Drüggelte
Das Buch der Greise
Vier Brüder 75-79-81-86-
schreiben ein Buch mit vielen Bildern aus längst und endgültig
vergangenen Zeiten und Stätten einer romantischen Jugend. Ich, der
Jüngste, fange an. Ihr alle wisst, was ein Periskop ist: ein U-Boot
streckt es aus, um über Wasser sehen zu können. Mein Periskop
muss sehr lang sein, um unter Wasser die Stätten unserer Jugend wieder
zu sehen. Wir wollen es etwa von der zweiten Brücke der Möhne
aus nach allen Seiten drehen - von dort aus würde man
wohl so ziemlich alle Häuser, Wälder, Felder und Weiden der alten
Heimat sehen können.
Da wäre es ja wichtig,
dass wir zunächst einmal unser Elternhaus in das Blickfeld nähmen.
Am Fuße des Haarstranges lag es. Im Hintergrund die dunklen Fichten,
die zur Mesenhelle, einem Laubwald hinführten. Links vom Haus war
der große Garten für Gemüse und Obst, rechts der kleine
Garten, der durchaus nicht klein war, mit der großen und kleinen
Grotte (heute würde man Steingarten oder Alpinum sagen). Er war voll
von verschlungenen Wegen und lauschigen Sitzplätzen. Hinter den Saalfenstern
hatte Vater eine Sammlung von Gletschersteinen aus dem Bett der Möhne
aufgebaut. Sie sahen teilweise wie versteinerte Schildkröten aus.
In den Hang der Haar hatte
man eine Höhle gegraben und im Hintergrund eine Mauer durchgezogen.
Sie staute kristallklares Wasser auf, das durch eine Leitung Haus und Ställe
mit Wasser versorgte. Da war zunächst wohl in dem ältesten
Teil das alte Gasthaus. In der Mitte führte eine Freitreppe zur zweiteiligen
Haustür. Recht und links waren zwei schmiedeeiserne Bänke mit
Holzsitzen, auf denen wir so gerne an schönen Tagen saßen. Durch
die Tür kam man in den Flur, links kam man in die Wirtsstube, ein
langer Tisch mit Bank und Stühlen stand an der Fensterfront.
Ein kleiner Tisch mit Bank
in der Ecke, am Eingang zur Küche. Dort saß so gern der
alte Arnold Schmitz, der Förster von Kommerzienrat Plange, sein Schwager,
alter ewiger Corpstudent mit vielen Schmissen, Danach Plantagenverwalter
auf Java. Er hatte durch einen Jagdunfall den rechten Ringfinger abgeschossen.
Er behauptete, dass er es absichtlich getan hätte, damit er nicht
in Versuchung komme, zu heiraten. In seiner Junggesellenbude hatte er einen
Fuchs, der ihn immer freudig begrüßte und wie eine Stola auf
seiner Schulter Platz nahm. Wenn er in Schultens Jagdhütte von seinen
Erlebnissen in Java erzählte, wurde es interessant. Er berichtete
von einer Tigerjagd. Er hatte eine Falle gebaut mit einer Falltür
und sie mit einer Ziege beködert.
Nachts wurde er von Malaien
geweckt. Ein kapitaler Tiger hatte sich gefangen. Er hatte versucht, das
mit Steinen beschwerte und mit Stricken gesicherte Dach anzuheben. Den
Kopf und eine Pranke hatte er bereits durchgebracht. Zitternd hielten
seine Leute die Fackeln hoch, bis es ihm gelang, eine Kugel in den offenen
Fang des Tigers zu setzen.
Ich habe manche Nacht in
den Ferien mit in der Hütte verbracht und oft Sauen und in der Fütterung
hinter der Hütte gesehen. Am Tage durfte ich dann mit einer kleinen
Sechs-Millimeter kugel die Eichelhäher, die den Mais stibitzen wollten,
abschiessen.
Nun zurück in die
Wirtsstube.
Es hängt wohl mit unserem
Alter zusammnen, dass man alles so klar wieder vor Augen hat, als wäre
es gestern gewesen. Rechts von der Tür war der Schnapstresen.
