolt Brecht, San Remo, 9.1.1935« In:ders., ebenda,S.642>
5)Kantorowics, Alfred:Brechts 'Dreigroschenroman1.-In: Unsere Zeit-Monatsschrift für Politik,Literatur,Wirtschaf t, Sozialpolitik und Arbeiterbewegung,(Paris-Basel-Prag),7.Jg.,Nr.12,(Dez.3if),S.61-62,
Neben dem"Gegenangriff"wird "Unsere Zeif'als das wichtigste Organ der revolutionären antifaschistischen Bewegung dieser Zeit gewertet.In:Schiller,Dieter u.a.:Exil in Frankreich, Frankfurt am Main 1981(=Kunst uds Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945 in sieben Bänden,Bd 7),S.135,


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Zum Schluß resümiert er:"Den(auch sehr weit gefaßten) Forderungen des REALISMUS entspricht der Roman von Brecht nicht.Man darf, ohne zu schematisieren (!!!.A.H.) sagen, dass(sic) es ein IDEALISTISCHES Buch ist."1'
Brecht fühlte sich von dieser Rezension tief getroffen, zumal sie in einer Zeitschrift erschien, in der er oftmals nach 1933 publizierte, da er ihr wegen ihrer politischen Ausrichtung freundschaftlich verbunden war. Brecht schrieb an Becher:
"lieber becher, ich höre, dass(sic) kantorowics, der in "Unserer Zeit" meinen dreigroschenroman als ein idealistisches buch karakterisiert(feie) hat, das 'nicht den forderungen des realismus entspricht1, Dein sekretär ist. damit bekommt dieser angriff eine sehr offizielle note.
der angriff erfolgt in einer repressentativen (sie) zweitschrift(sic)und in der schärfsten form,denn die schleimige freundlichkeit drum rum ist ganz uninteressant angesichts des zentralen vorwurfs, der roman sei nicht realistsich und er sei idealistisch,       der angiff erfolgt in der schlampigsten, leichtfertigsten weise, die, unter marxisten erledigenden, vorwürfe werden nicht im geringsten bewiessen(sic); man wählte die schöne mischung von apodiktisch und schlampig, die man in baga-tellfallen verantworten zu können glaubt, das gegenüber einem werk, an dem ich lange und intensiv gearbeitet habe.
vorausgesetzt wird, dass(sic) alle romane, die nicht realistisch sind, damit idealistisch sind; darüber liesse(sic) sich vielleicht reden, wenn nicht dann als realistisch nur romane gelten sollten, die ohne erfindung sind, sodass(sic) also etwa die ganze gattung der satire ausfällt, weil nicht realistisch, ich habe der parole realismus zugestimmt, da ich glaubte, auch swift und Cervantes realistische autoren nennen zu können, und ich dachte, idealistisch sei dann ein werk, wenn das bewusstsein(sic)
1)ebenda«


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als bestimmender faktor für die jeweilige realität der gesellschaftlichen einrichtungen hingestellt wird, da ich in meinem roman den bestimmenden einfluss(sic) der ekonomischen(sic) läge und klassenzugehörigkeit auf das bewusstsein(sic) der personen darstellte, glaubte ich, einen materialistischen roman geschrieben zu haben. da ich, da es keinen sinn hat, die weit zu interpretieren, sondern man sie verändern muß, die realität so dargestellt habe, dass(sic) man Ursachen und Wirkungen deutlich sieht, also eingreifen kann, glaubte ich einen roman für realisten geschrieben zu haben, nicht nur einen roman, in dem realität vorkommt, nun, ihr belehrt mich, ich wünschte nur, es geschähe auf eine weniger oberflächliche und hochmütige rappweise."
Becher antwortete umgehend:
"lieber brecht, mit Deiner Kritik an der Kritik von Kanto bin ich einverstanden... In 'Unsere Zeit1 erscheint eine Gegenkritik; ausserdem(sic) wird Dir Kanto persönlich schreiben."   Es habe sich um eine Privatsache Kantos gehandelt, und ob Brecht nicht in den SDS eintreten wolle?
Michael Tschesno entschuldigte sich sogar noch eher: "Die, gelinde gesagt, unmoegliche(sic) Kritik von A.Kantorowics ueber(sic) den Dreigroschenroman ist, wie Ihnen wohl bekannt sein wird, ein Privatvegnuegen(sic) von ihm gewesen und wird von keinem der Mitglieder der Pariser Schriftstellerorganisation auch nur im entfernt-esten(sic) geteilt. Es sind schon einige Kritiken in Vorbereitung, die versuchen werden diese Dummheit so weit es geht wieder gutzumachen."3)
In einem Brief an Brentano etwa vom Anfang des Jahres 1935 betont dann Brecht auch - bevor diese Kritiken
1)Brecht an Becher, etwa Januar 1935;BBA 1386/01» 2)Becher an Brecht, 16. 1. 1935;BBA 477/76 Bechers Briefe an Brecht berücksichtigten,"in der Vorbereitungsphase des Pariser Kongresses sinnlose Konfrontationen zu vermeiden, über schematische Wertungen der Literatur hinauszugelangen :                                und den besonderheiten des literarischen Schaffens gerecht
zu werden."InrExil in Frankreich,a.a.0.,S.543« 3)Michael Tschesno an Brecht, 9.1.35;BBA 477/77.


