INHALT
EINLEITUNG
S.1
TEIL 1
1)Exil und Faschismus-Analysen
S. 4
2)Brechts Versuch der Faschismus-Analyse
S.10
3)Brechts antifaschistische Strategie
S.14
TEIL II
1)Die Wirkungsintention des "Dreigroschenromans"
S. 21
2)Die Wiederaufnahme des "Dreigroschen"-Stoffs
S. 2?
TEIL III
1)Die Fabel des "Dreigroschenromans"
S. 30
2)Satire im "Dreigroschenroman"
S. 33
a)Funktion der Satire
S. 33
b)Die Funktion der Montagetechnik
S. 38
c)Die Funktion der Kriminalromantechnik
S. 44
d)Der "Dreigroschenroman" als historischer
Roman
S. 51
TEIL IV
1)Figurenaufbau im "Dreigroschenroman"
S. 55
a)Prinzipien der Figurenzeichnung
S.55
b)Das Problem des Humanismus
S.59
c)Macheath - Geschäftsmann und Politiker
S.65 d)Sein und Bewußtsein des kleinen Mannes
im "Dreigroschenroman"
S. 71
2)Der Traum des Soldaten Fewkoombey
S.76
TEIL V
1)Faschismus und faschistische Ideologie im "Dreigroschenroman"
S.83 2)Sozialdarwinismus und seine Folgen
im "Dreigroschenroman"
S. 87 3)Die Rolle der Bildung, der Anspielungen auf Literatur
etc. im "Dreigroschenroman"
S.94
TEIL VI
Die Rezeption des "Dreigroschenromans"
S.98
ZUSAMMENFASSUNG
S.112
LITERATURLISTE
S. 117
EINLEITUNG
Brechts "Dreigroschenroman" zu untersuchen,
erfordert aufgrund der literaturtheoretischen Positionen Brechts sowie
der besonderen Situation des Exils, in der er entstand, eine Herangehensweise,
die durch die Themenstellung schon weitgehend angedeutet wird. Deshalb
dazu einige vorgreifende Bemerkungen.
"Die erzählende Prosa Bertolt Brechts
hat nie jenen Grad von Aufmerksamkeit und Beachtung gefunden, mit dem das
dramatische Werk und seine Theorie sowie neuerdings auch -zu Recht- die
Lyrik aufgenommen wurden." Brechts eigene Einschätzungen der Prosa
und ihrer Wirkung haben dazu wohl mit beigetragen. Entscheidend für
diese Situation scheint uns aber die Unsicherheit vieler (Brechts politischen
Positionen zurückhaltend gegenüberstehender) Autoren zu sein,
die das vermehrte Prosaschaffen im Exil angesichts der politischen Positionen
Brechts nicht in Einklang zu bringen vermochten mit seinen bisherigen und
auch im Exil parallel laufenden lyrischen und dramatischen Arbeiten. Die
Sekundärliteratur denunzierte seine Prosawerke als Nebenarbeiten und
als politische Gelegenheitspropaganda, sprach also der Prosa die ästhetische
Qualität ab. Oder sie rang sich durch zu Wertungen wie folgender:
"So fand Brecht geistig wie künstlerisch erst im Exil seine wahre
Heimat."*'Derartige Aussagen wurden verbunden mit Versuchen, Brecht aus
seinen politischen Zusammenhängen herauszulösen, ihn als "unabhängigen"
---
1)Brecht, Bertolt: Dreigroschenroman.-In:
Äers.: Gesammelte Werke(im Folgenden:GW).Bd. 13. Frankfurt/Main 1967
Zitate aus dem "Dreigroschenroman" erscheinen im Folgenden ausgewiesen
durch die Seitenzahl im Text.
2)Müller,Klaus- Detlef:
Brecht- Kommentar zur erzählen den Prosa.-München 1980, S.11.
Vgl. seinen Überblick über den Fopschungsstand.Interessant ist
übrigens, daß Müller trotz der treffenden Zus.tandsbeschreibung
selbst auch unsicher in der Wertung der Brechtschen Prosa ist: "Das immerhin
recht umfangreiche erzählerische Werk entstand eher beiläufig..."(S.11)-
"Es wäre aber falsch, von Nebenwerken zu sprechen..."(S.27)..
3)Weisstein,Ulrich: Bertolt
Brecht. Die Lehren des Exils -S?392 deutsche ExiHiteratur 1933-19^5.-Stuttgart
1973
- 2 -
Marxisten zu definieren!', so daß
man beruhigt an die Untersuchung Brechtscher Prosa unter ästhetischen
Gesichtspunkten herangehen konnte. Problematisch dabei ist allerdings,
daß sich derartige Wertungen allein auf die Untersuchung der Sprache
beziehen mußten, wenn sie nicht die selbst gesteckten Grenzen überschreiten
wollten. Das führte zu einer Forschungssituation, die Emmerich folgendermaßen
charakterisiert:"Um so überraschender ist es, daß der enge Zusammenhang
zwischen Brechts theoretischer Beschäftigung mit dem Faschismus und
seiner antifaschistischen literarischen Praxis bisher nicht gründlich
erörtert worden ist - doppelt überraschend angesichts der jährlichen
Flut von Literatur über Brecht ."^'Zusammenfassend läßt
sich also sagen, daß in Hinsicht auf die antifaschistische Prosa
Brechts die Forschungssituation eher mager ist. Das gilt besonders für
die Untersuchung des Dreigroschenroraans, die beide - ästhetische
und politische - Gesichtspunkte erfordert. Wir konnten uns besonders auf
die erst kürzlich erschienenen Werke Müllers,Peitschs/Schuttes
stützen, auf die leider immer wieder vernachlässigten - da schwer
zugänglichen- Dissertationen Fischettis, Dakowas und Rieges, auf die
Reihe "Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945 in sieben
Bänden" und auf eigene Forschungen im Bertolt-Brecht-Archiv sowie
im Mikrofilmarchiv des Otto-Suhr-Instituts.
Unser grundlegender methodischer Zugriff
bei der Untersuchung des "Dreigroschenromans" ist fundiert in der Berücksichtigung
Brechts ästhetischer und politischer Vorstellungen. Wir untersuchen
die Einbindung des Autors und seines Werkes in die geistigen und politischen
---
1)z.B. schreibt WeissteinCebenda
S.379f.):"0hne seinen marxistischen Standpunkt im geringsten aufzugeben,
hielt sich Brecht in der Tat soweit wie möglich von diesen ideologischen
Scharmützeln fern."(gemeint war die Diskussion über die Notwendigkeit
der Bewältigung des Exils oder eine Orientierung auf den raschen Sieg
des Sozialismus).
2)Emmerich,Wolfgang:"Massenfaschismus"
und die Rolle des Ästhetischen.Faschismustheorien beiErnst Bloch,Walter
Benjamin,Bertolt Brecht.-In:Antifaschistische Literatur. Bd.1.Kronberg
197?(=Literatur im historischen Prozeß 11), S.260.
- 3 -
Auseinandersetzungen seiner Zeit, aus deren
Analyse sich der Zugriff auf den "Dpeigroschenroman" erst als fruchtbar
erweist. Eine derartige sozialhistorische Methode schließt notwendig
die Untersuchung der Leserreaktion, also der realen Wirkung des "Dreigroschenromans",
mit ein,
- 4 -
TEIL I
1)Exil und Faschismus-Analysen
Mit dem Machtantritt des Faschismus in
Deutschland ergab sich für die Gesamtheit der deutschen Antifaschisten
eine grundsätzlich veränderte Lage, gekennzeichnet durch die
Erschwerung des Kampfes für die jeweiligen politischen Ziele. Es wurde
eine Analyse der neuen Situation notwendig, die mehr leisten mußte,
als die Lage zu erklären: Die Analyse mußte praktikable Schritte
zur Überwindung des Faschismus aufzeigen - eine neue Strategie und
Taktik aller politischen Gruppen und Parteien war erforderlich.
Uns interessiert im Zusammenhang mit Brechts
Position wesentlich die Haltung der Kommunistischen Internationale (KI)
und der Kommunistischen Partei Deutschlands(KPD). Die KI reagierte mit
dem Plenum des Exekutivkomitees(EKKI) vom 28.11 .-12.12.1933 in Moskau
zu den Themen Faschismus und Krieg. Die KI gewann aus den deutschen Ereignissen
-verbunden mit der Sicht auf die Stärkung der Positionen des Faschismus
in Österreich, Frankreich und Spanien -neue Erkenntnisse, deren Wesenskern
darin bestand, daß der Faschismus nicht im Imperialismus schlechthin
wurzelt,
sondern in der staatsmonopolistischen
Entwicklung des
p)
Kapitalismus. Das führte zu einer
Neudefinition des Faschismus: Während der VI.Kongreß der KI
1928 noch von der terroristischen Diktatur des Großkapitals sprachr
, definierte das EKKI den Faschismus nunmehr als "die offene terroristische
Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen
Elemente des Finanzkapitals".^"'
---
1)Verschiedene Faschismusanalysen
waren schon vorher in der Analyse der NSDAP und des faschistischen Italien
erstellt worden.Vgl.:Texte zur Faschismusdiskussion I, Positionen und Kontroversen(=rororo
aktuell 1824), Reinbek bei Hamburg 1974.
2)Tgl.:Schumacher,Horst:Die
Kommunistische Internationale (1919-1943).Grundzüge ihres Kampfes
für Frieden,Demokratie, nationale Befreiung und Sozialismus.-Berlin
1979, S.111 ff.
3)vgl.:Vietzke,Siegfried:
Die KPD auf dem Wege zur Brüsseler Konferenz.-Berlin 1966, S.96 ff.
4) Schuma
- 5 -
Das Klassenwesen des Faschismus war somit
besonders hervorgehoben.Diese Definition kennzeichnete nicht nur die etablierten
Diktaturen, sondern auch die mit unterschiedlichen Losungen agierenden
faschistischen Bewegungen. Entlarvt wurde nicht nur das Monopolkapital
als Träger des Faschismus, auch die antikapitalistischen Losungen
wurden als Vertuschung dieses Zusammenhangs hingestellt.
Deutlich wird schon hier die Orientierung
auf die neueBündnispolitik bis weit ins bürgerliche Lager hinein,
die die Beratungen des VII.Weltkongresses der KI 1935 entscheidend bestimmen
sollten. Diese Orientierung war allerdings 1933 noch nicht explizit formuliert
worden. Das EKKI wandte sich mit der neuen Definition zugleich gegen Thesen,
die aussagten, der Faschismus sei eine über den Klassen stehende Staatsmacht,
eine Diktatur des Kleinbürgertums oder des Lumpenproletariats.''Mit
Brecht gesprochen heißt das, der Kampf der KI ging nicht gegen die
im Licht, sondern die im Dunkeln.
Die KPD war zu dieser Zeit organisatorisch
geschwächt: Viele Mitglieder waren verhaftet, darunter auch Thälmann.
Es wurden Abschnittsleitungen im Ausland aufgebaut, die die Verbindungen
mit in bestimmten Gebieten Deutschlands kämpfenden Gruppen aufrechterhielten-
der Inlandsleitung war das nur unter großen Schwierigkeiten und Gefahren
möglich gewesen. U.a. aufgrund dieser Sachlage und aufgrund der Verbitterung
über die erlittene Niederlage, war die Diskussion der Ergebnisse der
EKKI-Beratungen bei den Mitgliedern nur schwer und zeitlich verzögert
möglich. Es verstärkten sich zeitweilig sektiererische Tendenzen,
vornehmlich auf dem Gebiet der Bündnispolitik. Auch die Sozialfaschismustheorie
hatte wieder Raum in den Diskussionen gefaßt, da die Erfahrungen
mit der Regierungspolitik, mit den 1.Mai-Ereignissen 1929, mit der Ablehnung
des gemeinsamen
---
1)vgl. dazu die Position
Brechts S.10 ff
.
- 6 -
Vorgehens der Arbeiterparteien gegen die
Nazis noch lange vorhielten. (Das rragcr Manifest der SPD mit der
Einschätzung der Fehler der Sozialdemokratie entstand erst am 28.Jan.
193fr«) Doch es gab auch andere Stimmen: Alfred Kurella schrieb schon
1933 in "Unsere Zeit": "Unter den Deutschen, die als Wissenschaftler und
Künstler das geschichtliche Erbe dieses großen Volkes verwalten,sind
die Antifaschisten gewiß in der großen Überzahl. Von ihnen
wird in den kommenden Kämpfen Großes gefordert. Es geht hier
auch um die Gewinnung einiger Hunderttausend kleinbürgerlicher oder
kleinbürgerlich erzogener Herzen und Hirne für den antifaschistischen
Kampf."ayKurella argumentiert im Folgenden für eine Parteinahme zugunsten
der Arbeiterklasse und damit äann auch für den Kampf mit ihrer
revolutionären Partei, der KPD. Bündnispolitik wird hier auch,
wie in der KPD-Politik teilweise auch vorher-.schon, als Notwendigkeit
erkannt, jetzt aber schärfer pointiert. Jedoch werden die Bündnispartner
noch nicht unter dem Aspekt des gemeinsamen Anliegens gesehen, sondern
als Objekt der KPD-Bestrebungen in Richtung auf die Diktatur des Proletariats."Wir
haben mit unserem Pfunde schlecht gewuchert."-^ schätzt er zum Schluß
ein.
Die "annähernd 1500 Schriftsteller,
Kritiker und Publizisten"+,die zur Emigration gezwungen waren, deren Aufenthaltsort
sich nicht nur änderte, sondern auch ihre materielle Lage, ihr Publikum,
ihre Organisationen, sie alle sollten trotz ihrer schwierigen Lebens- und
Arbeitsbedingungen zum antifaschistischen Kampf gewonnen werden. Daß
es schon lange vor der Brüsseler Konferenz der KPD-^ innerhalb der
KPD und besonders unter der kommunistischen
---
1)vgl.Schleifstein,Josef:
Die"Sozialfaschismus"-These.
Zu ihrem geschichtlichen
Hintergrund.-Frankfurt/Main 1980 (=Marxistische Taschenbücher:Reihe
Marxismus aktuell. 1 i(4).
2)Kurella,Alfred.-In:Zur
Tradition der deutschen sozialistischen Literatur.Eine Auswahl von Dokumenten.Berlin
und Weimar 1979.S. 561.
3)ebenda S.56*t.
4) Herden, Werner: Wege zur
Volks front. Schriftsteller im antifaschistischen Bündnis.Berlin 1978,S.12.
5)Die Brüsseler Konferenz
der KPD(3.-15.Oktober 1935). Berlin 1975.
- 7 -
Intelligenz verstärkte Einheitsfront-
und Bündnisbestrebungen gegen den Faschismus gab, die allerdings in
ihrer Zielrichtung nicht nur nicht ausgereift, sondern sogar teilweise
falsch waren, ist also nachweisbar.
"Die Verbindung mit spzialdemokratischen
Schriftstellern und linksbürgerlichen Schriftstellern(in Deutschland,A.H.)
ist noch nicht vorhanden. Wichtig ist, daß eine ziemlich breite Literatur,
die sich natürlich auf Kleinformen beschränkt, jenseits des Bundes
entsteht."(gemeint ist der BPRS,A.H.)2'Die Einschätzung des antifaschistischen
Kampfes in Deutschland gehörte also ebenso offensichtlich wie seine
Verbreiterung zu den Anliegen der kommunistischen Schriftsteller. Auch
die Lage der exilierten Schriftsteller wurde analysiert. Brecht schrieb
an Becher(28.Juni 1933): "Ich habe beinah überall stärkste Entmutigung
und Verwirrung angetroffen. Getrennt vom Proletariat, mehr und mehr beschäftigt,
ihren nackten Lebensunterhalt zu verdienen, was nur durch Kompromisse in
allen entscheidenden Dingen möglich ist, dazu über eine Reihe
weit auseinander liegender Städte verstreut, werden die proletarischen
Schriftsteller ihre revolutionäre Produktion nur sehr schwer weiterführen
können... Die linken bürgerlichen Schriftsteller richten sich
im allgemeinen auf lange Emigrationszeit ein, sondieren wohl auch noch
die Möglichkeiten der Rückkehr und haben für den Kampf mit
dem Faschismus keinen Standpunkt.Man verleiht ihnen keinen solchen, indem
man sich ab und zu für irgendwas ihre Namen ausborgt. Dabei gäbe
gerade der Umstand, dass (sie) sie ihre Standpunktlosigkeit
---
1)vgl. dagegen :Peitsch,Helmut/Schutte,Jürgen:Bertolt
Brechts Dreigroschenroman.Erfahrungen aus einem literaturwissen-
schaftlichen Grundkurs.-In:Sammlung 3.Jahrbuch
für antifaschistische Literatur und Kunst.Frankfurt/Main 1980. S.185
wird behauptet, die KPD habe an der Sozialfaschis-mustheorie festgehalten,
eine Position, an der das Sektierer-turn der KPD festgemacht wird.Unseres
Erachtens ist sie einseitig und unhistorisch, da der Prozeßcharakter
der Theoriebildung in der KPD nicht zum Ausdruck kommt.
2)Becher an IVRS(Sommer 1933).-In:Baumgart,Hans:"Der
Kampf der sozialistischen deutschen Schriftsteller gegen den Faschismus«;
1933-1935)Diss. Berlin 1962,5.105.
- 8 -
und Wehrlosigkeit jetzt z.T. empfinden,
uns bei ihnen eine wirkliche Chance, deren Zeit allerdings bemessen sein
dürfte. Die These, dass (sie) man sie im Grunde in Ruhe lassen muss
(sie), um ihre Sympathie nicht zu verscherzen, war nie falscher als jetzt.
Wenn überhaupt jemals,dann würden sie jetzt für eine wirkliche
politische Schulung zu haben sein." '
Brecht ist, so wird deutlich, der KPD
außerordentlich
2.}
freundschaftlich gesonnen. 'Seine Arbeit
steht ganz im •^
Dienste der politischen Aufgabe des Kampfes
gegen den
Faschismus. Er arbeitet an Tarnschriften
mit, die nach Deutschland geschmuggelt werden und erweist sich dabei wiederum
als Meister der "kleinen Form", der agitatorisch wirksamen Sprachbeherrschung.
Er wird erstmals Mitglied verschiedener Organisationen (Hauptvorstand des
SDS und PEN), arbeitet am ersten Braunbuch mit, konzipiert ein
zweites, dichtet das Einheitsfrontlied,
führt Diskussionen
(auch in Form eines regen Briefwechsels),bereitet
Kongresse vor:
"lieber Becher, ich habe ein kleines grauen
vor Zusammenkünften zum zweck des Zusammenseins, man zählt
die kämpfer seiner lieben und versichert
sich, dass(sie) man einer meinung ist usw. etwas ganz anderes wäre
es natürlich, wenn solch ein kongress (sie) zusammenträte, damit
ein plan einer ganz bestimmten gemeinsamen arbeit besprochen würde,
sagen wir, die herausgäbe einer neuen encyklopädie."^'
Alles ist auf die politische Wirkung ausgerichtet
in Brechts Denken, der Kongreß als auch die Vorstellung "der gemeinsamen
Arbeit an der Enzyklopädie:
"über bestimmte themen, Schlagwörter,
politische paro-len, sätze wie Gemeinnutz geht vor eigennutz' würden
immer lf-5 Schriftsteller zugleich ihre meinungen schreiben..."^'
---
1)BBA 1386/02 (=Bertolt-Brecht-Archiv,Mappe,Blatt.
Die oft benutzte kleinschreibung bei Brecht wird in der Zitierung übernommen^.
2)vgl.Schuhmann, Klaus:Der
Lyriker Bertolt Brecht 1913-33.-Berlin 196if,
S.32?ff.(Anm.6l).
3)BBA 1386/03.
4)ebenda.
- 9 -
Brecht ist also durchaus nicht isoliert1',wie
Mennemeier
2\ uns glauben machen will* , sondern
nimmt z.B. an
politischen Diskussionen teil. Sein Werk
entsteht nicht fernab der Zeitumstände, sondern soll in sie eingreifen.
Daß dies natürlich insbesondere bei Theaterstücken mit
der Zunahme des Einflußbereiches des deutschen Faschismus auf Schwierigkeiten
stößt, ist unbestritten. Uns interessiert aber die Entstehungszeit
des "Dreigroschenromans", und da von einer sehr bewußten antifaschistischen
Wirkungsintention ausgegangen werden muß, analysieren wir Brechts
zeitgenössische Auffassungen vom Faschismus und zum antifaschistischen
Kampf.
1)vgl.z.B.:Claas, Herbert:Die politische
Ästhetik Bertolt Brechts vom Bääal zum Caesar.-Frankfurt/Main
1977:"Die Phase bis zur Teilnahme Brechts am ersten internationalen Schriftstellerkongreß
ist in der Folge gekennzeichnet durch bewußte Umstellung der eigenen
Produktion und durch gezielte. Aktivitäten, auf die politische Organisation
der antifaschistischen Schriftsteller Einfluß zu nehmen."(S.76)
2)Mennemeier,Franz - Norbert: Bertolt
Brechts Faschismus -Theorie und einige Folgen für die literarische
Praxis.-In:Festschrift für Wilhelm Emrich.Berlin 1975,S.56l: "Brecht
dichtete während der Jahre 1933 bis 194-8 im wesentlichen in äußerster
Isolation."
Mennemeier bezieht sich auf eine Bemerkung
Brechts im Arbeitsjournal, also aus einer wesentlich späteren Sicht
geschrieben. Daß Brecht seine Briefe öfters mit "dänisch
-Sibirien" überschreibt, wenn er Skovboestrand meint, deutet allerdings
auf eine gewisse Isolation hin, die Brecht umso stärker empfinden
mußte, als er die kollek-
>. tive Produktion gewöhnt war. Seine
subjektiven Empfindungen können jedoch nicht der Gradmesser für
unsere These sein. Es ist nachweisbar- und wird von uns in dieser Arbeit
mehrfach getan-, daß Brecht die politische und künstlerische
Vereinsamung sehr gui umging: durch Einladung von Freunden(z.B.Benjamin),
durch eigene Reisen, durch Briefe. Auch der "Dreigroschenroman" konnte
davon profitieren: Elisabeth Hauptmann und Margarete Steffin steuerten
Ideen bei, sandten Zeitungsausschnitte, Korsch schickte aus , London Material
über englische Gerichtsverhandlungen, Feuchtwanger beriet ihn, Korsch
sandte einige Auszüge aus Hitlerreden, aus Feders Wirtschaftsprogramm,
dänische Freunde lasen zumindest Korrektur.
- 10 -
2) Brechts Versuch der Faschismusanalyse
Brechts Einschätzung des Faschismus
verlief im Wesentlichen konform mit der der KPD.Peitsch /Schutte weisen
darauf hin, daß Brecht nur den als Antifaschisten gesehen habe, der
die Eigentumsverhältnisse der kapitalistischen Gesellschaft bekämpfte,
er sei sektiererisch gewesen und habe in dieser Frage mit der Politik der
KPD 1933/3^ übereingestimmt. Fradkin zitiert diesbezüglich Klaus
Schuhmann und ergänzt:"Allerdings hat Brecht den
taktischen Fehlern der Partei auch von
sich aus einiges
o) hinzugefügt." Jedoch habe er,
so Fradkin, später die
Volksfrontpolitik als richtig erkannt
und sei zu einem ihrer geschicktesten und konsequentesten Vertreter geworden.
In Bezug auf den "Dreigroschenroman" interessieren uns allerdings nur die
Äußerungen Brechts aus den Jahren 1933/3^» und nur mit
gewissen Einschränkungen die später gemachten Aussagen.
Brechts Bemühungen um eine adäquate
Faschismustheorie waren, das zeigen alle seine Aufsätze, immer funktional
gerichtet auf die Ausrüstung der Antifaschisten mit einer handhabbaren
Strategie zur Bekämpfung des Faschismus:
. "Wir müssen die Wahrheit über
die barbarischen Zustände in unserem Land sagen, daß das getan
werden kann, was sie zum Verschwinden bringt, nämlich das. wodurch
die Eigentumsverhältnisse geändert werden."^' Mit dem letzten
Halbsatz wird schon das angesprochen, was Brecht am meisten bewegte: die
Bekämpfung des Faschismus hielt er nur für möglich, wenn
sie mit einer Bekämpfung des Kapitalismus zumindest einherging. Sehr
krasse Formulierungen fordern auch eine Bekämpfung des Faschismus
als Kapitalismus: "Der Kapitalismus existiert in den faschistischen Ländern
nur noch als Faschismus, und der
---
1)Peitsch/Schutte: ebenda, S.185.
2)Fradkin,IIja:Bertölt Brecht. Weg
und Methode.*Frankfurt
/Main 1977, S.123. 3)Brecht,Bertolt:Fünf
Schwierigkeiten beim Schreiben der
Wahrheit.-In: GW 18,5.2
- 11 -
FASCHISMUS KANN NUR BEKÄMPFT WERDEN
ALS KAPITALISMUS,ALS NACKTESSER, FRECHSTER, ERDRÜCKENDSTER UND BETRÜGERISCHSTER
KAPITALISMUS."1' Diese Ansicht Brechts ist insofern problematisch, als
daß die neue Qualität des Faschismus nicht gesehen wird. Es
scheint, als ob Brecht im Faschismus einzig hervorhebenswert findet, daß
sich hier der Kapitalismus am besten äußert("NACKTESTER").
Indem Brecht eben diesen Zusammenhang
seinen Schriftstellerkollegen, den Intellektuellen und anderen Antifaschisten
klarzumachen versucht und durchaus richtig die Ausweglosigkeit mancher
anderer Denkweisen charakterisiert, wird doch sichtbar, daß er dem
Denken dieser Exilierten nicht gerecht wird. Diese sehen im Faschismus
eine deutlich andere Qualität als in den Regierungsformen der Weimarer
Republik z.B., wenn auch festgemacht an der "Gottlosigkeit","Barbarei",
"Ungerechtigkeit" oder dgl. des neuen Systems. 'Brechts Einschätzung,
die Regierungsform des Kapitalismus sei nicht so wichtig gegetiüber
der Tatsache, daß das ökonomische System kapitalistisch sei,
hat vielfache Konsequenzen, die sich, wie wir zeigen werden, auch im "Dreigroschenroman"
niedergeschlagen haben. Einige davon sollen.-hier aufgezeigt werden;
"Nach mancherlei Enttäuschungen...
entschlossen sich die Kleinbürger meiner Heimat,...nunmehr große
Taten zu verrichten...Ein Führer fand sich glücklicherweise,
und die Macht wurde ihm übergebe n. "-^' Dieser Bemerkung entspricht
folgende Aussage:
"Die nationalsozialistische Bewegung wird
vom Kleinbürgertum geführt, einer Schicht, die ökonomisch
und ideologisch vollständig unselbständig ist."^ Brecht geht
also von einer politischen Verselbständigung des Kleinbürgertums
gegenüber dem Großkapital (von dem es ökonomisch und ideologisch
abhängig sei) und den anderen
---
1)Brecht,Bertolt:ebenda,S.227.
2)vgl. z.B. die Positionen
Joseph Roths(S.55,S.172)»Leopold Schwarzschilds(S.2l6 f.) oder Klaus
Manns(S.277) in: Deutsche Literatur im Exil.-Stuttgart 1977.
3)Brecht Unpolitische Briefe.-In:GW
20,S.182.
4)Brecht:Interview.-In: GW
20,S.264.
- 12 -
Klassen und Schichten aus. Diese Einschätzungen
stammen schon aus der Zeit nach dem VII.Weltkongreß der KI und offenbaren
eine theoretische Unsicherheit, denn es ergibt sich bei der Bekämpfung
des Faschismus notwendigerweise das Feindbild "Kleinbürgertum" - doch
so will Brecht niemals verstanden werden.Seine Gedankengänge, die
in dieser Hinsicht wohl von Thalheimer und Silone beeinflußt sind1',
gehen auch in die Richtung der Definition Dimitroffs:
"Für das deutsche Großbürgertum
stand es so: Es sollte das große Besitztum aufrechterhalten werden,
und die Vereinbarung war: mit allen Mitteln."2' "Das Regime und die Mittelschichten
stehen einander gegenüber, in einem wilden Handel begriffen."*' Wiederum
an anderer Stelle führt Brecht aus:
•'Ob man annimmt,daß der Kapitalismus
seine ökonomische Macht durch Hinzuziehung des mobilisierten Mittelstandes
halten will, oder ob man annimmt, daß sich im Nationalsozialismus
der Mittelstand als STAAT auf kapitalistischer Basis etabliert, also sich
eine Schicht sozusagen zwischen die ökonomisch einander bekämpfenden
Klassen geschoben hat...-bekämpft werden kann der Nationalsozialismus
nur durch die Bekämpfung des kapitalistischen Wirtschaftssystems."
---
1)Thalheimer schreibt in
"über den Faschismus"(In:Texte zur Faschismusdiskussion I.a.a.O.S.21):"Der
gemeinsame Nenner ist die offene Diktatur des Kapitals.Ihre Erscheinungsform
ist die Verselbständigung der Exekutivge-waltder Vernichtung der politischen
Herrschaft der Bourgeoisie und die politische Unterwerfung aller übrigen
Gesellschaftsklassen unter die Exekutive." Thalheimer betont, der Faschismus
sei eine Form der Diktatur der Bourgeoisie, aber nicht die Diktatur.Im
Faschismus habe die sozial herrschende Klasse der Kapitalisten ihre politische
Herrschaft an Emporkömmlinge einer Massenorganisation abgetreten.
Ähnliche Positionen vertrat Ignazio Silone in "Der Fascismus"(Zürich
1934)» vgl. S.273-285, wenn auch nicht so ausgeprägt.Mittenzwei
weist darauf hin(in:Exil in der Schweiz.-Leipzig 1978) daß Brecht
sich sehr interessiert an diesem Buch gezeigt habe(S.149).Brecht schrieb
im August 1933 an Brentano: "Das Buch des Silone über den Faschismus
mochte ich gern
lesen."(ebenda)Bemerkenswert
sind Silones Analysen über Berufsverbrecher und Bürgerturn-vgl.u.
unsere Analyse zur Kriminalromantechnik im "Dreigroschenroman".
2)Brecht:Furcht und Elend
des dritten Reiches.»In:GW 20,S.249.
3)ebenda S.251.
4)Brecht:Plattform für
d±e linken Intellektuellen.-In:GW 20, S.238 f.
- 13 -
In diesem Zitat wird die Unsicherheit Brechts
bei der Bestimmung der Frage der herrschenden Klasse besonders deutlich.
Zum einen steht damit die Bündnisfrage noch immer im Raum, zum anderen
heißt,den Faschismus als kapitalistisches Wirtschaftssystem zu bekämpfen,
den Sozialismus zu fordern,- wiederum mit Konsquenzen für das antifaschistische
Bündnis. Brecht behauptet: "Nach dem Faschismus, auch
darin hat der Nationalsozialismus recht,
kann nur der
i) Kommunismus kommen, nichts anderes."
Auch diese Haltung
wird im "Dreigroschenroman" seinen Niederschlag
finden-in Fewkoombeys Traum. Daß Brecht später Erkenntnisse
der internationalen antifaschistischen Bewegung, der KI etc. verarbeitete,
bzw. aus derrealen Entwicklung der Dinge selber Schlußfolgerungen
zog, braucht uns hier nicht zu interessieren. Als Beispiel dafür nur
ein Zitat etwa aus dem Jahre 1939:
"Als die Herrschaft der Kleinbürger
einsetzte, die nicht
gleich und überall als die der Grundbesitzer
und Fabri-
2) kanten zu erkennen war..."
Auch diese Definition entspricht offensichtlich
nicht der der KI, zeigt aber einen Erkenntnisfortschritt auf, der in Bezug
auf die auch von Brecht mittlerweile vertretene Volksfrontstrategie nutzbar
war.
V
---
1)ebenda , S. 2^0.
2)Brecht:über die Frage
des Krieges.*In:GW 20,S.270, vgl. auch ebenda:Der Reichstagsbrandprozeß,
S.292.
- 14 -
3) Brefchts antifaschistische Strategie
In den "Unpolitischen Briefen" setzte sich
Brecht scharf mit den Ansichten bürgerlicher Intellektueller auseinander.
Diese Auseinandersetzung zieht sich bei Brecht durch sein gesamtes Schaffen
während des Exils - von den Schriftstellerkongressen bis zu den "Flüchtlingsgesprächen'.1
Sie war seitens Brecht jedoch nie geprägt von rechthaberischer Besserwisserei,
sondern einzig von dem Gedanken, eine wirksame antifaschistische Front
auch unter den Intellektuellen zu errichten. "Was ich an ihrem Denken aussetzte,
war, kurz gesagt, seine Aussichtslosigkeit." Die Notwendigkeit der"Schulung"
für den antifaschistischen Kampf begründete Brecht auch im Brief
an Becher vom Juni 33. "Es wäre von den Sozialisten völlig verkehrt,
wenn sie glaubten, ihr Licht unter den Scheffel stellen zu müssen,
etwa, weil es blenden könnte."-5
Brecht stellte jedoch die Klärung
der Positionen nicht in Gegensatz zur gemeinsamen Arbeit, wie ein Urteil
über das Auftreten Brechts auf dem I. Internationalen Schriftstellerkongreß
lautet:"Anders als die Organisatoren des Kongresses stellte dieser Redner
durchaus das Trennende voran. "^"Brecht wollte sich aber nicht abgrenzen,
sondern das Bündnis vorantreiben, durch die Klärung der Fragen,
die beim gemeinsamen Kampf wichtig waren. Zugleich ging es ihm darum, die
bürgerlichen Intellektuellen in "Arbeit zu verwickeln", wie es Brecht
bezeichnete.-^Seine Versuche, eine
---
1)Brecht:Unpolitische Briefe.-In:GW
20,S. 187.
2)vgl.o.S.8.
3)Brecht:Notizen»-In:GW
20,S.261.
4) Mayer, Hans: Brecht und
die Tradition.-In:Brecht in der Geschichte.Frankfurt/Main 1971
Von einer Sprengung des
Kongresses kann erst recht nicht die Rede sein, wie es Müller behauptet.(In:
Die Funktion der Geschichte im Werk Bertolt Brechts.Studien zum Verhältnis
von Marxismus und Ästhetik.Tübingen 1967,5.72.)
5)Claas,Herbert: a.a.O.,S.77
f. Vgl. auch den Brief an Becher (s.o.S.8).