Mithilfe des klaren und kalten Quellwassers aus der Leitung konnte man
ihn gut kühlen. Ein einfacher Schnaps kostete fünf Pfennig, ein
großer zehn.
Die Postillione und manche
Fuhrleute tranken stehenden Fußes eben einen zum Aufwärmen.
Für die Postillione war es ein harter Dienst, wenn sie in kalten Wintertagen
hoch auf dem Bock saßen und trotz Wind und Wetter ihr Ankunftssignal
"Peter die Post ist da" bliesen.
Tante Jettchen
Als sie ihren 30. Geburtstag
feierte, da hatten die Postillione sich verabredet und bliesen "Schier
30 Jahre bist du alt, hast manchen Sturm erlebt... Da werden bestimmt einige
Schnäpse und Zigarren fällig gewesen sein. Tante Jettchen nahm
so was bestimmt nicht übel. Abends saßen die Mühlenleute
mit Wertmann und Gröblinghof an dem langen Tisch. Wenn dann zufällig
der alte Andras, "Nüsel" der Schmied auftauchte, musste er nach etlichen
Schnäpsen "Zu Mantua
in Banden" singen. Dann brachte man ihn auf die Palme, wenn man sagte:
"Du bist jo nich wies, Mantua lich jo nich in Banden, liecht jo in
Italien!" Dann gebrauchte er ein einziges unparlamentarisches Wort und
sang weiter. Das Regiment in der Wirtsstube führte Tante Jettchen,
immer eine gute Seele, die es verstand, Ruhe und Ordnung unter den Raubeinen
zu halten.
[Anmerkung A.H.: das hier
erwähnte deutschnationale Andreas-Hofer-Lied
wurde bekannter als "Dem
Morgenrot entgegen", offenkundig auch etwas frischer gesungen.]
[Urgroßeltern mit
ihren 10 Kindern vermutlich 1895, vemutlich wie folgt von
links nach rechts:
Oben: Tante Jettchen
? Fritz, Franziska, Hermine, Adolf
Mitte: Urgroßvater,
Urgroßmutter mit Caroline, Franz, Maria
Unten: Josef, August,
Wilhelm]
Eine Hauptperson muss auch
noch unbedingt geschildert werden: es war der gute alte Kanonenofen.
Er tat seinen Dienst auch im strengsten Winter, daneben stand der Kohlenkasten
mit Stückkohlen und "Grutt". Diese Staubkohle übergoss man mit
Wasser. Wenn man ihn einfüllte, gab es eine Unmenge Qualm. Wir machten
uns als Kinder einen Spaß daraus, ein brennendes Streichholz hineinzuwerfen.
Dann brannte das Gas mit geller Flamme weg. Nachmittags waren kaum Gäste
da. Dann konnten wir unsere Schularbeiten machen. Bei schlechtem Wetter
wurde Mühle und Halma gespielt. Auch ein Knickerspiel mit geschliffenen
großen Bohnen war beliebt.
Die Mädchen spielten
ein eigenartiges Ballspiel, bei dem die Knochen aus dem Kniegelenk der
Schafe eine Rolle spielten. Es gehörte viel Geschicklichkeit dazu.
Ab und zu wurde man gestört
von einem Gast, Herrn Grothe. Er war auch ein verkrachter Student. Sein
Brot verdiente er mit dem Kastrieren von Schweinen, Schafen und anderem
Vieh. Wenn er herein kam, wussten wir schon, was er verlangte. Ein
Butterbrot mit Rehbraten. Ob er immer Rehbraten bekam, weiß nur der
liebe Gott und Tante Jettchen. Wir hatten ja oft Wild in der Höhle
über einem Eishaufen hängen, ein idealer Platz dafür.
Nun wollen wir mal über
den Flur auf die andere Seite, in die gute Stube, die Passagierstube gehen.
Im Flur können wir uns noch eben die Hände waschen. Ein kleiner
Hahn mit einem eisernen Ablaufbecken genügt den bescheidenen Ansprüchen.
Recht daneben ist ein kleiner Zigarettenautomat der Firma Reemtsma Dresden.
Für 10 Pfennig bekam man 10 Zigaretten.
Da neben war eine Schalttafel.