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erschienen: "nun ist ja der revolutionäre karakter(sic) diese buches anscheinend wirklich nicht so ganz leicht zu erkennen für leute, die zu sehr auf eine bestimmte ausdrucksweise eingestellt sind, nicht wenige sollen unzufrieden sein." ' Diese Vermutung bestätigt sich unseres Wissens zwar nicht, andererseits wurde der Realismus der Satire vielfach nicht genügend beachtet, wie wir sehen werden:
Die versprochenen Rezensionen erschienen zusammen im Februar 1935« Bodo Uhse verweist Brechts Kritiker aus dem"befreun -deten Lager"  auf den"Hass-Schatten(sic) hinter Brecht"  , der die Proportionen bei manchen ihrer Formulierungen nicht mehr stimmen lasse. Es folgt eine Würdigung der sprachlichen Qualität des "Dreigroschenromans"."Man hüte sich, diese notwendige Wertung mit dem Stempel 'ästhetisch' abzuwerten. Schließlich gehört es zum Wesen der Literatur, dass(sic) sie Literatur ist...    Wie nahezu alle Rezensenten zieht auch Uhse den Vergleich zur "Dreigroschenoper", um dann hervorzuheben:" Dieser Text ist von höchster Aktualität. Nicht nur die Krise der bürgerlichen Moral, nicht nur die Krise der bürgerlichen Wirtschaft, mit Warenmangel und Warenüberflüsse sie), mit Teuerung und Preissturz, auch die politische Krise des Bürgertums, mit Faschismus, 30.Juni und Wiederaufrüstung finden in diesem neuen Text ihren Platz."^"' Zur Methodik der Fragestellung an dieses Werk sagt er: "Nicht ob Brechts lehrhafte Aussagen bis aufs i-Tüpfeichen richtig sind- sie sind es nicht (und nicht nur das i-Tüpfelchen steht falsch) - ist die Frage, ...sondern wem das Buch nützt und wem es schadet..."
"Brecht gehört zu uns."^ fährt Paul Haland fort, lobt ebenfalls die sprachliche Qualität, kritisiert aber nicht Brecht-gemäße Undeutlichkeiten in der politischen Aussage, beginnend bei der Themenwahl. Das Proletariat sei nicht vorhanden, es fehle im Roman der sozialistische Antikapi talismuo, der einzig ernstzunehmende. "Die Lehren, die
7) er erteilt, sind... nicht eindeutig genug."r
0)Brecht an Brentano BBA 1386/38.
1)Uhse,Bodo/Haland,Paul:Zu Brechts "Dreigroschenroman".-
ImUnsere Zeit.8.Jg.,Nr.2/3, (Feb/März 1 935) ,5.65-67. 2)-4) ebenda,S. 65,   5) +6) ebenda, S. 66.  7) ebenda, S. 67.


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Diese Kritik, in der die Ansprüche schon deutlich werden, wird präzisiert:" Wir v/ollen von Dichter in erster Linie keine politische Publizistik. Wir wollen seine DICHTERISCHE KRAFT eingesetzt sehen zur Erreichung unserer grossen(sic) Ziele."  Damit sind wesentlich die Themen der Dichtungen gemeint, die möglichst unmittelbar am Tagesgeschehen anknüpfen sollen. Bracht wird auch über diese Rezensionen kaum glücklich gewesen sein.Peter Merin(0tto Biha) lobt
zwar Brecht, sein Werk gehöre "zu dem Besten..., was die
p") deutsche Dichtung dieser Zeit aufzuweisen hat". '
"Daß durch eine bewußte Zeitverschiebung der Kapitalismus der Gegenwart nicht erfaßt wird, daß die Arbeiterklasse nur in der Nebenhandlung erscheint und Brecht - obwohl er 'die Gesetze des Kapitalismus besser studiert hat als viele Schriftsteller disser Zeit1- sein Wissen, seine Erkenntnis gleichsam in einem Essay anhängt, darin sieht
7\
Biha Mängel des Buches."-"
Bihas Rezension setzt zwar andere Akzente als die anderen Gegenrezensenten - er findet nicht nur in Brechts politischer Ausrichtung, sondern auch in seiner Ästhetik durchaus Wichtiges und Richtiges. Doch drückt sich die Hilflosigkeit Bihas,Uhses und Halands gegenüber der Brechtschen Schreibweise immer wieder in der Betonung der sprachlichen Qualitäten des "Dreigroschenromans" aus. Der Antikapitalismus des Romans wird gesehen, auch einige Aktualität(festgemacht allein an den Versatzstücken,die den Faschismus betreffen), nicht Jedoch die Funktion, die die unterhaltsame Klärung des Wesens des Imperialismus hat, und erst recht nicht Brechts Darstellung der bürgerlichen
x_^
Ideologie im Verhältnis dazu. Mit der Konfrontation von bürgerlicher Ideologie und bürgerlicher Praxis sei nur die Schlechtigkeit der bürgerlichen Welt bewiesen, sagt
Haland, und Kantorowics erwartet von der Konfrontation —
der Ideologie mit der Realität nur die Opposition des
Lesers.
1) ebenda, S. 67.
2)Biha,Otto:Das Werk des Bert Brecht.-In:Internationale
Literatur 5/1935,5.82,97. Abgedruckt in:Schiller,Dieter u.a,
Exil in Frankreich,a.a.O.,S.196 f. 3)ebenda.