- 15 -
gemeinsame Plattform auf der Grundlage
der Einsicht in die Bedingtheit des Faschismus in den kapitalistischen
Produktionsverhältnissen zu schaffen, gingen allerdings in erstaunlicher
Geradheit an den Erkenntnissen seiner kommunistischen Kollegen, an der
Politik der KI vorbei, zumindest nach 1935«
"Zu der Klassenanalyse des VII. Weltkongresses
der Kommunistischen Internationale... stehen Brechts Überlegungen
nicht in Gegensatz, auch nicht zu den Forderungen nach Einheitsfront und
Aktionseinheit
des Proletariats; wohl aber lassen sie
die Perspektive
"£) für die antifaschistische
Volksfront vermissen... ~"
Sogar^'Esslin sieht in der Volksfront
die Phase
"des gemeinsamen Kampfes aller gegen Hitler
gerichteten Kräfte.Die Kommunisten standen in der ersten Reihe dieser
Kämpfer, und sogar die liberalsten Hitlergegner sahen in ihnen den
natürlichen Verbündeten."^"' Wie aber sollte es zu einer solchen
Einigung kommen, wie der gemeinsame Kampf organisiert werden, wenn, wie
Brecht meint feststellen zu müssen, der geistige Arbeiter "schreibt,
was keinen Wert hat"-? , und "im Volk...die größte Verwirrung"
herrschte, so daß große Teile des
deutschen Volkes "den Nationalsozialismus
freudig oder
n\ wenigstens duldend aufnahmen"' .Abgesehen
davon, daß
o \
Brecht hoffte, die Dauer des Regimes sei
nur kurz bemessen , zeigt seine Beschäftigung mit der Frage, warum
so große Teile des Volkes Hitlers Politik unterstützten
, die intensive Diskussion der Mittelschichtenproblematik und
---
1)Die KI orientierte zwar
weiterhin auf die Diskussion über die Eigentumsverhältnisse,
machte die Haltung dazu aber nicht zur Vorbedingung für den gemeinsamen
Kampf.
2)Claas, Herbert:a.a.0.,S.77
f.
3)vgl. die Auseinandersetzung
Fradkins mit Esslin(a.a.O., passim).
4)Esslin, Martin: Brecht.Das
Paradox des politischen Dichters.-München 1973, S.211.
5)Brecht:Faschismus und Kapitalismus.-In:GW
20,S.189»
6)Brecht:Unübersehbarkeit
geschichtlicher Ereignisse.-In:GW 20,S.181.
7)Brecht:R4de über
die Frage, warum so große Teile des
deutschen Volkes Hitlers
Politik unterstützen.-In:GW20,S.221.
8)vgl.z.B. GW 20,S.227(Die
Dauer des Regimes).Die Wahl der Aufenthaltsorte Brechts in der Nähe
Deutschlands ist ebenfalls ein Indiz dafür.
9)vgl.Anm. 7).
- 16 -
die Analyse der Person Hitler ,daß
Brecht sehr damit befaßt war, die Ideologie der Faschisten und ihre
Wirkung auf breite 'Teile des Volkes als zentralen Punkt der Auseinandersetzungen
darzustellen. . Brechts Propaganda für das Denken, für
die Wahrheit, läßt erkennen, daß er seinen Teil bei der
Bekämpfung des Nationalsozialismus im ideologischen Bereich leisten
wollte. Dabei ging es ihm auch darum, Unklarheiten bei den bürgerlichen
Antifaschisten über das Klassenwesen des Faschismus zu beseitigen
und diese somit zu befähigen, gemeinsam eine handhabbare Strategie
zu erarbeiten. Die Mittelschichten, über deren Rolle Brecht sich -s.o.-
nicht genau klar war, wurden als das zu revolutionierende Potential aufgefaßt.
"Bundesgenosse (für die Intellektuellen, A.H.) im Kampf gegen den
Nationalsozialismus kann nur die Arbeiterklasse sein."-^
schrieb Brecht allerdings und engte damit wiederum die Kampffront ein.Seine
Vorstellung, die Intellektuellen müßten sich auf sozialistische
Standpunkte stellen, um den Faschismus wirksam bekämpfen zu können,
war zwar sektiererisch, entsprang aber der Auffassung, nur über ideologische
Klarheit in dem für Brecht so wichtigen Punkt der Haltung zu den Eigentumsverhältnissen
überhaupt weiterkommen zu können. Es handelt sich offensichtlich
nicht Att eine Propaganda für die KPD, für den Marxismus-Leninismus,
sondern um die Erfahrung, daß die Standpunkte der meisten Intellektuellen
resig* nativ, analytisch falsch oder unscharf in wichtigen Fragen des Wesens
des NS-Regimes, in jedem Fall nicht handhabbar waren, um darauf eine gemeinsame
antifaschistische Front aufbauen zu können.^Insofern sind Sätze
wie:
---
1)vgl.Mennemeier, a.a.O.,S.569.
2)vgl.Emmerich, a.a.O., S.261
ff.
3)Brecht:Plattform für
die linken Intelektuellen.-In:GW 20,5.239, /f)vgl.Unpolitische Briefe.-In:GW
20,S.l82ff. und GW 18,S.222 ff. (Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben
der Wahrheit).
-17-
"Wer den Privatbesitz an Produktionsmitteln
nicht preisgeben will, der wird den Faschismus nicht loswerden, sondern
ihn brauchen." nicht abgrenzende, diffamierende
Verdikte, sondern -stark emotional gefärbte- Ver-
^
suche der Klärung. Diese Klärung
fand, wie die Nichtveröffentlichung vieler Aufsätze mit derartigen
Thesen zeigt,
2) zunächst und vor allem bei Brecht
selber statt.
Diese Aufsätze waren Reflexionen
und Vorarbeiten zu solch
-~
programmatischen Reden wie der auf dem
I.Schriftstellerkongreß oder zu Aufsätzen wie "Fünf Schwierigkeiten
beim Schreiben der Wahrheit". Hier zeigte sich- die organisierende Kraft
der ausgereiften Überlegungen, hier wurde seitens Brechts tatsächlich
versucht, "die Leute in Arbeit zu verwickeln n**' bzw. Vorschläge
dafür zu machen. Insofern ist die Behauptung: "Brecht ist im Juni
1935... so radikal,
wie der Generalsekretär des Exekutivkomitees
der KI und
i \
der Vorsitzende des Zentralkomitees der
KPD es sind." 'wenig hilfreich, denn die Aufforderung Brechts: "Kameraden,
sprechen wir von den Eigentumsverhältnissen!"5'unterscheidet sich
doch stark von den vorherigen Aussagen Brechts und verhinderte gewiß
nicht das antifaschistische Bündnis. Brechts Aufforderung, die Wahrheit
über die Eigentumsverhältnisse denen zu sagen, die darunter am
meisten leiden, "den Arbeitern und-.denen, die wir ihnen als Bundesgenossen
zuführen können, weil sie eigentlich auch kein Eigentum an den
Produktionsmitteln besitzen, wenn sie auch an den Gewinnen beteiligt sind."
verdeutlicht, daß Brecht in den Antifaschisten nicht etwa das der
KPD zuzutreibende Potential, sondern in ihren intellektuellen
---
1)Brecht:Faschismus und
Kapitalismus.-In GW 20, S.188.
2)vgl. Brechts Brief an Brentano
vom Jan.34(BBA 2181A2): "genug: was ich schreibe, mag recht vag sein, aber
es zeigt wenigstens, wovon allein ich mir was verspreche, nämlich
von einem möglichst beim konkreten bleibenden Studium der läge."
3)Brief Brechts an Kolzow.-In:Herden,
Werner: Vorschläge Brechts für das antifaschistische Bündnis.-In:Sammlung
3.a.a.O.S.91.
/f)Claas,Herbert,a.a.O.,
S.109.
5)Brecht:Rede auf dem I.Internationalen
Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur.-In:GW 18,S.246.
6)Brecht:Fünf Schwierigkeiten...-in:GW
18,S.239.
- 18 -
Fähigkeiten das Mittel zum Bündnis
mit der Arbeiterklasse und den Mittelschichten sah. Der Rigorismus der
vorherigen Aussagen wird also zumindest relativiert.
Inwieweit Brecht in den Mittelschichten
(die er ja immerhin zeitweise der Macht' ergreifung im Faschismus bezichtigte)
auch das Potential sah, das gemeinsam mit der Arbeiterklasse zum Sturz
des Faschismus fähig war, wird aus Briefen deutlich, die lange vor
den öffentlichen Auftritten 1935, mithin in der Entstehungszeit des
"Dreigroschenromans", geschrieben wurden:
"die arbeiter sollen wohl ideologische
Stehkragen anziehen zu einer zeit, wo die mittelschichten ihre eigenen
Stehkragen nicht mehr findet (sie) und darum uniformkragen verlangt! schliesslich
(sie) kann man ja auch den proletarischen karakter (sie) der mittelschichten
unterstreichen, dann hat man nicht demagogie getrieben und sich verstellt,
sondern die Wahrheit gesagt, was auch etwas wert ist!" Nachdem Brecht die
Stellung der Mittelschichten in "Furcht und Elend des dritten Reiches"
analysierte, kam er in seinen "Notizen" zu dem Schluß:
"Nicht das Proletariat proletarisiert
den Bauern, Handwerker, Angestellten, Intellektuellen, kleinen Geschäftsmann
oder will ihn proletarisieren, sondern der Kapitalismus proletarisiert
ihn, muß ihn proletarisieren." Brecht schließt daraus:
"Die proletarischen und Mittelschichten
würden die sozialistischen Ideale nicht fürchten, wenn sie ihnen
erklärt würden, sie haben nichts davon zu fürchten, im Gegenteil."^
Bei dieser Aufklärungsarbeit, bei
der er den Intellektuellen - soweit sie einen Standpunkt haben - eine große
---
1)Brief Brechts, an Brentano
Ende Dezember 1933 In:BBA 1386A4
2)Brecht:Notizen.-In:GW 20
S.262. - Dieser dem Kapitalismus eigene Zwang zur Proletarisierung der
Mittelschichten spielt im "Dreigroschenroman" ein große Rolle. 3)Brecht:Warum
droht die Abwanderung kleinbürgerlicher und
sogar proletarischer Schichten
zum Faschismus?-In:GW 20, S. 260."
- 19 -
Rolle zumißt, sieht er allerdings
ein Problem:
"ein problem für die marxisten ist
es, zu den klein-bürgern zu sprechen, da hier nicht eine klasse ist,
die ihre lösung für die Schwierigkeiten bereit hält, besteht
kein interesse an der analyse der komplizierten Verhältnisse unserer
epoche, in wissenschaftlicher oder künstlerischer weise, die kleinbürger
lieben die begriffe1 zu einfach1 und 'zu kompliziert1, sie sagen gern:
wenn es so einfach wäre, wäre es längst gemacht; und: es
ist eben alles zu kompliziert, da kann man nichts machen, trotzdem müssen
wir zu ihnen sprechen, wir müssen, aber da heißt es tatsächlich
populär sein... gegen den faschismus muß man sich ihrer Vorurteile
bedienen, ihren glauben an den führer könnte man am besten bekämpfen,
wenn man an ihren aberglauben appellierte, da wir das nicht können,
haben wir es schwer."
Brechts Analyse des Faschismus lief also
immer auf die Erarbeitung einer handhabbaren Strategie für den antifaschistischen
Kampf hinaus, parallel zur Neubestimmung der Politik der KPD gegenüber
den Mittelschichten und anderen Bündnispartnern, bzw. der Diskussion
darüber. Brechts Diskussionsansätze und Versuche der Theoriebildung
reihen sich ein in diese Diskussionen der kommunistischen Weltbewegung,
der KPD und der linken Intellektuellen. Sie bilden kein homogenes System,
keine Faschismustheorie,
waren jedoch produktiv für eine auszuarbeitende
Volks-
~>\ frontstrategie. Brechts antifaschistische
Aktivitäten
und seine Diskussionsbeiträge zu
Fragen der Partei, zum Bündnis, zur Faschismustheorie usw. zeigen
auf, daß Brecht sicherlich nicht in der geistigen Auseinandersetzung
allein den Kampf gegen den Faschismus führte und geführt wissen
wollte. Dennoch wird deutlich, daß die künstlerische
---
1)DBBA 157/27.
2)vgl. Mennemeier, a.a.O.
S.571. vgl.dagegen:Haug,Wolfgang Fritz:Brechts Beitrag zum Marxismus.-InAktualisierung
Brechts, Berlin 1980,(=AS 50),S.7ff. Haug stellt Brecht als überragenden
eigenständigen Theoretiker hin und zieht sogar Vergleiche zu Lenin
oder Gramsci.
Bewältigung der Gegenwartsprobleme
in Brechts antifaschistischer Staategie eine nicht unwesentliche Rolle
spielte. ' "Brechts Programm einer Bekämpfung des Faschismus
erweitert sich zum umfassenden Programm
für Propa-
2) ganda des Denkens überhaupt."
Unsere Aufgabe ist es, diese Propagandaleistung
im "Dreigroschenroman" nachzuweisen.
---
1)Brecht:Das letzte Wort.-In:
GW 18, S.219.
2)Dakowa, Nadesda:Die erzäülende
Prosa Brechts 1913-1934. Diss. Leipzig 1962, s> fgg
-21-
TEIL II
1)Die Wirkungsintention des "Dreigroschenromans"
In einem Brief an Becher betont Brecht,
ausgehend von dem Marx-Satz, die Welt solle nicht interpretiert, sondern
verändert werden, er habe im "Dreigroschenroman" die Realität
so dargestellt, "3ass (sie) man Ursachen und Wirkungen deutlich sieht,
also eingreifen kann..." . Die oftmals zitierte und falsch interpretierte
Bemerkung, die Brecht gegenüber der "Tribüne"2'fallen ließ,
läßt sich also relativieren:
"Auch den 'Dreigroschenroman1 habe ich
aus ganz materiellen Erwägungen geschrieben. Ich brauchte damals in
Dänemark Geld(Emigration) und habe vorher ein genaues Projekt gemacht,
was muss(sic) ich schreiben, um möglichst viel Geld dafür zu
bekommen. Natürlich habe ich dann auch einige Scherze mit dem Stoff
gemacht. Der Roman brachte mir dann tatsächlich viel Geld. Ich habe
es immer für richtig gehalten, im Kapitalismus Geld zu verdienen..."-'
Auch wenn zeitgenössische Äußerungen
Brechts den Eindruck bestätigen könnten, der Roman sei wesentlich
wegen des Geldes geschrieben worden^"',ist eine derartige Wertung falsch.
Sie beruht auf dem Glauben, einen Widerspruch
---
1)BBA 1386/01. vgl. u. den
gesamten Brief!
2)Klaus Hermsdorf geht bei
der Anführung dieses Zitats von einem Gespräch mit Paul Dessau
aus und bezieht sich auf dieselbe Mappe im BBA.
Das Zitat wird meist dazu
benutzt, um Brechts "Dreigroschenroman als "Nebenarbeit" abzuqualifizieren.
Dabei wird die Satire des Zitats übersehen. Klaus Hermsdorf wertet
den Roman nicht so ab. Hermsdorf,Klaus/Müller-Waldeck,Gunnar:Experimentelle
Prosa im Exil.Bertolt Brecht:»Tui«-Roman.-In: Erfahrung Exil.
Berlin und Weimar 1979, S.1/tO.
3)BBA 13W77 Aktennotiz Käthe
Rülickes vom 2iu5.5^.
Jf)"Ich kann gut leben,
habe einen 500 Seiten langen Roman geschrieben und, was wichtiger ist,
ich habe einen guten Handelsvertrag mit einem holländischen Verlag."
Brief Brechts an George Grosz vom 2.9. 1934.-In:Bock, Sigrid: Roman im
Exil.Enstehungsbedingungen,Wirkungsabsichten und Wirkungsmöglichkeiten.-In:Erfahrung
Exil.Berlin und Weimar 1979, S. 12.
- 22 -
zwischen Brechts künstlerischen und
politischen Intentionen einerseits und seinen materiellen Interessen andererseits
konstruieren zu können. Das ist jedoch unmöglich. Sein Briefwechsel
mit dem Verlag Allert de Lange beweist, daß Brecht durchaus keine
Abstriche an seiner Haltung und seinem Schaffen zu machen bereit war, so
daß u.U. der Roman nicht verlegt worden wäre. 'Es könnte
nun der Schluß naheliegen, die Verlegung derROmanhandlung ins England
des Jahres 1902 sei eine Form von "Sklavensprache", aber-wie wir unten
ausführlich zeigen werden- Brecht hatte damit eine Absicht verwirklicht,die
in der"Geschichte der deutschen Literatur so beschrieben wird: Diese Verlegung
der Roman-handlung sei notwendig gewesen,
"um die auch unter Antifaschisten verbreitete
Auffassung zu widerlegen, der Faschismus beruhe ausschließlich
auf Besonderheiten der deutschen Entwicklung
oder sei
p) gar der Ausdruck des deutschen Volkscharakters."
In den Verhandlungen über den Satz
des "Dreigroschenromans"
schreibt Brecht:
"Meine dänischen Freunde, denen ich
die Bogen zeigte, und die gut deutsch können, versichern mir, die
Schrift sei für sie fast unleserlich. Dabei kommt es gegenwärtig
doch auf die Auslandsleser sehr "-^
DBBA 580/17 Allert de Lange an Brecht(25.8.33)
:"Sehr geehrter Herr Brecht, Sicher wird Herr Alexander Ihnen schon mitgeteilt
haben, dass(sic) wir prinzipiell keine Romane oder Bücher verlegen,
worin gegen das heutige Regiem(sic) in Deutschland agitiert wird, oder
wovon (sie) selbst die Rede über die heutige Lage in Deutschland ist."
---
1)BBA 580/18 Brecht an Allert
de Lange(9.10.33):"Ein solches Zensurrecht über die geistig-politische
Haltung einer meiner Arbeiten kann ich natürlich unter keinen Umständen
zugestehen, so wenig wie irgend ein and rer Autor von Gesinnung."
vgl. dazu auch die Ausführungen über die politische und verlagsprogrammatische
Haltung des Verlages in:Hermsdorf,Klaus u.a.:Exil in den Niederlanden und
in Spanien.-(=Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-194-5
in sieben Bänden,Bd.6), Frankfurt/Main 1981,S.139 ff.(bes. S.HO) und
S.150ff.
2)Geschichte der deutschen
Literatur Bd.10,Berlin 1978,S.
3)BBA 780/25 Brecht an Allert
de Lange (207.34).
- 23 -
Brecht wollte also auch den deutschsprechenden
Ausländer mit seinem Werk erreichen, jetzt besonders. Dieses Potential
war seit den Ereignissen in Deutschland 1933 sicherlich weitaus interessierter,
aber schon immer nicht unbeträchtlich groß gewesen. 'Dem Anliegen
der Verbreitung des Wissens über die sozialökonomischen Grundlagen
des Faschismus entsprach auch die Heraaagabe von Übersetzungen des
"Dreigroschenromans"in anderen Landern. Für den englischen Leser schrieb
Brecht ein Vorwort, aus dessen verschiedenen Fassungen hervorgeht, daß
die Schilderung Londons gewiß nicht mit der Wirklichkeit übereinstimme,
daß es auch nicht um Einbrecher gehe, nicht um den Burenkrieg, aber
daß der Leser erkennen könne, daß Brecht, Lügen und
Irrtümer der Machthaber bekämpfend, ein Gleichnis geschrieben
habe, das alles enthalte, was man über den Burenkrieg und überhaupt
über Kriege wissen müsse.^ Es gibt - und darauf weist schon die
stiefmütterliche
1)vgl.Bock,Sigrid: Roman im Exil. Enstehungsbedingungen,
Wirkungsabsichten und Wirkungsmöglichkeiten.-In: Erfahrung Exil,Berlin
und Weimar 1979,S.12:Schon vor 1933 seien 10-15% der deutschen Buchproduktion
im Ausland verkauft worden.Dieser Anteil habe sich nach 1933 beträchtlich
vergrößert.
2)vgl.Melzwig, Brigitte:Bibliographie
deutscher »oaialist-ischer Schriftsteller. 1-918-1945.-Berlin und
Weimar 1977, S.111 ff.
3)BBA 294/136(Fassung.In der Ausgabe nicht
enthalten.) "VORREDE ZU THE JOB OF THE POORS
die vorliegende geschichte enthält
eine darstellung des gefühlslebens und der sitten der hefe der bevöl-kerung.
der Verfasser geht davon aus, dass(sic) ein verhalten wie etwa das der
polly peachum oder die gedan-kengänge solcher traurigen Individuen
wie der herren peachum, coax und machieth(sic) seinem publikum neu sind,
männer und frauen, die in der läge sind, romane zu kaufen, können
nie und nimmer im stände sein, sich eine Vorstellung davon zu machen,
wie weit die Verwilderung der sitten und die niedrigkeit der gesinnung
in den unteren schichten der bevölkerung vorgeschritten sind, sie
benötigen, um sich eine kenntnis von den Schattenseiten der menschlichen
natur zu machen, eben solche romane wie den vorliegenden.
das pfund stand zur zeit der niederschrift
dieses romans recht niedrig, die gefühle englischer leser konnten
daher kaum einen anspruch darauf erheben, besonders berücksichtigt
zu werden, sollte das pfund inzwischen wieder steigen, können die
englischen leser
-24-
Behandlung des "Dreigroschenromans" seitens
der Sekundärliteratur hin - die Auffassung, Brecht habe im "Dreigroschenroman"
ein Nebenprodukt geschaffenes sei leichthin geschrieben (u.a. um, an den
Erfolg der "Dreigroschenoper" anknüpfend, Geld zu verdienen-was von
uns ja auch nicht generell bestritten wird,s.o.-), sein Talent habe er
in die Gedichte und Dramen gelegt,der
überzeugt sein, dass(sic) der Verfasser
es lebhaft bedauert, den Schauplatz seines romans gerade nach england verlegt
zu haben, der Verfasser bedauert auch, dass(sic), wie ihm englische freunde
versichern, seine Studien englischer gebrauche und des londoner kolorits,
die er an der hand verbürgt englischer kriminalromane vornahm, ihm
wenig genützt haben, es wird ihm glaubhaft versichert, dass(sic) seine
Schilderung londons nicht ganz mit der Wirklichkeit übereinstimmt,
nun, dann stimmt sie mit der Schilderung englischer autoren überein."
BBA 29^/l37(Bruchstück.In die Ausgabe nicht übernommen): "aus
dem Vorwort
der Schauplatz des vorliegenden romans
ist london, die zeit die der burenkriege. der autor hat sich das Studium
londons, das er selbst nicht gesehen hat, angelegen sein lassen, er hat
eine reihe englischer kriminalromane sorgfältig durchgearbeitet, selbstverständlich
kann man für drei groschen nicht eine bis ins einzelne genaue Schilderung
einer so großen Stadt verlangen, es gibt immer leser, welche glauben,
für ihre par(sic) groschen, die sie für einen roman zahlen, sich
den ankauf eines bädeckers für 7 mark ersparen zu können,
das ist nichts weiter als Unverschämtheit! auch eine gründliche
geschicht-te des burenkriegs ersetzt der vorliegende ronan nicht. aber
auch so wie er ist enthält er nach auffassung des autors im großen
und ganzen alles, was man über den buren-krieg und überhaupt
über kriege wissen muß- und das ist mehr.als für drei groschen
verlangt werden kann!" BBA 29%A41 (Entwurf zur Vorrede):
"manchmal denke ich: nicht, dass (sie)
ich die Unwahrheit erzähle über die sogenannte unterweit; jedermann
kann erkennen, dass(sic) icg(sic) gar nicht über die einbrecher rede,
die mit dietrich und blendlaterne ein kärkliches(sic) brot verdienen,
arme leute, in jedem fall zu arm,um schuldig zu sein, sondern über
Andere, aber ich erzähle ein gleichnis, in dem kommen sie vor und
ich möchte nicht gerne, lügen und irrtümer über die
machthaber bekämpfend, irgend einen kleinen irrtum über machthaber
befestigen oder zulassen, wenn ich auch nicht sehe, wie er schaden könnte:
er wird schon schaden."
-25-
"Dreigroschenroman" sei naiv usw.
Brecht selber antwortete darauf: "das gegenüber einem werk, an dem
ich lange und intensiv gearbeitet habe." ' Brechts Vorliebe für Gedichte
und Dramen ist dabei nicht in Zweifel zu ziehen, und somit wird auch die
Äußerung Brechts gegenüber Margarete Steffin verständlich:
"Ich möchte so schnell wie möglich mit ihm (dem "Dreigroschenromany
A.H.) fertigwerden, um mich dann etwas Interessanterem zuwenden zu können»"^'Auch
die Bemerkung, dem "Dreigroschenroman" fehle eine gewisse Solidität^',
spricht nicht gegen die Ernsthaftigkeit, mit der Brecht an das Werk heranging
- der "Dreigroschenroman"befand sich ja noch in Arbeit. Der Stolz Brechts
auf sein fertiggestelltes Werk wird deutlich in einer Reverenz an Steffin
als Mitarbeiterin, wenn Brecht schreibt:"überhaupt hat es den Anschein,
als hättest Du ein Meisterwerk geschaffen, alter Muck. Insbesondere
wirdDeine klare Sprache gepriesen. .'.'-" Brecht selber spricht vom revolutionären
Charakter seines Romans , und in der Untersuchung seines Werkes im
Verhältnis zu seinen Äußerungen zur Romantheorie wie zur
aktuellen politischen Situation können wir feststellen, daß
Brecht mit dem "Dreigroschenroman" eine Analyse der imperialistischen Ausbeutungsverhältnisse
liefern wollte, die in ihrer Handhabbarkeit zur direkten Verwendung im
Kampf gegen den Faschismus, seine Ideologie, die Kriegsgefahr und den hilflosen
---
1)vgl.z.B. Esslin, a.a.O.,
S.100.
2)Dieses Zitat stammt ursprünglich
aus einem anderen Zusammenhang, trifft hier aber dennoch derartige Vorwürfe.BBA
1386/01 Brief Brechts an Becher, etwa Jan.1935. vgl. das GesamtZitat in
Teil VI.
3)In:Exil in der Tschecheslowakei,in
Großbritannien, Skandinavien und in Palästina.-Frankfurt/Main
1981 (=Kunst und Literatur im antifaschistsichen Exil 1933-1945 in sieben
Bänden, Bd.5),S.486.
4)ebenda, S.486,
5)ebenda, S.488.
6)BBA 1386/38 Brief Brechts
an Brentano, vgl. Gesamtzitat in Teil VI.
- 26 -
Antifaschismus gedacht war. Brechts "DEMONSTRANDUM
EINES DREIGROSCHENROMANS"1^(das zwar oft zitiert wird, doch meist unvollständig,
so daß nicht der Zeitpunkt des Entstehens deutlich wird-
während der Niederschrift des Romans) umfaßt offensichtlich
nicht die gesamtheit der Intentionen Brechts, sondern muß als eine
Sammlung von Lehrsätzen gewertet werden. Diese beziehen sich nur auf
die "ökonomische Seite" des Romans, nicht auf die Untersuchung der
Ideologie im Verhältnis zum Sein und Handeln der Figuren.
---
1)BBA 295/1 T. "DEMONSTRANDUM
EINES DREIGROSCHENROMANS
die kleinen Verbrecher sind
ebenso bürgerlich wie die kleinen bürger
die großen bürger
sind ebenso verbrecherisch wie die kleinen Verbrecher
auch die hilfe, die den
ausgebeuteten geleistet wird ist ausbeutung
und zwar ausbeutung der
kleinen direkt und erpressung der groäsen indirekt
kämpf des machieth
gegen den peachum:beraubung des schwächeren
kämpf des peachum gegen
den machieth:erpressung einer gewinnbeteiligung ".
- 27 -2) Die Wiederaufnahme des'*Dreigroschen^Stoffs
"Brechts Entschluß, es nun ebenfalls
mit einem Roman zu versuchen....ging auf Feuchtwangers Rat und Beispiel
zurück." 'Franco Buono führt als Begründung zur Wiederaufnahme
des Dreigroschen - Stoffs die Vorliebe Brechts für die Geschichten
um das Thema Gaunerstreich ant sowie die Neigung des Autors zur Bearbeitung
alter Texte. Die Popularität de» "Dreigroschenoper" auszunutzen
als geheimer oder offensichtlicher Wunsch
des Autors erkläre jedoch nichfeinfach"
die radikale
?} Umarbeitung zum Roman. Wenn Buono
auch vom "Mehr"
des "Dreigroschenromans" gegenüber
der Oper spricht,-*' wird dennoch die neue Qualität des RomaHS in
seiner Aussage nicht in Beziehung gesetzt zur Stofftradition. Unsere These
hält dem entgegen: Der "Dreigroschenroman" entstand aufgrund der neuen
Bedingungen-des Exils als Roman.Er formuliert gegenüber der "Dreigroschenoper"
eine andere Aussage aufgrund der politischen Entwicklung (die seit 1928
durch den Machtantritt Hitlers geschaffen war), als auch durch die künstlerische
und politische Weiterentwicklung Brechts. Er steht in der Stofftradition
aus mehr als nur innerliterarischen Gründen: im wesentlichen aufgrund
der Notwendigkeit, dem Roman als Brechts Erstlingswerk in dieser Gattung
ein breites und dennoch ausgesuchtes Publikum zu verschaffen.
Auf den Auslandsleser komme es jetzt sehr
an, formulierte Brecht gegenüber seinem Verleger(s.o.S.22), und seine
Aussagen zur politischen Situation der exilierten Schriftsteller, denen
er gerade jetzt eine
---
1)Völker,Klaus:Bertölt
Brecht.Eine Biographie.-München und Wien 1976, S. 205 f. Mit "Beispiel"
ist Feuchtwangers Roman "Die Geschwister Oppermann"(ursprünglich Oppenheim)
aus dem Jahre 1933 gemeint. Brecht, der im "Dreigroschenroman" vielfach
Anspielungen auf Literatur unterbrachte, erwies Feuchtwanger durch die
Benennung der Commercial-Bankherren mit dem Namen Opper eine kleine Reverenz.
2)Buono, Franco:Zur Prosa
Brechts.-Frankfurt/Main 1973» S.7 ff.
3)Buono,ebenda S.9.
politische Schulung verschaffen möchte
(s.o.S.8), umschreiben in etwa das Feld der Leser, an die sich der "Dreigroschenroman11
wendet. Dem deutschsprachigen Leser des "Dreigroschenromans"- auch des
Auslands - war Brecht besonders als der Autor der "Dreigroschenoper" bekannt.
Ihn anzusprechen und vor einer deutschen Entwicklung zu warnen, mußte
Brechts Anliegen sein. Darauf verweist auch die Verlegung des Romangeschehens
- wie in der Oper- in das imperialistische England, womit die Allgemeingültigkeit
der im "Dreigroschenroman"transportier-ten Aussage dargestellt wird. Das
Demonstrandum des Dreigroschenromans, das Hauptmotiv der Verbrecher-Bürger-Relation,
ist ebenso für andere kapitalistische Länder wie für Deutschland
gültig. Damit setzt sich Brecht u.a. auch von der Ansicht ab, die
faschistische sei eine ausschließlich deutsche Entwicklung. Die neue
Qualität in der politischen Entwicklung Deutschlands erforderte aber
über die Beibehaltung des Motivs der Oper hinaus entscheidende Änderungen;
die Bedrohung durch das Verbrechersystem des Faschismus war offensichtlich,
doch daß das Verbrecherische nicht in der Roheit der Herrschenden,
nicht in einzelnen verbrecherischen Handlungen, sondern in der sie bedingenden
Notwendigkeit der Machterhaltung zur Weiterführung der "Geschäfte"
bestand, mußte durch eine Änderung der Fabel und der Motivierung
der Handlungen sowie durch die Montage von Realitätsdetails und faschistischen
Ideologemen aufgezeigt werden.
Die Ansprache des exilierten Intellektuellen
und seine Ausrüstung mit einem tragfähigen Wissen um das Verhältnis
zwischen Geist und Macht, Ideologie und politischer Ökonomie, zum
Zwecke des gemeinsamen Handelns erforderte ebenso das Festhalten am Stoff
der "Dreigroschenoper" als auch seine Umarbeitung. Die rhetorische Frage:
---
1) Darauf verweist u.a.
auch Schlenstedt in:
Sc^lenstedt,Dieter:Das Demonstrandum
des Dreigroschenromans. -In: Brechts Tui-Kritik.Karlsruhe 1976(=AS 11),S.153,
- 29 -
"Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie?"-
ein Schlüsselsatz auch der "Dreigroschenoper" - reicht nicht aus,
um ein Eingreifen des Rezipienten in die realen Vorgänge zu erreichen.
Zur vergnüglichen Zurschaustellung von Wissen um das Verbrecherische
der bürgerlichen Gesellschaft muß die Analyse ihrer Wirkungszusammenhänge
treten, die aktivierend für den antifaschistischen, aber bürgerlichen
Leser wirkt. Somit gilt es, das Wissen, das Bewußtsein selbst zum
Gegenstand der Handlung zu machen, die Ideologie im Verhältnis zum
Geschehen zu untersuchen. Indem Brecht durch seine souveräne Handhabung
epischer Mittel seine Vertrautheit auch mit dem Genre Roman beweist, kann
er, wie wir unten ausführen, über direkte Leseransprachen, durch
die Brechung des Erzählgestus seitens des auktorialen Erzählers
und verschiedene Anspielungen auf den Kulturbetrieb eine Vertraut-heit
mit dem belesenen Publikum herstellen, die nicht nur einen besseren Transport
der Aussage erlaubt, sondern auch ermöglicht, beispielhaft Brechts
Auffassung von der Wirkung der Kunst, des Romans im speziellen, zu verdeutlichen
und zu empfehlen. Die Wirkungsintention selber wird zum Thema des Romans
- ein Verfremdungseffekt, der aus Brechts darmatischem Werk schon bekannt
ist. Die Ansprache ainer bestimmten Leserschicht als Interesse Brechts
erforderte also die Übernahme der Personnage und des Stoffes der "Dreigroschenoper"
als auch die Modellierung derselben, sowie die Form des Romans: "Am meisten
entsprach der Roman den Lesegewohnheiten dieses heterogenen, in vielen
Ländern der Welt verstreuten Publikums; auch für seine Übersetzung
bestanden am ehesten Chancen."
---
1)Hermsdorf,Klaus u.a.,
a.a.O. S.140.
Teil III
1)Die Fabel des "Dreigroschenromans"
Brecht hat auf die Ausgestaltung der Fabel
des "Dreigroschenromans" aus den o.a. Gründen große Mühe
verwandt, wie die verschiedenen Planskizzen aufzeigen.
Die Grundfabel war von Brecht folgendermaßen
ausgelegt: "grundfabel
machieth(sio) braucht in seinem B-ladengeschäft pollys mitgift. peachum
kann seine tochter nicht entbehren, da er für sein Schiffegeschäft
seine tochter für den makler coax braucht, am ende klappt das B-ladengeschäft
des machieth tatsächlich dadurch, daß er peachums geld in form
einer mitgift (mit hilfe pollys) in die wagschale werfen kann, auch peachum
kommt aus dem Schiffegeschäft heraus durch machieth.