Mit Batterien wurde eine Anlage betätigt, die mit Klingelzeichen in
den Garten und die Fremdenzimmer hinein Bedienung herbeirufen konnte. Im
Flur war aber auch ein einfacher Schellenzug, der den gleichen Zweck erfüllte.
Die Passagierstube war nicht nur für die Reisenden, die die Post benutzen
wollten gedacht. Dort versammelten sich auch jeden Abend die Honoratioren
von Drüggelte und Umgegend. Mittelpunkt war doch immer unsere Mutter,
die unter dem Namen Mutter Hauß weit und breit bekannt war.
Ihre Kochkünste waren
unübertroffen. An dem langen Tisch wurde meist in zwei Partien
Skat gespielt.
Für uns Kinder war Hubert
Schäferhoff ein gern gesehener Gast. Er zog immer ein paar Äpfel
oder Birnen aus der Tasche.
Unser guter Vater machte
einen sehr würdigen Eindruck in der Runde.
Gern erinnert man sich an die
Treibjagden. Wenn die damals gar nicht so alten, aber weißbärtigen
Männer, Schulte-Drüggelte, Schulte-Günne, unser Vater, Kommerzienrat
Plange u.a. von der Jagd kamen und ihre Erlebnisse erzählten, wurde
man an alte Germanen erinnert.
Überhaupt die Jagd:
Als kleiner Knirps sah ich
Vater bei kaltem Wetter mit dem alten Tell aus dem Hause kommen. Ich war
gerade mit Grundmanns Fittkert am Ballspielen, warf alles hin und nichts
wie hinterher. Vater: "Junge, setz dir doch wenigsten eine Mütze auf!"
Ich: "och wenn ich die Hände in der Buxentasche habe, dann friert
mich der Kopf nicht" Passion, Passion. Verweichlicht waren wir ja nicht,
man denke nur an die kalten Schlafzimmer.
Der Gasthof-Eingang, mit Treff
Friedrich Hauß und Frau Franziska,
geb. Pieper:
Und der alte Herr solo:
[Transskription von Heidi
P.-H., herzlichen Dank!]:
Nachtrag - von August
Was die 4 Brüder erlebt
an Freud und Leid, in Krieg und Frieden müssen sie schon selbst berichten,
da der eine nur stückweise vom anderen berichten könnte. Es kann
auch nur in großen Strichen ein Bild gezeichnet werden u. vieles
behält man für sich. Man verlangt ja auch nicht vom anderen,
dass er eine Beichte bis in alle Einzelheiten ablegt. Nun läuft man
bei einem solchen Bericht leicht Gefahr, das zu betonen, was das Ansehen
hebt und die Fehlgriffe, die jedem unterlaufen, zu beschönigen oder
gar zu verschweigen. Es wird deshalb bei nüchternen Erwähnungen
des Einzelschicksals bleiben und das genügt ja auch für
unsere Kinder. Die Enkelkinder interessiert das wohl erst später,
wenn der Sturm der Jugend dem reiferen Alter gewichen ist.
Ich wurde als 7. Kind meiner
Mutter Franziska, geb. Pieper (geb. 21. III. 1857 ; gest. 12. V. 1917)
und meines Vaters Friedrich Wilh. Hauß (geb. 3. XI. 1843; gest. 28.VI.
1901) am 4. März 1887 in Drüggelte Kreis Soest geboren. Ich machte
als Kind eine schwere
Typhus-Erkrankung durch.
Mit 6 Jahren ging ich in Delecke in die Volksschule. Die Lehrer waren tüchtig
u. haben uns allerlei beigebracht - wenn nötig mit dem "gelben Onkel".
Später erhielt ich
zusammen mit meinem 2 Jahre jüngeren Bruder Franz Lateinunterricht
2
bei jungen Geistlichen in
Körbecke. Dann kamen wir nach Canstein Kreis Brilon zu dem Vikar Schladoer,
der aus Drüggelte stammte. Wir wohnten bei ihm, bekamen Lateinunterricht
und gingen zur Dorfschule. Nach einem Jahr machten wir das Aufnahme-Examen
auf Quarta des humanistischen Gymnasiums in Soest. Unser Ordinarius war
Professor Wagner. Auf der Quarta kam eine weitere Fremdsprache dazu, Französisch.