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Immerhin "entschuldigte" sich Kantorowics Jahre später für sein Verhalten mit einer von Walter Pollatschek geschriebenen, überschwenglich den "Dreigroschenroman" lobenden Rezension, die in der von Kantorowics herausgegebenen Zeitschrift "Ost und West" 19^-8 erschien.
Andere Rezensenten , sowohl aus dem bürgerlichen als auch aus dem sozialistischen Lager, empfanden den "Dreigroschenroman"als sehr aktuell und hilfreich.
Werner Türk empfindet so: "Erregend und unvergess-lich die mit ruhig-sicherer Hand und kalten Farben gemalten Hohnbilder einer madig gewordenen Zivilisation." ' Ganz im Gegensatz zu Kantorowics sagt Türk: "Nicht, dass (sie) Brecht lehrt, ist das Besondre an diesem Buch. Sondern: dass(sic) er lehrt, indem er gestaltet. Dass er den Leser durch die Originalität und durch das plastische Vermögen seines Kunstschaffens zu lernen zwingt.Dass er den Körper:des kapitalistischen Riesen abklopft,ohne dabei die ernste Miene des Wissenschaftlers aufzusetzen, ohne bei der Erörterung seiner Befunde auch nur einmal im Abstrakten zu erstarren."-^ Da die Vermengung von Findung und Erfindung, Typischem mit Ungewöhnlichem immer künstlerisch überzeugend wirkt, bedeute es, so Türk, "keinen Vorwurf gegen den Roman, dass Leser mit betont realistischer Denk- und Empfindungsweise Einweisungen haben werden."^'
Daß es Leser gab, die sich auf Brechts Schreibweise einließen, seine Intention verstanden, wird auch besonders bei Frey augenfällig: Ihm ist der "Dreigroschenroman" offensichtlich unter die Haut gefahren: Brechts epische Ruhe, "die unter der Haut seltsam und heftig vibriert"-7 ,die
l)In: Ost und West.2.Jg(1948),Heft 7, S.79-80.
2)Türk,Werner:Der Dreigroschenroman.-In:Die Neue Weltbühne, (Paris),31.Jg.,Nr.12.(21.März 1935),3.370-372. Die Neue'Weltbühne setzte programmatisch die Arbeit der Weltbühne Ossietzkys fort.
3 )+if) ebenda.
5)Frey,A.M.:Brechts Hauptwerk.-In:Neue Deutsche Blätter, (Prag-Zürich-Paris-London-Amsterdam),2.Jg.,Nr.3(Jan.1 §35)> S.178-180    Die Neuen Deutschen Blätter Wieland Herzfeldes hatten als literarische Zeitschrift ein umfassendes,bündnisstiftendes Programm, das den großen Erfolg ausmachte.


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"tödlich ernste Ironie"  , das Harmlose, das "hintergründig und in der Tiefe den schrecklichen Zustand der Verseuchung (zeigt)"  , die schneidenden Formulierungen mit ihrer Eiseskälte, "die dein Hirn wach ruft"-^ - das alles hat gewirkt. Hier fühlt sich jemand betroffen, das Glatteis der bürgerlichen Ideologie, die -wie im "Dreigroschenroman" gezeigt- den Bürger auch den Faschismus rechtfertigen lassen könnte, ihn zu solchen "Ausrutschern" fähig macht, taucht bei Frey auf als die Eiseskälte Brechts. Daß Frey Brecht sehr wohl verstanden hat, zeigt die Formulierung: "Sein 'abstoßendes' Buch ist nichts als Liebe zur leidenden Kreatur."^'  Diese theologisch anmutende Bemerkung wird zwar einer sachlichen Rezension nicht gerecht, zeigt jedoch wie keine andere auf, was viele bürgerliche Leser empfunden haben werden. Einige andere Urteile als Beispiele für die positive Aufnahme:
Kurt Kläber schreibt:"Nur soviel, ich bin, bis auf einige zu grosse(sic) Vereinfachungen, sehr erfreut über ihn, und denke augenblicklich viel darüber nach, wie man ihn an Massen bringen kann,denn für die Masse ist er nötiger als für die besseren Leute. Vielleicht gibt es einen Weg über die hiesige Büchergilde."'5
Bernhard Reich:" Vor einigen Tagen habe ich die Lektüre des 'Dreigroschenromans' beendet. Grossartig. Trifft ins Ziel. Besonders bewundere ich die Anlage. Erster Teil tastend, sucherisch; zweiter Teil zusammenfassend, scharf und kalt; dritter Teil 'dichterisch' - erinnerst Du Dich, wie wir und was wir darüber in der Spichernstr. sprachen. Das Irren im Nebel, der Traum des Soldaten und was der größte dichterische Fund ist,/der Soldat, der Proletarier bezahlt die Zeche. In den letzten Seiten'hast Du meiner Meinung nach nicht das erreicht.was Du wolltest. Die Vision der Exploitation kommt etwas zufällig heraus. Sie ist im Traum nicht genügend vorbereitet." '
1 )-if) ebenda.
5)Kläber an Brecht, 26.2.35  B3A ^81/02.
6)Heich an Brecht,31.Jan 35  33A V77/87.