Die Fabel des fertigen Romans sieht jedoch
in mancher Hinsicht anders aus^': Es handelt sich um zwei ineinander
verwobene Geschäfte, die in London 1902 abgewickelt werden. Auf der
einen Seite steht Peachum, Besitzer eines Bettlerkonzerns, der den Gescheiterten
der Gesellschaft (so u.a. dem im Burenkrieg verwundeten Fewkoombey) als
Angestellte Arbeit gibt. Er läßt sie entweder Bettlerutensilien
herstellen oder diese auf der Straße im von ihm organisierten Bettel
benutzen. Da der Bettel nicht weiter ausbaufähig (da durchrationalisiert)
ist, stürzt sich Peachum in ein Geschäft, das vom Makler Coax
organisiert ist: drei verrottete Schiffe sollen zu einem überhöhten
Preis an die Regierung zwecks Nutzung zum Soldatentransport im Burenkrieg
---
1) Eine Übersicht über
die Ausgestaltung mit vielen Zitaten aus dem BBA ist zu finden bei:Fischetti,
Renate:Bertolt Brecht: Die Gestaltung des Dreigroschen-Stoffes in Stück,
Roman und Film.- Diss. University of Maryland 1971. Besonders interessant
Ursprünglich hatte Brecht einen anderen Schluß vorgesehen(Fischetti
S.198,S.310): "Skandal in der TSV, die niederkunft pollys, Versöhnung
mit mac" (BBA 294/153- Auszug).
2)BBA 295/ 19,
3)Eine Handlungsübersicht
findet man bei Peitsch/ Schutte, a.
- 31 -
verkauft werden. Coax organisiert gegen
Provision die Verträge zwischen der Regierung und der TSV vermittels
des bestochenen Staatssekretärs Haie, erpreßt dann jedoch zuerst
die Instandsetzung der alten als auch den Ankauf neuerer Transportschiffe(angeblich
zum Zweck des Austauschs gegen die alten). Peachum gerät wie die anderen
Mitglieder der TSV in finanzielle Schwierigkeiten und versucht deshalb,
sowohl £oax mit seiner Tochter Polly zu verheiraten als auch die
National Deposit Bank (NDB) um einen Kredit anzugehen.Ersteres gelingt
nicht, da Polly insgeheim Macheath geheiratet hat. Macheath ist Besitzer
des Billigkeits-(B-)Laden-konzerns, in dem arme Leute versuchen, sich aus
eigener Kraft aus dem Elend herauszuarbeiten, indem sie in den B-Läden
von Macheath gelieferte Waren umarbeiten und absetzen. Macheath hat das
Liefermonopol für diese Waren, die zunächst aus Einbrüchen
der von ihm gegründeten Bande stammen. .Für den Ausbau dieses
Geschäfts erhofft sich Macheath eine Mitgift von Peachum als auch
einen Kredit der NDB. Da Peachum dazu nicht in der Lage ist,
^_^
und die NDB mit den Chreston-(C-)Läden
zusammenarbeitet, gründet Macheath die ZEG, die,mit Mitteln seines
Freundes Brown aus dem Polizeipräsidium, sowohl die Waren von Macs
Bande als auch Konkursware beschafft und aufgrund der so gefüllten
Lager Kredit der Commercial-Bank erhält. Dafür muß die
ZEG allerdings auch außer den B-Läden die Aaronschen-(A-)Läden
beliefern. Kurz vor der angekündigten Werbewoche der A+B-Läden
läßt Mac trotz der Konkurrenz der C-Läden die Warenlieferungen
seitens der ZEG stoppen. Die B-Läden geraten in eine Krise, so daß
u.a. Mary Swayer , eine B-Ladenbesitzerin, Selbstmord
begeht. Auf Peachums Betreiben (er hofft,
so seine Tochter
-•--'
für Coax freizubekommen) wird Macheath
als Mörder vor Gericht gestellt. Dieser kann jedoch sein Alibi nicht
preisgeben, da es sich um eine Sitzung der ZEG, in der der Warenfluß
auch für die A-Läden gestoppt wurde »handelt.
v
'
-
Die Preisgabe des Alibis ist erst möglich,
nachdem
- 32 -
Mac aufgrund seines Wissens um die Veruntreuung
von Depotgeldern durch die NDB deren Präsident wird, und somit Peachum
als deren Kunden als auch die C-Läden in seiaer Hand hat. Peachum
läßt die Klage fallen und löst sein Problem mit der TSV
durch die Ermordung von Coax, wozu er Fewkoombey zwingt. So bekommt er
als Präsident der TSV die Unterlagen in die Hand, aus denen ersichtlich
ist, daß ein zweiter Regierungsvertrag den Verkauf aller 6 Schiffe
vorsieht. Macs Bande wird eingesetzt zur Zerschlagung des Streiks der Dockarbeiter,
so daß die Verträge realisiert
werden können. Der Untergang eines der Schiffe wird den Dockarbeitern
und Kommunisten zur Last gelegt. Mit dem Geld aus diesem Geschäft
ist Peaehum dann in der Lage, die ZEG zum Ankauf von Waren für die
sich nun in Macs Abhängigkeit befindlichen A-,B- und C-Läden
zu finanzieren. Der Monopolist Macheath wird von der Mordanklage freigesprochen,
Fewkoombey für den Mord an Mary Swayer aufgehängt.
2) Satire im"Dreigroschenroman" a) Funktion
der Satire
Brechts "Dreigroschenroman" wird vielfach
mit Swifts "Gulliver" oder Cervantes1 "Don Quichotte" verglichen, wenn
es um den Realitätsgehalt der Satire des "Dreigrsoschen-romans" geht.
Das Problem, ob es gegenüber der Brutalität und Hnmenschlichkeit
des Faschismus angebracht ist, satirisch zu schreiben (an dem Satiriker
wie Tucholsky innerlich zerbrachen), wurde von Brecht eindeutig zugunsten
der Satire beantwortet. Folgende Überlegungen mögen dabei Pate
gestanden haben:
Angesichts des hohlen Pathos, das sich
die faschistischen Führer zulegten, wirkt eine satirische Reduktion
des großen Führers» (z.B. Macheath) auf einen Verbrecher
entlarvend. Es wird so auch die Uberwindbarkeit der-
x—-
artiger "Helden" aufgezeigt, ebenso, wie
die"verkehrte Welt" des "Dreigroschenromans" als Ideal eine andere, bessere
Welt postuliert. Zudem war Brecht immer an der leichten Lesbarkeit, am
Vergnügen an seinen Werken interessiert. Ohne Leserinteresse, das
wird aus seinen roman-und dramentheoretischen Äußerungen vielfach
deutlich, ist die lehrende Funktion seiner Werke nicht zu realisieren,
wird der Inhalt - an dem die Leser/Zuschauer ja mitarbeiten sollen - nicht
transportiert. So schrieb Brecht an Allert de Lange:"Er (der Satz der Korrekturbögen,A.H.)
wirkt so schwer und pathetisch;" ich stelle mir direkt die Angst des Lesers
vor, einem so toternsten und feierlichen Autor gegenüber zu treten.
Die Leichtigkeit der Erzählung kommt dabei zu Schaden." Parallel
schrieb Brecht an Landauer: "Aber die Schrift unterstreicht doch recht
unpassend das Ernsthafte des Romans. Der Leser wird sozusagen noch vor
der Lektüre gewarnt. Es ist ein so
DBrecht an Allert de Lange, 23.7.34 (BBA
780/26).
2) Satire im"Dreigroschenroman" a) Funktion
der Satire
Brechts "Dreigroschenroman" wird vielfach
mit Swifts "Gulliver" oder Cervantes1 "Don Quichotte" verglichen, wenn
es um den Realitätsgehalt der Satire des "Dreigrsoschen-romans" geht.
Das Problem, ob es gegenüber der Brutalität und Hnmenschlichkeit
des Faschismus angebracht ist, satirisch zu schreiben (an dem Satiriker
wie Tucholsky innerlich zerbrachen), wurde von Brecht eindeutig zugunsten
der Satire beantwortet. Folgende Überlegungen mögen dabei Pate
gestanden haben:
Angesichts des hohlen Pathos, das sich
die faschistischen Führer zulegten, wirkt eine satirische Reduktion
des großen Führers» (z.B. Macheath) auf einen Verbrecher
entlarvend. Es wird so auch die Uberwindbarkeit der-
x—-
artiger "Helden" aufgezeigt, ebenso, wie
die"verkehrte Welt" des "Dreigroschenromans" als Ideal eine andere, bessere
Welt postuliert. Zudem war Brecht immer an der leichten Lesbarkeit, am
Vergnügen an seinen Werken interessiert. Ohne Leserinteresse, das
wird aus seinen roman-und dramentheoretischen Äußerungen vielfach
deutlich, ist die lehrende Funktion seiner Werke nicht zu realisieren,
wird der Inhalt - an dem die Leser/Zuschauer ja mitarbeiten sollen - nicht
transportiert. So schrieb Brecht an Allert de Lange:"Er (der Satz der Korrekturbögen,A.H.)
wirkt so schwer und pathetisch;" ich stelle mir direkt die Angst des Lesers
vor, einem so toternsten und feierlichen Autor gegenüber zu treten.
Die Leichtigkeit der Erzählung kommt dabei zu Schaden." Parallel
schrieb Brecht an Landauer: "Aber die Schrift unterstreicht doch recht
unpassend das Ernsthafte des Romans. Der Leser wird sozusagen noch vor
der Lektüre gewarnt. Es ist ein so
DBrecht an Allert de Lange, 23.7.34 (BBA
780/26).
feierlicher, langbärtiger, würdevoll
wandelnder Satz. Natürlich bin ich auch sehr dafür, der Erzählung
einen •distinguierten» Charakter zu verleihen." Brecht wollte als
Autor also nicht"toternst"dem Leser gegenübertreten - das bezog sich
nicht nur auf den Satz, sondern auf die Schreibweise ebenso. Dabei spricht
Brecht durchaus von der Ernsthaftigkeit des Romans. Diese Bemerkungen widersprechen
einander nicht.
"Satire ist ästhetisch sozialisierte
Aggression...", d.h.:"Satire hat ... eine psychologische, eine soziale
und eine ästhetische Dimension." ' Indem eine "verkehrte", aber in
sich stimmige Welt aufgebaut ("deren Gesetz die
Perversion der wahren Ordnung ist") und
zugleich ein
2\ "Schattenriß der wahren Ordnung
j des Ideals" ' dargestellt
wird, ist die satirische Schreibweise
des "Dreigroschenromans" zugleich ernsthaft in Bezug auf die durchzusetzende
Norm einer menschlichen Gesellschaft und komisch in der Vorführung
des grotesken Gleichnisses für imperialistische Geschäfte und
Ideologie.
"Vielfältig sind die Techniken, mittels
derer diese 'verkehrte Welt' als die vollendete Alltäglichkeit ausgestellt
ist."-^ Fische tti verweist auf die Ironie als das
eigentliche Gestaltungsprinzip^ »die
nicht nur bezeichnend für die Konstellation zwischen Autor, Leser
und Romangeschehen sei, sondern vor allen Dingen den Gehalt des
---
0)Brecht an Doktor Walter
Landauer ,23.7.34- (BBA 780/27), Brecht war zudem an einer Illustrierung
des Romans interessiert: "Sie müsste(sic) meines Erachteas aus ganzseitigen
Blättern bestehen mit einem Satz aus dem Roman darunter, wie das in
Büchern der 90ger Jahre üblich!" Brecht an Allert de Lange, 23.6.
34 (BBA 780/19),
1)Brummack,Bürgen: Zu
Begriff und Theorie der Satire.-In:Deutsche Vierteljahresschrift für
Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 45(1971) Sonderheft,S.282,
2)ebenda,S.339.
3)Peitsch/Schutte:a.a.O.,
S.177.
4)Fischetti,a.a.O.»S.208.
Dargestellten in Frage stellt. Der Autor
meint nicht - so wird deutlich - was er sagt. Die Modellhafigkeit der "Dreigroschenroman"-Welt
tritt offen vor Augen.
Weitere satirische Techniken sind: Die
Hyperbolik , die durch die sachlich wirkende, nicht dramatisch gesteigerte
indirekte Rede, durch die episch ruhig die Handlung begleitenden Erzählerkommentare
die verkehrte Welt in sich glaubwürdig wirken läßt. Z.B.
erhält die Szene der "Schlacht bei den Westindia-docks" so ihre Komik
(1085).
Die Parodie der faschistischen Machthaber
z.B. durch die Figurenreden(vornehmlich des Macheath) oder der Trivialliteratur
(Pollys Romanlektüre).
Die naive Selbstentlarvung der Figuren
in Rede und Handlung vermittels unmittelbarer Kontrastierungen. Riege beschäftigt
sich besonders mit der Sprachschicht und ihrer Wirkung in der Satire.
Sie führt die unterschiedlichen Redeformen an, die im "Dreigroschenroman"
vorkommen; direkte, indirekte, teils auch die erlebte Rede, in der die
Gedanken des Autors und der handelnden Personen ineinanderfließen
(z.B. in den aahezu marxistischen Analysen des Elends bei Peachum oder
Macheath, jedoch nicht bei Fewkoombey, wie Riege meint- vgl.Teil IV 2))
Die Analyse der Stilfärbungen zeigt
auf, wie gekonnt Brecht alle Register der Sprachkunst zieht und im Wechsel
von emotionaler Rede, pathetischen Wendungen, aggressiven und emphatisch-
expressiven usw. Elementen die Leseraktivität anregt, da kaum ein
Abschnitt von einer Stilform geprägt ist. Der Leser wird gezwungen,
da er unmöglich die Redeweise der Figuren oder die Kommentare des
Erzählers auf längeren Strecken als Identifizierungsobjekt nachvollziehen
kann, zu allem und allen Distanz zu gewinnen. Bildhafte Bezeichnungen wie
"anderthalb Jahrhunderte"-für die NDB-Bankherren, "Allesüberdie-lippenbringer"
für Coax oder "der Chor der nähenden
---
1)Riege,Helga: Studien zur
Satire in Bertolt Brechts Dreigroschenroman.-Diss. Jena 1956,5.156 ff.
Blutsäuferinnen" für
die voller Patriotismus strickenden älteren Damen verhindern in ihrer
Drastik eine unreflektierte Übernahme dieser Metaphern seitens des
Lesers. So schafft der Erzähler auch durch den emotionalaggressiven
Kommentar eine Distanz zum Leser,die erst nach erfolgter Reflexion über
die Wahrheit dieser Bezeichnungen tendenziell aufgehoben wird, jedoch nie
zu einer völligen Identifikation mit dem Erzähler als Leitfigur
führtj Denn dieser überrascht immer wieder duch seinen Standpunktwechsel,
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der intensiven Untersuchungen Rieges
zur Sprachschicht und zu Strukturelementen der Satire führt Fischetti
an.
"Alle diese Besonderheiten der Schreibweise
dienen dem Zweck, die Ausnahme( von der1normalen1 Weltsicht) als die Regel
erscheinen zu lassen, das Perverse als das Gewohnte. Auf diese Weise wird
die LOGIK des Systems, nicht seine Moral, zum Maßstab der Beurteilung;
die beabsichtigte AKTIVIERUNG DES LESERS zielt darauf, das Gewohnte in
der Wirklichkeit und im Bewußtsein gleichermaßen als fragwürdig
zu markieren. Die im Erschrecken und im Lachen angestoßene Reflexion
des Lesers richtet sich auf den funktionalen ZUSAMMENHANG VON WIRKLICHKEIT
UND IDEOLOGIE in der kapitalistischen Gesellschaft, der Adressat des DGR
("Dreigroschenromans",A.H.) ist ein Leser, ' welcher bisher gewisse Anschauungen
nicht auf die Folgerungen untersucht hatte, welche sich aus ihnen ergaben".(BB,Fünf
Schwierigkeiten, GW 18,235)."^
Die Aktivierung der Leser als die wesentliche
Funktion der Brechtschen Satire ist also kein Selbstzweck, sondern zielgerichtet
auf die Erzeugung der Faltung des Lesers zur ihn umgebenden Realität.
Die Hyperbolik des Modells lehrt den Leser, seine Situation zu begreifen,
das Wesen eines Zusammenhangs, einer Person zu durchschauen. Angesichts
der Situation, in der der Leser des
DFischetti, a.a.O., S.210f. ,5.313 (Anm.125),
2)Peitsch/Schutte, a.a.O.,S.177,
- 37 -
"Dreigroschenromans" steckte, war somit
die Satire gegen den Faschismus gerichtet, der allerdings, so Brecht(s.o.)
nur als Kapitalismus bekämpft werden konnte. Die Verzahnung der kapitalistischen
Ökonomie mit der Politik, der Geschäfte mit der Haltung des Staates
(in Form von Brown,Hale und der Justiz u.a.), der bürgerlichen Ideologie
mit faschistischen Ideologemen, wie sie Brecht satirisch vorführt,
deutet in diese Richtung. Erreicht werden sollte die Bereicherung des Lesers
mit Kenntnissen von den Gesetzen seiner kapitalistischen Umgebung und dem
faschistischen Deutschland. In der satirischen Form, in der diese Erkenntnisse
dargeboten werden, wirdzugleich eine Distanzierung des Lesers von diesem
Sein und dem vorherrschenden Bewußtsein erreicht. Dazu dienen auch
die Montage-und die Kriminalromantechnik.
- 38 -b) Die Funktion der Montagetechnik
"Besonders der Roman schien für eine
umfassende Untersuchung vielschichtiger und widerspruchsreicher Wirklichkeitsvorgänge
geeignet zu sein." '' "Unter den Bedingungen der Faschismus- und Weltkriegserfahrungen
mußte ein neues Epochenverständnis erarbeitet werden." ' Die
Suche nach neuartigen Wegen "kam zum Ausdruck in der Ausbildung einer Art
'zusammengesetzten1 Erzählens ... und in der Hinwendung zu einem offenen
Schluß... Die Produktivität eines inneren Monologs, eines Bewußtseinsstroms,
wurde ebenso genutzt wie die Simultan-und Montagetechnik."-*'
Diese allgemeine Charakterisierung der
Exilromane trifft sehr gut auf die verwendeten Techniken des "Dreigroschenromans"
zu. Insofern erweist sich der "Dreigroschenroman" nicht nur durch seinen
antifaschistischen Gehalt, seine Wirkungsintention, sondern auch in der
Verwendung bestimmter Techniken als der gesamten Literaturbewegung gerecht
werdend.
Die wesentliche satirische Technik ist
die der Montage, die im "Dreigroschenroman" das Modell der imperialistischen
Welt konstituiert. Sie wird eingesetzt zur Herstellung einer Simultaneität
der Handlungsführung und zur Kommentierung des Romangeschehens durch
Figurenreden. Ihre Funktion ist die der Darstellung der Widersprüche,
die in Brechts dialektischem Verständnis der Gesellschaftsentwicklung
konstitutiv für ihre Fortentwicklung sind. Im "Dreigroschenroman"
stellen sich diese Widersprüche als die Widersprüche materieller
Interessen dar. Sie sind an Personen und Personengruppen ge-
----
1)Bock,Sigrid, a.a.O. S.
49.
2)ebenda, S.51-
3)ebenda, S.52,
4)Brecht äußerte
später zur Funktion der Montage (GW 19,S.303): "Ich habe keinen Grund,
auf Gedeih und Verderb die Dos Passos'sehe Montagetechnik zu propagandieren;
als ich einen Roman schrieb, habe ich selber so etwas wie "kämpfvolle
und verschlungene Wechselbeziehungen1 zu
festalten versucht. (Was
ich von der Montagetechnik enutzte,benutzte ich in diesem Roman anderweits.),"
bunden und werden, wenn nicht durch "freiwillige"
Aufgabe des materiellen Interesses einer Seite (B-Ladenbesitzer) durch
den Zufall (Nebel), zumeist jedoch durch das planende Kalkül der Figuren
in der Form wirtschaftlicher Macht oder roher Gewalt gelöst. Die Operatio-nalität
der Montagetechnik erweist sich also als dem darzustellenden Gegenstand
angemessen. Es gilt, die Komplexität der kapitalistischen Welt aufzuzeigen,
in der auch die Herrschenden ökonomischen Gesetzen unterworfen sind,
diese jedoch zu ihren Gunsten ausnutzen können, da sie sich dieser
Gesetzmäßigkeiten bewußt sind.
Die Konkurrenz verschiedener Interessen
treibt auch im "Dreigroschenroman" die Entwicklung voran, und die Kenntnisse
sind in der Anarchie der Romanwelt begrenzt, sie müssen beschafft
werden, Ansichten und Überzeugungen erweisen sich in dieser Welt als
hinderlich, wenn sie kontinuierlich vertreten werden :
. -.1- "EIN. MENSCH, DER-DREI JAHRE LANG
EIN UND DIESELBE ANSICHT HAT,ZEIGT DADURCH NUR, DASS ER SEIT DREI JAHREN
NICHT MEHR ZUM SPIEL ZUGELASSEN WIRD*"(883)
Die Montagetechnik deckt diese Zusammenhänge
auf, indem sie das Alltagsbewußtsein des Lesers mit dem Wesen der
Gesellschaft konfrontiert. Sie verfremdet die Realität unter Hinzuziehung
von Realitätsdetails, setzt diese neu zusammen und schafft so ein
Bild, das den Wesenskern des Imperialismus und die Notwendigkeit zur faschistischen
Machterhaltung bloßlegt in modellhafter Form. Dem Leser wird allerdings
immer die Modellhaftig-keit vor Augengeführt durch die satirische
Form, den Erzählgestus, die dem Leser den Überblick und damit
die Souveränität über das Romangeschehen geben: er soll
zu einer analogen, wissenschaftlich analysierenden Betrachtung der eigenen
gesellschaftlichen Realität gebracht werden.
l)zum Verhältnis Verfremdung-Montage
vgl.: Lindner, Burk-hardt: Avantgardistische Ideologiezertrümmerung.
Theorie und Praxis des Brechtschen Theaters am Beispiel der Faschismusparabeln.-In:Arbeitsfeld
Materialistische Literaturtheorie. Frankfurt/Main 1975 (=FAT.20?9),S.238ff,
Im "Dreigroschenroman" sind TSV-Handlung
und das ABC-Geschäft parallel angeordnet. Die Montage ermöglicht,
die gleichzeitig ablaufenden Geschäfte zu überblicken. Der Leser
erfährt im ersten Buch sowohl den Stand der Grundlage der Peachum1sehen
Unternehmung, des Bettlergeschäfts, als auch den der B-Läden
Macheaths. Allen Protagonisten ist, das wird deutlich, eine Notwendigkeit
bewußt:" Im Geschäftsleben hatte man geradezu die Pflicht, jede
Gewinnshance rücksichtslos auszunutzen..." (788) Denn:11 Es gibt kein
Geschäft, das so gemein wäre, daß nicht sofort ein anderer
es macht, wenn man darauf verzichtet."(770) Da Peachum weiß,"daß
an seinem Betrieb nicht mehr viel zu rationalisieren war"(797),ist er gezwungen,
in das TSV-Geschäft einzusteigen. Und da auch Macheath der Ausbau
seiner B-Läden nicht mehr möglich ist, gerät sein Unternehmen"in
jene Schere, die alle unsere Geschäftsleute so fürchten"(869).
Macheath ist sich über diese Entwicklung im Klaren:
"FRÜHER BESASS EINER EINEN LADEN
ODER EIN HAUS,UND DAS WAR EINE EINNAHMEQUELLE.HEUTE KANN D£S EINE
AUSGABEQUELLE SEIN? DER GRUND DES RUINS.WIE SOLL SICH DA EIN CHARAKTER
BILDEN?"(882)
Die Konkurrenz, so wird deutlich, ist
also treibendes Prinzip für die Romanhandlung, nicht der Charakter
der Figuren bringt die Ereignisse voran. Und dennoch,so wie die Handlungsstränge
ineinander geknüpft sind, daß sie sich bei der Geldbeschaffung
bei der NDB und beim Kampf um Polly als Tauschobjekt treffen müssen,
so wird auch in der Montierung der Reden der Protagonisten zu ihren Handlungen
deutlich, daß Menschen es sind, die diese Verhältnisse schaffen,
stets aufs neue produzieren. Machaefeh wird nicht, so zeigt Brecht, aus
seiner Verantwortung entlassen zugunsten der Umstände, die sein Verhalten
begründen. Die Montage der Sentenzen, Injektionen, Überschriften
usw. legt bloß, wie das Verhältnis von Ideologie und Gesellschaft
beschaffen ist.
"Durch die Montage von Zitaten, Kursivtexten
und Kontext wird hier ein Denken ausgestellt, das unter anderem auf Hegeischen
Ideen von der weltbestimmenden K?aft der Individualität beruht, das
ausgeht vom Ich als Maß
der Dinge, wobei die Individualität
für sich auch Macht und Gewalt in Anspruch nimmt und dies zugleich
als schicksalhaft erklärt und dadurch legitimiert. Es ist dies das
Denken der spätbürgerlichen Phase zur Zeit des Imperialismus,
wie Brecht es in seiner Kindheit und Jugend erlebt hat." '
Dieses Denken eignet nicht nur Macheath
und Peachum, auch wenn diese es hauptsächlich verbreiten und nutzen.
Auch Fewkoombey vertritt deren Parolen (z.B. 951 f.) und ist zutiefst davon
Uberzeugt<1065 ff.) Oft, aber nicht immer, sind diese Passagen kursiv
gesetzt. Brecht legte darauf großen Wert:
"Die Kursivstellen müssen Zitatcharakter
.haben, das heisst(sic) der Leser muss(sic) die Assoziation 'Zitat'
haben...Der Leser muss(sic) denken:warum
plötzlich
p S eine andere Schrift?"
Offensichtlich ist mit"Zitatcharakter"gemeint,
daß der Leser darauf aufmerksam gemacht werden soll, daß die
kursiv gedruckten Sentenzen so oder so ähnlich schon einmal gesehen
wurden, daß ihre Inhalte der Realität entstammen (könnten).
In der Tat ist es so: teilweise wurden für sie Hitlerreden und Zitate
von anderen Politikern verwendet, die im BBA noch als Material vorzufinden
sind. Zugleich finden wir in den Reden Alltagsbewußtsein gemischt
mit marxistischem Gedankengut. Die Reden sind in sich schon montiert, deutlich
auch in der Hervorhebung einzelner Worte oder Satzteile.Es wird wahre Erkenntnis
mit falschem Bewußtsein gemischt, Interessen mit Werten verdeckt
bzw.
---
1)Keller,Otto:Brecht und
der moderne Roman.Auseinandersetzung Brechts mit den Strukturen der Romane
Döblins und Kafkas.Bern und München 1975,S. 52.
2)Brecht an Allert de Lange,
1.Sept£August ist durchgestrichen)34.
3)vgl.die ausführliche
Darstellung und Kommentierung dieses Materials in der Sekundärliteratur,
bes. bei Fischettia.a.O.
und Müller(Brecht-Kommentar)a.a.O.-
Wir verzichten deshalb auf die Wiedergabe.
in Einklang gebracht. Die Sprache der Werte
wird allerdings nur von den Ausgebeuteten gebraucht. Einzig Macheath und
seinesgleichen sind in der Lage, ihre materiellen Interessen in der Sprache
sowohl auszudrücken als auch durch hohe Moral, Alltagsweisheit oder
dgl. zu kaschieren. Die Drastik in dem Wechsel der Standpunkte (z.B. führt
ihn Peachum der Polizei vor - S.1092 f.) oder im Verhältnis zur realen
Lage schafft die verfremdende Distanz, die satirische Qualität. Die
Welt der Macheath-Reden ist eine Vverkehrte Welt" gegenüber der Romanwelt.
Der Leser wird somit aufgefordert, sich die Fragen so zu stellen, wie sie
Brecht formulierte: "1. Wem nützt der Satz?
2. Wem zu nützen gibt er vor?
3. Zu was fordert er auf?
4. Welche Praxis entspricht ihm?
5. Was für Sätze hat er zur
Folge? Was für Sätze stützen
6. In welcher Lage wird er gesprochen?
Von wem?" ' n* Insbesondere dort, wo es sich um faschistische Ideologeme
handelt, wir der Leser die Zusammenhänge zwischen Bewußtsein
und Ideologie gegenüber der Realität erkennen, aber die Vermengung
mit dem Alltagsbewußtsein schafft die Erkenntnis, daß es sich
bei den faschistischen Ideologemen nicht um eine aufgesetzte, "falsche"
Ideologie handelt, sondern um ein Substrat gefährlicher Anschauungen,
die weit verbreitet sind. Das Bewußtsein der Leser selbst wird auf
den Prüfstand gestellt, und dem Leser ist das durch die satirische
Überspitzung sehr wohl bewußt. Er wird gezwungen, sich Rechenschaft
abzulegen über seine Haltungen. Die Plumpheit und Roheit der faschistsichen
Denkweise abzulehnen, fiel den bürgerlichen Antifaschisten leicht,
doch ihre Herkunft aus den -kapitalistischen Ver-
---
1)Brecht:Darstellung von
Sätzen in einer neuen Enzyklopädie.- In: GW 20, S.
-43-
hältnissen zu erkennen, die Ideologeme
wie z.B. Elemente des Sozialdarwinismus hervorbrachten, fiel entschieden
schwerer. Die Lösung aus diesem Denken anzustreben, hielt Brecht für
unabdingbar für einen konsequenten antifaschistischen Kampf.
"Nötig ist für alle Schreibenden
in dieser Zeit der Verwicklungen und der großen Veränderungen
eine KennW nis der materialistischen Dialektik, der Ökonomie und der
Geschichte."1'
Die "Propaganda für das Denken" '
ist konstitutiv im "Dreigroschenroman". Die Montagetechnik leistet durch
die Vorführung der Einheit in den Widersprüchen - insbesondere
im satirischen Kernmotiv Verbreeher/Bürger-dazu einen wesentlichen
Beitrag.
- 44 -
c) Die Funktion der Kriminalromantechnik
Brechts Versuche der Analyse des Faschismus
beschäftigten sich, wie wir sahen, in großem Maße mit
der Rolle der Mittelschichten. Aber auch die Rolle deklassierter bürgerlicher
Elemente und sogar von Verbrechern in der faschistischen Partei fand seine
Aufmerksamkeit. Brechts Inter-
?}
esse am Silone-Bu< ch ist sicherlich
auch damit zu erklären, daß dort in ausführlicher Weise
über die Rolle der Verbrecher in den Reihen der Fasci berichtet wird:
"Denn niemand sehnt sich so sehr nach Privateigentum niemand sehnt sich
so sehr, Mitglied der Bourgeoisie zu werden, wie der Berufsverbrecher...
Auf jeden Fall, selbst wenn er ein elendes Leben führt, bleibt er
bis ins Mark durchdrungen von der bürgerlichen Ideologie und damit
ständiger Kandidat der irregulären Truppen der bürgerlichen
Gesellschaft, von der ehrwürdigen bonapartistischen Gesellschaft des
10.Dezember an bis zu den Fasci Mussolinis."-^
Schon allein aus diesem Grund bot es sich
an, das Verbrecher-Milieu der "Dreigroschenoper" in den Roman hinübrezunehmen,
um die These der Infceressensidentitat zwischen Verbrecher und Bürger
aufrechtzuerhalten und die Notwendigkeit für den Bürger, sich
verbrecherischer Methoden bedienen zu müssen, zu beweisen. Weitaus
wahrscheinlicher noch lag es an den romantheoretischen Vorstellungen Brechts,
den "Dreigroschenroman" mit Elementen des Kriminalromans zu versehen(nicht
als Kriminalroman zu konzipienen).
"Brecht greift vielmehr das Schema des
traditionellen Kriminalromans auf und modifiziert es entscheidend, um eine
literarische Form zu erhalten, in der adäquat eine zeitgemäße
Kritik des Faschismus als eines ins
l)vgl. z.B. Brechts:Die Horst-Wessel-Legende.-In
GW 20,S.2o9ff.
- 45 -
Verbrecherische gesteigerten Kapitalismus
geleistet
werden kann." '
Zeitgemäß heißt hiar
auch: den Leser aktivierend. Das ist das Hauptmotiv Brechts zur Wahl der
Kriminalromantechnik.
"Die Marxisten sind die einzigen, die
auf Fragen wie:
WAS WILLST DU MIT DEINEM ROMAN ERREICHEN?
Antwort geben.
Satzregulierung: Welche Änderung
im Verhalten der Leser
2") willst du erreichen?"
In einem Aufsatz über den aristotelischen
Roman wählte Brecht schon ein Beispiel aus der Welt der Justiz, und
sehr oft hielt Brecht weiterhin, wenn er gegen den aristotelischen Roman
polemisierte, als Gegenbeispiel den Kriminalroman entgegen.
"Der Kriminalroman handelt vom logischenDenken
und verlangt vom Leser logisches Denken."-*' Die Leseraktivität anzuregen
war das Hauptziel der Brecht-schen Schreibweise und entsprach der antifaschistischen
Wirkungsintention. Auch die folgenden Äußerungen treffen in
hohem Maße auf den "Dreigroschenroman" zu:
"Der Leser wird nicht getäuscht,
alles Material wird
ihm unterbreitet..." '
"Entscheidend ist, daß nicht die
Handlungen aus den
Charakteren, sondern die Charaktere aus
den Handlungen
entwickelt werden... Als ausschlaggebend
für ihre
Handlungen werden ihre Interessen angenommen,
und
zwar beinahe ausschließlich ihre
materiellen Interessen."-7
"Aber die handelnden Typen sind sehr grob
gezeichnet,
die Motive des Handelns sind massiv, die
Vorkommnisse
l)Goebei,Rolf J.:Brechts DREIGROSCHENROMAN
und die Tradition des Kriminalromans.-In:Brecht-Jahrbuch 1979.Fran-furt/Main
1979, S.67 Goebel läßt leider die satirische Verfremdung
im "Dreigroschenroman" außer acht, setzt sie also auch nicht in Beziehung
zur Kriminalromantechnik. Somit glaubt Goebel, die Gleichsetzung von Verbrecher
und Bürger als ernstgemeinte, direkte Kritik Brechts
. _am Faschismus verstehen_zu können.
2)Brecht:Kleine Notiz.In:GW 18,S. 17.