Ein dritter Bruder, Joseph,
kam von der Rektoratsschule in Meschede. Der fleißigste und
bravste von uns dreien war "ich" natürlich!!! Wer lacht da?? Ich habe
meinem Bruder Joseph das Leben oft schwer gemacht und leiste heute noch
Abbitte. Joseph war 2 Klassen vorne. Mit etwas Nachhilfe schaffte ich es
ohne Unfälle zum Einjährigen. Ich wollte Maler werden angeregt
von dem Düßeldorfer Maler Arthur Wansleben, von dem ich heute
noch drei Ölstücke besitze.
Der Vater war 1901 schon
gestorben und unsere Mutter wollte auf Nummer Sicher gehen. Ich trat als
mittlerer Beamtenanwärter bei der Justiz in Arnsberg meinen Dienst
an. Nach einem Jahr kam ich an das große Amtsgericht Münster
und wieder nach einem Jahr an das Landgericht u. die Staatsanwaltschaft
Bielefeld. Nach dem Examen 1909 trat ich als Einjährig-Freiwilliger
in die 4. Komp. des Inftr. Rgts. 13 in Münster ein. Nach 1/2 Jahr
war ich Gefreiter u. nach 3/4 Jahren Unteroffizier. Nach diesem Jahr kam
ich an das Amtsgericht Ahaus. Ich meldete mich in Gehrock, Cylinder u.
weißen Handschuhen bei meinem Aufsichtsrichter Geheimrat Schecke.
So war das damals Vorschrift.
3
Geheimrat Schecke stammte
aus Arnsberg - Sohn eines Rechtsanwalts. Wie ich zu ihm kam, sagte er zu
mir: "Ihren Vater habe ich gut gekannt, ich bin oft in Ihrem elterlichen
Hause gewesen." Der älteste Beamte holte den jüngsten des Amtsgerichts
um 11 Uhr zum Frühschoppen ab. Ja, das waren Zeiten! Ich war 3 Jahre
in Ahaus - das ist meine schönste Erinnerung an die Justiz. Der Dienst
wurde routinemäßig und zügig erledigt und die Jagd wurde
ganz groß geschrieben. Überall bei den Gutsbesitzern, die teilweise
als Schöffen in Ahaus mitwirkten, war man als Jagdgast willkommen.
Und Justizrat Ziegler, der die Graser-Jagd bei Ahaus gepachtet hatte, stellet
mir sein Revier zur Verfügung, der er schwer erkrankt war. Und viel
habe ich mit Amtmann Fischer aus Wessum - einem vorbildlichen Jäger
- zusammen gejagt. Er war früher beim Grafen Esterhazy in Ungarn gewesen.
Seine beiden Langhaarrüden (die zu der Zeit in Tischhöhe gezüchtet
wurden ) hießen Schenkwald und Harras und waren allerbeste Gebrauchshunde
mit feinsten Nasen. In die Ahauser Zeit fallen auch meine militärischen
Übungen von je 8 Wochen beim Inftr. Rgt 59
4
in Deutsch - Eylau - Westpr.
Von da war ich auf den Truppenübungsplätzen Gruppe bei Graudenz
und Arys in Ostpr. an der polnischen Grenze, wo sich Füchse u. Dachse
"gute Nacht" sagten. Von Ahaus wurde ich an das Amtsgericht Ahlen versetzt.
Von dort zog ich gleich zu Anfang der I. Weltkrieges an die Front. Ich
habe als Leutnant am Krieg teilgenommen. Vor Verdun führte ich die
4. Komp. des Res. Regts. 13 und habe vor allem vom Anfang der Verdun -
Offensive bis zu meiner Verschüttung im Juli 16 an den harten Kämpfen
teilgenommen. Ich kam dann in die Heimat und war dauernd garnisondienstfähig
Heimat. Ich hatte einen schweren Kopfschuß (?) abbekommen. Ich kam
kurz zum Ers.Bat. u. dann als Komp.-Führer Zum Bekleidungs-Instandsetzungsamt
Düßeldorf. Anfang Mai 17 kam ich wieder k. v. zum Landw. Rgt.