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Elisabeth Hauptmann: "Es ist wirklich ein Hachschlagebuch, zuerst habe ich eigentlich nur von Rede zu Rede propellert und das Dazwischenliegende überflogen. Die Schlussgeschichte 'Das Pfund der Armen1 ist wunderbar und sie verdient, ueber-all(sic) abgedruckt zu werden, gesondert." In der Basler Nationalzeitung erschien folgendes Lob: "Der Ernst dieses Buches ist unueberhoerbar(sic).Die Welt taete gut, Brecht aufmerksam zuzuhoeren." Der Rezensent der "Deutschen Freiheit"(Saarbrücken)schrieb: " Denn spielt der Roman auch um die Jahrhundertwende,im England des Burenkrieges, so steht doch alles, was uns Heutige betrifft, auf jeder Seite und fast zwischen jedem Satz. Bert Brecht findet Parallelen, die wir ingrimmig belaecheln, weil sie allesamt unter uns sind. Auch die Heldischen Gestalten des 'dritten' Reiches gucken dauernd aus etwas altvaeterlichen Rockschoessen und Hemdkragen hervor.MackeathCsie), woher kennen wir dich eigentlich so gut? Was fuer Saetze kommen aus deinem Mund, du, der 'geborene Fuehrer', der weinend vor Entschluessen zusammenbricht? Dieser Mackeath spricht von der 'Schicksalsverbundenheit '• zwischen Fuehrern und Gefuehrten' - wir, erkennen ihn nur zu gut, obwohl ihm kein schmales Baertchen unter der Nase waechst. All die ändern: wir begegnen ihnen jeden Tag in den Hofberichten des 'dritten Reiches' unter den Treu-haendern und Wirtschaftsfuehrern, die beim Geschaeftemachen, am liebsten mit korrupten Staatsbeamten, den Phrasenbpei ruehren..."-^   Der Rezensent dieser Zeitung sieht im "Dreigroschenroman11 also einen Schlüsselroman, ebenso wie Erich Breuer: "B.Wollte Menschenmaschinen darstellen, seelenloses. Ganz wie die Hitlersche Welt , die wie mir scheint in dieser ganzen Geschäftsatmosphäre gezeichnet v/erden sollte. Er wollte einen Roman fabrizieren."^"'
l)Hauptmann an Brecht, l5.12.3Jf BBA WA3. 2)Basler Nationalzeitung,25.11,3*f  BBA 367/02. 3)Deutsche Freiheit,29.11.3*f  BBA 367/06. i(.)Brief Erich Breuers(vertraulich) an LHDL(vermutlich: Lieber Herr De Lange),BBA 367/21-22.


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Weißkopf sah im "Dreigroschenroman" eines"derbedeutendsten Werke der Emigrationsliteratur"  und urteilte rückschauend:
"Schließlich ist da die erzählende Prosa mit dem lachenden
2) Auge: Bertolt Brechts Dreigroschenroman..."
Sahl entdeckt bei Brecht das Exil als geistige Haltung: "-wir sehen sie...in seinem DREIGROSCHENROMAN, der das deutsche Erlebnis historisch distanziert und mit bösem Spott und pädagogischem V/i t z der altenglischen ' Beggars Opera1 einverleibt..."-^
Besonders interessant imHinblick auf die Rezension von Kantorowics und auf Halands und Bihas Kritik nimmt sich die Rezension Stefans aus:  In den Prager "Europäischen Heften" erschien zunächst ein Vorabdruck einiger Passagen aus dem "Dreigroschenroman"(TSV-Geschäft).Dannfolgte Wilhelm Stefans Kritik: Stefan hält "Bert Brechts «Dreigroschenroman1 für die wesentlichste Erscheinung der zeitgenössiehen deutschen Literatur". Durch Stefans Rezension zieht sich spöttisch die Kritik anjenen "Linksliteraten",die, obwohl sie sonst die Autoren nach ihrem"Parteibüchel" taxieren, bei Brecht jedoch eine Ausnahme machen, da er "mit der asketischen Strenge eines Dichters schreibt"-'' und somit substantiell verdächtig erscheine. Diese Linkskritik, schreibt Stefan,"wird dem 'Dreigroschenroman' wahrscheinlich vorwerfen; Er sei skeptisch; Er zeige nicht den 'aufmarsch der Gegenkräfte' und nicht die revolutionäre Sammlung des Proletariats; er 'psychologisiere'; kurz, Brecht habe sich offenbar'noch immer nicht durchgerungen'."°' Stefan bezweifelt also, daß die "Linkskritik" dichterische Leistung (die Stefan übrigens wesentlich auf der sprach-
1)Weißkopf,F.C. im Gegenangriff vom 12.Mai 1935, abgedruckt
in:Exil in der Tschechoslowakei ..., S.63« 2)Weißkopf,F.C.:Unter fremden Himmeln.Ein Abriß der deutschen
Literatur im Exil 1933-1947,Berlin 1948,3.94. 3)Sahl,Hans:Emigartion-Äine Bewährungsfrist.In: Deutsche
Literatur 1933- 1945,Bd.1.»Frankfurt/Main 1974(=Geschichte
der deutschen Literatur aus Methoden Bd.6.),S.70, 4)-6)Stefan,Wilhem:Brechts Lehrbuch der Gegenwart.-In:
Europäische Hefte vereinigt mit Aufruf-Wochenschrift
für Politik. Kultur, Wirtschaft,(Prag) 1.Jg.,Nr.30,
(8.Nov.1934),S. 526-529.


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liehen Ebene sieht- also formal)anzuerkennen in der Lage ist, und lobt Brecht, er habe ein wahres Buch geschrieben, da eben der "Aufmarsch der Gegenkräfte" dort nicht stattfinde. Er sieht in diesem Roman aus seinem Pessimismus heraus (der zu dieser Zeit nicht nur ihm eigen war) nur "ein Lehrbuch der menschlichen Beziehungen"  , den "Bericht über den
2\ Kulturgehalt einer Epoche"  »Brecht erzähle deshalb "mit
sozwingender Überzeugungskraft, weil er nicht die Tatsachen, sondern ihre Wirkung auf Menschen und darum erst die Wahrheit erzählt'.'3) Da diese Wahrheit die Gesamtheit der Aspekte umfasse, sei sie sozialistisch, "die universelle Betrachtung eines gesellschaftlichen Zustandes kann nämlich gar nicht anders als sozialistisch sein."^"Stefan spricht dem "Drei-groschnroman"die konkrete Wirkung ab, er meint, eine derartige Betrachtung sei "aufzuheben für eine Zeit,die es als Lehrbuch in die Unterrichtsanstalten eines von Würde-losigkeit und Blindheit befreiten Volkes tragen wird."^' Immerhin bemerkt Stefan: Macheath findet "völlig organisch zum Wortlaut von Sätzen,die ein deutscher Reichskanzler 1934 dann auch tatsächlich ausgesprochen hat; das ist hier keine aufgepfropfte Aktualität, sondern innerlich absolut nötig!*6)
Als Gegenkritik zur Kantorowics-Rezension kann man ebenfalls die von Leo Lania werten: "Dieses Zeitdokument ist im Grund überzeitlich, es spiegelt die ganze Epoche der kapitalistischen Aera(sic).Es durchleuchtet ebenso 'das Dickicht der grossen Städte', wie das der modernen Zivilisation,es sagt ebensoviel über die Gefühle und Leidenschaften der Menschen aus wie über den Profit - und führt den Nachweis, dass jene von diesem bestimmt werden. Der Roman ist ebenso unreal wie der Gulliver und der Don Quichote und ebenso realistisch. Das Werk eines Dichters und- eines seiner Verantwortung bewussten Kämpfers für eine
1)-6) ebenda»