3)ders.:über die Popularität
des Kriminalromans.-In:GW 19,S.450
- 46 -
plump,alles, besonders die Verkettung,
ist so unwahrscheinlich, es gibt viel zu viel Zufall darinnen..." Peachum
sagt uns, warum der Leser in das plumpe Denken eingeübt werden soll:
Da die Verbrecher es auch so machen, und erst durch die Suche nach den
meist plumpen Motiven des Verbrechens die Lösung erkannt werden kann:
"DABEI WIRKT NUR DAS PLUMPE,EBEN SCHON
DESWEGEN, WEIL ES UNWAHRSCHEINLICH IST!"(950)
Nachdem Brown auf die Gewinne und die
Art, wie sie erzielt werden, verwiesen hat, sagt Macheath:
"Wenn jetzt einer mitschriebe, was dur
daherredest, wäre es^auch Schwarzmalerei."(1108)
So erreicht Brecht seine Leser über
die agierenden Figuren, spricht damit ironisch die vorherrschende Lesehaltung
an (nämlikh nicht die Wahrheit des Erzählten zu sehen, sondern
Literatur als etwas ohne Wahrheitsgehalt zu betrachten) und fordert auf,
sich nun aufgrund des vorhandenen Materials selber eine Meinung zu bilden.
Die Zwiesprache des "Dreigroschenromans" mit dem Leser verfolgt das Ziel,
das Verbrechen aufzudecken durch die Suche des Rezipienten nach den Motiven.
Henn auch das Material vorhanden, die Motive durch die Reden der Romanhelden
vielfach dargestellt und in ihrem Wahrheitsgehalt durch die Handlung entweder
unterstrichen oder widerlegt sind, so ist der Leser dennoch immer wieder
versucht, sich in das Romangeschehen hineinzudenken oder sogar Sympathien
für einzelne Figuren aufkommen zu lassen.
Mit der Technik des ausgiebigen Erzählerkommentars,
sogar der direkten Leseransprache, und den Techniken der Kriminalromanschreibweise
wirkt dem Brecht entgegen.
"Wir ziehen Vergnügen aus der Art,
wie der Kriminalromanschreiber uns zu vernünftigen Urteilen bringt,
indem er uns zwingt, unsere Vorurteile aufzugeben... Er führt uns
irre durch seine CHARAKTERSCHILDERUNGEN."2^ Das Mitleid mit Fewkoombey
wird spätestens gebrochen, als er aus Not den Mord an Coax begeht;
und ob Peachum oder
1)Brecht:Uber den Kriminalroman,-In:GW
19,8,457. 2)Brecht:Über die Popularität des Kriminalromans.-In:GW
19,
-47-
Macheath von der Rechtmäßigkeit
ihrer Handlungen überzeugt sind oder nicht, ob sie ehrlich sein können,
Liebe und Freundschaft empfinden oder nicht, wird unerheblich angesichts
ihrer Aktivitäten. Zudem kommentieren sie sich in einer Weise, die
die Lösung dieser Fragen schnell aufdeckt. So geht die Suche des Lesers
vom Nachvollziehen des TSV-Geschäfts z.B. anhand von Erkenntnissen
Peachums über in die Suche nach den Motiven der Verbrechen und Geschäfte,
sucht in den Charakteren - und wird fündig erst in der Aufdeckung
des großen, alles umfassenden Verbrechens- der kapitalistischen Gesellschaftsordung.
"Es sind lediglich die gesellschaftlichen Umstände, die das Verbrechen
ermöglichen oder nötig machen: Sie vergewaltigen den Charakter,
sowie sie ihn gebildet haben. Natürlich ist der Mörder ein böser
Mensch, aber das zu finden, müssen wir ihm den Mord anhängen
können. Einen direkteren Weg zur Ausfindung seiner Moral zeigt der
Kriminalroman nicht."'
So sehen wir den Mord Fewkoombeys an Coax
als durch seine Lage hervorgerufen, die Gesellschaftsordnung zwingt ihn
dazu. Doch der "Dreigroschenroman" leistet mehr: er deckt auch auf, wieso
die Gesellschaftsordnung mörderisch ist: Herkunft, Motiv, Verbrechen
in einem ist die Grundlage dieser Gesellschaft: Das "Geschäft", basierend
auf der Ausbeutung.
Nicht das einzelne Verbrechen wird untersucht,
sondern das Prinzip des Verbrecherischen:
"Die Kausalität menschlicher Handlungen
zu fixieren ist
die hauptsächlichste intellektuelle
Vergnügung, die
2)
uns der Kriminalroman bietet."
. Dieser Aspekt der Aufspürung des
Kausalnexus - im "Dreigroschenroman" des von Geschäft und Gewalt-
ist das für Brecht Wesentliche, das den Kriminalroman vor anderen
Romanformen auszeichnet. Deshalb benutzt er die Techniken
1) ebenda, S. 2)ebenda, S
-48-
des Kriminalromans, die dieses Wesentliche
hervorbringen: Dazu zählen: der ausgezirkelte Lebensabschnitt,in seiner
Verknüpfung unglaubwürdig, aber streng logisch;
die Unterbreitung allen Materials für
den Leser durch Handlungsführung,Figurenreden,Erzähler;
die Figuration umfaßt nur insofern
psychologisch motivierte Charaktere, als daß ihre Motive für
die Aufdeckung der Verbrechen wichtig oder zur Verknüpfung der Handlungsstränge
notwendig sindfsonst sind die Personen nicht mit Individualität ausgestattet,
sondern notwendige Staffage dei? Handlung;
Elemente wie der Londoner Nebel, der in
die Handlung eingreift, aber nur den innerhalb
des Romans Agierenden die Sicht versperrrt, nicht dem Leser;
Verhaftung und Hinrichtung der Falschen;
die Zeichnung der O'Hara-Bande mit ihren
Rivalitäten, Extrawünschen usw.
Alles das rundet das Bild des Kriminalromanhaften
ab. Fischetti verweist darauf, daß man nicht von einer Detektivgeschichte
reden könne, da weder ein Detektiv agiere noch die Form des "Dreigroschenromans"
analytisch sei; und daß man auch nicht von einem Kriminalroman sprechen
könne,
da es sich nicht um eine Aufdeckung bereits
geschehender
in 2)
Verbrechen handele. Immerhin könne
man beim "Dreigroschen-
roman" von Kriminalliteratur sprechen.'
Wesentlich erscheint uns nicht die Zuordnung
zu Formtypen, sondern die Leistung der verschiedenen Techniken. Sie sind
nicht allein aus dem Genre des Kriminalromans
entnommen, sondern auch aus der Trivialliteratur
der Courths-Mahler*' ,aus der Operette^" bei Joice, Dos Passos etc.
Mahler*' ,aus der Operette^" , aus der
Technik der Montage
l)Fischetti, a.a.O.,S.20?.
2)Buono:Zur Prosa Brechts.a.a.0., S.27
spricht explizit vom Kriminalroman; Goebel a.a.O.,S.67 spricht wie Benjamin
vom "Grenzfall des Kriminalromans".
3)vgl.:Brecht:Verlogenheit unserer Literatur.-In:GW
18,S.35 . :Buono,ebenda,S.24,
-49 -
"...das 'gesunde Schema1 des Kriminalromans
ist Analogen der analytischen Methode im wissenschaftlichen Vorgehen."1^
Den Leser in diese Methode einübend
das satirische Kernmotiv (Verhältnis Verbrecher/Bürger) erkennen
und analysieren zu lassen, ist Hauptziel dieses Schemas, dieser Techniken.
Was im bürgerlichen Bewußtsein und Recht als strikt getrennt
erscheint,das legale Geschäft und das illegale Verbrechen, erscheint
im "Dreigroschenroman" als eine historische Stufenfolge von Raub und Ausbeutung,
die nur hin und wieder mit Rückschlägen, mit der Rückkehr
zu Raub und Mord, verbunden ist.
"WAS IST EIN DIETRICH GEGEN SINE AKTIE?"(998)
fragt Macheath und deutet so den Zug der Zeit an. Doch Peachum, gezwungen,
sich seines Gegners Coax zu entledigen, zeigt auf, daß diese Entwicklung
vom Neandertaler-Verhalten zur Zivilisation durchaus nicht unumkehrbar
ist:
"MIT VERTRÄGEN UND REGIERUNGSSTEMPELN
FING ES AN UND AM ENDE WAR RAUBMORD NÖTIG! WIE SEHR BIN GERADE ICH
GEGEN MORD! WELCH SINE ABSCHEULICHE BARBAREI! ABER DIE GESCHÄFTS MACHEN
IHN NÖTIG.MAN KANN IHN NICKT GANS ENTBEHREN."(1083)
Auch Macheath greift zum Einbruch zurück,
als er dazu gezwungen ist. Der zivilisatorische Prozeß in der Form
der Monopolisierung unter Zuhilfenahme der Staatsmacht, der Legalität
der Ausbeutung mithin, ist also teilweise umkehrbar, da die Aneignung fremden
Eigentums dac tertium comparationis zwischen legaler Ausbeutung und illegalem
(Raub-)Mord ist. Insbesondere in der Darstellung der "Ermordung" Mary Swayers
verdeutlicht Brecht die Identität von Verbrechen und Ausbeutung. Zugleich
macht er anhand der Schilderung der Justizmaschinerie klar, daß die
Voraussetzungen für eine gerechte Gesellschaft, eine
gerechte Justiz nicht gegeben sein können,
wenn die Justiz
~>\ im Dienste der Verbrecher steht. 'Die
üblichen Mittel der
Verbrechensaufklärung
, beispielsweise die Frage nach
1)Müller:Brecht-Kommentar, a.a.O.,S.22
.
2)vgl. dazu das Beispiel bei Brecht in
:Uber den aristotelischen Roman.«in:GW 18,S.17
-50-
dem Motiv für eine Tat, verkehren
sich ins Gegenteil: "••• wer hatte sie nötig, die Untat? V/er sie
nötig hatte,der hat sie vollbracht!" (1079)
So endet das Plädoyer für die
Verurteilung Fewkoombeys, der diesen Mord nicht nötig hatte (allerdings
den an Coajc), während Macheath freigelassen wird. Denn:"ES GIBT FÜR
SEINESGLEICHEN KEINE GESETZE.»(857), bzw. diese sind zu seinen und
seinesgleichen Gunsten gemacht.(vgl.1107) So ist also die Technik des Kriminalromans
- zugleich mit der Aufdeckung des Verbrechens seitens des Lesers - auch
genutzt, um zu verdeutlichen, daß das Schema des Kriminalromans (die
Unterscheidung zwischen Verbrechen und legalen Handlungen) nicht zutrifft
auf diese Gesellschaft, da diese jegliche Moralkategorien in ihr Gegenteil
pervertiert. Die für den Kriminalroman notwendige Abgrenzung der in
sich stimmigen Welt (im "Dreigroschenroman" in der Form der Handlungsebene
London, TSV-Geschäft, ZEG-Gründung und die Entwicklung dahin)
bedeutet also eine Umkehrung der dem Leser bewußten Welt. Es handlet
sich um eine "verkehrte Welt" , deren positive Werte die Kritik des Lesers
herausfordern, deren Normalität und Stimmigkeit es gerade sind, die
die Verkehrung der Werte bedeuten.
- 51 -
d) Der "Dreigroschenroman" als historischer
Roman
Es fällt auf, daß der "Dreigroschenroman"
nach dem so einschneidenden Erlebnis der Machtübernahme der deutschen
Nationalsozialisten nicht diesen Beginn einer neuen Zeit, diese radikale
Änderung der Lebensbedingungen nicht nur der Exilierten, sondern auch
des deutschen Volkes zum Thema hat. Der "Dreigroschenroman" reiht sich
ein in die Menge der historischen Romane, die nach 1933 geschrieben wurden
und denen nicht selten der Vorvrurf der Flucht vor den Anforderungen des
antifaschistischen Kampfes gemacht wurde. ' Der "Dreigroschenroman" spielt
im London des Jahres 1902 zur Zeit des Burenkrieges. Sofort aber wird die
geringe Plastizität des geschilderten Milieus sichtbar, die schon
auf den ersten Blick die Frage aufwirft, wieso der Roman eigentlich so
wenig mit den Zeitumständen zu tun hat. Englische Leser beschwerten
sich über die sachunkundige, teils absurde, jedenfalls unglaubwürdige
Darstellung der englischen Verhältnisse. 'Brecht vermerkte ironisch
in Vorausschau dieser Reaktionen, dann habe die Schilderung ja immerhin
noch mit den Darstellungen der englischen Kriminalromane eine Übereinstimmung.
In der Tat hat sich Brecht nicht um eine genaue Sachkenntnis bemüht,
einzig von Korsch ließ er sich minutiös berichten, wie der Verhandlungsverlauf
bei englischen Gerichten vor sich ging.^" Bei der Durchsicht der Materialien
des BBA fanden sich mehrere Zeitungsausschnitte, die, teils von Brecht
selbst gesammelt, teils von Elisabeth Hauptmann u.a. zugesandt, groteske
Vorkommnisse meist aus den SOger und 30ger Jahren kommentieren. Es handelt
sich vielfach um kriminelle Delikte, die mit enormem Witz und erstaunlicher
Unverfrorenheit begangen wurden. Sie sind alle im "Dreigroschenroman" verarbeitet
(Holzdiebstahl, Autoversteigerung usw.). Brefeht verwendete also Details
aus der Realität anderer Zeitabschnitte als der Zeitebene des Romans,
ohne daß jedoch die Glaubwürdigkeit des Romangeschehens dadurch
zugenommmen hätte.
Uvgl.Hermsdorf u.a.:Exil in den Niederlanden
und in Spanien. a.a.O., S.151 ff. und Schiller,Dieter:... von Grund auf
anders.Programmatik der Literatur im antifaschistichen Kampf während
der dreißiger Jahre.- Berlin 1974, S. 128ff.
2)s.u. Teil VI.
3)s.o. S.2k •
4)Brief Korschs an Brecht vom 17.3.34
in:Alternative,18.Jg. (1975),Heft 1o5,S.242 ff.
- 52 -
Im "Dreigroschenroman1' finden sich, einmoatiert
in die Zeit zwischen Juni und Oktober 1902, auf der Ebene der Schilderung
der geschäftlichen Transaktionen, in der Personencharakterisierung
etc. verschiedene Entwicklungsstadien der bürgerlichen Gesellschaft,
die auf bestimmte Phasen der ökonomischen Entwicklung der kapitalistischen
Gesellschaft gründen, Dakowa versucht anhand von Marxzitaten nachzuweisen,
daß Brecht Marx habe mit dem Roman kommentieren wollen;
"Es ist offensichtlich, daß die
Konzeption der B-Läden und der B-Ladenbesitzer gleichsam als Illustration
der Marx'schen Feststellungen erscheint." ' Sie verkennt damit die satirische
Überspitzung und Verzerrung der "Dreigroschenroman"-Welt, die eben
nicht in ihren Erscheinungsformen eindeutig auf bestimmte Entwicklungsetappen
des Kapitalismus zurückweisen. Es lassen sich gleichwohl bestimmte
Züge dieser Etappen auffinden, jedoch ineinander verwoben, im Fluß
und in ihren Auswirkungen überspitzt. Es handelt sich in der TSV-Handlung
u.a. um den Rückwerweis auf den frühen englischen Kapitalismus,
im Aufbau der ABC-Läden um die Entwicklung von der ur-
sprüaglichen Akkumulation des Kapitals
zum Monopolkapi-
?}
talismus^', und um Anspielungen auf den
deutschen Faschismus. Brecht intendierte aber nicht eine literarische
analytische Darstellung der realen Ereignisse, es handelt sich auch nicht
um einen Marx-Kommentar, sondern die Welt des "Dreigrsochenromans" bleibt
- in sich geschlossenein Modell, ein Gleichnis. , dessen Realitätsgehalt
auf einer anderen Ebene als der der direkten Identität mit historischen
Ereignissen liegt.-"Sicherlich werden, wenn Brecht die historischen Entwicklungen
des Frühkapitalismus z.B. anhand der "Verlagstätigkeit" der B-Ladenbesitzer
---
1)Dakowa, a.a.O.,S.203.
2)vgl. dazu die ausführliche
Darstellung bei Peitsch/
Schutte, a.a.O., S. 79 ff.
4)vgl. dazu Brechts kurzgefaßten Realismusbegriff in:
Volkstümlichkeit und
Realismus.-In:GW 19.S. 326. 3)Diese untersuchen wir gesondert-Teil V 1)
5)vgl. BBA 294/1 *f1 (S
- 53 -
aufgreift, die gerade von den Faschisten
als idyllisch geschilderten Episoden des Kapitalismus als grausam entlarvt.
Insofern liegt schon im Aufgreifen dessen, was Schriftsteller vom Schlage
Jüngers als "positives Erbe" begriffen und darstellten, um sich glaubhaft
gegen den Kapitalismus der "Systemzeit" zu wenden, eine antifaschistisch
wirkende Kraft. Aber wichtiger noch ist die Allgemeingültigkeit der
Aussage, die sich aus der historischen Betrachtungsweise ziehen läßt:
"Brecht versteht also seinen Kampf gegn
den Nationalsozialismus, der die Produktivität seiner fruchtbarsten
Jahre bestimmt, im weiteren Sinne als Kampf gegen den Kapitalismus; in
einem noch größeren Zusammenhang geht es ihm um den Widerstand
gegen eine historisch gewordene Entfremdung des Menschseins: Dieser mehrfache
Horizont eröffnet sich durch die spezielle historische Betrachtungsweise,
die das Besondere auf - seine allgemeine Struktur zurückführt."
Die allgemeine Struktur ist im "Dreigroschenroman" die Struktur des Imperialismus
in seinen ökonomischen, aber auch in seinen ideologischen, politischen,
juristischen Zusammenhängen, also in den Bereichen, die zum überbau
gezählt werden. So ist der Übergang vom Verbrecher zum Bürger
als ein historischer Prozeß dargestellt: Macheath steigt auf: erst
"Messer", dann Bandenchef, dann Holzhändler,B-Kettenladenchef, Chef
der ZEG,der NDB, des ABC-Syndikats. In verschiedenen Stufen seiner Entwicklung
ist Mac jedoch gezwungen, zum Verbrechen zurückzukehren (Einbruch,
Mord). Das Verbrechen erscheint jedoch als Teil der Geschäfte, es
ist notwendig und im Wesen damit identisch.
Da Brecht im deutschen Faschismus keine
speziell deutsche Angelegenheit sah, auch, weil er die neue Qualität
des Faschismus nicht erkannte, war für ihn die Uberbau-problematik
in allen kapitalistischen Ländern im wesentlichen gleich - wenn auch
in Deutschland besonders scharf hervortretend.
---
1)Müller,Klaus-Detlef:Die
Tunktion der Geschichte im Werk Bertolt Brechts. Studien zum Verhältnis
von Marxismus und Ästhetik. Tübingen 1967,S. 72.
- 54 -
"Vielleicht war die gleich zu Beginn des
Exils einsetzende und heftig umkämpfte Flutwelle historischer Romane
u.a. aus der Tendenz zu erklären, nicht allein den deutsch Literaturmarkt
zu bedienen. Die Wahl der Stoffe-- zum wenigsten wurden Probleme deutscher
Geschichte vorgestellt- mag als Versuch angesehen werden, sich mit der
Vergangenheit des Gastlandes auch dem Leserpublikum dieses Landes zuzuwenden
und eine gegenseitige Kontaktaufnahme auszuprobieren. Eine solche Haltung
wird auch solchen Büchern zugrundegelegen haben?, die faschistischen
Terror, faschistische Barbarei zu entlarven gedachten'.1 '
Diese spekulative Einschätzung mag
auf den "Dreigroschenroman" dennoch zutreffen, die Leseransprachen im Vorwort
zur englischen Übersetzung zeugen davon. Eine zu enge Definition dessen,
was ein historischer Roman im Exil ist, geben Hahn u.a., wenn sie den "Dreigroschenroman"
davon abgrenzen und folgendermaßen verbuchen:
"Romane, die ein Funktionsmodell des imperialistischen
Zeitalters zu geben suchen ('Dreigroschen-Roman1 , 'Pardon wird nicht gegeben1).
Sie zielen auf den Mechanismus der imperialistischen Herrschaft und enthalten
bzw. provozieren den Drang zur Veränderung, zur Entscheidung. Dabei
bleiben bewußt wesentliche nationalhistorische Voraussetzungen und
Charakteristika des deutschen Faschismus aus dem Spiel." '
Dennoch ist diese Definition treffend
- siespricht nicht gegen eine Einordnung des "Dreigroschenromans" als historischem
Roman in weiterem (nicht nationalhistorischen) Sinne, charakterisiert aber
das Besondere des Romans: ohne vordergründige Aktualität dennoch,
mithilfe des Funktionsmodells des Imperialismus, u.a. eine Kritik des Faschismus
als dessen extremste Stufe zu leisten. Der Wahlspruch Macheathft "NIEMALS
ZURÜCKBLICKEN"(1148) verweist auf die Notwendigkeit;für den Leser,
wesentliche historische politische und ökonomische Zusammenhänge
eben im Rückblick, in der Aneignung von Wissen über diese Beziehungen
zu erarbeiten, auch um den Faschismus besser analysieren zu können,
---
1)ßock, a.a.O. ,5.42.
2)Manfred Hahn u.a.:Aus
:Thesen zum deutschen Roman im
20.Jahrhundert.-In:Textsammlung
zur Literaturgeschichte.
Berlin 1975, S.256.
- 55 -
TEIL IV
l) Figurenaufbau im "Dreigroschenroman"
a) Prinzipien der FigurenZeichnung
Die Figuren des "Dreigroschenromans" erfahren
eine nur minimale individuelle Ausstattung. "Die Dreigroschenfiguren, auch
die tätigsten, sind lediglich Sklaven der Konkurrenz und des Geschäftes."
Auch wenn die Handlungsführung im Romanaufbau dominant gegenüber
der individuellen Reflexion ist, nimmt die Darstellung des Bewußtseins
sowohl der Protagonisten als auch der Nebenfiguren einen großen Raum
ein. Zumeist geschieht das in der Form von kursiv gedruckten Stellen, aber
auch darüber hinaus finden wir Sentenzen und Überlegungen, die
konstitutiv für das Bewußtsein sind. Satirisch überspitzt
sind nahezu alle. Die Bewußtseinsinhalte verweisen weniger auf die
Figuren als auf ihre Zugehörigkeit zu einer Klasse. Sie sind immer
funktional für das Romangeschehen in dem Sinne, daß auch Reflexionen
über Liebe,Moral etc. Auswirkungen auf die Handlungen bzw. das Nichthandeln
zeigen. Die satirische Figurenzeichnung wird durch Brecht mittels verschiedener
Techniken erreicht, deren gemeinsames Element der Widerspruch ist.
Zunächst ist besonders auffällig
der Kontrast zwischen sozialer Lage und Bewußtsein, besonders bei
den B-Ladenbesitzern. Eine große Drastik gewinnnen die Widerspirübke
zwischen den Idealen und Ideen einerseits und der bestimmenden materiellen
Praxis andererseits bei Macheath. Das Aufeinanderprallen verschiedener
Standpunkte, derer sich auch eine Person in ein urid derselben Rede bedienen
kann,verdeutlicht dabei besonders, daß es nicht das Bewußtsein
im Allgemeinen ist, das das Tun oder Lassen der Figuren bestimmt^ sondern
die materiellen Interessen, die aus der sozialen Lage entstehen. Sprachliche
Kontrastierungen finden wir in der Spannung zwischen Gesagtem und Gemeintem
(z.B. wenn Macheath von der Freiheit des
---
1)Dakowa,a.a.O., S.
- 56 -
Geistes spricht, aber seine Möglichkeiten
zur Weiterführung der Geschäfte auch vom Gefängnis aus meint
- S.990). Sie äußert sich mitunter auch in der Wahl zweier Sprachebenen:
in der Sprache der Werte und der Interessen in einer Rede( z.B. als Peachum
von den moralischen Folgen der Arbeitslosigkeit spricht, jedoch damit die
Erledigung des Mordauftrages fordert - von Brecht sowohl durch den Kursivdruck
als auch durch die Verwendung der direkten und indirekten Rede voneinander
abgehoben.). Eine besondere Komik entsteht im Kontrast zwischen Sprache
und
•
Situation, wenn in einem Hinterhof des
schmutzigsten Viertels Londons Fewkoombey von einem Bettler brutal zusammengeschlagen
wird, dieser dabei jedoch in gewählten Sätzen von den Regeln
des Britischen Fauskämpferverbandes spricht. Hier hat also auch der
Sprachduktus im Verhältnis zur Situation satirischen Charakter. Besonderen
Witz gewinnt diese Situation durch die Eindeutigkeit,mit der diese Sprache
fehl amPlatze ist, denn der geforderte offene, ehrliche Kampf kann aufgrund
des körperlichen Unterschieds zwischen den Kontrahenten nur zuungunsten
Fewkoombeys ausgehen.
Diese Kontrastierungen im "Dreigroschenroman"
verfolgen einen Zweck: durch das Zusammenziehen der Widersprüche unter
jeweils einem Aspekt wird in dem bewußt Unterschiedenen das Identische
verdeutlicht. So wie Sprache und Situation im letzten Beispiel auseinanderklaffen,
sind sie gleich in Bezug auf die Herrschaft, die ausgeübt wird. Der
von Natur Stärkere (in anderen Situationen: der sozial überlegene)
wendet eine Sprache an, die seine Überlegenheit in der Anwendung sprachlicher
Mittel verdeutlicht. Die Figuren sind zwar nicht mit sich selbst identisch,
aber in ihren Bewußtseinsformen entsprechen sie oft ihrer momentanen
Lage, auf dam Hintergrund der Einbindung ihres Bewußtseins in das
durchschnittliche Bewußtsein: ihrer Klasse oder Schicht. Das Denken
in traditionellen Formany die Unflexibilität, das Hinterherhinken
des Bewußtseins hinter der Entwicklung des materiellen
- 57 -
Seins, unterscheidet die B-Ladenbesitzer
zu ihrem Antipoden Macheath. Es ist nicht nur das fehlende Wissen, das
sie an der Erkenntnis ihrer Situation hindert, sondern eher noch die Form
des Denkens, das Lernprozesse verhindert. Brecht verdeutlicht das durch
die mehrfachen Reflexionen über das "plumpe Denken", aber auch dadurch,
daß die aktuelle Lageeinschätzung als Sprache (direkte und indirekte
Rede) dargestellt wird, die Weltanschauung indessen als Denken, oder als
Sprache, der mit Hilfe des SrZählerkommentars die aktuelle Bezugnahme
genommen wird. Peachums einzige Überzeugung sei, daß
es in der Schlechtigkeit keine Grenze gebe, sagt uns der Erzähler
(772). Peachums Äußerung auvor hat den Anschein eines einzelnen
Gedankengangs. Im Zusammenahng mit dem Erzählerkommentar wird aler
deutlich, daß sie Tsil seiner Weltanschauung ist. Peachum wird uns
bekannt als prüder Mensch, Feind jeder Sinnlichkeit usw. Der Erzähler
kommentiert seine Äußerungen mehrmals mit: "Sagte er . oft",
"Pflegte er oft zu sagen" usw. (z.B. 949, 1073). Ebenso, wie Peachum "seiner
Gewohnheit folgend"(830) dieses oder jenes macht, geht Macheath jeden Donnerstag
nach Turnbridge zu seinen Frauen, Coax in Feathers Wannenbäder usw.
Als Macs tiefste Überzeugung ist "Der starke Mann ficht, der schwache
Mann stirbt" festzumachen. Einzig diese Grundüberzeugungen entsprechen
den Handlungen der Protagonisten und umgekehrt(vgl.883) Alles andere, was
"oft" gesagt wird, was "Gewohnheit" ist, wird bei Bedarf und Notwendigkeit
über den Haufen geworfen. Diese Flexibilität haben die B-Ladenbesitzer
nicht. Ihnen eignen gesamte Weltanschauungen, Konctrukte des Denkens, die
keiner Realität entsprechen und in bestimmten Situationen (bei der
Abschaeidung der Warenzufuhr u.a.) nur noch komisch in ihrer Unangemessenheit
wirken. Der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis ist ihnen jedoch nicht
bewußt, im Gegensatz zu ihren Gegenspielern. Diese ziehen, wie mehrfach
betont wird, einen Trennungstrich zwischen Geschäftsund Privatleben
(u.a. 788), sind in der Lage, sich von Ansichten zu trennen. Die Rolle
der Weltanschauungen für die
- 58 -
soziale Determinierung der Figuren ist
also evident. Zu untersuchen wäre demnach, inwiefern Ideologie im
"Dreigroschenroman" aufgesetzt, fehl am Platz ist, welche Rolle sie bei
der Unterdrückung der Ausgebeuteten spielt,
Einen besonderen Platz im "Dreigroschenroman"
nehmen die Andeutungen auf faschistische Ideologie ein, die wir besonders
bei Macheath vorfinden.
- 59 -
b) Das Problem des Humanismus
"Damit der Mensch werde, muß er vollständig
ruiniert werden: das ist das Endergebnis der INQUIRY, ihre letzte nützliche
Lehre'.' So endet der Aufsatz Buenos über den "Dreigroschenroman".
Das Menschenbild Brechts, der humanistische Charakter seiner Dichtung sind
aus dem ersten Leseeindruck nur unvollkommen zu verstehen, sie erschließen
sich erst aus der Reflexion des Gelesenen. Ihre Bedeutung in der Zeit des
antifaschistischen Kampfes ist offenbar: der Unmenschlichkeit ein Gegenbild
vorzuhalten, die Barbarei als Barbarei zu entlarven, war Hauptanliegen
vieler Dichter des Exils. Der Faschismus in Deutschland hatte es, aufbauend
auf der ideologischen Tradition eines romantischen Antikapitalismus, verstanden,
die materielle Krise und die Sinnentleerung der Persönlichkeit auszunutzen
für eine Ideologie, deren Grundschema etwa so aussieht:
"Zurücknahme des geschichtlichen
Prozesses im völkischen Mythos als Mittel, um die ideologischen Grundlagen
der antiimperialistischen Opposition zu zerschlagen: Identifizierung von
Humanismus und Sozialismus mit dem Zweck, die wirklichen Klassengegensätze
ideologisch zu kaschieren und ein einheitliches Feindbild aufzubauen, das
die Fiktion der sog. Volksgemeinschaft demagogisch absichern soll; Umfunktionierung
antikapitalistischer Stimmungen zu imperialistischen Aggressions- und Mobilisierungsideologien."
Zum gesellschaftlichen Ideal wurde erhoben, daß die Volksmassen als
Objekt der Geschichte existieren, eine wirkliche Gemeinschaft der Individuen
wurde durch die Vermassung im "Volkskörper" verhindert, das Schicksal
sollte als Sinnerfüllung des Lebens gedeutet werden. Die totale Unterwerfung
unter ein unbegriffenes Schicksal wurde im Faschismus zur unreflektierten
Voraussetzung des Handelns. Anna Seghers beschrieb diesen ideologischen
Prozeß auf dem Pariser Schriftstellerkongreß 1935 so:
---
1)Buono:Zur Prosa Brechts,
a.a.O.,S 50. 2)Schiller:...von Grund auf anders. a.a.O. S.78 f.
- 60 -
"Der Mensch an der Stempelstelle, am laufenden
Band... ist ein Niemand. Der dem Tod konfrontierte Mensch scheint wieder
alles... Bis jetzt war derselbe Mensch mit all seinen reichen Werten, mit
all seiner Begabung unverwertbar, unbrauchbar, lästig... Auf einmal
ist er verwertbar... Das Vaterland(braueht auf einmal) den ganzen Menschen,
den letzten Einsatz... er kann sich bewähren. Der Krieg wird zur Verwertung
der Unverwertbaren, zum Ausweg der ausweglosen Welt... jetzt gibt es...
die Gleichheit vor dem Tod."
Die Diskussionen um das Menschenbild im
BPRS der 20ger Jahre gewannen angesichts dieser menschenfeindlichen Ideologie,
die zur Staatsdoktrin erhoben war, eine neue, größere Bedeutung,
zumal die Frage des Humanismus im Rahmen der Volksfront- und Einheitsfrontbest^ebungen
die einzige positiv-gemeinsame Wertgebung für die antifaschistischen
Schriftsteller und Intellektuellen bedeutete. Die bündnisstiftende
Funktion der Haltung zum Humanismus erwies sich als bedeutend, als den
verschiedenen Denkweisen,Weltanschauungen und PerspektiveVorstellungen
und der Kompliziertheit der teils widersprüchlichen Entwicklung der
bürgerlichen Intellektuellen gerecht werdend.
Während bürgerliche Autoren
oftmals nur deskriptiv zur Entleerung der Persönlichkeit, zur Entfremdung
etc. Stellung bezogen, nahmen sozialistischen Autoren die Ursachen dieser
Entwicklung unter die Lupe. Brecht hatte sich schon lange mit dieser Frage
beschäftigt- sie war Hauptgebiet seines Schaffens.
"Die von ihm gerade vor 1933 ständig
wiederholte These, daß es für die Unterdrückten keinen
Ausweg aus ihrer Lebenslage ohne die revolutionäre Veränderung
der Machtverhältnisse gab, war aber eine These, die nicht allein die
Politik, sondern das neue Verständnis des Menschen überhaupt
betraf. Die Ansicht vom Heldentum, von Moral und Erziehung, ja selbst von
der Liebe
p\ war von dieser Konzeption prinzipiell
betroffen." '
---
1)In iSchiller, ebenda, S.
81.
2)Brandt, Helmut:Sozialkritischer
Umgang mit dem Erbe: Bertolt Brecht.-In: Schriftsteller.und literarisches
Erbe. Zum Traditionsverhältnis sozialistischer Autoren. Berlin und
Weimar 1976, S. 281.
- 61 -
Das findet, wie zu zeigen ist, im "Dreigroschenroman"
seinen Niederschlag, so wie sich im gesamten literarischen Schaffen Brechts
der Kampf gegen die Entleerung und Ver-krüppelung des Menschen als
roter Faden hindurchzieht. Das impliziert nicht, daß der Realismus
und Humanismus Brechts unbedingt die volle Persönlichkeit, reich an
Seelenleben, zu schildern fordere, wie es ein verengter Realismusbegriff
als notwendig ansieht. Denn:
"Der Schriftsteller, welcher bestrebt
wäre, die Menschen lediglich 'anders' einzuschätzen, als es die
Kapitalisten tun, und sie deshalb 'rund', 'harmonisch', 'seelisch reich1
schilderte, würde nur auf dem Papier 'runde' Menschen formen, er wäre
ein schlimmer Formalist." ' Brecht wendet sich somit gegen die Schriftsteller,
die, ohne Modelle für ihre Figuren in der Realität zu finden,
finden zu können, Charaktere"von der bisher üblichen Festigkeit,
Übersichtlichkeit uüd Eindeutigkeit"-^schil-dern. Da er von der
depravierenden Funktion des Kapitalismus ausgeht, ist Brecht lange davon
überzeugt, es gebe diese Persönlichkeiten nicht, die er so gern
schildern würde, ohne lügen zu müssen. So dauert es, bis
er über die Beschäftigung mit dem Marxismus zur Schilderung des
klassenbewußten, kämpferichen Proletariers findet.