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neue Welt." Anders als Kantorowics genoß Lania auch das Werk:"Man liest das Buch, immer wieder stockend, oft verwirrt, in einem Zug wie einen Kriminalroman. Und dann beginnt man sofort wieder von vorne: erst bei der zweiten Lektüre ... kommt man zum wahren ©enuss des Werkes." Lion Feuchtwangers Wertung ist überraschend: "den dreigroschenroman habe ich zweimal gelesen, ich finde das buch eine ausgezeichnete karikatur auf das Weltbild des extrem marxistischen doktrinärs. wir müssen einmal ausführlich darüber sprechen." '    Denkbar ist, daß Feuchtwanger die Figurenzeichnung des Romans als Karikatur auf den von Kantorowcs u.a. positiven Helden gesehen hat, oder die Handlungsführung, das Verbrechermilieu als Kritik an vulgärmarxistischen Auffassungen.
Die Erstauflage des Allert de Länge-Verlages lag mit 3000 Exemplaren*' im normalen Bereich für Romane, die im Exil erschienen. In der Sowjetunion betrug die Erstauflage 500C Exemplare.   Die Rezensionen aus dem nichtdeutschsprachigen Bereich , die uns vorliegen, beschränken sich auf Brechts Kritik des Kapitalismus, loben die sprachliche Qualität des Romans, erkennen selten den antifaschistischen Charkter. Sie sprechen von einer "vn'triolic satire and cynicisrn"^ , die "far too fantastic
for any serious purpose" sei; sie sei entweder "brilliantly
7")                                                                       R"]
written"  oder "wholly unreadable"  . Es klingt also nur
1)Lania,Leo:Brechts Dreigroschenroman.-In: Pariser Tageblatt ,(Paris),2.Jg.,Nr.355(2.Dez.1934),S.8-9. Das Blatt vertrat die Position, auch die Unpolitischen(z.B. Juden und nicht exilierten Deutschen im Ausland) müßten angesprochen werden, berief sich auf die demokratischen Positionen des Gastlandes."Eine gutbürgerliche Zeitung, aber
doch eine antifaschistische."-vgl.:Exil in Frankreich,S. 1 44ff.
2)Lion Feuchtwanger an Brecht, 29.12.1934, BBA 478/86.
3)Peitsch/Schutte,a.a.O. ,5.187..
4) vgl. Melzwig, Brigitte'.Deutsche sozialistische Literatur. Bibliographie der Buchveröffentlichungen,Berlin und Weimar 1975»S.114— 115.Dort Angaben über die Übersetzungen und Ausgaben im Ausland.
5)Times vom 26.2. 1937   ,BBA 390/106.
6)Methodist Times&Leader o.D.,BBA 474/75.
7)Beifast Telegraph 6.4.34, BBA474/74.
8)The Spectator 12.3. 37 BBA 474/4


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wenig davon an, daß es sich um einen aktuellen, gegen den Faschismus 
gerichteten Roman handelt. Eine Ausnahme: "The choice of an English setting was probably made to avoid direct political implications in Germany. Brecht knows very little about the British; äs history his novel is grotesque; buttone has the feeling that he intends it to be so to broaden his satire and intensify the bitterness of his comments."    So, wie dieser Rezensent nur das Gefühl hat, die Satire könne mehr als nur die englischen Zustände fassen, scheinen viel Leser vom antifaschistischen Chrakter des "Dreigroschenroman" überzeugt gewesen zu sein. Der englische Herausgeber sah sich genötigt, 100 Pfund Belohnung auszusetzen für den, der beweisen könne, daß politisch wichtige Passagen in der englischen gegenüber der russischen und dänischen Fassung fehlen.
Brecht selber bemerkte:" habe ich Ihnen übrigens geschrieben, dass der DREIGROSCHENROMAN in England eine erstaunlich gute presse hatte? man verglich es an mehreren stellen mit swiftschen dingen, aber ich glaube, der verkauf ist sehr schlecht, sie scheinen swift nicht zu lesen, allerdings hieß es in den kritiken, das buch sei recht unangenehm und die engländer lieben anscheinend das unangenehme nicht so sehr wie die deutschen."-^    So hatte z.B. Thompson erwähnt: "... it is possible that the public would stop its ears like the deaf adder: it isn't exactly, I ima-gine, the sort of thing it wants to hear about its own English underworld; nor is it exactly an easy book to read."^' Wir glauben also folgende Rezeptionslinien feststellen zu können - grob geordnet und teilweise hypothetisch: Kantorowics,Haiarid,Biha,Uhse und auch wohl Kläber sehen den"Dreigroschenroman" als Lehrmittel, sprachlich hervorragend, aber politisch ungenau wegen der zu großen Verein-
DThe New Leader, 12. 3. 37   ,BBA V7V85.
2)vgl.BBA 1396/39 und BBA 1396/37-38, wo Brecht diesen
Vorwurf auch bestritt.
3)Brecht an Feuchtwanger, August 1937, BBA 478/69. 4)Thompson,Gilchrist, BBA 397/79.