Im "Dreigroschenroman" kommt dieser nur
in der Statisterie vor. Dem Proletarier wird keine Stimme verliehen, er
ist sprachlos (im doppelten Sinne). Es wird über ihn geredet, über
die Kommunisten und Sozialisten hergezogen. Wahrheitsgemäße
Äußerungen, z.B., daß die Kommunisten gegen den Krieg
sind(796,9l6) wechseln ab mit Verleumdungen (1080,1086,1091,1112). Das
Verhältnis zu ihnen ist z.B. seitens Peachums(830) das gleiche wie
seitens der B-Ladenbesitzer(1071,1091). Diesen wird jedoch bewußt
sozialistisches Gedankengut vorenthalten, indem man sie nicht sozial absinken
läßt (1056), so daß kein Interesse
an kommunistischer Propaganda entsteht(10l8
f.) oder durch
---
1)vgl. Kantorowicz-Rezension(s.u.),
oder Brecht-Lukacs-
Debatte z.B. in:Dialog und
Kontroverse mit Georg Lukacs.
Der Methodenstreit deutscher
sozialistischer Schrift-
.steller.-Leipzig 1975.
2.) Brecht: Bemerkunr'
;en zum Formalismus.In:
GW 19,S.3l6. 3) Brecht: Gibt es noch Charaktere für den modernen Romanschriftsteller?-In:
GW 18,S.
- 62 -
an kommunistischer Propaganda entsteht(1018
f. ) f «fder durch die Verfolgung der Kommunisten mittels Verhaftung
(1112),Aufhängend 071)oder zumindest durah das "Wortab-schneiden"d009,1012).
Dennoch wird die Stärke der Kommunisten in Organisation und Bewußtsein
deutliche 775»1007, 1009), denn sie beherrschen das"plumpe Denken"(830,91
6).
Doch die Klassenbewußten Proletarier
setzen sich nicht durch im "Dreigroschenroman11. So signalisiert Brecht
u.a. auch die Niederlage der Arbeiterklasse gegenüber dem Faschismus,
ohne daß allerdings etwa Mitleid oder dgl. mit der Arbeiterklasse,
hier z.B. den Dockarbeitern intendiert wäre. Die einfache Darstellung
dieses Sachverhalts ist auch nicht das Thema des Romans, sondern die Analyse
der Verhältnisse, in denen "homo homini lupus" ist.
"Gebt auch negative, lebendige Beispiele,
zeigt Menschen aus Fleisch und Blut von Schlage van der Lubbes, damit die
Jugend an lebendigen Beispielen lernt." forderte Dimitroff auf dem
Kongreß der Sowjetschriftsteller 1935» Der Fewkommbey des "Dreigroschenromans"
ist zwar nicht eine Figur von "Fleisch und Blut", entspricht aber einer
solchen Erfordernis des Kampfes gegen den Faschismus. Die Depravation,
Entfremdung des Menschen zu schildern, geht im "Dreigroschenroman" einher
mit dem Aufzeigen der Ursachen dafür: "Dargestellt wird, wie die menschlichen
Beziehungen innerhalb der Funktionen des Kapitals anonym werden, wie sich
die Welt des erbitterten Konkurrenzkampfes von Mann zu Mann überholt
und damit auch die Eigenschaften, die in ihm nötig waren. Dargestellt
wird, wie sich die Bedingungen der Tätigkeiten nicht allein scheinbar,
sondern wirklich fremd gegen den Menschen
setzen, wie in diesem Zusammenhang der
Schein eines
2) Naturverhältnisses allgemein wird."
---
1)Dimitroff,Georgi:Die revolutionäre
Literatur im Kampf gegen den Faschismus.-In:ders.:Ausgewählte Schriften.
Bd.2. Berlin 1958, S.512.
2)Schlenstedt, a.a.O.,S.171.
- 63 -
So wie anhand der eindringlichen Schilderungen
des Elends im "Dreigroschenroman" deutlich wird, wie berechtigt ein Kampf
der B-Ladenbesitzer, der Elenden an der Seite der streikenden Dockarbeiter
wäre, wenn er erst einmal geführt würde, so berechtigt erscheint
aus der Sicht der Peachums und Macheaths ihr Kampf. Die einen haben nur
ihre Arbeitskraft zu verkaufen, die anderen müssen sich bei der Strafe
des Untergangs angesichts der übermächtigen Konkurrenz zu behaupten
suchen. Beide Sichtweisen sind objektiv richtig, verdeutlicht Brecht, und
verweist darauf, daß beide Personengruppen Funktionsträger des
Kapitalverhältnisses sind. Es ist also der Kapitalismus und seine
Gesetze, die diesen Widerspruch schaffen und reproduzieren. Zwischen zwei
Rechten entscheidet die Macht, die Gewalt-diese Erkenntnis ist grundlegend
zum Verständnis des Faschismus, der dort Gewalt einsetzt, wo die Aufrechterhaltung
der Kapitalverhältnisse ohne Roheit nicht mehr ginge. Brechts Gestaltung
des "Dreigroschenromans" mit Techniken des Kriminalromans ist somit der
Realität und der zu gewinnnenden Erkenntnis-angemessen.
Die Funktion des Kapitalverhältnisses
darzustellen, drastisch ihre Konsequenz der Gewalt schildern zu können,
erfordert die Verlagerung der Geschäfte an den Rand der für die
Zirkulationssphäre normalen und konstitutiven Gesetzmäßigkeiten.
Nicht die Normalität des Kapitalismus soll zum Ausdruck kommen, sondern
die Bedingungen für die Inhumanität des Kapitalismus, die Bedingungen,
die den Faschismus zeitweilig notwendig machen.
So sind auch die agierenden Personen nicht
die realen Personen, die die kapitalistische Wirklichkeit der 30ger Jahre
beherrschen, sondern vereinigen in sich Züge des Patriziers, des Schatzbildners,
des Bankiers usw. - entsprechend der Montierung der verschiedenen Zeitebenen(s.o.)
Die Entfremdung betrifft nicht nur die
kleinen Leute, sondern auch Peachum, Macheath, Coax etc.:
- 64 -
Coax: »JEDENFALLS STELLTE ICH AN
MIR EIN GEFÜHL VOLLSTÄNDIGER ENTFREMDUNG FEST."(l037)
Macheath:"ES HAT HEUTZUTAGE NUR NOCH WENIG
SINN, SICH EINE PERSÖNLICHKEIT ZUZULEGEN."(1043) -
Peachura:"Ich bin nicht Herr über mich selbst".(789)
Sie umfaßt sämtliche Lebensbereiche,
Werte und Gedanken: Familie (780), Freundschaft(985), Mitleid(745) usw.
Besonders versinnbildlicht Brecht das
durch die zur "Sinnlichkeit" verkommenen Liebesbeziehungen, die im Geschäftsinteresse
genutzt werden. Der Mensch wird nach seinem Wert für die Geschäfte
taxiert: z.B., als Polly seitens ihres Vaters für 500 Pfund von Macheath
zurückgekauft werden soll(983). Der Mensch stirbt in solchen Verhältnissen
ab, stückweise, aber dafür sicher (910). So kann "von wirklichem
Leben natürlich nicht gesprochen werden."(1152)
Die Figuren des Romans erkennen diese
Umstände also durchaus, sie sind aufgrund der Einbindung in ihre Funktionen
(so sind sie ja von Brecht bewußt angelegt) jedoch gar nicht bereit
und auch nicht fähig, daraus Konsequenzen zu ziehen. Sie sind als
Cha»aktermasken unfähig, menschlich zu sein. Besonders Macheath
entspricht dieser Funktionsbestimmtheit: "Aber Mac ließ ja nicht
einmal, wenn sie unter vier Augen sprachen, diese Maske fallen."(941 f.)
So wird also aus der Distanz,.des Lesers zu diesen Figuren sogar eine gewisse
Sympathie gegenüber deren Erfindungstalent möglich, die aus dem
Vergnügen erwächst, die Tricks und Machenschaften zu durchschauen.
Daß diese Erzähltechnik Folgen hat für die Distanzierung
von den so nahen realen gesellschaftlichen Erscheinungen des Faschismus,
ist u.a. die Absicht.
1) vgl. Claas, Herbert: Satirische Gesellschaftsromane
mit historischem Stoff bei Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht.-In: Antifaschistische
Literatur.Bd.3 S.220.
- 65 -
c) Macheath - Geschäftsmann und Politiker
Manche Äußerungen Macheaths,
die aus dem Munde Hitlers hätten kommen können, und Beschreibungen
durch andere Figuren des Romans legen die Vermutung nahe, der "Dreigroschenroman"
sei ein Schlüsselroman, in dem zumindest Macheath als Hitler wiedererkannt
werden könne. Die Stilisierung Macheaths als Führer durch sich
und andere (z.B. 1121) ist durchaus auf Hitler gemünzt.Jedoch die
Herkunft Macheaths aus dem Straßenräubermilieu wäre dann
nicht zu erklären, seine Geschäftspraktiken würden einer
derartigen Interpretation widersprechen usw. Andererseits ist dieser "gemischte
Charakter", wenn-man ihn unter dem Gesichtspunkt seiner Funktion betrachtet.;
durchaus für eine antifaschistische Wirkungsintention produktiv. Indem
Straßenräuber und Führer, Verbrecher und Bürger in
dieser Person als identisch angelegt sind, schafft der satirische Verfremdungseffekt
eine neue, nüchterne Betrachtungsweise der historisch "großen"
Persönlichkeiten, also auch Hitlers. Der Leser wird durch Macheath
auf das Verhältnis zwischen Mentalität und Interessenslage sowohl
der Industriekapitäne als auch der politischen Größen aufmerksam
gemacht und vermittels der Verfremdungseffekte, der Parodie auf Hitler,
der satirischen Schreibweise insgesamt, dazu befähigt, ein eigenes
Urteil darüber abzulegen. Macheath wird, entsprechend dem Hergang
der Handlung, als Beckett eingeführt, über seine wahre Identität,
Charakter etc. erfährt der Leser zunächst nichts. Auch die"Frühgeschichte"
Macheaths bleibt zunächst im Dunkeln, endgültige Klarheit darüber,
daß Macheath das "Messer" ist, gewinnt der Leser erst zum Schlußd129).
So wird zweierlei im Leserverhalten erreicht: die Entwicklung Macheaths
aufmerksam mitzuverfolgen, als auch das Interesse wesentlich auf die Handlungsweise
dieser Figur zu legen anstatt auf die Identität, den Charakter. Wesentlich,
das wird so deutlich, ist Macheaths Funktion als Charaktermaske, als Personifikation
großbürgerlicher Interessen und dem-entsprechender Ideologie.
1 JvgTT z.B. die Rezension in der "Deutschen
Freiheit",s.u.
- 66 -
Die Erzählerkommentare veranschaulichen,
daß der Erkenntnisfortschritt im Verlaufe der Handlung gemacht werden
soll: "Er hatte eine Vorliebe für große Worte." (778)
Das charkterisiert Macheath ebensowenig wie die Beschreibung seines Rettichkopfes,
wohingegen die ausführliche Beschreibung der Art, in der er ein Ei
ißt(111 8f.), seine Brutalität, Genauigkeit und Systematik hervorragend
verdeutlicht - nachdem Macheath dem Leser schon bekannt ist. Der Typ des
eiskalten Geschäftemachers, und ein solcher ist Macheath, nutzt jeweils
die Gunst der Stunde, Stimmungen, Wünsche etc.aus(779: den Wunsch
der B-Ladenbesitzer, 889s die Forderungen seiner Bande usw.) Nicht er selber
erscheint als die treibende Kraft, sondern er macht sich anderer Leute
Bedürfnisse zu eigen und ist bestrebt, ihnen zu dienen (z.B. durch
den"Dienst am Kunden") In diesen Fällen wird der Politiker hervorgehoben
- doch das Handeln Macheaths insgesamt verweist auf die Identität
des Politikers mit dem Geschäftsmann. Die eigenen Interessen dürfen
also nicht zum Vorschein kommen, sie müssen aber durchgesetzt werden.
Dazu dient, wie Macheath es vorführt, die Bereitstellung einer Ideologie,
die die wahren Zusammenhänge des Geschäfts verdeckt. Da die geschäftlichen
Angelegenheiten oftmals andere Züge als geplant annehmen, wird diese
Ideologie auf die jeweils herrschenden Notwendigkeiten zurechtgeschuster
t. Das ist möglich, da sie von Anfang an die Wechselfälle des
Geschäftslebens integriert.
"EIN MENSCH, DER DREI JAHRE LANG EIN UND
DIESELBE ANSICHT HAT, ZEIGT DADURCH NUR, DASS ER SEIT DREI JAHREN NICHT
MEHR ZUM SPIEL ZUGELASSEN WIRD."(883) So kann es geschehen, daß Macheath
im tiefsten Brustton der Überzeugung jeweils unterschiedliche Ansichten
äußert-wenn es dem"Spiel" nützt. Und das besteht aus der
Wahrnehm, ung der materiellen Interessen, die verschiedene
Methoden nötig machen:
"WAS IST EIN DIETRICH GEGEN EINE AKTIE?
WAS IST EIN
67 -
EINBRUCH IN EINE BANK GEGEN DIE GRÜNDUNG
EINER BANK? WAS, MEIN LIEBER GROOCH, IST DIE ERMORDUNG EINES MANNES GEGEN
DIE ANSTELLUNG EINES MANNES?"(998) "
Macheath erweist sich hier wie an vielen
Stellen als das "spekulative Genie" kapitalistischer Verhältnisse,
indem er geschichtsphilosophisch deren Gesetz formuliert."1'
Er kann das nur aufgrund seines Wissens,
auf das er nicht ohne Stolz verweist:"ICH WEISS VIEL."(907) Es ergeben
sich, da Macheath nicht aus wissenschaftlichem, sondern materiellem Interesse
arbeitet, dabei durchaas Korrelationen zu marxistischen Erkenntnissen(z.B.1015)>
so daß Grooch bei der o.a. Erkenntnis verblüfft sein muß(998).
Denn Macheath beherrscht im Gegensatz zu den Kleingewerbetreibenden die
Formen des plumpen Denkens, das nicht nach Ideen und Werten, sondern nach
Interessen fragt - und so • werden Interessen gleich für Handlungen
genutzt- ohne Rücksicht auf die Folgen, die sich daraus ergeben.Es
wird damit egal, ob Macheath selber glaubt, was er sagt. 0-Hara ärgert
sich über Macs Hang zur Pose, denn Mac benimmt sich so, "als glaube
man selber an seine eigenen Worte? Aber Mac ließ ja nicht einmal,
wenn sie unter vier Augen sprachen, diese Maske fallen."(9^-1 f.) Der Erzähler
kommentiert an anderer Stelle:"...Macheath glaubte wirklich in diesem Augenblick,
was er sagte."(1052) Damit wird zwar offensichtlich die betrügerische
Funktion der meisten seiner Reden dargestellt, aber bei einem Menschen,
der seine Ansichten so oft wechselt, ist diese Frage belanglos. Wichtig
ist, daß Mac bewußt Wissen und Einfluß, Ideologie und
Macht in feinem Wechselspiel dazu nutzt, seine Interessen durchzusetzen.
Seine Überzeugungen helfen ihm insofern, als sie funktional auf das
Erreichen der jeweiligen Ziele gerichtet sind:
"ICH BIN LEIDER NICHT ANSTÄNDIG,
KEIN WIRKLICH FEINER MENSCH. ABER ICH SCHAFFE WAS. WENN DIE BANKSACHE UNTER
DACH IST, DA WERDE ICH ANSTÄNDIG SEIN, DIESMAL. ES IST SO ANGENEHM,
WENN MAN ANSTÄNDIG IST, UND ES SCHADET EINEM NICHT FINANZIELL. ODER
WENIG. ODER NÜTZT SOGAR."(825)
---
1)Peitsch/Schutte, a.a.O.,S.178.
- 68 -
Als seine Idee der Werbewoche Chreston
zugespielt wird, erdadurch den ersten Einblick in die bürgerliche
Geschäftspraxis erhält, formuliert er das Wesen dieser "höheren
Sphäre"so :"DIESEN LEUTEN SIND WIR EINFACHEN VERBRECHER NICHT GEWACHSEN,
FANNY."(878) Der satirische Effekt, daß ein Verbrecher die bürgerliche
Geschäftswelt als ebenso verbrecherisch, aber in höherem Maße,
bezeichnet, läßt Macheath in seiner Funktion als Propagandist
dieser bürgerlichen Ordnung unbeschadet. Macheath weiß:
"FREILICH IST MIT DER EINFACHEN,NATÜRLICHEN
UND SCHLICHTEN STRASSENRÄUBEREI HEUTE NICHTS MEHR ZU MACHEN. SIE VERHÄLT
SICH ZU DER KAUFMANNSPRAXIS WIE DIE SEGELSCHIFFFAHRT ZUR DAMPFSCHIFFAHRT."(11
29)
So legt Brecht in der Person Macheath
das gemeinsame der verschiedenen Praxen der Ausbeutung bloß. Was
als historischer Prozeß von einer niedrigeren zur höheren Qualität
erscheint, ist im Aufstieg Macheaths in einer Person ver-einigt:"Für
einen Räuber .war er ziemlich gut bürgerlich, aber für einen
Bürger war er ziemlich räuberisch."(922)
Die Einheit des Bürgers und Räubers
in einer Person wird auch in der Selbsteinschätzung Macheaths deutlich:
"ICH HABE MEINE TÄTIGKEIT KLEIN BEGONNEN, IN EINEM ANDEREN MILIEU.SIE
BLIEB ABER IM GROSSEN UND GANZEN IMMER DIE GLEICHE."(1H7)
Das Wesen der Tätigkeit Macheaths
faßt der Erzähler in einem Satz zusammen: "Man mußte aus
seinen Angestellten herausholen, was irgend ging ..."(973- vgl. auch 848)
Die Ausbeutung, das Beutemachen, ist also das tertium comparationis zwischen
Bürger und Räuber, und in dieser Hinsicht formuliert die satirische
Gleichsetzung dieser im Bewußtsein der Leser einander entgegengestellten
Tätigkeitsbereiche die Lehre, die Brecht verbreiten will. Deshalb
wird auf die zusammenfassende Aufdeckung dieses Sachverhalts im Traum Fewkoombeys-auch
so großer Wert gelegt. Deshalb ist dieser Traum als Epilog die Bestätigung
der Erkenntnisse,die der Leser in der Verfolgung der Handlungen des Macheath
schon mehrfach gewonnen hat. Insofern
- 69 -
ist die Person Macheath auch nicht als
solche interessant (z.B. für eine Charakterstudie des Geschäftsmanns
oder dgl.) Denn Macheath formuliert selber mehrfach, daß nicht seine
Individualität zu seinen Taten Anlaß ist: "ICH WOLLTE NUR IMMER
DEM ARMENHAUS ENTGEHEN."(11/f8) Daß es die Verhältnisse sind,
die bürgerliche Gesellschaft selber, die ihn zu Entscheidungen treiben,
wird auch aus der Handlung deutlich: Die Entscheidungsschlacht gegen Chreston
kann zunächst nicht stattfinden, da die Lager der ZEG leergeräumt
sind, so daß die objektive Notwendigkeit für neue Pläne
besteht. Macheath ist aufgrund seiner Stellung sowohl in der Lage als auch
gezwungen, diese Pläne zu entwickeln (921). Sie laufen darauf hinaus,
die Warenzufuhr zu verlangsamen und zu stoppen, da Macheath aus der Not
eine Tugend macht. Auf die Frage, ob Mac Aaron hängen lassen wolle,
antwortet er:"Was heißt, ich will? Ich muß!" 932) Die Zwangslage,
in der Mac sich befindet, wird auch dadurch verdeutlicht, daß der
Erzähler kommentiert:
"Wie vielen großen Männern
graute ihm vor seinen eigenen Entschlüssen, wenn sie ausgeführt
werden mußten."(925) Dem entspricht das Napoleon-Zitat: "On s'engage
et puis on voit."(392) Dieses Motto verdeutlicht die Unabsehbar-keit menschlicher
Handlungen und ihrer Folgen in der Anarchie der kapitalistischen Ökonomie,
die nahezu zwangsläufig zu Vorstellungen wie dem Sozialdarwinismus
führen muß(vgl.u. TEILV 2)) Macheath ist also konsequenter Durchsetzer
der objektiven Notwendigkeiten, die sich aus der kapitalistischen Geschäftspraxis
ergeben.Im Gegensatz zu den kleinen Geschäftsleuten weiß er
um diese Zwänge und nutzt sie für seine Interessen aus. Seine
Konsequenz erwächst aus seinem Wissen um die Konkurrenz und ihre Folgen.
Hin und wieder formuliert er dieses Wissen - und so läßt Brecht
den Leser daran teilhaben, sofern dieser nicht schon aus dem Verlauf der
Geschäfte diese Erkenntnisse gewinnt. In dem, was Mac gegenüber
den Kleingewerbetreibenden vertritt, kann er das nicht formulieren, was
er selber weiß. Er muß lügen, muß eine Sprache der
Werte und nicht der Interessen sprechen, um eben seine Interessen durchzusetzen.
- 70 -
Brecht legt Macheath Sätze in den
Mund (er läßt ihn z.B. von Moralität im Kleinhandel sprechen),
die mit seiner Praxis unvereinbar sind.Da Macheath, indem er z.B. zu den
Kleingewerbetreibenden spricht, nicht nur redet, sondern zugleich handelte
denn seine Ideologie ist Bestandteil seiner Pläne und seiner Praxis),
wird in einer Person die Trennung zwischen bürgerlicher Praxis und
bürgerlicher Ideologie aufgehoben. Die objektive Unfähigkeit
der Bourgeoisie, die Gesetzmäßigkeit ihres Handelns auch auszusprechen,
wird so von Brecht satirisch aufgezeigt. Daß es also eine der Bourgeoisie
und also auch dem Faschismus innewohnende Notwendigkeit zur Ideologieproduktion
gibt, und daß diese Ideologie die Verhältnisse notwendig falsch
darstellen muß, erkennt der Leser ebenso wie die Wahrheit dieser
Verhältnisse. Diese wird sowohl von den Figuren verdeutlicht als auch
durch die Handlung, und insofern wird den Bourgeois zu den Worten verholfen,
die ihnen sonst fehlen. Die Wahrheit dieser Verhältnisse läuft
darauf hinaus, daß "die Unfähigkeit der Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie/
N den Staat ordentlich zu ver-
1"}
^ *
walten" , aufgezeigt wird, und damit
die Notwendigkeit
eines Umsturzes zugunsten der Ausgebeuteten.
Darin liegt, angesichts der Aufgabe, die der Roman haben mußte (die
bürgerlichen Antifaschisten zusammenzuschließen), das Problem.
In einer brieflichen Diskussionmit Korsch(?) orientierte er auf eine "staatliche
form, die auf grund dieser wahrhaften, radikalen, elementaren Umwälzung
sich ergeben wird", sie "kann eine demokratie sein - sofern man das wort
weitergebrauchen will, nachdem der inhalt jedenfalls grundsätzlich
gewechselt hat." Gemeint ist eine "Umwälzung der materiellen Produktion"
', aber die Auswirkungen auf den überbau, auf die Moral und das Bewußtsein
der Menschen ist mit gemeint. Indem die Moral, Ideologie und Handlungsweise
des Macheath so wie im "Drei-groschenroman" dargestellt werden, kann die
Alternative nur im Sozialismus liegen. Damit entspricht der Roman Brechts
Insistieren auf der Frage der Eigentumsverhältnisse, deren Änderung
allein die Abschaffung der Barbarei ermögliche.
---
1)BBA 1386/Mt Brecht an Brentano.Ende
Dez.33.Brentano solle 2)BBA 2181AO Brecht an Korsch(?) ,o.D.
darüber schreiben,
- 71 -
d) Sein und Bewußtsein des kleinen
Mannes im "DreigrE>schen-roman"
Wenn auch Peachum und Macheath die Protagonisten
im "Dreigrosahenroman" sind, die Handlung durch sie und die sie treibenden
Gesetze des Kapitals vorwärtsgebracht wird, nimmt doch die Schilderung
des Elends des kleinen Mannes und seines Bewußtseins einen nicht
unerheblichen Raum im "Dreigroschenroman" ein. Sofern das Bewußtsein
der Kleinbürger nicht durch Erzählerkommentare, Macheaths Gedanken
usw.,dargestellt wird, wird am ehesten den B-Ladenbesitzern unter ihnen
Stimme verlieben. Schon das deutet die Verzahnung zwischen dem Handeln
und der Moral der Kleinbürger einerseits mit den Strategien der Kapitaleigner
andererseits an, die Brecht gestalten wollte. Anhand der B-Ladenbesitzer,
die ökonomisch und bewußtseinsmäßig als von Macheath
abhängig vorgeführt werden, kann dieses Verhältnis am besten
gestaltet werden.
"Daß kleinbürgerliche Ideologie
und Verhalten gerade an einer Gruppe kleiner Gewerbetreibender dokumentiert
werden, zeigt die Beobachtungsgabe Brechts. Tatsächlich erwies sich
dieser Berufszweig auch in der Realität aufgrund seiner erbärmlichen
wirtschaftlichen Situation als besonders anfällig für faschistische
Ideo-logeme." '
Die prinzipielle Organisation der B-Läden
erfahren wir schon ganz zu Beginn(779): Die B-Ladenbesitzer sind offensichtlich
in der Hand von Macheath: weder gehört ihnen der Laden, in dem sie
arbeiten, noch die Einrichtungen, noch sind sie frei in der Wahl ihrer
Lieferanten und des Verkaufspreises. Diese Abhängigkeit wird im Verlaufe
der Handlung durch den Lieferstop für die ZEG-Waren drastisch vorgeführt.
Brecht gestaltet also eine grundlegende politische Überzeugung in
Bezug auf die Kleinbürger: die ten-
1 )Boie-Grotz, Kirsten:Brecht** der unbekannte
Erzähler. Die Prosa 1913-193/f. Stuttgart 1978(= Literaturwissenschaft-
Gesellschaftswissenschaft 38), S. 194.
- 72 -
denzielle Proletarisierung des Mittelstandes,
die nicht durch das Proletariat erfolge, sondern durch die alle
Geschäfte durchdringende Konkurrenz,
mithin also durch die wirtschaftlich Mächtigen. Somit besteht objektiv
von Seiten der B-Ladenbesitzer ein Interesse, sich gegen Macheath, gegen
die Abhängigkeit von seinesgleichen und für ein Zusammengehen
mit dem (im Roman kaum auftretenden) organisierten Proletariat einzusetzen.
Eine derartige Konstellation wird jedoch im "Dreigroschenroman" nicht gestaltet.
Allein in diesem Umsatnd drückt sich schon Brechts Sicht der Verhältnisse
im nationalsozialistischen Deutschland aus: die Mittelschichten waren,
wie Brecht mehrfach beschreibt (s.o.), eher eine Stütze des Regimes
als ein Gegner. Doch liegt die Funktion der Darstellung der Haltung der
B-Ladenbesitzer und ihresgleichen nicht darin, eine Zuständs beschreibung
der deutschen Verhältnisse künstlerisch zu gestalten.
Vielmehr geht es Brecht um die Analyse
dieser Situation, was sich im "Dreigroschenroman" in der intensiven Darstellung
des Verhältnisses zwischen objektiver ökonomischer Lage und Bewußtssein
und dem daraus resultierenden Handeln bzw. Nichthandeln ablesen läßt.
Wie schon dargestellt, besteht ein objektives Interesse der B-Ladenbesitzer,
sich gegen Mac zu wenden. Außerdem besteht aber ein anderes, dem
entgegenstehendes Interesse: Mac kann in seinen Ansprachen an die B-Ladenbesitzer
auf ihren Wunsch nach Selbständigkeit bauen(778), ein Interesse, daß
mehrfach im "Dreigroschenrpman"betont wird und das sogar das erstgenannte
Interesse überdeckt. Aufgrund der Unkenntnis der Gesetze des Geschäftemachens
wird der Wunsch nach Selbständigkeit unterstützt von dem Glauben
an die eigene Tüchtigkeit. Dieser Glauben, das zeigt Brecht vielfach
auf, braucht nicht von Macheath oder anderen Ideologieproduzenten eingeimpft
zu werden, sondern entspricht dem Interesse dem Interesse der Kleingewerbetreibenden
an der Verwirklichung ihrer Persönlichkeit. Der Wunsch nach Ausdruck
der Individualität wird abgesetzt von der"öden Gleichmacherei"(779),
der z.B. Arbeiter
- 73 -
unterworfen sind. Darauf kann Macheath
aufbauen, denn:
"Wie die Geschichte zeigt, haben gerade
diese Schichten eine Schwäche für Weltanschauungen, die es gutheißen,
wenn der Starke über den Schwachen triumphiert."(935) Brecht gestaltet
so künstlerisch ein marxistische Erkenntnis über das Wesen des
Powußtseins, die sich in etwa so zusammenfassen laßt: Aus der
Tatsache, daß die erscheinende Wirklichkeit Doppelcharakter besitzt,
zugleich unmittelbare Empirie und Schein ist,sich also das Wesen einer
Sache oder eines Verhältnisses nicht aus der unmittelbaren Betrachtung
ergeben kann, folgt die Enstehung falscher Bewußtseins formen, und,
darauf aufbauend, Theorien, die sich zur Wirklichkeit apologetisch verhalten.
Das gilt insbesondere für das KapitalVerhältnis, wie Marx am
"Fetischcharakter" der Ware im"Kapital" aufzeigt. Unter den Bedingungen
des Klasseninteresses, das bei den B-Ladenbesitzern widersprüchlich
ist, müssen also notwendig falsche Bewußtseinsmomente entstehen.
Dieses Bewußtsein zu verändern-zugunsten einer bewußten
Parteinahme gegen den Kapitalismus und Faschismus, so wird im "Dreigroschenroman"
vorgeführt, stößt also auf objektive Probleme. Brecht betonte
auch in den theoretischen Überlegungen, daß es die Marxisten
objektiv schwer haben, zu den Kleinbürgern zu sprechen(s.o.). Diese
Analyse des Bewußtseins der Kleinbürger im "Dreigroschenroman"
trägt also direkt funktionalen Charkter in Bezug auf den Kampf gegen
den Faschismus. Ihre Darstellung erfolgt sowohl über die Reden der
B-Ladenbesitzer selberC z.B. wird die Unkenntnis über die Gründe
der Krise der B-Läden vorgeführt - 1023- in Verbindung mit dem
Sozialdarwinismus in der Form des Schicksalsglau-bens), in der Konfrontation
ihres Bewußtseins mit der Realität der Geschäfte( die dem
Leser immer besser bekannt sind als den B-Ladenbesitzern), und über
Erzähler- und Figurenkommentare. So sagt Peachum: "JEDERMANN WEISS,
DASS DIE VERBRECHEN DER BESITZENDEN DURCH NICHTS SO GESCHÜTZT SIND,
WIE DURCH IHRE UNWAHRSCHEINLICHKEIT."(949)Dem Kleinbürger^ der der
Vermassung die Individualität entgegenstellen will, dem sozialen Elend
seine Tüchtigkeit gegen-
- 74 -
überstellt, der also durch Hoffnung
auf ein besseres Leben sich selber den Blick verstellt über die Realität,
diesem Kleinbürger fällt es schwer, in den Vorbildern, den Menschen,
die "es zu etwas gebracht haben", nur Verbrecher zu sehen. Sie träfen
damit sich selbst, ihre Zukunftsvorstellungen und Ideale. Das "plumpe Denken"(949
f.)» das Peachum beschwört, also die Voranstellung der materiellen,
unmittelbaren Interessen, das die B-Ladenbesitzer selbst nicht benutzen(wollen
und können), wollen sie erst recht nicht den Personen zuschreiben,
die sowohl ihre Leitbilder sind als es auch so wie Macheath verstehen,
in ihrer Sprache zu reden. Damit entsteht der Nährboden für Macheaths
Ideologie. In der Gesamtheit stellen sich dann die Hauptzüge ihres
Denkens und Seins so dar: "- die Läden sind Eigentum Macheath1 und
gehören also nicht denen, die drin schuften ...
- die 'Besitzer' werden vielmehr von M.
und der ZEG rücksichtslos ausgebeutet, die B-Läden heißen
auch 1Betrugs-Läden*...
- entsprechend sind sie wahre Schattengestalten
mit allen Anzeichen der äußersten Verelendung
- sie sind verschuldet..., wirtschaftlich
zerrieben von der Konkurrenz der größeren Unternehmen
- sie GLAUBEN, frei und selbständig
zu wirtschaften (Illusion der Selbständigkeit'als Urtrieb')
- sie VERTRETEN einen sozialdarwinistischen
Standpunkt (Lob von Fleiß und Tüchtigkeit)...
- sie GRENZEN SICH AB gegen Arbeiter,
Juden und Kommunisten.. .; ihr STOLZ macht sie(noch) untauglich für
eine Angestelltenrolle
- sie DENKEN, sittliche Motive seien 'höherwertig'
als wirtschaftliche...
- sie HALTEN DAFÜR, daß wirtschaftlicheKatastrophen
Naturkatastrophen sind...."
---
1) Peitsch/Schutte, a.a.O.,S.182.
- 75 -
Brecht leistet mit der Darstellung des
Verhältnisses zwischen Sein und Bewußtsein der B-Ladenbesitzer
mehr als nur die Kritik an der Unangemessenheit der Vorstellungen der Kleinbürger
gegenüber der Realität. Den Erzähler läßt er
anführen:
"Da sie von den Agenten des Herrn Macheath
an die Luft gesetzt würden waren, war ihre SELBSTÄNDIGKEIT noch
gestiegen. Ihre UNABHÄNGIGKEIT hatte ein schier unerträgliches
Maß erreicht, sie waren nicht einmal mehr an feste Wohnungen gebunden.
Durch EIGENE TÜCHTIGKEIT waren sie bis zu Körpergewichten von
hundert Pfund abgemagert."(9^-2, vgl. auch 1071) Brecht stellt zudem klar,
daß die Mentalität der Kleinbürger den Interessen der großen
Geschäftemacher entspricht. Das Ziel der satirischen Kritik an den
Bewußtseinsformen der Kleinbürger ist also nicht allein darin
zu erblicken, daß sich der Leser von derartigen Vorstellungen auch
löst, sondern daß sich dieser der Hauptrichtung des Kampfes
gegen den Kapitalismus und seine Verfechter bewußt wird. Nicht die
Kleinbürger^ nicht die Mittelschichten werden als Gegener angegriffen,
sondern der Imperialismus, die Bourgeoisie.
Der "Dreigroschenroman" steht als veröffentlichtes
Werk in dieser Hinsicht durchaus in Gegensatz zu den Konsequenzen mancher
unveröffentlichter Überlegungen Brechts über das Wesen des
Faschismus(s.o.).So wird Brecht schon 1 93^f der später formulierten
Volksfrontstrategie gerecht.