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fachungen und dem Fehlen der Arbeiterklasse, die den revolutionären Impuls hätte geben müssen. Die Aktualität des "Dreigroschenromans", die allerdings nicht allein in den Anspielungen auf den Faschismus besteht, wird von Frey, Türk,Reich, Lania,Hauptmann und Sahl gesehen, insbesondere auch vom Rezensenten der "Deutschen Freiheit". Diese Kritiker gehen im Gegensatz zu den erstgenannten besonders auf die satirische Anlage des Romans, auf den Stil ein, der die Inhalte transportiert.
Stefan und Feuchtwanger meinen, im "Dreigroschenroman" einen gegen die "doktrinäre Weltanschauung" der Kommunisten
gerichtete Satire erkennen zu können. Sie sei zwar sozialistisch vom Inhalt her, aber die Darstellung des von den Tatsachen unabhängigen Bewußtseins z.B. der Kleinbürger zeige die Problematik des Kampfes auf, der sich die extrem kommunistischen Doktrinäre nicht bewußt seien. Die Figuren-
••^s
Zeichnung Brechts wird wohl als Karikatur auf die von Kantorowics u.a. geforderten positiven Helden gesehen. (Insbesondere unsere letzten Einschätzungen sind hypothetisch) Wohltuend hebt sich die Rezension Benjamins von all dem ab:
N_>
er sieht sowohl die Aktualität als auch die Dauerhaftigkeit des Romans, denn er weiß um die Funktion der Satire und der Figurendarstellung.Im Ausland konnte über die direkten Anspielungen auf den Faschismus (schon allein wegen der Ubersetzungsproblematik) kaum eine Aktualität gesehen werden. Über sehr einfache Verdikte aufgrund einer ebenso simplen Vorstellung von realistischer Literatur hinaus kamen nur
die Rezensenten großer Blätter, die die satirische Kritik
-—-
am Kapitalismus und dem herrschenden Bewußtsein auch in der Übersetzung als beißend empfanden. Es scheinen also im Wesentlichen die den "Dreigroschenroman" am besten verstan-dne zu haben, die in ihm die Wirkungsintention für den antifaschistischen Kampf suchten, sich an der Schreibweise sowohl ergötzten als auch sich von ihr mitreißen ließen. Das Leserinteresse zu wecken hatte Brecht also verstanden
und es auch nutzen können. Nur da, wo der Roman den Anschein
—•
erweckte, nicht mehr satirisch geschrieben zu sein -im
Traum Fewkoombeys- ergab sich von derartigen Lesern meist Kritik.



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ZUSAMMENFASSUNG
Die Analyse der antifaschistischen Haltung Brechts lief darauf hinaus,,daß Brecht im Rahmen der allgemeinen Diskussion über die Neubestimmung der politischen Strategie und Taktik der KPD einen eigenständigen Beitrag zu liefern suchte, der sich jedoch nicht zu einem eigenständigen System ausweitete. Ob Brecht sektiererischer war als die KPD oder ebenso sektiererisch oder überhaupt sektiererisch, z.B. in der Frage der Haltung zu den Mittelschichten, erwies sich als eine Frage, die so falsch gestellt war. Denn weder der KPD noch Brecht läßt sich in den Jahren 1933-3^ eine eindeutige Haltung zuschreiben. In den Diskussionen und theoretischen Artikeln wurden Standpunkte deutlich, die mit der später formulierten Volksfrontpolitik nicht übereinstimmten. Brecht hielt jedoch seine sehr emotional wertenden Aussagen zurück, veröffentlichte sie nicht. Seine Arbeit und die der kommunistischen Intelligenz, wohl die des gesamten antifaschistischen Widerstands, war weitgehend davon geprägt, das Nächstliegende zu tun; zu analysieren, wie es zur Niederlage der Arbeiterklasse und des gesamten fortschrittlichen Spektrums des deutschen Volkes vor dem Faschismus hatte kommen können, die Kräfte zusammenzufassen und Möglichkeiten zu sondieren, auch aus dem Exil heraus antifaschistisch wirksam zu werden.
Diesem Bemühen entsprach die Wirkungsintention des "Dreigroschenromans": modellhaft die Bedingungen für den Faschismus und seine Ideologie aufzuzeigen, die Brecht wesentlich in den Eigentumsverhältnissen sah. Seiner Aufforderung, von den Eigentumsverhältnissen zu sprechen, von der Ausbeutung, die auch die faschistische Roheit einschließen konnte, entsprach die Verzahnung von kapitalist--,
ischem Geschäft und faschistischer Ideologie im "Dreigroschenroman". Zum Ausdruck kam, vor allem in den Aufsätzen, zwar eine Unterschätzung der neuen Qualität des Faschismus
gegenüber der bürgerlichen Demokratie, doch in der literarisch
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Ausbeutung und Ideologie wird dieser Mangel wieder wettgemacht. Es wird, hier deutlich, wie falsch und unrealistisch Faschismustheorien waren, die im Nationalsozialismus eine spezifisch deutsche, von allem -Bisherigen unterschiedene Erscheinung sahen. Brecht v/endet sich mit dem Dreigroschenroman sowoahl an die exilierte Intelligenz als auch an den Auslandsleser, um mit seiner Darstellung des Verhältnisses zwischen Verbrecher und Bürger zur eigenständigen Analyse des Verhältnisses zwischen Verbrecher und Bürger, zwischen Kapitalismus und Faschismus anzuregen und zu warnen.
Sein Roman gründet auf dem "Dreigroschenn-Stoff, um gezielt ein möglichst breites Publikum zu erreichen, denn das Verbrecher/Bürger-Motiv hatte Brecht insbesondere im Ausland erst bekannt gemacht. Aber sowaohl in der Romanform als auch insbesondere  im transportierten Inhalt bestehen große Unterschiede  zur Stofftradition. Die Romanform ergab sich dabei im wesentlichen aus dem Zwang der Verhältnisse- ein Roman hatte größere Verbreitungschancen.
"Der 'Dreigroschenroman1... war das erste erfolgreiche Beispiel der Anpassung eines Autors an veränderte Wirkungsbedingungen."
Das galt auch für die Wahl der satirischen Schreibweise, die mittels verschiedener Techniken den Leser nicht nur die Modellwelt der Peachums und Macheaths verlachen ließ, sondern über die Verkehrung aller Werte und Normen, durch die Ubertreibung der Bewußtseinsformen und ihre Konfrontation mit der Realität eine bestimmte Haltung der Leser erreichen sollte. Die Leser waren sowohl -durch die Erzählerkommentare besonders stimuliert- zu einer Distan'zierung von den handelnden Figuren aufgerufen als auch -dazu diente die Montage verfremdeter Realitätsdetails und die zum analytischen Denken anhaltende Kriminalromantechnik- zu einer Distanzierung von bisher innegehabten Bewußtseinsformen. Denn diese, so wird im Roman deutlich, sind historisch überlebt, wenn sie auf der Beibehaltung des kapitalistischen Geschäfts, der Konkurrenz und der damit verbundenen Ideologie
1)Hermsdorf,Klaus ua,a.:Exil in den Niederlanden und in Spanien,a.a.O.,S. 134.


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gründen. In der Montage der verschiedenen Zeitebenen wird nicht eine logische historische Entwicklung des Kapitalismus geliefert, sondern gerade die Verzahnung ihrer verschiedenen Entwicklungsstufen vorgeführt. Damit wird auch aufgezeigt, daß der Faschismus keine logische Konsequenz der historischen Entwicklung, sondern im Kapitalismus wesensmäßig angelegt ist. Somit erscheint der Faschismus als vermeidbar, bekämpfbar, sofern man sich von der Vorstellung der Unvermeidbarkeit und Notwendigkeit kapitalistischer Eigentumsverhältnisse überhaupt löst.
Die "Ungleichzeitigkeit" des Bewußtseins gegenüber dem realen Sein wird in der Anlage der Figuren dargestellt.
~—
Der Kapitallogik der Verhältnisse entspricht die Wolfsmoral der Protagonisten als Vorantreiber der Geschäfte und damit der Handlung. Die Personnage ist insgesamt blutleer dargestellt, besteht aus Charaktermasken. Die Aneignung ^
realer Widersprüche durch die Personen, ihre Eingebundenheit
in ihre Interessenlage Terweist auf die alles umgreifende depravierende Funktion des Geschäfts. Da keine "positive
Gegenkraft" dargestellt wird, bedeutet die Verkümmerung
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des Subjekts nicht einen Verweis auf die Notwendigkeit von Klugheit oder Güte, die den Verhältnissen entgegengestellt werden könnten. Die satirische Absicht durch die Verkehrung jeder Realität, durch die Verfremdung jeder dargestellten Bewußtseinsform liegt also nicht in der Setzung einer Wirklichkeit als Mangel gegnüber einem Ideal, das etwa im Traum Fewkoombeys ausgedrückt sein könnte.
Es geht vielmehr auch hier um die Aktivierung des
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Lesers, der erkennen soll, daß wahrer Humanismus in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht möglich ist. Ss gilt für den Leser, für den antifaschistischen Exilanten mithin, sich aus Bezügen tradierten Bewußtseins zu lösen, die zur
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faschistischen Sprache und den Ideologemen der Nazis nur durch einen höheren Gehalt an Kultur und die Ablehnung roher Gewalt gekennzeichnet sind.
Die verfremdeten Realitätsdetails aus dem deutschen
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Faschismus werden im"Dreigroschenroman" so eingebaut, daß sie als Substrate der Alltagssprache, des Alltagsbewußt-



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seins wirken. Anhand der Untersuchung der Rolle des Sozialdarwinismus im "Dreigroschenronian" wird die Absicht Brechts deutlich, nicht nur das falsche Bewußtsein^z.B. der faschistischen Ideologeme als falsch zu brandmarken, sondern auch ihre Realitätsferne, also den Grund für die "Falschheit" und seine Tradition im Denken aufzuzeigen. Wie wenig Bildung, Güte, Menschlichkeit, also auch die Sprache der Werte, gegenüber den materiellen Interessen ausrichten können, wird gleichnishaft in Szene gesetzt im andauernden Unterliegen der B-Ladenbesitzer und auch Fewkoombeys, der sich deshalb im Traum zum Tode verurteilt.
Die Wirkung des "Dreigroschenromans" mußte eine gespaltene sein: die,denen die Ausagen Brechts bekannt waren und sie in täglicher Praxis verarbeiteten, mußten enttäuscht sein, denn eine sie moralisch unterstützende optimistische Grundaussage war nicht direkt ablesbar. Wer nicht bereit war zu lernen, in eigener Gedankenarbeit ein fest konstruiertes Gedankengebäude ins Wanken bringen zu lassen, konnte sich mit der satirischen Analyse der angegriffenen Bewußtseinsformen nicht anfreunden.
Die bürgerlichen Antifaschisten jedoch, die in der Auseinandersetzung mit der Situation des Exils und im Kampf gegen den Faschismus eine Analyse der Gründe für ihre . Probleme brauchten, verstanden den "Dreigroschenroman" als einen Beitrag dazu. Problematisch am "Dreigroschenroman" erscheint uns allerdings, so sehr auch die Wirkungsintention auf die Gewinnung dieser Leser zielt, die Übertragung der in der Zeit der Weimarer Republik gewonnenenAnsichten Brechts über eine realistische Schreibweise auf die mit dem Faschismus einhergehenden neuen Probleme des Exils.
Es geht uns nicht darum, in Frage zu stellen, ob
die Brechtsche Schreibweise den Gehalt des Romans trafen •~-
konnte, ob sie objektiv in der Lage war, eine Analyse der
Verhältnisse in Sein und Bewußtsein der Zeit zu liefern. Sicherlich war sie das, sie wird der Wirkungsintention Brechts durchaus gerecht. Immerhin war es Ziel unserer Arbeit, genau das zu beweisen. Der "Dreigroschenroman"