---
1)Bloch nennt dieses Verhältnis"Ungleichzeitigkeit",
vgl.:Bloch, Ernst: Erbschaft dieser Zeit. In: ders. Gesamtausgabe Bd.Jf.
Frankfurt/Main 1962 vgl. dazu die Kritik Mittenzweis in:Exil in der Schweiz,
a.a.O., S.H5 ff.
- 76 -
2) Der Traum des SoldatenFewkoombey
Der Traum Fewkoombeys als Schlußkapitel
des "Dreigroschenromans" hat in der Sekundärliteratur und in Rezensionen
(s.u.) vielfache Aufmerksamkeit gefunden. Er beendet einen satirischen
Roman, dessen Aktualität und Realitätsnähe- mit Ausnahmen-
als bedeutend erkannt werden, in der Form der Vision eines Gerichts. Angesichts
der Tatsache, daß dieser Schluß so nicht vorgesehen war (s.o.),
und der Vermutung, Brecht habe als Marxist aus historischem Optimismus
oder, um "die Genossen mit ihrem bornierten Realismusverständnis"
zufriedenzustellen, das sozialistische "i-Tüpfelchen" auf den Roman
gesetzt, läge der Schluß nahe, mit dem Traum sei die Weltrevolution
gemeint. So beklagen Rezensenten
sich über die "Aufgesetztheit" des
Schlußkapitels ,
2) oder sie ziehen daraus falsche Schlüsse
. Auch wenn
die Aussage Brechts, nach dem Faschismus
könne nur der Kommunismus kommen(s.o.), auf eine derartige antifaschistische
Intention des Traums hindeuten könnte, kommen wir zu einem anderen
Ergebnis, wenn wir den Traum im Gesamtkontext des "Dreigroschenromans"
untersuchen:
1)so z.B. Reich im Brief an Brecht(s.u.),
oder Schlen-stedt:"Im träumerischen Vorausgriff wird hingewiesen auf
einen nötigen Eingriff in den historischen Prozeß
.i selbst, auf die Weltrevolution"..."Der
Schluß ist problematisch- das Problem liegt in der Realität
selbst." Schlenstedt:Das Demonstrandum des Dreigroschenromans, a.a.O.,S.
167 f.
2)Hüller,Klaus-Detlef:Die Funktion
der Geschichte im Werk Bertolt Brechts.a.a.O.S.75:"Kurz vor seinem Tode
hat Fewkoombey einen Traum, der strukturell und gehaltlich den Höhepunkt
des Romans bildet: die Vision des Weltgerichts... Er(Fewkoombey,A.II.)
verurteilt Christus als Autor des Gleichnisses und damit letztlichen Begründer
des kapitalistischen Systems zum Tode, ebenso alle, die das Gleichnis verbreitet
und alle,die es schweigend angehört haben; das bedeutet eine Aufhebung
des Systems und ist so gemeint. Die Traumlogik ist radikal, die Vision
des Weltgerichts erweist sich als Vision der Weltrevolution..."
S.76:"So stehen auch hier in Romanhandlung und Traumvision Revolution und
Faschismus als logische und verbrecherische Lösung des verschärften
Klassankanrofes nebeneinander, und der bezeichnete Augenblick läßt
sich als das Ende der Vorgeschichte in das marxistische Geschichtsschema
einordnen." vgl. auch Brandt, Helmut, a.a.O., S. 2?1.
- 77 -
Zunächst einmal ist darauf zu achten,
daß der Traum Fewkoombeys durchaus nicht der einzige Traum im "Drei-groschnroman"
ist, sondern der letzte und längste einer Anzahl von Träumen
verwandten Inhalts. Es handelt eich dabei um eine künstlerische Technik
zur Darstellung von Bewußtseinsinhalten. Auch wenn die Trauminhalte
meist aus dem erzählten Geschehen herausfallen, nicht der Realität
der Romanwelt entsprechen, haben die Träume dennoch durchaus in Romanhandlung
und satirischer Erzählweise ihren Platz. '
So malt sich Polly gleich auf den ersten
Seiten des Romans in ihren Träumen erotische Abenteuer aus, deren
Verwirklichung-als ihrem Kalkül widersprechend-sie jedoch ablehnen
muß. Als sie einen derartigen Traum (den sie später verwirklicht,
da "sexuelle Gründe dafür sprachen"-989 und keine Entdeckung
droht) ihrem Mann Macheath beichtet, nimmt dieser den Traum aufgrund seines
Wissens um das Bewußtsein, das zu entsprechenden Handlungen führen
kann, sehr ernstC96l). Macheaths eigener Traum von der Erziehung"seines"Sohnes
nimmt sich dann auch eher wie einer seiner Plane aus(907). Die geplante
Abtreibung des Kindes wird zeitweilig verhindert, da Polly und ihre Mutter
zunächst tief bewegt ein "filmisches Kunstwerk" verdauen müssen,
in dem eine Mutter in einer Vision ihr gestorbenes Kind erblickt und ihrer
moralischen Pflichten gewahr wird(1049).
Schon an diesen Träumen wird erkennbar,
daß Brecht nicht Realität gegenüber einer "verkehrten Welt"
des satirischen Romans gestalten wollte, sondern daß die Träume
integraler Bestandteil der Erzählung sind. Sie sollen ebenso Bewußtseinsinhalte
der in der Romanhandlung agierenden Personen darstellen wie die Reden und
Sentenzen, die ja immerhin auch zuweilen vom Erzähler den Personen
in den Mund gelegt werden, ohne daß sie explizit von diesen ausgesprochen
werdenCz.B. Few-koombey S.804). Und zu diesen Bewußtseinsinhalten
---
1)Fischetti hingegen meint(S.213):"Mit
dem Schlußkapitel sprengt Brecht den satirischen Rahmen und geht
über die ursprüngliche Absicht der reinen Negation hinaus."
2)5.754
- 78 -
gehört in einer imperialistischen
Realität auch eine - wie auch immer sie aussehen mag- alternative
Vorstellung einer anderen Welt oder zumindest der Veränderung der
Realität. Im "Dreigroschenroman" nimmt aufgrund der Brechtschen Wirkungsintention
die Vorführung dieser Hoffnungen einen nur geringen Stellenwert ein
- es ging Brecht um die Analyse der bestehenden sozialökonomischen
und ideologischen Verhältnisse. So wird der Leser einzig mit den den
handelnden Figuren entsprechenden Träumen "bekannt gemacht, und seitens
Peachums, Browns, Pollys oder Macheaths können diese Träume nur
in dem Wunsch nach Erhaltung der bestehenden Verhältnisse und der
Angst vor der Veränderung bestehen. Brecht gebraucht in der Beschreibung
der Angstträume dieser Herrschaften das Bild der Wassermassen, der
See, die sich unaufhaltsam über das Bestehende ergießt und es
wegreißt.
Browns Traum vom Elend, das in breiter
Welle auf die schlummernde Stadt zumarschiert, entspricht Browns Bewußtsein.(1110
f.) Die Aussage:"Das füllt ja alles wie Wasser, das geht durch alles
durch wie Wasser, es hat ja keine Substanz (1110) symbolisiert sowohl die
Ahnung der Unaufhaltsamkeit eines formierten "Elends" als auch die Erkenntnis,
daß zur Zeit das Elend substanzlos ist, für Brown nicht als
formierte Kraft ersichtlich - was auch der Realität des Romans entspricht.
Peachums Gedankengänge laufen in
dieselbe Richtung. Nachdem er .das Elend selber formiert hat (Bettlerdemonstration)
und sich dieser Entschluß nun zu seinen Un-gunsten entwickeln kann,
bleibt ihm nur die Hoffnung, der alles verschwommen machende Nebel werde
die von den Bettlern getragenen Tafeln mit den Anklagen unsichtbar machen
- und die Angst:" Alle sind hier voller Optimismus. Sie wissen nicht, was
über ihnen schwebt, kennen die Tafeln nicht, die auf sie zuschwanken.Ach."
(1138) Die in diesem Falle echte Gefahr soll durch den Einsatz des Militärs
gebannt werden. Doch auch das
- 79 -
Militär ist unfähig zu handeln
wegen des Nebels. Es ist Öie Aufgabe der Soldaten, "ihre ertrunkenen
Kameraden vor den Ausschreitungen des Pöbels(zu)beschirmen, nicht
vor den Ausschreitungen der Wassermassen".(1140)
Der Pöbel, die organisierten Bettler,
das Elend entsprechen der Romanrealität, das Bild der Wassermassen
ist ihr Pendant in den Träumen.
So ist es auch bei Polly: sie träumt,
daß ihres Vaters Haus "im Meere unterging, so daß die Meeres-r
fluten durch die Türe kamen"(854 f.). In den Träumen eines Küchenmädchens(945
f•) zerstört ein Schiff die Stadt, die "Herren" werden getötet
- alle - und das Schiff nimmt das Küchenmädchen auf und entschwindet.
Das ist offensichtlich nicht die Vision einer Weltrevolution, sondern ein
Traum der Rache, in dem der Kampf stellvertretend für das Küchenmädchen
und damit für die Unterdrückten von der Besatzung des visionären
Schiffes ausgefochten wird. Dieser Traum entspricht etwa dem des Fewkoombey.
Dieser ist bewußtseinsmäßig
immerhin weiter als Mary Swayer. Diese ist nicht einmal - angesichts ihrer
Lage - dazu fähig, sich in ihren Träumen einen Rachefeldzug gegen
Macheath oder dgl. auszudenken:
"Wenigstens träumen möchte ich
es, wie ich ihn bestrafe für seine Gemeinheit. Ich will immer, das
ich gerade das träume, aber ich träume es nie. Ich bin nachts
zu müde."(950f.) Fewkoombey gebraucht schon hier die Metapher des
Talents, das die einen im Übermaß, die anderen nicht haben.
Diese müssen sich demzufolge "doppelt und dreifach nützlich machen"(952).
Das ist die Moral, die er der Swayer predigt und für die er sich -
im Traum - selber verurteilt. Sie in der Realität zu überwinden,
fehlt ihm die Kraft und das Wissen. Er verurteilt sich im Traum zu Tode,
die Justiz der Peachums und Macheaths verurteilen ihn in der Realität.
Da Brecht in der Beschreibung des Traums Wert darauf legt, daß erkannt
wird, daß Fewkoombey nicht vom Jüngsten Gericht träumt,
nicht
- 80 -
"vom Ende aller Zeiten"(1152), sondern
vom Beginn des "wirklichen Lebens"(1152), liegt der Schluß nahe,
daß es sich um ein geträumtes irdisches Gericht handelt. Es
beschäftigt sich nach dem Tag des Triumphes mit den Ursachen des Elends(also
kann es sich nicht um eine Weltrevolution handeln - \venn überhaupt
davon die Rede sein kann, hat diese schon stattgefunden im Traum). Damit
steht dieses Gericht in der Tradition der von Brecht verwendeten Kriminalromantechnik,
die den Leser an der Aufklärung von Verbrechen teilhaben läßt.
' Der Leser- und es ist ja nicht der Marxist als Leser angesprochen- erkennt
die Beschaffenheit des Zusammsn-hangs zwischen Ausbeutung und Ideologie
besteht und erhalten wird, wenn er es nicht schon aus dem gesamten Romangeschehenvorher
erkannt hat.
Fewkoombey erkennt nur im Traum, und erst
in der Zeit, in der man mit der Roheit keine Geschäfte mehr macht(1152).
Im Gegensatz zu Fewkoombey sind die Lösungen für den Leser sofort
handhabbar. Er braucht sich nicht zum Tode zu verurteilen, wenn er die
Schlüsse aus dem "Dreigroschenroman" zieht. Gerade der "Dreigroschenroman"
ist ein Beispiel für ein Buch, das
weiterhelfen kann. Die Bücher stehen
also nicht auf
?\ "der Seite des Gegners" , und
das gilt auch nicht für
die vierzig Bände der Britischen
Enzyklopädie. Es gibt nur, so führt Brecht vor, Unterschiede
in der Handhabbarkeit des Wissens, aber Brecht spricht nicht gegen das
Wissen überhaupt oder gegen die Intellektuellen.
Die Funktion des Traums ist also nichts
weiter, als eine Zusammenfassung der wichtigsten im"Dreigroschen-roman"
vorgeführten Erkenntnis zu geben(deshalb auch die epilogische Form)
.Daß der Mensch des Menschen Pfund ist, und daß sich aus dieser
unmenschlichen gesellschaftlichen Formation heraus sowohl die Geschäfte
als auch
---
1)vgl.Goebel, a.a.O.,S.79.
2)Buono,Franco: Die drei
Kongresse der Tuis oder Brecht und die Intellektuellen.-In:Brechts Tui-Kritik,Karls-_.
ruhe 1976(=AS 1l),S.55.
-?' vgl.Boie-Grotz,a.a.o.,S.
1 98 ,
- 81 -
die Roheit ergeben. Und es entstehen die
faschistischen Bewußtseinsmomente als notwendige Bestandteile der
all-
gemeinen-auf der Wolfsmoral der Geschäfte
basierenden-Ideologie sowohl der Ausbeuter als auch der Ausgebeuteten.
Aus dieser Erkenntnis Schlüsse für das eigene Handeln zu ziehen,
ist entsprechend den politischen Aufrufen Brechts, der bündnisstiftende
Appell an den Leser. Nicht um eine Verurteilung des bürgerlichen Intellektuellen
handelt es sich demzufolge, sondern um eine Bereicherung und Nutzbarmachung
des Wissens des Intellektuellen Lesers. Buono versucht zu beweisen, daß
Brecht den Fewkoombeys -also den Entrechteten etc.-
den Schluß aufgezwungen habe, "
daß die Repräsentanten der Kultur ihrem Kampf feindlich gesonnen
sind" ' Buono stützt sich dabei allein auf die Episode, in der der
Richter Fewkoombey die "vermeintlichen Verbündeten" (= vierzig Bände
der Encykl opädie Britannica) zur Aufhellung seines Wissens herbeizitiert,
jedoch keine erschöpfende Auskunft erhält. Aber es treten auch
Kleinbürger auf, auch Lehrer und Dienstmägde - und keiner kann
eine erschöpfende Auskunft geben.Es handelt sich also offensichtlich
nicht um eine alleinige Verurteilung der Intellektuellen, und Fewkoombey
schlußfolgert auch durchaus nicht, "die 'Wissenden1(seien,A.Hr)dem
Kampf der Armen feindlich" gesonnen. Es wird einzig festgestellt, daß
die Geschichtsbücher und Biographien nicht genügen, also um die
Lohnlisten ergänzt werden müssen.^' Brecht eine generelle Verurteilung
der "Wissenden"zu unterstellen, kann also nicht bewiesen werden.Aber auch
die Intention würde völlig den Brecht-
schen Aktivitäten für ein antifaschistsiches
Bündnis widersprechen. Das bekannte Zitat Lenins^' war Brecht sicherlich
bekannt bei der Abfassung des Traumkapitels:
1)ebenda, S.55. 2)ebenda,S.55.
3)"Dreigroschenroman"S.1165.
4)Lenin,W.I.:Was tun?-In:ders.Werke Bd.5,Berlin
1973,S. S.529f. Lenin zitiert selber Pissarew.
- 82 -
"Der Zwiespalt zwischen Traum und Wirklichkeit
ist nicht schädlich, wenn nur der Träumende ernstlich an seinen
Traum glaubt, wenn er das Leben aufmerksam beobachtet, seine Beobachtungen
mit seinen Luftschlössern vergleicht und überhaupt gewissenhaft
an der Realisierung seines Traumgebildes arbeitet. Gibt es nur irgendeinen
Berührungspunkt zwischen Traum und Leben, dann ist alles in bester
Ordnung." Fewkoombey träumt jedoch nur, und erträumt nicht vom
Weg zu dem Gericht, in dem er den Vorsitz hat, "weil niemand einen Träumer
davon abhalten kann zu siegen..."
wie der Erzähler ironisch kommentiert.
Fewkoombey ,_
träumt von der Erkenntnis, die er
in einem derartigen
Gericht gewinnen könnte. Insofern
kann einzig der Leser angesprochen sein, Ideal und ?/irklichkeit zu beobachten
und seine Schlüsse zu ziehen. Der "Drei -
N
groschenroman ist dazu Denkhilfe in der
Form gemachter Beobachtungen, künstlerisch verarbeitete Realität.
Er repräsentiert weder Ideal noch Wirklichkeit. Der Traum
zählt zum Modell hinzu, ist Teil
der Satire. •
Da jedoch nicht dem Publikum der Vorwurf
gemacht
werden kann, das nicht erkannt zu haben(weil
vom Marxisten Brecht eine direkt kämpferische Aussage gewünscht
und in den Traum Fewkoombeys hineininterpretiert wurde), stellt sich trotz
alledem die Frage, ob nicht diese Fehlinterpretation zu umgehen gewesen
wäre.Denkbar wäre es ja auch, daß Macheath in einem
Anflug von Realitätssinn - den er
ja hat- diese Aussage -*•
des Traums im Epilog hätte machen
können. Eine gewiß hypothetische Alternative, aber sie zeigt
nochmals auf, welchen Stellenwert der Traum hat.
- 83 -
TEIL V
1) Faschismus und faschistische Ideologie
im "Dreigroschenroman"
v^-
So, wie Ereignisse und Ideologeme verschiedener
Epochen im "Dreigroschenroman" zusammenmontiert
sind, um das Klaseenwesen des Imperialismus bloßzustellen, finden
sich im Roman Anspielungen auf die Geschichte des deutschen Faschismus
und seine Ideologie.
"Der Roman verzichtet zwar darauf, eine
Faschismusdarstellung in struktureller Analogie zu leisten, er zeigt seine
Ideologie jedoch in ihren genetischen Zusammenhängen, ihrer Funktion
und Wirkung und erfüllt damit gerade auch eine Forderung Brechts in
den Notizen des Jahres 1932: denSchwerpunkt nicht auf die "essentielle"
Darstellung des Wesens gesellschaftlicher Vorgänge in ihrer Totalität
zu richten, sondern eine operative Darstellung jener Zusammenhänge
zu geben, die an ehesten das Verhalten des Lesers beeinflussen könnten."
Insbesondere Macheath hat Züge des
faschistischen Führers, jedoch sind die Anspielungen über den
gesamten Roman verteilt, die Ideologieproduktion ist nicht allein auf Macheath
beschränkt. Ausgesprochen faschistische Ideologeme sind:
- Der Antisemitismus. Macheath verbreitet
diese Ideologie unter den B-Ladenbesitzern, indem er ihre Lage als von
jüdischen Banken hervorgerufen charakterisiert (83^-)» was Mac
jedoch nicht hindert, sich mit einem fetten Heren "von sehr jüdischem
Aussehen"(Aaron) zusammenzutun(895). Peachum befürchtet Ungutes für
Mac: "NUR EINES HÄTTE HERRMACHEATH NICHT TUN SOLLEN: SICH MIT DEM
JUDEN AARON EINLASSEN"(1071). Der Antisemitismus nimmt nur sehr geringen
Raum im "Dreigroschen roman"ein, da Brecht in diesem Ideologen zu dieser
Zeit wohl keine wesentliche Rolle sah.
- Der Führerkult. Ilehrfach wird
auf Macheaths Führernatur verwiesen.(889,928,935,1 121)
1)Boie-Grotz, a.a.O., S. 197 f.
- 84 -
- Die Volksgemeinschaft. Zum einen wird
auf diesen Begriff verwiesen in der andauernd gepredigten Notwendigkeit,
Opfer zu bringen(855> 905, 936, 941 u.a.), was den Zusammenhalt der B-Ldenbesitzer
z.B. mit Mac sichert, zum anderen wird auf die Ablehnung von Parteien und
Parlamentarismus verwiesen(1108).
Ereignisse aus der Geschichte des deutschen
Nationalsozialismus v/erden auch angesprochen:
- Die Besuche und das Einstehen Hitlers
für verhaftete Nazis (889).
- Die Verbundenheit mit den Kämpfern
der "Bewegung", die von den Leitern der NSDAP zur Schau gestellt wurde
(u. a. 934).
- Der Reichstagsbrand v;ird nach Westminster
verlegt(950).
- Die "Treue" Hindenburgs zu verschiedenen
Staatsformen wird durch die Satire als Opportunismus bloßgestellt
(977f.).
- Görings Verhalten im Reichstagsbrandprozeß
gegenüber Dimitroff wird angesprochene 1 009).
- Der Terror der SA-Banden wird unter
dem Stichwort Ordnungssinn (1085) dargestellt.
- Im Kapitel "Säuberungsaktion" wird
auf die dauernden Fraktionskämpfe in der NSDAP verwiesen (SA-Flügel,
Strasser- Flügel).
- Da es sich um die letzten Seiten des
Romans handelt, die also erst kurz vor der endgültigen Drucklegung
im August 1934 geschrieben worden sein werden, ist es wahrscheinlich, daß
der"Röhm-Putsch" vom 1.Juli 34 bei Macheath Gedanken(1099) gemeint
ist. Indizien dafür wären auch die Stichworte "Unmoral" und "älteste
Kameraden".
- Der Verweis auf die Staatsführung
unter Ausschaltung der Parteien und des Parlaments(1008f.) bezieht sich
eindeutig auf die Staatsführung der Nazis.
- Der Hinweis auf die Festungshaft Hitlers
1924 ist ebenfalls eindeutig:"Ich bin selber auch gesessen. FÜR DIE
SACHE."(1126).
- 85 -
Weitere Anspielungen auf den Faschismus
finden wir in der Wortwahl, die auf oft benutzte Ideologeme und Schlagworte
der Nazis hinweist: "Herrenrasse"(854)»"Dutzend-Mensch" VKleingläubige","Meckerer
und Miesmacher"(904)> "friedlicher Kampf","gesund denken","Rad der Geschichte"
(1000),"opferfreudige Arbeit"*Genügsamkeit"(905),"Verbundenheit auf
Gedeih und Verderb»(928),"Schicksalsfrage"(9VI), "zerschmettern'^986),
"fanatisch"( 1025) '»'Ordnungssinn'1 (1 085)» Parlament als
"schwatzbude"(1108),"Untermenschen"(l109).
Victor Klemperer wies an zahlreichen Beispielen
auf, daß die Sprache des Faschismus nicht isoliert betrachtet werden
kann, insbesondere, da viele Ausdrücke aus dem Ausland und der Vergangenheit
übernommen wurden.
Wortschö '.pfungen waren selten,
zumeist wurde durch die Nazis der Wortschatz nur verändert:
"Aber sie (die nazistische Sprache,A.H.)
ändert Wort-wert und Worthäufigkeiten, sie macht zum Allgemeingut,
was früher einem einzelnen oder einer
winzigen Gruppe gehörte... und in alledem... macht sie die Sprache
ihrem
fürchterlichen System dienstbar,
gewinnt sie an der Sprache
1) ihr stärkstes, ihr öffentlichstes
und geheimstes Werbemittel."
Was hier über die Sprache gesagt
wird, gilt gewissermaßen auch für die anderen angeführten
Ideologeme: Der Antisemitismus baute auf Rassismus, dieser wieder auf sozialdarwinistischen
Vorstellungen auf. Auch der Führerkult konnte nur auf dem weit verbreiteten
Sozialdarwinismus entstehen, und die Ideologie der Volksgemeinschaft
basierte auf tradierten Vorstellungen
von der Verantwort-
••-
lichkeit der Staatsführung für
das Gemeinwohl, also auf der idealistischen Geschichtsauffassung und der
Unkenntnis der Interessen - sprich:Klassengebundenheit der Handlungen der
Staatsmacht. Brecht deckt mit Mitteln der Parodie
1)Klemperer,Victor:LTI.Notizen eines Philologen.Leipzig
1978,5.22.
2)vgl.Hegel,G.W.F.:Grundlinien der Philosophie
des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse.-Stuttgart
1970,5.328. Im Zusatz zum § 182 des Abschnitts über die bürgerliche
Gesellschaft:"Wenn der Staat vorgestellt wird als eine Einheit verschiedener
Personen, als
- 86 -
und Satire den wahren Sachverhalt auf,
er illustriert gleichsam die Abhängigkeit des Bewußtseins vom
Sein. Die faschistischen Ideologeme kommen zwar vor, aber nicht ihre Analyse
steht im Mittelpunkt, sondern das Denken, auf dem sie entstehen. Zentraler
Angiffspunkt u.a. ist der Sozialdarwinismus, dessen Darstellung im Zusammenhang
mit den Handlungen der Personnage des "Dreigroschenromans" wir exemplarisch
untersuchen wollen.
eine Einheit, die nur Gemeinsamkeit ist,
so ist damit nur die Bestimmung der bürgerlichen Gesellschaft gemeint...
In der bürgerlichen Gesellschaft ist jeder sich Zweck, alles Andere
ist ihm nichts. Aber ohne Beziehung auf Andere kann er den Umfang seiner
Zwecke nicht erreichen:Diese Ändern sind daher Mittel zum Zweck des
Besonderen. Aber der besondere Zweck gibt sich durch die Beziehung auf
andere die Form der Allgemeinheit und befriedigt sich, indem er zugleich
das Wohl des Ändern mit befriedigt..."
Sandig räumt in diesem ZusammenhangeTradition
imperialistischer Ideologie als Voraussetzung für faschistische Ideologeme)
dem Satz Brechts"Kameraden, sprechen wir von den Eigentumsverhältnissen!"
eine ausgesprochen positive Funktion für die Volksfrontstrategie zu.vgl.:
Sandig,Volker:Brecht und die Volksfront.-In: Weimarer Beiträge 24,1978,Heft
9, S.86 ff.
- 87 -
2) Sozialdarwinismus und seine Folgen im
"Dreigroschenroman"
"SOZIALDARWINISMUS- in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts entstandene Richtung der bürgerlichen Soziologie,
die, an die Lehren DARWINS anknüpfend, biologische Prinzipien, vor
allem das Prinzip vom Kampf ums Dasein und der natürlichen Auslese,
mechanistisch auf das soziale Gebiet übertrug."1 "*
Im "Dreigroschenroman" wird diese Ubertragbarkeit
oftmals beschworen, im Zusammenhang dargestellt auf S. 1067 und 1101 ff.
Das Wesen^dieser Ideologie wird von Brecht sachgerecht aufgedeckt: es soll
damit verdeckt werden, daß die Gesellschaft und ihre Gebrechen abhängig
von Menschen sind, daß die Gesellschaft nicht so sein muß,
wie sie ist, indem ihre Veränderbarkeit unter dem Mantel des unbegreifbaren
Schicksals verdeckt wird.
Die Essenz dieser Ideologie wird im "Dreigroschenroman"
zusammengefaßt unter dem Schlagwort "Der starke Mann ficht, der schwache
Mann stirbt", dessen Ursprung im Roman selber angegeben wird(906):es stammt
von Kipling.
Brechts satirische Technik bei der Darstellung
der Folgen dieser Ideologie ist die der parodistischen Übertreibung.
Nicht allein die Figuren reden in Begriffen der Biologie, wenn es um das
Geschäft geht, auch der Erzähler kommentiert in dieser Weise.
Er stellt damit die sozialdarwinistischen Lehren als den Grundkonsens dar,
der auch den Leser umfaßt. Völlig "natürlich" wird so gedacht
und geredet, und erst im Verlauf der Handlung wird- allerdings gründlich-
der Beweis angetreten, daß nicht Schicksal oder Natur die Verhältnisse
bestimmen. Deutlicht wird, daß allein die materiellen Interessen
einer geringen Anzahl von Personen, die nur entstehen und sich auswirken
können in einem System wie dem der Romanwelt, die Machenschaften bestimmen,
unter denen die Bettler, B-Ladenbesitzer usw. zu leiden haben.
1)Philosophisches Wörterbuch,Bd.2.»Berlin
1972,S.995
- 88 -
Gleich in der Vorstellung des B-Ladensystems
wird deutlich, daß der Sozialdarwinismus nicht als systematische
Ideolgie entsteht,
"Dargestellt wird, wie sich die Bedingungen
der Tätigkeiten nicht allein scheinbar, sondern wirklich fremd gegen
den Menschen setzen, wie in diesem Zusammenhang der Schein eines Naturverhältnisses
allgemein wird." ' Der Sozialdarwinismus basiert auf der Entfremdung und
auf den materiellen und sozialen Interessen eines Großteils der Bevölkerung,
hier:der B-Ladenbesitzer. Selbständigkeit und Tüchtigkeit, Recht
auf individuelle Freiheit und Menschenwürde sind die Ideale, denen
die B-Ladenbesitzer zustreben. In der undialektischen Entgegensetzung zur
"öden Gleichmacherei" liegt die Chance, die Macheath ergreift; 'erdefiniert
diese Gedankenwelt der "kleinen Leute" als den "menschlichen Selbständigkeitstrieb",
als "Urtieb der menschlichen Natur"(779) und verwischt also die gesellschaftliche
Basis der Wünsche der B-Ladenbesitzer.
Da die Denkweise der "kleinen Leute" ihnen
nicht aufgepfropft worden ist, kann Macheath sagen es komme für die'
Geschäftswelt darauf an, sich ihr "zu fügen" und sie sich nutzbar
zu machen. So kann Macheath von Anbeginn als der Vollstrecker
des Willens der "KleinenLeute" gelten und eine Gemeinsamkeit postulieren,
die ihm die Macht gibt, sich auch im Bewußtsein dieser Menschen als
Führer zu behaupten. Man müsse nicht gegen die menschliche Natur
handeln, sondern mit ihr, ist sein Credo. Zunächst läßt
Brecht den Leser .in dem Glauben, daß dieses Denken nicht schade.
Er schildert die formale Organisation der B-Läden, aber nicht die
Folgen(779f.). Der Erzähler selber spricht von der "Natur des §eschäftslt(752)
und kommentiert Macs Glaubensbekenntnis "Das Leben ist hart, wir dürfen
nicht weich sein" allein mit der Bemerkung, Mac habe eine Vorliebefür
große Worte.(778) Erführt uns in die Gedankenwelt von
Coax ein mit dem Hinweis, daß dessen Ansicht über die Pflicht
zur Rücksichtslosigkeit im Geschäft, da eine Gewinnchance wie
ein Stück Brot eine Gottesgabe sei, von vielen geteilt werde(788).Diese
Vorgehensweise Brechts
1)Schlenstedt, a.a.O., S.171.
- 89 -
in der Handhabung des Erzählers läßt
den Leser absichtlich nicht zu einer vorschnellen Verurteilung dieser Positionen
bzw. ihrer Vertreter gelangen. Auf dieser Stufe der Darstellung der Geschäfte
könnten die Folgen dieser Ansichten nicht verdeutlicht werden, und
jeder Erzählerkommentar müßte aufgesetzt oder moralisch
argumentierend sein. Außerdem spielt Brecht mit der wirklich (auch
beim Leser) weit verbreiteten Ansicht, daß Brot z.B. eine Gottesgabe
sei und nicht ein von Menschen bewußt hergestelltes Lebensmittel.
Eine Aufklärung des Verhältnisses zwischen Sozialdarwinismus
und sozialen Verhältnissen kann erst im Verlaufe der Handlung erfolgen.
Einen besonderen Stellenwert nimmt der Rassismus ein, den Brecht satirisch
überspitzt darstellt, indem er das Prinzip der Zucht und Auslese-nicht
als ein biologisches Prinzip, sondern als Verfahrensweise bewußt
denkender Menschen auf der Grundlage der Nutzung der Biologie vorführt."RASSEPFERDE
LÄSST MAN RENNEN. HERRENRASSEN ZÜCHTET MAN DOCH AUCH NICHT ZUM
VERGNÜGEN."(851)
Eastmans Bemerkung zum Hochadel läßt
schon erkennen, daß mit derartigem Rassismus durchaus "niedrige materielle
Zwecke" verfolgt werden.
Fewkoombeys Gedanken stellen diesen Sachverhalt
etwas anders dar, da Fewkoombey zu 'diesem Zeitpunkt noch nicht erkannt
hat, daß nicht die Natur Auslese im menschlichen Bereich treibt,
sondern die Menschen selber. Dennoch stellt er die Tatsache, daß
die Zivilisation der "Dreigroschenromna"-Welt auf Konkurrenz berufct, richtig
vor:
"DIE KONKURRENZ,MEIN HERR! DARAUF BERUHT
UNSERE ZIVILISATION, WENN SIE ES NOCH NICHT WISSEN SOLLTEN! DIE AUSWAHL
DER TÜCHTIGSTEN! DIE AUSLESE DER ÜBERRAGENDEN!"(1067) Fewkoombeys
Vergleiche der menschlichen Gesellschaft mit der Natur basieren also auf
der Unkenntnis der treibenden Gesetze der Gesllschaft , so daß die
"Auslese" Weniger gegenüber dem Elend der Vielen als unbegriffenes
Schicksal gedacht werden muß und sich der Analogschluß zur
Natur geradezu aufdrängt.
- 90 -
Doch gerade in den R«fl«xionen
Fewkoombeys kommt zum Ausdruck, daß die geäußerten Gedanken
nicht bei Fewkommbey entstanden, sondern offensichtlich die Verarbeitung
von Reden Peachums sind. Fewkoombey, der seine Entfremdung dunkel ahnt
und in Zorn gerät, steht vor dem Problem, daß "DIE WELT ...
EBEN UNGLÜCKLICH, SO WIE DER BAUM GRÜN IST."(1067) Diese herrschende
Auffasung bedeutet auch, daß die Schwachen in dieser Gesellschaft
zugrundegehn müssen, und daß dieser Umstand nicht als vermeidbar
angesehen wird, sondern als Schicksal, dem man sich zu fügen hat.
Macheath hat sich diesen Standpunkt zu eigen gemacht, wie wir sahen, und
gibt sich als Vollstrecker derartiger "Naturgesetze" aus:"Außerdem
stehe er auf dem Standpunkt: laß fallen, was fällt, bzw. was
fällt, muß man noch stoßen." (941) Auch Peachum
weiß, "daß kranke Leute auf keine Schonung rechnen konnten."(912)
Nur sind Peachum und Macheath über die Ursachen der "Krankheit" informiert.
Sie selber galuben nicht daran, was sie den B-Ladenbesitzern und ihresgleichen
predigen: "Die B-Ladenbesitzer müßten jetzt zeigen, WAS IN IHNEN
STECKE".(941) Macheath nutzt die Unwissenheit der von ihm Abhängigen
aus, indem er ihnen sugger iert, es sei ihre natürliche Veranlagung,
ihr Können, ihr Talent, die sie aus dem Elend herausführen könnten.
Leute wie Fewkoombey glauben daran. Dieser rät Mary Swayer,"SICH DOPPELT
UND DREIFACH NÜTZLICH (ZU) MACHEN"(952),um den Mangel an Talenten
auzugleichen. Der Erzähler kommentiert im Verlaufe der Handlung zunehmend
diesen Irrglauben:"Von Natur stehen die Menschen zu Beginn ihres dritten
Jahrzehntes vor ihrer besten Zeit, aber sie dürfen nicht einen B-Laden
in Soho besitzen1.' (948)
Diese Entgegensetzung von Natur und Gesellschaft
wird vom Erzähler nicht durchgängig vertreten. Meist besteht
der Kommentar in ironischen Wendungen, die sozialdarwinistische Vorstellungen
auf die Spitze treiben und sie ins Verhältnis zur Realität setzen,
so daß es Aufgabe der Leser wird, sich an der Wahrheitsfindung zu
beteiligen. Bmerkun-gen wie "Das Elend zeigt einen enormen Fortpflanzungstrieb"
(1063) stehen in einem Zusammenhang, in dem aufgezeigt
- 91 -
wird, daß es die Menschen und die
Verhältnisse sind, die das Elend erzeugen. Auch die Charakterisierungen
der Menschen als Tiere führt, da dem Leser klar ist, daß Notwenigkeiten
des Geschäfts und nicht animalische Gelüste zu "bestimmten Handlungen
treiben, nicht zu einer Verwischung der vom Leser gewonnenen Erkenntnisse.
So wie Macheath als "Haifisch"(u.a.857, 862, 998)bezeichnet wird, verwandelt
sich Peachum "in einen Tiger, auch äußerlich"(1032) und handelf'wie
ein Bluthund"(1032).Daß Menschen, die sich den Sozialdarwinismus
zu eigen gemacht haben und nutzen, menschliche Werte über Bord werfen,
wird so anschaulich gezeigt. Wie sehr Macheath aus Geschäftskunden
an der Aufrechterhaltung und am Ausbau dieser Vorstellungen interessiert
ist, sie zur Ideologie ausbaut, macht Brecht durch die Reden Macs deutlich:
Macheath spricht von der Fäulnis der Aaronschen Läden(834), um
einen B-Lader.besitzer bei der Stange zu behalten, von der Schicksalsverbundenheit
mit seiner Bande,(889)» um Geld zu sparen, vom Trieb zur Selbstverwirklichung,
zur "Persönlichkeit"(899), um an Oppers Geld zu kommen, vom Kampf
zwischen Stärkeren und Schwächeren (905)» um die B-Ladenbesitzer
auf ihren sozialen Abstieg vorzubereiten, usw.
Macheath ist sich dabei sehr wohl bewußt,
daß er eine falsche Ideologie verbreitet. Er schätzt ihren Wahrheitsgehalt
selber als nicht vorhanden ein:Er weiß, daß Peachums Haß
gegen ihn nicht natürlich, sondern auf die materielle Abhängigkeit
von Coax gegründet ist(923). Er glaubt nicht an Glück im Sinne
von Schicksal, sondern "nahm sich vor, Glück zu haben.n(9/f4) Doppeldeutig
ist sein Gedanke über die biologischen Gründe, was der Erzähler
durch das Wort"immer" betont: "DIE BIOLOGISCHEN GRÜNDE SIND IMMER
DIE BESTEN!"(987) Wenn sich die "Biologie" des Geschäfts allerdings
gegen Mac zu richten drohen, hält er allerdings nicht mehr so viel
davon:"Pfui! Wirklich, Hawthorne, das ist zuviel Natur!"(992) Und so, wie
er von der Natur sagt, sie sei gerissen(1051)» aber sich selber meint,
vergleicht er sein Wirken mit Naturgewalten: "UND EINES TAGES MUSS MAN
DURCHGREIFEN, PLÖTZLICH, AUS HEITERM HIMMEL, WIE DER BLITZ, ALS CHEF."(1
- 92 -
Der Erzähler hingegen spielt mit sozialdarwinistischen
Gedanken, indem er sie auf die Spitze treibt und so eine drastische Komik
erreicht, die entlarvend ist: So wie die Natur noch einigermaßen
glaubhaft Peachum in einen Tiger verwandelt, als er kämpfen muß(1032),
verwandelt die Natur Hawthorne in ein Häufchen Elend, als er verloren
hat:
"Sein Rücken krümmte sich, seine
Zähne fielen aus, sein Haar wurde schütter, seine Weisheit nahm
zu."(993) Wie fehl am Platze jedoch das falsche Bewußtsein der B—
Ladenbesitzer ist, wird hin und wieder auch sehr klar und deutlich gesagt(905,935,
1007).
In der Darstellung der sozialdarwinistischen
Züge im Denken der Figuren des"Dreigroschenromans" und des Erzählerkommentars
wird deutlich, daß es Brecht nicht darauf ankommt, wer eine V/ahrheit
über das Wesen dieser Ideologie ausspricht, und daß sie überhaupt
ausgesprochen wird. Wesentlich ist, daß vorgeführt wird, wie
diese Weltanschauung wirkt, welche Folgen sie hat, und daß es sich
von ihr zu trennen gilt. Wenn sowohl Macheath, Peachum und ihresgleichen
als auch die B-Ladenbesitzer, Bettler und auch der Erzähler Begriffe
und Denkweisen des Sozialdarwinismus vorführen, sie hin und wieder
auch widerlegen oder auf ihre Folgen aufmerksam machen, wird sowohl die
Verbreitung des Sozialdarwinismus veranschaulicht als auch der Leser in
Anspruch genommen. Denn ihm obliegt die Aufgabe, aus dem vorhandenen Material
die Wahrheit herauszufinden. Es ist in diesem Zusammenhang unwesentlich,
ob sich der Leser an Ideologemen des Sozialdarwinismus oder anderen Ideologiesubstraten
orientiert, ob er die Rolle der Persönlichkeit, das Wesen der oft
beschworenen "Idee" untersucht. Der "Dreigroschenroman" führt viele
bürgerliche Ideologeme vor^ die nur einen Sinn haben: Das Wesen der
Ausbeutung und damit das Wesen des Elends zu verdecken. Die Ursprünge
der Denkweisen, die Abhängigkeit des Bewußtseins vom materiellen
Sein wird zwar hin und v/ieder vor-1)vgl.Keller, a.a.O.,S.52 f.
- 93 -
geführt, aber das Wissen darüber
ist nicht der operative Zielpunkt Brechts. Das führt dazu, daß
die Rolle der Zeitungen z.B., also die Rolle des Wissens, der Information,
der Ideologieprod uktion in einem sehr großen Umfang dar-gestellt,
ihre Bedeutung für die Bewußtseinsbildung verzerrt wird. Es
gilt also zu untersuchen, ob Brecht im "Dreigroschenroman" der Aufklärung
über die Verhältnisse einen zu großen Stellenwert eingräumt
hat. Das würde dazu führen, den Kampf der antifaschistischen
Exilanten falsch zu orientieren auf eine Propagandaarbeit, die allein nicht
zu einam Sturz des Faschismus geführt hätte.
-94-
3) Die Rolle der Bildung, der Anspielungen
auf Literatur etCe im "Dreigroschenroman"
"Man möchte doch ganz gern wissen,"
sagt Mary Swayer, "und wo kann man schon was erfahren?"(953)• Diese Frage,
die sich für Mary Swayer ebenso stellt wie für die exilierten
Antifaschisten, wird im "Dreigroschenroman mehrfach abgehandelt. Die Kriminalromantechnik,
die Einbeziehung des Lesers durch den Erzähler usw. führen schon
dazu, daß der Leser einen Einblick in den Wert des Wissens erhält,
zumal er verfolgen kann, welche Folgen Unwissen über die Interessen
der handelnden Personen für ihre Gegenspieler haben kann. Besonders
deutlich wird dieser Umstand bei der Geheimhaltung der Präsidentschaft
Macheaths in der ZEG, die dazu führt, daß Macheath seine Fäden
weiterspinnen -hier:in die NDB eintreten kann. Aber auch durch direkte
Kommentare des Erzählers oder der Figuren wird deutlich, welches Wissen
zur Aufhellung der Gründe des Elends führt und welches nicht.
Wissen und Bildung erscheinen im "Drei- • groschenroman" als eine Ware,
die in abgemessenen Portionen den Figuren verabreicht werden. So wird "JEDES
ENTSTELLENDE WISSEN PEINLICH FERN»(85l) vom Hochadel gehalten(vgl.843),
und wie sehr die Schulbildung zum Verhalten der Menschen beiträgt,
wird mehrfach verdeutlicht(z.B. 1077,1158). Sogar das Rechnen beherrscht
in dieser Welt nicht jeder: Mac kann Kopfrechnen(924)» aber die Käufer
in den B-Laden sollen es nicht( 875)»Wissen wird im "Dreigroschenroman"
zumeist über die Zeitungen vermittelt. Diese Zeitungen werden zugleich
als Meinungsmacher dargestellt. Sie machen die
\
streikenden Werftarbeiter für den
Untergang des Optimist verantwortliche 1008) wie auch für Coax' Tod(1080).
Eine weitere Funktion ist die, mittels Skandalnachrichten zu erpressen,
also bewußt die Unwahrheit zu schreiben oder nicht die volle Wahrheit(8lOf.,813,826,872,880,1007,1073).
Angesichts der Zusammenarbeit der Zeitungen mit Leuten wie Macheath oder
Peachum ist es nicht verwunderlich, daß ein Polizist es gewohnt ist,
"Verbrecher mit Presseleuten wie mit ihresgleichen sprechen zu sehen..."(11
2if). Das
- 95 -
Wissen und die Meinungen, die diese bürgerlichen
Zeitungen verbreiten, nützen Peachum und Macheath in vielfacher Weise
(z.B.795, 1100), den Kleingewerbetreibenden jedoch gar nicht,: über
das *!Messer" weiß man nichts- "Nur, was in den Zeitungen steht."(1016)
Einzig die proletarischen Zeitungen schreiben
gegen Macheath, erwähnt der Erzähler(1018, vgl.1111), aber lehnt
mit der Ironie der Ubertreibung diese als "unsportlich" ab. In diesem Einwarf
des Erzählers steckt eine kaum verdeckte Aufforderung an den Leser,
sich eben nur dieser Zeitungen zu bedienen, um die Wahrheit zu erfahren.
Den Kommunisten "das Wort abzuschneiden"(1009) war eine vielgeübte
Praxis der Bourgeoisie nicht nur im Faschismus, sondern-auch in der Weimarer
Republik. BrechtsAndeutungen in diese Richtung korrespondieren mit seinen
Vorwürfen gegenüber den bürgerlichen Intellektuellen, die
sich nicht dagegen ausgesprochen hatten. Diese Vorv/ürfe wurden
damals nicht veröffentlicht, da sie der antifaschistischen Bündnisbewegung
geschadet hätten. Auch im "Dreigroschenroman" ist kein direkter Vorwurf
gegen die bürgelichen Intellektuellen herauszulesen, etwa in dem Sinne,
diese würden objektiv das kapitalistische System stützen. ' Es
wird einzig deutlich gemacht, daß eine bestimmte Art Bildung und
Erziehung nichts nützt zur Aufklärung des Wesens der Ausbeutergesellschaft:
"Die Geschichtsbücher und Biographien genügen nicht! Wo sind
die Lohnlisten?"(l165) Es gint also zwei Arten von Bildung: die eine, offiziell
gelehrte, verwischt eher das, was notwendiggewußt werden muß,
die andere ist nur in mühseligem Studium, vor allem der Realität(vgl.
863f.,907), zu erschließen. "DIE HINTERGRÜNDE SIND ABER RECHT
EIGENTLICH DAS WICHTIGSTE;NUR WER SIE KENNT, KENNT DAS L3BEN"(1142)
Einekomplette Bildung ist auch nicht durch
die vierzig Bände der Britischen Encyklopädie zu erreichen, wie
im Traum des Soldaten Fewkoombey verdeutlicht wird. "Aber wer hat die schon?"
fragt der Erzähler ironisch(798). Insbesondere durch das Auswendiglernen,
durch Oberflächenwissen ohne das Begreifen dor Zusammenhänge,
läßt sie sich nicht
1Jvgl.Brecht:Faschismus und Kapitalismus.-In:GW
20,S.l88f. 2)vgT.dagegen:Buonoin:Brechts Tui-Kritik.a.a.O.,S.53ff.
- 96 -
erreichen, wie an Fewkoombeys Traum verdeutlicht
wird(vgl. auch 805: Denn:"...die Biographien unserer großen Geschäftsleute
(sind, A.H.) auf vielen Seiten so stoffarm"(848), da sie das Halbdunkel
dieser Leute nicht lüften wollen und können. Diese Vorenthaltung
des wirklichen Wissens basiert auf den nämlichen Verhältnissen,
die das Wissen überhaupt erforderlich machen, nämlich auf dem
Zustand der Gesellschaft, in der nur die materiellen Interessen gelten.
Brecht läßt Peachum formulieren: "...BILDUNG,GÜTE,MENSCHLICHKEIT
ALLEIN SIND NICHT STARK GENUG, REICHEN NICHT ENTFERNT AUS, DEN MORD IN
DER ODER JENER FORM ZU BESEITIGEN, ZU GROSS SIND DIE PRÄMIEN, DIE
AUF IHN GESETZT SIND UND ZU SCHWER DIE STRAFEN, DIE AUF SEINER UNTERLASSUNG
STEHEN!"(1083) Brecht weist so darauf hin, daß zum Wissen das Denken
hinzugehört (das "plumpe Denken" unter Voranstellung des materiellen
Interesses)und das dementsprechende Handeln.
Das Interesse an der Veröffentlichung
der Wahrheit, um sie zum Handeln für die eigenen Interessen zu nutzen,
liegt nur bei den Ausgebeuteten, nicht bei den Ausbeutern: "Wie die meisten
unserer erfolgreichen Industriellen, Schriftsteller, Geihrten, Politiker
und.so weiter las er am liebsten in der Zeitung, daß er seine Taten
ohne eigentliches materielles Interesse, eher aus einer Art SPORT oder
Schaffensfreudigkeit verübe, wenn nicht aus einem unerklärlichen
DÄMONISCHEN TRIEB heraus."(865) Leute wie Macheath haben also ein
Interesse an der Veröffentlichung der Unwahrheit.Brecht schießt
aber nicht nur gegen die Unwissenheit scharf, sondern auch gegen die Bildung
und Erziehung, die als "kultivierend" angesehen wird, Peachum formuliert
sein Interesse an derartiger Bildung so: "SIE MÜSSEN IHM AUCH BILDUNG
VERKAUFEN, ICH MEINE BÜCHER, ICH DENKE AN BILLIGE ROMANE, SOLCHE SACHEN,
DIE DAS LEBEN NICHT GRAU IN GRAU, SONDERN IN LICHTEREN FARBEN MALEN, DIE
DEM ALLTAGSMENSCHEN EINE HÖHERE WELT VERMITTELN, IHN MIT DEN FEINEREN
SITTEN DER HÖHEREN SCHICHTEN BEKANNT MACHEN, DER SO ERSTREBENSWERTEN
LEBENSWEISE DER GESELLSCHAFTLICH BEVORZUGTEN."( 1 H6)
1)vgl. dagegenrBoie- Grotz, a.a.O.,S.195.
- 97 -
Derartige Schundliteratur wird von Brecht
im "Dreigroschenroman" mehrfach charakterisiert und dem realen Leben der
Romanwelt gegenübergestellt und so in ihrer Funktion deutlich gemacht.(753f.,782,857,10Zf7ff.)
Auch die klassische Bildung wird von Brechts beißendem Spott nicht
verschont. Peachum werden Worte in.iden Mund gelegt, die in ihrer Abgehobenheit
von der realen Situation, in der er steckt, nur komisch wirken(832). Gleiches
gilt für Jaques Opper, der sich mit einer Biographie des Lykugus befaßt(899,901
f.) Macheath als Realist hält nichts von derartiger Bildung(936, 81
if). Brecht stellt dem die Bildung entgegen, die der "Dreigroschenroman
vermittelt, indem er den Erzähler auf die Art, in der der "Dreigroschenroman"
geschrieben wurde, ironische Bemerkungen machen läßt. Die damit
erreichte direkte Leseransprache läßt den Leser sich dazu Gedanken
machen, was ihm der Roman vermittelt: geboten wird bewußte "Schwarzweißmalerei"(1108),
jedoch nicht "Vergleiche, die diesem Roman, wenn sie wiedergegeben werden
könnten, durch ihre poetische Kraft eine fast unbegrenzte Dauer verleihen
würden."(829)
So dient der "Dreigroscheenroman" gewissermaßen
selber als romantheoretisches Werk, zumindest sollen derartige ironische
Bemerkungen diese Funktion erfüllen und sowohl die Rolle des "Dreigroschenromans"
als auch die seines Lesers abstecken.
- 98 -
TEIL VI Die Rezeption des "Dreigroschenromans"
Zeitgenössische Rezensionen würdigen
den "Dreigroschenroman" als ein Buch,das eine "tiefgründige Analyse
der
kapitalistischen Gesellschaft einschließlich
des sozialen
"1 ^)
Funktionierens faschistischer Demagogie
beinhalte. •
Sicherlich die heute bekannteste - da
mehrfach veröffentlichte- Rezension stammt von Benjamin. Sie entstand
wohl
2) als einzige im direkten engen Kontakt
mit Brecht ', und
wird von den zeitgenössischen Analysen
dem Roman auch wohl am besten gerecht.Die Jahre zwischen "Dreigroschenoper"
und - Roman bezeichnet Benjamin als "politisch entscheidende"-5 "Ihre Lektion
hat sich der Verfasser zu eigen gemacht, ihre Untaten hat er beim Namen
genannt, ihren Opfern hat er ein Licht aufgesteckt." Benjamin sieht im
"Dreigroschenroman" ein Werk, in dem die Epoche des Beginns des Kapitalismus
und die, in der die Barbarei der Ausbeuter wiederum jene Drastik erreicht,
zusammengezogen sind. Die Gangster, die zur Zeit der "Dreigroschenoper"
Deutschland noch fremd gewesen seien, hätten sich nun dort heimisch
gemacht und eingerichtet. So sieht Benjamin in Macheath deutliche Parallelen
zur Führerfigur der Zeitgeschichte, in der die Verbrecher soziale
Vorbilder sind. Der Faschismus verlange "nicht nur einen Retter des Kapitals,
sondern auch, daß
X-'
dieser ein Edelmensch ist. Das'ist der
Grund, aus dem ein Typ wie Macheath in diesen Zeiten unschätzbar ist."^"'
Peachum erweist sich, so Benjamin, "als ein höchst aktueller Denker.
Er könnte sich ruhig mit Spengler messen, welcher
1)Peter Weber:Nachbemerkung(zur Benjamin-Rezension).In:
Weimarer Beiträge,12.Jg,(1966),Nr.:3,
S. 443 ff-2)ebenda.
3)Benjamin, vValter: Brechts Dreigroschenroman,
ebenda, S.436. 4)ebenda S.439,
- 99 -
gezeigt hat, wie unbrauchbar die humanitären
und philan-tropischen Ideologien aus den Anfängen des Bürgertums
für den heutigen Unternehmer geworden sind." Der Benjaminsche Essay
stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 1935. Er wurde jedoch nicht gedruckt.-^
Eine persönliche Bemerkung Benjamins für Brecht lobt den Roms.n
außerordentlich:
"Den Roman habe ich nun im Druck gelesen,
und zwar mit immer wieder erneutem Vergnügen an vielen Stellen, diesmal
habe ich Walley besonders ins Herz geschlossen... - Das Buch scheint mit
sehr dauerhaft. Ich hörte auch von G., daß es ihm vollkommen
gelungen erscheint."^' Aber es gab auch andere Herangehensweisen an den
Roman: Kantorowics schrieb: "Brecht will nicht ERBAUEN, sondern ERZIEHEN;
seine Schriften sind nicht Genuss-(sie)sondern LEHRMITTEL."-7 Diese plumpe
und undialektische Entgegensetzung entspricht nicht nur nicht Brechts Intentionen,
sondern auch den Erfahrungen anderer Rezensenten(vgl. Lania, s.u.). Kantorowics
beachtet wie fast alle seine Zeitgenossen besonders die kursiv gedruckten
Stellen im "Dreigroschenroman", zieht jedoch folgende Schlußfolgerung:
"Die Thesen, die... eine bürgerliche Weltanschauung (enthalten) ,
versetzen den Leser in die Situation des Opponenten: denn niemand identifiziert
sich gerne mit der Meinung von Leuten, die hier GLEICHNISHAFT als Banditen
gesetzt
1)ebenda S
2)Weber, ebenda, S.4Mf«
3)ebenda S.445> vgl. dazu auch Benjamins
Brief an Gerhard Scholem vom 20.Mai 1935,In:Benjamin, Walter:Briefe,Bd
2, ^rankfurt/Main 1966,S.653.
4)BBA 478/10-12, entspricht:Benjamin an
Bertolt Brecht, San Remo, 9.1.1935« In:ders., ebenda,S.642>
5)Kantorowics, Alfred:Brechts 'Dreigroschenroman1.-In:
Unsere Zeit-Monatsschrift für Politik,Literatur,Wirtschaf t, Sozialpolitik
und Arbeiterbewegung,(Paris-Basel-Prag),7.Jg.,Nr.12,(Dez.3if),S.61-62,
Neben dem"Gegenangriff"wird "Unsere Zeif'als
das wichtigste Organ der revolutionären antifaschistischen Bewegung
dieser Zeit gewertet.In:Schiller,Dieter u.a.:Exil in Frankreich, Frankfurt
am Main 1981(=Kunst uds Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945
in sieben Bänden,Bd 7),S.135,
- 100 -
Zum Schluß resümiert er:"Den(auch
sehr weit gefaßten) Forderungen des REALISMUS entspricht der Roman
von Brecht nicht.Man darf, ohne zu schematisieren (!!!.A.H.) sagen, dass(sic)
es ein IDEALISTISCHES Buch ist."1'
Brecht fühlte sich von dieser Rezension
tief getroffen, zumal sie in einer Zeitschrift erschien, in der er oftmals
nach 1933 publizierte, da er ihr wegen ihrer politischen Ausrichtung freundschaftlich
verbunden war. Brecht schrieb an Becher:
"lieber becher, ich höre, dass(sic)
kantorowics, der in "Unserer Zeit" meinen dreigroschenroman als ein idealistisches
buch karakterisiert(feie) hat, das 'nicht den forderungen des realismus
entspricht1, Dein sekretär ist. damit bekommt dieser angriff eine
sehr offizielle note.
der angriff erfolgt in einer repressentativen
(sie) zweitschrift(sic)und in der schärfsten form,denn die schleimige
freundlichkeit drum rum ist ganz uninteressant angesichts des zentralen
vorwurfs, der roman sei nicht realistsich und er sei idealistisch,
der angiff erfolgt in der schlampigsten, leichtfertigsten weise, die, unter
marxisten erledigenden, vorwürfe werden nicht im geringsten bewiessen(sic);
man wählte die schöne mischung von apodiktisch und schlampig,
die man in baga-tellfallen verantworten zu können glaubt, das gegenüber
einem werk, an dem ich lange und intensiv gearbeitet habe.
vorausgesetzt wird, dass(sic) alle romane,
die nicht realistisch sind, damit idealistisch sind; darüber liesse(sic)
sich vielleicht reden, wenn nicht dann als realistisch nur romane gelten
sollten, die ohne erfindung sind, sodass(sic) also etwa die ganze gattung
der satire ausfällt, weil nicht realistisch, ich habe der parole realismus
zugestimmt, da ich glaubte, auch swift und Cervantes realistische autoren
nennen zu können, und ich dachte, idealistisch sei dann ein werk,
wenn das bewusstsein(sic)
1)ebenda«
- 101 -
als bestimmender faktor für die jeweilige
realität der gesellschaftlichen einrichtungen hingestellt wird, da
ich in meinem roman den bestimmenden einfluss(sic) der ekonomischen(sic)
läge und klassenzugehörigkeit auf das bewusstsein(sic) der personen
darstellte, glaubte ich, einen materialistischen roman geschrieben zu haben.
da ich, da es keinen sinn hat, die weit zu interpretieren, sondern man
sie verändern muß, die realität so dargestellt habe, dass(sic)
man Ursachen und Wirkungen deutlich sieht, also eingreifen kann, glaubte
ich einen roman für realisten geschrieben zu haben, nicht nur einen
roman, in dem realität vorkommt, nun, ihr belehrt mich, ich wünschte
nur, es geschähe auf eine weniger oberflächliche und hochmütige
rappweise."
Becher antwortete umgehend:
"lieber brecht, mit Deiner Kritik an der
Kritik von Kanto bin ich einverstanden... In 'Unsere Zeit1 erscheint eine
Gegenkritik; ausserdem(sic) wird Dir Kanto persönlich schreiben."
Es habe sich um eine Privatsache Kantos gehandelt, und ob Brecht nicht
in den SDS eintreten wolle?
Michael Tschesno entschuldigte sich sogar
noch eher: "Die, gelinde gesagt, unmoegliche(sic) Kritik von A.Kantorowics
ueber(sic) den Dreigroschenroman ist, wie Ihnen wohl bekannt sein wird,
ein Privatvegnuegen(sic) von ihm gewesen und wird von keinem der Mitglieder
der Pariser Schriftstellerorganisation auch nur im entfernt-esten(sic)
geteilt. Es sind schon einige Kritiken in Vorbereitung, die versuchen werden
diese Dummheit so weit es geht wieder gutzumachen."3)
In einem Brief an Brentano etwa vom Anfang
des Jahres 1935 betont dann Brecht auch - bevor diese Kritiken
1)Brecht an Becher, etwa Januar 1935;BBA
1386/01» 2)Becher an Brecht, 16. 1. 1935;BBA 477/76 Bechers Briefe
an Brecht berücksichtigten,"in der Vorbereitungsphase des Pariser
Kongresses sinnlose Konfrontationen zu vermeiden, über schematische
Wertungen der Literatur hinauszugelangen :
und den besonderheiten des literarischen Schaffens gerecht
zu werden."InrExil in Frankreich,a.a.0.,S.543«
3)Michael Tschesno an Brecht, 9.1.35;BBA 477/77.
- 102 -
erschienen: "nun ist ja der revolutionäre
karakter(sic) diese buches anscheinend wirklich nicht so ganz leicht zu
erkennen für leute, die zu sehr auf eine bestimmte ausdrucksweise
eingestellt sind, nicht wenige sollen unzufrieden sein." ' Diese Vermutung
bestätigt sich unseres Wissens zwar nicht, andererseits wurde der
Realismus der Satire vielfach nicht genügend beachtet, wie wir sehen
werden:
Die versprochenen Rezensionen erschienen
zusammen im Februar 1935« Bodo Uhse verweist Brechts Kritiker aus
dem"befreun -deten Lager" auf den"Hass-Schatten(sic) hinter Brecht"
, der die Proportionen bei manchen ihrer Formulierungen nicht mehr stimmen
lasse. Es folgt eine Würdigung der sprachlichen Qualität des
"Dreigroschenromans"."Man hüte sich, diese notwendige Wertung mit
dem Stempel 'ästhetisch' abzuwerten. Schließlich gehört
es zum Wesen der Literatur, dass(sic) sie Literatur ist...
Wie nahezu alle Rezensenten zieht auch Uhse den Vergleich zur "Dreigroschenoper",
um dann hervorzuheben:" Dieser Text ist von höchster Aktualität.
Nicht nur die Krise der bürgerlichen Moral, nicht nur die Krise der
bürgerlichen Wirtschaft, mit Warenmangel und Warenüberflüsse
sie), mit Teuerung und Preissturz, auch die politische Krise des Bürgertums,
mit Faschismus, 30.Juni und Wiederaufrüstung finden in diesem neuen
Text ihren Platz."^"' Zur Methodik der Fragestellung an dieses Werk sagt
er: "Nicht ob Brechts lehrhafte Aussagen bis aufs i-Tüpfeichen richtig
sind- sie sind es nicht (und nicht nur das i-Tüpfelchen steht falsch)
- ist die Frage, ...sondern wem das Buch nützt und wem es schadet..."
"Brecht gehört zu uns."^ fährt
Paul Haland fort, lobt ebenfalls die sprachliche Qualität, kritisiert
aber nicht Brecht-gemäße Undeutlichkeiten in der politischen
Aussage, beginnend bei der Themenwahl. Das Proletariat sei nicht vorhanden,
es fehle im Roman der sozialistische Antikapi talismuo, der einzig ernstzunehmende.
"Die Lehren, die
7) er erteilt, sind... nicht eindeutig
genug."r
0)Brecht an Brentano BBA 1386/38.
1)Uhse,Bodo/Haland,Paul:Zu Brechts "Dreigroschenroman".-
ImUnsere Zeit.8.Jg.,Nr.2/3, (Feb/März
1 935) ,5.65-67. 2)-4) ebenda,S. 65, 5) +6) ebenda, S. 66.
7) ebenda, S. 67.
- 103 -
Diese Kritik, in der die Ansprüche
schon deutlich werden, wird präzisiert:" Wir v/ollen von Dichter in
erster Linie keine politische Publizistik. Wir wollen seine DICHTERISCHE
KRAFT eingesetzt sehen zur Erreichung unserer grossen(sic) Ziele."
Damit sind wesentlich die Themen der Dichtungen gemeint, die möglichst
unmittelbar am Tagesgeschehen anknüpfen sollen. Bracht wird auch über
diese Rezensionen kaum glücklich gewesen sein.Peter Merin(0tto Biha)
lobt
zwar Brecht, sein Werk gehöre "zu
dem Besten..., was die
p") deutsche Dichtung dieser Zeit aufzuweisen
hat". '
"Daß durch eine bewußte Zeitverschiebung
der Kapitalismus der Gegenwart nicht erfaßt wird, daß die Arbeiterklasse
nur in der Nebenhandlung erscheint und Brecht - obwohl er 'die Gesetze
des Kapitalismus besser studiert hat als viele Schriftsteller disser Zeit1-
sein Wissen, seine Erkenntnis gleichsam in einem Essay anhängt, darin
sieht
7\
Biha Mängel des Buches."-"
Bihas Rezension setzt zwar andere Akzente
als die anderen Gegenrezensenten - er findet nicht nur in Brechts politischer
Ausrichtung, sondern auch in seiner Ästhetik durchaus Wichtiges und
Richtiges. Doch drückt sich die Hilflosigkeit Bihas,Uhses und Halands
gegenüber der Brechtschen Schreibweise immer wieder in der Betonung
der sprachlichen Qualitäten des "Dreigroschenromans" aus. Der Antikapitalismus
des Romans wird gesehen, auch einige Aktualität(festgemacht allein
an den Versatzstücken,die den Faschismus betreffen), nicht Jedoch
die Funktion, die die unterhaltsame Klärung des Wesens des Imperialismus
hat, und erst recht nicht Brechts Darstellung der bürgerlichen
x_^
Ideologie im Verhältnis dazu. Mit
der Konfrontation von bürgerlicher Ideologie und bürgerlicher
Praxis sei nur die Schlechtigkeit der bürgerlichen Welt bewiesen,
sagt
Haland, und Kantorowics erwartet von der
Konfrontation —
der Ideologie mit der Realität nur
die Opposition des
Lesers.
1) ebenda, S. 67.
2)Biha,Otto:Das Werk des Bert Brecht.-In:Internationale
Literatur 5/1935,5.82,97. Abgedruckt in:Schiller,Dieter
u.a,
Exil in Frankreich,a.a.O.,S.196 f. 3)ebenda.
- 104 -
Immerhin "entschuldigte" sich Kantorowics
Jahre später für sein Verhalten mit einer von Walter Pollatschek
geschriebenen, überschwenglich den "Dreigroschenroman" lobenden Rezension,
die in der von Kantorowics herausgegebenen Zeitschrift "Ost und West" 19^-8
erschien.
Andere Rezensenten , sowohl aus dem bürgerlichen
als auch aus dem sozialistischen Lager, empfanden den "Dreigroschenroman"als
sehr aktuell und hilfreich.
Werner Türk empfindet so: "Erregend
und unvergess-lich die mit ruhig-sicherer Hand und kalten Farben gemalten
Hohnbilder einer madig gewordenen Zivilisation." ' Ganz im Gegensatz zu
Kantorowics sagt Türk: "Nicht, dass (sie) Brecht lehrt, ist das Besondre
an diesem Buch. Sondern: dass(sic) er lehrt, indem er gestaltet. Dass er
den Leser durch die Originalität und durch das plastische Vermögen
seines Kunstschaffens zu lernen zwingt.Dass er den Körper:des kapitalistischen
Riesen abklopft,ohne dabei die ernste Miene des Wissenschaftlers aufzusetzen,
ohne bei der Erörterung seiner Befunde auch nur einmal im Abstrakten
zu erstarren."-^ Da die Vermengung von Findung und Erfindung, Typischem
mit Ungewöhnlichem immer künstlerisch überzeugend wirkt,
bedeute es, so Türk, "keinen Vorwurf gegen den Roman, dass Leser mit
betont realistischer Denk- und Empfindungsweise Einweisungen haben werden."^'
Daß es Leser gab, die sich auf Brechts
Schreibweise einließen, seine Intention verstanden, wird auch besonders
bei Frey augenfällig: Ihm ist der "Dreigroschenroman" offensichtlich
unter die Haut gefahren: Brechts epische Ruhe, "die unter der Haut seltsam
und heftig vibriert"-7 ,die
l)In: Ost und West.2.Jg(1948),Heft 7,
S.79-80.
2)Türk,Werner:Der Dreigroschenroman.-In:Die
Neue Weltbühne, (Paris),31.Jg.,Nr.12.(21.März 1935),3.370-372.
Die Neue'Weltbühne setzte programmatisch die Arbeit der Weltbühne
Ossietzkys fort.
3 )+if) ebenda.
5)Frey,A.M.:Brechts Hauptwerk.-In:Neue
Deutsche Blätter, (Prag-Zürich-Paris-London-Amsterdam),2.Jg.,Nr.3(Jan.1
§35)> S.178-180 Die Neuen Deutschen Blätter
Wieland Herzfeldes hatten als literarische Zeitschrift ein umfassendes,bündnisstiftendes
Programm, das den großen Erfolg ausmachte.