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ist Muster antifaschistischer Literatur, aber er ist ein Muster, nicht das Muster. Für die Schreibweise galt und gilt nicht die Fragestellung "Brecht oder Lukacs" , sondern die Pluralität der Methoden. Das Exil brauchte auch Romane mit "positiven Helden", Erziehungs- und Bildungs-romane "herkömmlicher Art".
Wenn auch die Wahl der Romanform von Brecht sozusagen ein "Zugeständnis" an die Bedürfnisse der Exilanten war, scheint der Avantgardismus der Verfremdung, Hontage,und anderer satirischer Techniken an der Lesehaltung mancher Rezipienten abgeprallt zu sein.   Mehrfach wird in den Rezensionen auf die Notwendigkeit mehrmaliger Lektüre verwiesen, und W.Stefan verweist gar auf eine ferne Zukunft, in der der "Dreigroschenroman"  erst zum Tragen kommen könne. .7er Brecht kannte und sich die Muße verschaffen konnte, den Ror-ian geistig wirklich  zu verarbeiten, verstand ihn ganz. 7/ern diese ziemlich notwendigen Vorbedingungen abgingen, hatte augenscheinlich immense Probleme in Zugriff auf den Gehalt des Romans.
In der Darstellung der Erfahrungen aus dem Grundkurs über den "Dreigroschenroman" bei Peitsch/Schutte wird mehrfach auch auf die noch heute bestehenden Probleme in der Auseinandersetzung mit der Schreibweise Brechts verwiesen. Nachweisbar ist das auch in den einander
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widersprechenden, bzw. Fehlinterpretationen der Sekundärliteratur, sowie in der Scheu, den "Dreigroschenroman" überhaupt umfassend aufzuarbeiten.
Dabei ist die Aktualität des "Dreigroschenromans" angesichts der neu aufkommenden Faschismusdiskussionen offensichtlich. Es bedarf allerdings einer fundierenden Vorbildung, um den Gehalt des Romans voll ausschöpfen
zu können, bzw. eines gut (-also die Schwierigkeiten ein-
-^
beziehenden-) aufgebauten methodisch-didaktischen Kon-zepts(wie es z.B. Peitsch und Schutte vorgelegt haben), um die aktuelle Wirkung voll zum Tragen kommen zu lassen.
1)vgl,dagegen Bihas Einschätzung, der die Notwendigkeit künstlerischer Experimente forderte, selber aber den Intentionen Brechts nicht gerecht wurde.-In:Schiller, Dieter,u.a.:Exil in Frankreich5a.a.O.,S. 19bf.



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LITERATURLISTE
Vorbemerkung: Wir zitieren Brecht nach der Suhrkamp-Ausgabe in 20 Bänden(Brecht,Bertolt:Gesammelte Werke,Frankfurt/Main 1967), abgekürzt:GW. Das gilt auch für den "Dreigroschenroman" (= Bd.13 dieser Ausgabe). Zitate aus dem "Dreigroschenroman" werden nicht in den Fußnoten ausgewiesen, sondern durch die Seitenzahl(in Klammern) im Text. Die in TEIL VI (Die Rezeption des "Dreigroschenromans") angeführten Belege für Zeitungs- und Zeits chriftenartikel werden in die Literaturliste nicht übernommen. Zitate aus dem Bestand des Bertolt-Brecht-Archivs werden ausgewiesen durch:BBA, Mappe/Blatt. An dieser Stelle gilt unserer besonderer Dank den Mitarbeitern des Bertolt-Brecht-Archivs, die uns bei der Auffindung der Materialien in hohem Maße behilflich waren.
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Der "Zahn"'

„Zahn" nennen die Halbwüchsigen seit 1950 das Mädchen, auch die intime Freundin. Das Wort geht auf die jiddische Vokabel „sona = Dirne" zurück. Im Deutschen am bekanntesten (wiewohl meist unverstanden) ist der Song aus Brechts „Dreigroschenoper" mit dem Text: „Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht" (im Klartext: „Und der Zuhälter, der hat Dirnen, und die hält er unter Aufsicht").
(Zufallsfund aus einer Leserzuschrift in einer Zeitung. Ein weiterer Beleg für diese Doppeldeutigkeit  ist mir nicht bekannt. A.H.)


Mit Interesse durften wir zur Kenntnis nehmen, daß  der mutmaßliche Kriegsverbrecher und Ex-Bundeskanzler G.Schröder sich seinen Zapfen  mit dem Mackie-Messer-Song streichen ließ.
Nicht sehr originell, da passend.

(c) Andreas Hauß, Februar 2008,
medienanalyse-international.de/index1.html
Im übrigen bewundere ich Frau Klarsfeld.