- 105 -
"tödlich ernste Ironie" , das
Harmlose, das "hintergründig und in der Tiefe den schrecklichen Zustand
der Verseuchung (zeigt)" , die schneidenden Formulierungen mit ihrer
Eiseskälte, "die dein Hirn wach ruft"-^ - das alles hat gewirkt. Hier
fühlt sich jemand betroffen, das Glatteis der bürgerlichen Ideologie,
die -wie im "Dreigroschenroman" gezeigt- den Bürger auch den Faschismus
rechtfertigen lassen könnte, ihn zu solchen "Ausrutschern" fähig
macht, taucht bei Frey auf als die Eiseskälte Brechts. Daß Frey
Brecht sehr wohl verstanden hat, zeigt die Formulierung: "Sein 'abstoßendes'
Buch ist nichts als Liebe zur leidenden Kreatur."^' Diese theologisch
anmutende Bemerkung wird zwar einer sachlichen Rezension nicht gerecht,
zeigt jedoch wie keine andere auf, was viele bürgerliche Leser empfunden
haben werden. Einige andere Urteile als Beispiele für die positive
Aufnahme:
Kurt Kläber schreibt:"Nur soviel,
ich bin, bis auf einige zu grosse(sic) Vereinfachungen, sehr erfreut über
ihn, und denke augenblicklich viel darüber nach, wie man ihn an Massen
bringen kann,denn für die Masse ist er nötiger als für die
besseren Leute. Vielleicht gibt es einen Weg über die hiesige Büchergilde."'5
Bernhard Reich:" Vor einigen Tagen habe
ich die Lektüre des 'Dreigroschenromans' beendet. Grossartig. Trifft
ins Ziel. Besonders bewundere ich die Anlage. Erster Teil tastend, sucherisch;
zweiter Teil zusammenfassend, scharf und kalt; dritter Teil 'dichterisch'
- erinnerst Du Dich, wie wir und was wir darüber in der Spichernstr.
sprachen. Das Irren im Nebel, der Traum des Soldaten und was der größte
dichterische Fund ist,/der Soldat, der Proletarier bezahlt die Zeche. In
den letzten Seiten'hast Du meiner Meinung nach nicht das erreicht.was Du
wolltest. Die Vision der Exploitation kommt etwas zufällig heraus.
Sie ist im Traum nicht genügend vorbereitet." '
1 )-if) ebenda.
5)Kläber an Brecht, 26.2.35
B3A ^81/02.
6)Heich an Brecht,31.Jan 35 33A
V77/87.
- 106 -
Elisabeth Hauptmann: "Es ist wirklich ein
Hachschlagebuch, zuerst habe ich eigentlich nur von Rede zu Rede propellert
und das Dazwischenliegende überflogen. Die Schlussgeschichte 'Das
Pfund der Armen1 ist wunderbar und sie verdient, ueber-all(sic) abgedruckt
zu werden, gesondert." In der Basler Nationalzeitung erschien folgendes
Lob: "Der Ernst dieses Buches ist unueberhoerbar(sic).Die Welt taete gut,
Brecht aufmerksam zuzuhoeren." Der Rezensent der "Deutschen Freiheit"(Saarbrücken)schrieb:
" Denn spielt der Roman auch um die Jahrhundertwende,im England des Burenkrieges,
so steht doch alles, was uns Heutige betrifft, auf jeder Seite und fast
zwischen jedem Satz. Bert Brecht findet Parallelen, die wir ingrimmig belaecheln,
weil sie allesamt unter uns sind. Auch die Heldischen Gestalten des 'dritten'
Reiches gucken dauernd aus etwas altvaeterlichen Rockschoessen und Hemdkragen
hervor.MackeathCsie), woher kennen wir dich eigentlich so gut? Was fuer
Saetze kommen aus deinem Mund, du, der 'geborene Fuehrer', der weinend
vor Entschluessen zusammenbricht? Dieser Mackeath spricht von der 'Schicksalsverbundenheit
'• zwischen Fuehrern und Gefuehrten' - wir, erkennen ihn nur zu gut, obwohl
ihm kein schmales Baertchen unter der Nase waechst. All die ändern:
wir begegnen ihnen jeden Tag in den Hofberichten des 'dritten Reiches'
unter den Treu-haendern und Wirtschaftsfuehrern, die beim Geschaeftemachen,
am liebsten mit korrupten Staatsbeamten, den Phrasenbpei ruehren..."-^
Der Rezensent dieser Zeitung sieht im "Dreigroschenroman11 also einen Schlüsselroman,
ebenso wie Erich Breuer: "B.Wollte Menschenmaschinen darstellen, seelenloses.
Ganz wie die Hitlersche Welt , die wie mir scheint in dieser ganzen Geschäftsatmosphäre
gezeichnet v/erden sollte. Er wollte einen Roman fabrizieren."^"'
l)Hauptmann an Brecht, l5.12.3Jf BBA WA3.
2)Basler Nationalzeitung,25.11,3*f BBA 367/02. 3)Deutsche Freiheit,29.11.3*f
BBA 367/06. i(.)Brief Erich Breuers(vertraulich) an LHDL(vermutlich: Lieber
Herr De Lange),BBA 367/21-22.
- 107 -
Weißkopf sah im "Dreigroschenroman"
eines"derbedeutendsten Werke der Emigrationsliteratur" und urteilte
rückschauend:
"Schließlich ist da die erzählende
Prosa mit dem lachenden
2) Auge: Bertolt Brechts Dreigroschenroman..."
Sahl entdeckt bei Brecht das Exil als
geistige Haltung: "-wir sehen sie...in seinem DREIGROSCHENROMAN, der das
deutsche Erlebnis historisch distanziert und mit bösem Spott und pädagogischem
V/i t z der altenglischen ' Beggars Opera1 einverleibt..."-^
Besonders interessant imHinblick auf die
Rezension von Kantorowics und auf Halands und Bihas Kritik nimmt sich die
Rezension Stefans aus: In den Prager "Europäischen Heften" erschien
zunächst ein Vorabdruck einiger Passagen aus dem "Dreigroschenroman"(TSV-Geschäft).Dannfolgte
Wilhelm Stefans Kritik: Stefan hält "Bert Brechts «Dreigroschenroman1
für die wesentlichste Erscheinung der zeitgenössiehen deutschen
Literatur". Durch Stefans Rezension zieht sich spöttisch die Kritik
anjenen "Linksliteraten",die, obwohl sie sonst die Autoren nach ihrem"Parteibüchel"
taxieren, bei Brecht jedoch eine Ausnahme machen, da er "mit der asketischen
Strenge eines Dichters schreibt"-'' und somit substantiell verdächtig
erscheine. Diese Linkskritik, schreibt Stefan,"wird dem 'Dreigroschenroman'
wahrscheinlich vorwerfen; Er sei skeptisch; Er zeige nicht den 'aufmarsch
der Gegenkräfte' und nicht die revolutionäre Sammlung des Proletariats;
er 'psychologisiere'; kurz, Brecht habe sich offenbar'noch immer nicht
durchgerungen'."°' Stefan bezweifelt also, daß die "Linkskritik"
dichterische Leistung (die Stefan übrigens wesentlich auf der sprach-
1)Weißkopf,F.C. im Gegenangriff
vom 12.Mai 1935, abgedruckt
in:Exil in der Tschechoslowakei ..., S.63«
2)Weißkopf,F.C.:Unter fremden Himmeln.Ein Abriß der deutschen
Literatur im Exil 1933-1947,Berlin 1948,3.94.
3)Sahl,Hans:Emigartion-Äine Bewährungsfrist.In: Deutsche
Literatur 1933- 1945,Bd.1.»Frankfurt/Main
1974(=Geschichte
der deutschen Literatur aus Methoden Bd.6.),S.70,
4)-6)Stefan,Wilhem:Brechts Lehrbuch der Gegenwart.-In:
Europäische Hefte vereinigt mit Aufruf-Wochenschrift
für Politik. Kultur, Wirtschaft,(Prag)
1.Jg.,Nr.30,
(8.Nov.1934),S. 526-529.
- 108 -
liehen Ebene sieht- also formal)anzuerkennen
in der Lage ist, und lobt Brecht, er habe ein wahres Buch geschrieben,
da eben der "Aufmarsch der Gegenkräfte" dort nicht stattfinde. Er
sieht in diesem Roman aus seinem Pessimismus heraus (der zu dieser Zeit
nicht nur ihm eigen war) nur "ein Lehrbuch der menschlichen Beziehungen"
, den "Bericht über den
2\ Kulturgehalt einer Epoche" »Brecht
erzähle deshalb "mit
sozwingender Überzeugungskraft, weil
er nicht die Tatsachen, sondern ihre Wirkung auf Menschen und darum erst
die Wahrheit erzählt'.'3) Da diese Wahrheit die Gesamtheit der Aspekte
umfasse, sei sie sozialistisch, "die universelle Betrachtung eines gesellschaftlichen
Zustandes kann nämlich gar nicht anders als sozialistisch sein."^"Stefan
spricht dem "Drei-groschnroman"die konkrete Wirkung ab, er meint, eine
derartige Betrachtung sei "aufzuheben für eine Zeit,die es als Lehrbuch
in die Unterrichtsanstalten eines von Würde-losigkeit und Blindheit
befreiten Volkes tragen wird."^' Immerhin bemerkt Stefan: Macheath findet
"völlig organisch zum Wortlaut von Sätzen,die ein deutscher Reichskanzler
1934 dann auch tatsächlich ausgesprochen hat; das ist hier keine aufgepfropfte
Aktualität, sondern innerlich absolut nötig!*6)
Als Gegenkritik zur Kantorowics-Rezension
kann man ebenfalls die von Leo Lania werten: "Dieses Zeitdokument ist im
Grund überzeitlich, es spiegelt die ganze Epoche der kapitalistischen
Aera(sic).Es durchleuchtet ebenso 'das Dickicht der grossen Städte',
wie das der modernen Zivilisation,es sagt ebensoviel über die Gefühle
und Leidenschaften der Menschen aus wie über den Profit - und führt
den Nachweis, dass jene von diesem bestimmt werden. Der Roman ist ebenso
unreal wie der Gulliver und der Don Quichote und ebenso realistisch. Das
Werk eines Dichters und- eines seiner Verantwortung bewussten Kämpfers
für eine
1)-6) ebenda»
- 109 -
neue Welt." Anders als Kantorowics genoß
Lania auch das Werk:"Man liest das Buch, immer wieder stockend, oft verwirrt,
in einem Zug wie einen Kriminalroman. Und dann beginnt man sofort wieder
von vorne: erst bei der zweiten Lektüre ... kommt man zum wahren ©enuss
des Werkes." Lion Feuchtwangers Wertung ist überraschend: "den dreigroschenroman
habe ich zweimal gelesen, ich finde das buch eine ausgezeichnete karikatur
auf das Weltbild des extrem marxistischen doktrinärs. wir müssen
einmal ausführlich darüber sprechen." ' Denkbar
ist, daß Feuchtwanger die Figurenzeichnung des Romans als Karikatur
auf den von Kantorowcs u.a. positiven Helden gesehen hat, oder die Handlungsführung,
das Verbrechermilieu als Kritik an vulgärmarxistischen Auffassungen.
Die Erstauflage des Allert de Länge-Verlages
lag mit 3000 Exemplaren*' im normalen Bereich für Romane, die im Exil
erschienen. In der Sowjetunion betrug die Erstauflage 500C Exemplare.
Die Rezensionen aus dem nichtdeutschsprachigen Bereich , die uns vorliegen,
beschränken sich auf Brechts Kritik des Kapitalismus, loben die sprachliche
Qualität des Romans, erkennen selten den antifaschistischen Charkter.
Sie sprechen von einer "vn'triolic satire and cynicisrn"^ , die "far too
fantastic
for any serious purpose" sei; sie sei
entweder "brilliantly
7")
R"]
written" oder "wholly unreadable"
. Es klingt also nur
1)Lania,Leo:Brechts Dreigroschenroman.-In:
Pariser Tageblatt ,(Paris),2.Jg.,Nr.355(2.Dez.1934),S.8-9. Das Blatt vertrat
die Position, auch die Unpolitischen(z.B. Juden und nicht exilierten Deutschen
im Ausland) müßten angesprochen werden, berief sich auf die
demokratischen Positionen des Gastlandes."Eine gutbürgerliche Zeitung,
aber
doch eine antifaschistische."-vgl.:Exil
in Frankreich,S. 1 44ff.
2)Lion Feuchtwanger an Brecht, 29.12.1934,
BBA 478/86.
3)Peitsch/Schutte,a.a.O. ,5.187..
4) vgl. Melzwig, Brigitte'.Deutsche sozialistische
Literatur. Bibliographie der Buchveröffentlichungen,Berlin und Weimar
1975»S.114— 115.Dort Angaben über die Übersetzungen und
Ausgaben im Ausland.
5)Times vom 26.2. 1937 ,BBA
390/106.
6)Methodist Times&Leader o.D.,BBA
474/75.
7)Beifast Telegraph 6.4.34, BBA474/74.
8)The Spectator 12.3. 37 BBA 474/4
- 110 -
wenig davon an, daß es sich um einen
aktuellen, gegen den Faschismus
gerichteten Roman handelt. Eine Ausnahme:
"The choice of an English setting was probably made to avoid direct political
implications in Germany. Brecht knows very little about the British; äs
history his novel is grotesque; buttone has the feeling that he intends
it to be so to broaden his satire and intensify the bitterness of his comments."
So, wie dieser Rezensent nur das Gefühl hat, die Satire könne
mehr als nur die englischen Zustände fassen, scheinen viel Leser vom
antifaschistischen Chrakter des "Dreigroschenroman" überzeugt gewesen
zu sein. Der englische Herausgeber sah sich genötigt, 100 Pfund Belohnung
auszusetzen für den, der beweisen könne, daß politisch
wichtige Passagen in der englischen gegenüber der russischen und dänischen
Fassung fehlen.
Brecht selber bemerkte:" habe ich Ihnen
übrigens geschrieben, dass der DREIGROSCHENROMAN in England eine erstaunlich
gute presse hatte? man verglich es an mehreren stellen mit swiftschen dingen,
aber ich glaube, der verkauf ist sehr schlecht, sie scheinen swift nicht
zu lesen, allerdings hieß es in den kritiken, das buch sei recht
unangenehm und die engländer lieben anscheinend das unangenehme nicht
so sehr wie die deutschen."-^ So hatte z.B. Thompson
erwähnt: "... it is possible that the public would stop its ears like
the deaf adder: it isn't exactly, I ima-gine, the sort of thing it wants
to hear about its own English underworld; nor is it exactly an easy book
to read."^' Wir glauben also folgende Rezeptionslinien feststellen zu können
- grob geordnet und teilweise hypothetisch: Kantorowics,Haiarid,Biha,Uhse
und auch wohl Kläber sehen den"Dreigroschenroman" als Lehrmittel,
sprachlich hervorragend, aber politisch ungenau wegen der zu großen
Verein-
DThe New Leader, 12. 3. 37
,BBA V7V85.
2)vgl.BBA 1396/39 und BBA 1396/37-38,
wo Brecht diesen
Vorwurf auch bestritt.
3)Brecht an Feuchtwanger, August 1937,
BBA 478/69. 4)Thompson,Gilchrist, BBA 397/79.
- 111 -
fachungen und dem Fehlen der Arbeiterklasse,
die den revolutionären Impuls hätte geben müssen. Die Aktualität
des "Dreigroschenromans", die allerdings nicht allein in den Anspielungen
auf den Faschismus besteht, wird von Frey, Türk,Reich, Lania,Hauptmann
und Sahl gesehen, insbesondere auch vom Rezensenten der "Deutschen Freiheit".
Diese Kritiker gehen im Gegensatz zu den erstgenannten besonders auf die
satirische Anlage des Romans, auf den Stil ein, der die Inhalte transportiert.
Stefan und Feuchtwanger meinen, im "Dreigroschenroman"
einen gegen die "doktrinäre Weltanschauung" der Kommunisten
gerichtete Satire erkennen zu können.
Sie sei zwar sozialistisch vom Inhalt her, aber die Darstellung des von
den Tatsachen unabhängigen Bewußtseins z.B. der Kleinbürger
zeige die Problematik des Kampfes auf, der sich die extrem kommunistischen
Doktrinäre nicht bewußt seien. Die Figuren-
••^s
Zeichnung Brechts wird wohl als Karikatur
auf die von Kantorowics u.a. geforderten positiven Helden gesehen. (Insbesondere
unsere letzten Einschätzungen sind hypothetisch) Wohltuend hebt sich
die Rezension Benjamins von all dem ab:
N_>
er sieht sowohl die Aktualität als
auch die Dauerhaftigkeit des Romans, denn er weiß um die Funktion
der Satire und der Figurendarstellung.Im Ausland konnte über die direkten
Anspielungen auf den Faschismus (schon allein wegen der Ubersetzungsproblematik)
kaum eine Aktualität gesehen werden. Über sehr einfache Verdikte
aufgrund einer ebenso simplen Vorstellung von realistischer Literatur hinaus
kamen nur
die Rezensenten großer Blätter,
die die satirische Kritik
-—-
am Kapitalismus und dem herrschenden Bewußtsein
auch in der Übersetzung als beißend empfanden. Es scheinen also
im Wesentlichen die den "Dreigroschenroman" am besten verstan-dne zu haben,
die in ihm die Wirkungsintention für den antifaschistischen Kampf
suchten, sich an der Schreibweise sowohl ergötzten als auch sich von
ihr mitreißen ließen. Das Leserinteresse zu wecken hatte Brecht
also verstanden
und es auch nutzen können. Nur da,
wo der Roman den Anschein
—•
erweckte, nicht mehr satirisch geschrieben
zu sein -im
Traum Fewkoombeys- ergab sich von derartigen
Lesern meist Kritik.
- 112 -
ZUSAMMENFASSUNG
Die Analyse der antifaschistischen Haltung
Brechts lief darauf hinaus,,daß Brecht im Rahmen der allgemeinen
Diskussion über die Neubestimmung der politischen Strategie und Taktik
der KPD einen eigenständigen Beitrag zu liefern suchte, der sich jedoch
nicht zu einem eigenständigen System ausweitete. Ob Brecht sektiererischer
war als die KPD oder ebenso sektiererisch oder überhaupt sektiererisch,
z.B. in der Frage der Haltung zu den Mittelschichten, erwies sich als eine
Frage, die so falsch gestellt war. Denn weder der KPD noch Brecht läßt
sich in den Jahren 1933-3^ eine eindeutige Haltung zuschreiben. In den
Diskussionen und theoretischen Artikeln wurden Standpunkte deutlich, die
mit der später formulierten Volksfrontpolitik nicht übereinstimmten.
Brecht hielt jedoch seine sehr emotional wertenden Aussagen zurück,
veröffentlichte sie nicht. Seine Arbeit und die der kommunistischen
Intelligenz, wohl die des gesamten antifaschistischen Widerstands, war
weitgehend davon geprägt, das Nächstliegende zu tun; zu analysieren,
wie es zur Niederlage der Arbeiterklasse und des gesamten fortschrittlichen
Spektrums des deutschen Volkes vor dem Faschismus hatte kommen können,
die Kräfte zusammenzufassen und Möglichkeiten zu sondieren, auch
aus dem Exil heraus antifaschistisch wirksam zu werden.
Diesem Bemühen entsprach die Wirkungsintention
des "Dreigroschenromans": modellhaft die Bedingungen für den Faschismus
und seine Ideologie aufzuzeigen, die Brecht wesentlich in den Eigentumsverhältnissen
sah. Seiner Aufforderung, von den Eigentumsverhältnissen zu sprechen,
von der Ausbeutung, die auch die faschistische Roheit einschließen
konnte, entsprach die Verzahnung von kapitalist--,
ischem Geschäft und faschistischer
Ideologie im "Dreigroschenroman". Zum Ausdruck kam, vor allem in den Aufsätzen,
zwar eine Unterschätzung der neuen Qualität des Faschismus
gegenüber der bürgerlichen Demokratie,
doch in der literarisch
—•
- 113 -
Ausbeutung und Ideologie wird dieser Mangel
wieder wettgemacht. Es wird, hier deutlich, wie falsch und unrealistisch
Faschismustheorien waren, die im Nationalsozialismus eine spezifisch deutsche,
von allem -Bisherigen unterschiedene Erscheinung sahen. Brecht v/endet
sich mit dem Dreigroschenroman sowoahl an die exilierte Intelligenz als
auch an den Auslandsleser, um mit seiner Darstellung des Verhältnisses
zwischen Verbrecher und Bürger zur eigenständigen Analyse des
Verhältnisses zwischen Verbrecher und Bürger, zwischen Kapitalismus
und Faschismus anzuregen und zu warnen.
Sein Roman gründet auf dem "Dreigroschenn-Stoff,
um gezielt ein möglichst breites Publikum zu erreichen, denn das Verbrecher/Bürger-Motiv
hatte Brecht insbesondere im Ausland erst bekannt gemacht. Aber sowaohl
in der Romanform als auch insbesondere im transportierten Inhalt
bestehen große Unterschiede zur Stofftradition. Die Romanform
ergab sich dabei im wesentlichen aus dem Zwang der Verhältnisse- ein
Roman hatte größere Verbreitungschancen.
"Der 'Dreigroschenroman1... war das erste
erfolgreiche Beispiel der Anpassung eines Autors an veränderte Wirkungsbedingungen."
Das galt auch für die Wahl der satirischen
Schreibweise, die mittels verschiedener Techniken den Leser nicht nur die
Modellwelt der Peachums und Macheaths verlachen ließ, sondern über
die Verkehrung aller Werte und Normen, durch die Ubertreibung der Bewußtseinsformen
und ihre Konfrontation mit der Realität eine bestimmte Haltung der
Leser erreichen sollte. Die Leser waren sowohl -durch die Erzählerkommentare
besonders stimuliert- zu einer Distan'zierung von den handelnden Figuren
aufgerufen als auch -dazu diente die Montage verfremdeter Realitätsdetails
und die zum analytischen Denken anhaltende Kriminalromantechnik- zu einer
Distanzierung von bisher innegehabten Bewußtseinsformen. Denn diese,
so wird im Roman deutlich, sind historisch überlebt, wenn sie auf
der Beibehaltung des kapitalistischen Geschäfts, der Konkurrenz und
der damit verbundenen Ideologie
1)Hermsdorf,Klaus ua,a.:Exil in den Niederlanden
und in Spanien,a.a.O.,S. 134.
- 114 -
gründen. In der Montage der verschiedenen
Zeitebenen wird nicht eine logische historische Entwicklung des Kapitalismus
geliefert, sondern gerade die Verzahnung ihrer verschiedenen Entwicklungsstufen
vorgeführt. Damit wird auch aufgezeigt, daß der Faschismus keine
logische Konsequenz der historischen Entwicklung, sondern im Kapitalismus
wesensmäßig angelegt ist. Somit erscheint der Faschismus als
vermeidbar, bekämpfbar, sofern man sich von der Vorstellung der Unvermeidbarkeit
und Notwendigkeit kapitalistischer Eigentumsverhältnisse überhaupt
löst.
Die "Ungleichzeitigkeit" des Bewußtseins
gegenüber dem realen Sein wird in der Anlage der Figuren dargestellt.
~—
Der Kapitallogik der Verhältnisse
entspricht die Wolfsmoral der Protagonisten als Vorantreiber der Geschäfte
und damit der Handlung. Die Personnage ist insgesamt blutleer dargestellt,
besteht aus Charaktermasken. Die Aneignung ^
realer Widersprüche durch die Personen,
ihre Eingebundenheit
in ihre Interessenlage Terweist auf die
alles umgreifende depravierende Funktion des Geschäfts. Da keine "positive
Gegenkraft" dargestellt wird, bedeutet
die Verkümmerung
-_
des Subjekts nicht einen Verweis auf die
Notwendigkeit von Klugheit oder Güte, die den Verhältnissen entgegengestellt
werden könnten. Die satirische Absicht durch die Verkehrung jeder
Realität, durch die Verfremdung jeder dargestellten Bewußtseinsform
liegt also nicht in der Setzung einer Wirklichkeit als Mangel gegnüber
einem Ideal, das etwa im Traum Fewkoombeys ausgedrückt sein könnte.
Es geht vielmehr auch hier um die Aktivierung
des
T-*-
Lesers, der erkennen soll, daß wahrer
Humanismus in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht möglich ist.
Ss gilt für den Leser, für den antifaschistischen Exilanten mithin,
sich aus Bezügen tradierten Bewußtseins zu lösen, die zur
•^--
faschistischen Sprache und den Ideologemen
der Nazis nur durch einen höheren Gehalt an Kultur und die Ablehnung
roher Gewalt gekennzeichnet sind.
Die verfremdeten Realitätsdetails
aus dem deutschen
.—••
Faschismus werden im"Dreigroschenroman"
so eingebaut, daß sie als Substrate der Alltagssprache, des Alltagsbewußt-
- 115 -
seins wirken. Anhand der Untersuchung der
Rolle des Sozialdarwinismus im "Dreigroschenronian" wird die Absicht Brechts
deutlich, nicht nur das falsche Bewußtsein^z.B. der faschistischen
Ideologeme als falsch zu brandmarken, sondern auch ihre Realitätsferne,
also den Grund für die "Falschheit" und seine Tradition im Denken
aufzuzeigen. Wie wenig Bildung, Güte, Menschlichkeit, also auch die
Sprache der Werte, gegenüber den materiellen Interessen ausrichten
können, wird gleichnishaft in Szene gesetzt im andauernden Unterliegen
der B-Ladenbesitzer und auch Fewkoombeys, der sich deshalb im Traum zum
Tode verurteilt.
Die Wirkung des "Dreigroschenromans" mußte
eine gespaltene sein: die,denen die Ausagen Brechts bekannt waren und sie
in täglicher Praxis verarbeiteten, mußten enttäuscht sein,
denn eine sie moralisch unterstützende optimistische Grundaussage
war nicht direkt ablesbar. Wer nicht bereit war zu lernen, in eigener Gedankenarbeit
ein fest konstruiertes Gedankengebäude ins Wanken bringen zu lassen,
konnte sich mit der satirischen Analyse der angegriffenen Bewußtseinsformen
nicht anfreunden.
Die bürgerlichen Antifaschisten jedoch,
die in der Auseinandersetzung mit der Situation des Exils und im Kampf
gegen den Faschismus eine Analyse der Gründe für ihre . Probleme
brauchten, verstanden den "Dreigroschenroman" als einen Beitrag dazu. Problematisch
am "Dreigroschenroman" erscheint uns allerdings, so sehr auch die Wirkungsintention
auf die Gewinnung dieser Leser zielt, die Übertragung der in der Zeit
der Weimarer Republik gewonnenenAnsichten Brechts über eine realistische
Schreibweise auf die mit dem Faschismus einhergehenden neuen Probleme des
Exils.
Es geht uns nicht darum, in Frage zu stellen,
ob
die Brechtsche Schreibweise den Gehalt
des Romans trafen •~-
konnte, ob sie objektiv in der Lage war,
eine Analyse der
Verhältnisse in Sein und Bewußtsein
der Zeit zu liefern. Sicherlich war sie das, sie wird der Wirkungsintention
Brechts durchaus gerecht. Immerhin war es Ziel unserer Arbeit, genau das
zu beweisen. Der "Dreigroschenroman"
- 116 -
ist Muster antifaschistischer Literatur,
aber er ist ein Muster, nicht das Muster. Für die Schreibweise galt
und gilt nicht die Fragestellung "Brecht oder Lukacs" , sondern die Pluralität
der Methoden. Das Exil brauchte auch Romane mit "positiven Helden", Erziehungs-
und Bildungs-romane "herkömmlicher Art".
Wenn auch die Wahl der Romanform von Brecht
sozusagen ein "Zugeständnis" an die Bedürfnisse der Exilanten
war, scheint der Avantgardismus der Verfremdung, Hontage,und anderer satirischer
Techniken an der Lesehaltung mancher Rezipienten abgeprallt zu sein.
Mehrfach wird in den Rezensionen auf die Notwendigkeit mehrmaliger Lektüre
verwiesen, und W.Stefan verweist gar auf eine ferne Zukunft, in der der
"Dreigroschenroman" erst zum Tragen kommen könne. .7er Brecht
kannte und sich die Muße verschaffen konnte, den Ror-ian geistig
wirklich zu verarbeiten, verstand ihn ganz. 7/ern diese ziemlich
notwendigen Vorbedingungen abgingen, hatte augenscheinlich immense Probleme
in Zugriff auf den Gehalt des Romans.
In der Darstellung der Erfahrungen aus
dem Grundkurs über den "Dreigroschenroman" bei Peitsch/Schutte wird
mehrfach auch auf die noch heute bestehenden Probleme in der Auseinandersetzung
mit der Schreibweise Brechts verwiesen. Nachweisbar ist das auch in den
einander
-—
widersprechenden, bzw. Fehlinterpretationen
der Sekundärliteratur, sowie in der Scheu, den "Dreigroschenroman"
überhaupt umfassend aufzuarbeiten.
Dabei ist die Aktualität des "Dreigroschenromans"
angesichts der neu aufkommenden Faschismusdiskussionen offensichtlich.
Es bedarf allerdings einer fundierenden Vorbildung, um den Gehalt des Romans
voll ausschöpfen
zu können, bzw. eines gut (-also
die Schwierigkeiten ein-
-^
beziehenden-) aufgebauten methodisch-didaktischen
Kon-zepts(wie es z.B. Peitsch und Schutte vorgelegt haben), um die aktuelle
Wirkung voll zum Tragen kommen zu lassen.
1)vgl,dagegen Bihas Einschätzung,
der die Notwendigkeit künstlerischer Experimente forderte, selber
aber den Intentionen Brechts nicht gerecht wurde.-In:Schiller, Dieter,u.a.:Exil
in Frankreich5a.a.O.,S. 19bf.
- 117 -
LITERATURLISTE
Vorbemerkung: Wir zitieren Brecht nach
der Suhrkamp-Ausgabe in 20 Bänden(Brecht,Bertolt:Gesammelte Werke,Frankfurt/Main
1967), abgekürzt:GW. Das gilt auch für den "Dreigroschenroman"
(= Bd.13 dieser Ausgabe). Zitate aus dem "Dreigroschenroman" werden nicht
in den Fußnoten ausgewiesen, sondern durch die Seitenzahl(in Klammern)
im Text. Die in TEIL VI (Die Rezeption des "Dreigroschenromans") angeführten
Belege für Zeitungs- und Zeits chriftenartikel werden in die Literaturliste
nicht übernommen. Zitate aus dem Bestand des Bertolt-Brecht-Archivs
werden ausgewiesen durch:BBA, Mappe/Blatt. An dieser Stelle gilt unserer
besonderer Dank den Mitarbeitern des Bertolt-Brecht-Archivs, die uns bei
der Auffindung der Materialien in hohem Maße behilflich waren.
Alternative, 18.Jg.(1975),Heft 105
Baumgart,Hans:Der Kampf der sozialistischen
deutschen
Schriftsteller gegen den Faschismusd933-1935),
Diss.Berlin 1962
Benjamin,V/alter:Briefe Bd.2, Frankfurt/Main
1966 Bloch,Ernst: Erbschaft dieser Zeit.-In:ders.:Gesamtausgabe
Bd.4 , Frankfurt/Main 1962
Bock,Sigrid:Roman im Exil.Entstehungsbedingungen,
Wirkungsabsichten und Wirkungsmöglichkeiten.-In: Erfahrung Exil, Bedin
und Weimar 1979 Boie-Grotz,Kirsten:Brecht -- der unbekannte Erzähler.
Die Prosa 1913-1934.Stuttgart 1978 ^Literaturwissenschaft
- Gesellschaftswissenschaft 38)
Brandt, Helmut:Sozialkritischer Umgang
mit dem Erbe:Bertolt
Brecht.-In:Schriftsteller und literarisches
Erbe.Zum Traditionsverhältnis sozialistischer Autoren.Berlin und Weimar
1976
Brecht,Bertolt:Gesammelte Werke.Frankfurt/Main
1967 Brecht,Bertolt:Dreigroschenbuch.Frankfurt/Main 1973 Brummack,Jürgen:Zu
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Deutsche Vierteljahresschrift für
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- 118 -
Buono,Franco:Die drei Kongresse der Tuis
oder Brecht und die Intellektuellen.-In:Brechts Tui-Kritik, Karlsruhe 1976
(= AS 11)
Buono,Franco:Zur Prosa Brechts.-Frankfurt/Main
1973 Claas,Herbert:Die politische Ästhetik Bertolt Brechts
vom Baal zum Caesar.-Frankfurt/Main 1977
Claas,Herbert:Satirische Gesellschaftsromane mit histo
rischem Stoff bei Lion Feuchtwanger und
Bertolt Brecht.-InAntifaschistische Literatur.Bd.3 Königstein/Ts.
1979(=Literatur im historischen Prozeß Bd.12) Dakowa,Nadeshda: Die
erzählende Prosa Brechts 1913-1934.
Diss.Leipzig 1962 Dimitroff,Georgi:Die
revolutionäre Literatur im Kampf
gegen den Faschismus.-In:ders.:Ausgewählte
Schriften.Bd.2.,Berlin 1958
Dialog und Kontroverse mit Georg Lukacs.Der
Methodenstreit
deutscher sozialistischer Schriftsteller.-Leipzig
1975
Emmerich,Wolfgang:"Massenfaschismus" und
die Rolle des
Ästhetischen.Faschismustheorien bei
Ernst Bloch,Walter Benjamin,Bertolt Brecht.-In:Antifaschistische Literatur
Bd.1., Kronberg/Ts. 1977(=Literatur im historischen Prozeß Bd.11)
Esslin,Martin:Brecht.Das Paradox des politischen Dichters.-
München 1973
Exil in der Tschechoslowakei,in Großbritannien,Skandinavien
und in Palästina.-Frankfurt/Main
1981 (=Kunst und Literatur~im antifaschistischen Exil 1933-19^5 in sieben
Bänden,Bd.5)
Fischetti,Renate:Bertolt Brecht:Die Gestaltung
des Dreigroschen-Stoffes in Stück,Roman und Film.-Diss. University
of Maryland 1971
Fradkin,IIja:Bertolt Brecht.Weg und Methode.-Frankfurt/Main
1977
- 119 -
Geschichte der deutschen Literatur Bd.10,Berlin
1978 Goebel,Rolf J.: Brechts DREIGROSCHENROMAN und die Tradition
des Kriminalromans.-In: Brecht-Jahrbuch
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Der "Zahn"'
„Zahn" nennen die Halbwüchsigen seit
1950 das Mädchen, auch die intime Freundin. Das Wort geht auf die
jiddische Vokabel „sona = Dirne" zurück. Im Deutschen am bekanntesten
(wiewohl meist unverstanden) ist der Song aus Brechts „Dreigroschenoper"
mit dem Text: „Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt
er im Gesicht" (im Klartext: „Und der Zuhälter, der hat Dirnen, und
die hält er unter Aufsicht").
(Zufallsfund aus einer Leserzuschrift
in einer Zeitung. Ein weiterer Beleg für diese Doppeldeutigkeit
ist mir nicht bekannt. A.H.)
Mit Interesse durften wir zur Kenntnis
nehmen, daß der mutmaßliche Kriegsverbrecher und Ex-Bundeskanzler
G.Schröder sich seinen Zapfen mit dem Mackie-Messer-Song streichen
ließ.
Nicht sehr originell, da passend. |