15; dort war ich Komp.-Führer bis Kriegsschluß. Nach dem Kriege
erhielt ich meine Anstellung als Amtsgerichtssekretär beim Amtsgericht
Medebach. Später hieß man Justizobersekretär und Inspektor.
Ich litt ständig stark unter den Kriegseinwirkungen und wurde, da
ich sehr oft aussetzen musste, am
1. / I. - 1924 pensioniert.
Am 7. / VIII. - 1919 habe ich meine Frau Nelly geb. Ulrich, Tochter des
Sanitätsrats Dr. Ulrich, Belecke, geheiratet. Wir haben 2 Kinder,
einen Sohn und 1 Tochter, und jetzt 6 Enkelkinder.
Wie wir noch in der
5
alten Heimat waren, erschien
dort als Sommerfrischler der Düßeldorfer Landschaftsmaler Arthur
Wansleben
[Bild: Aus
dem Möhnethal]
mit seiner Frau aus Düßeldorf.
Ich habe ihn als kleiner Knirps oft beim Malen voller Bewunderung zugesehen
u. das weckte später in mir den Wunsch, auch Maler zu werden. Es kam
anders. Nach meiner Pensionierung wohnte ich im elterlichen Haus
meiner Frau bis wir 1938 das Besitztum an die Siepmannwerke verkauften
und nach Cappel bei Lippstadt verzogen. Dort richteten wir uns in einem
schönen alten Fachwerkhaus auf dem Stift - dem lande Lippe gehörig
- häuslich ein. zu unserer Wohnung gehört ein schöner, großer
Garten. Ich habe viel seltene Gehölze, Stauden - aber besonders viel
Alpenpflanzen in den Garten gebracht. Ich habe selbst in Tirol im Steyr-Tal
- Ober-Österreich u. in den Alpen in Bayern gesammelt u. habe von
den Inspektoren einer Reihe botanischer Gärten Seltenheiten bekommen.
Noch jetzt habe ich von den bot. Gärten Hamburg, Münster, Mainz
u. Nymphenburg die Samenkataloge und Samen bekommen. Im ganzen habe ich
50 Aussaaten gemacht, die letzten. Zwischendurch habe ich immer gemalt
- meistens Jagdstücke in Öl u. habe radiert u. auf der eigenen
Kupferdruckpresse Abzüge gemacht. Es sind von
6
mir Bilder nach Berlin,
Casablanca, New York, Ottawa u. in die engere u. weitere Heimat gegangen.
Mein beschauliches Leben
in Cappel wurde einmal jäh unterbrochen, wie mich Hitler noch mal
zu den Fahnen rief. Ich tat fast 4 Jahre Dienst als Hauptmann bei den Landesschützen
in der Heimat. Einmal hatte ich einen Auftrag nach Krakau.
Während dieser Zeit
war ich fast 1 Jahr im Kreise Melle u. wurde oft zu prachtvollen Brackenjagden
ins Wiehengebirge eingeladen. Die Erlebnisse sind unvergeßlich für
mich. In der Meppener Gegend habe ich einige Birkhühner geschoßen.
Im übrigen war der Dienst nicht sehr reizvoll. Am 1./ IV. -44 wurde
ich im Zuge der Verjüngung des Off.Corps u. wegen meines Gesundheitszustands
mit allen Ehren u. dem Dank des Vaterlandes - Gott sei Dank - zu Muttern
entlassen. Ich bin froh, dass ich das bittere Ende als Soldat nicht miterlebt
habe.
Vor einigen Jahren hatte
ich nach einem Aufenthalt in den oberbayr. Bergen eine schwere Herzerkrankung
mit Rippenfellentzündung. Ich mußte 5 Wochen ins Krankenhaus.
ich bin jetzt mit "79" nur noch eine halbe Portion u. nach meinem bewegten
aber schönen Leben bereite ich mich auf den letzten Pirschgang vor.
Meine Enkelkinder hängen an mir u. ich muß ihnen aus meinem
reichen
7
Jägerleben erzählen.
Wenn ich dann zu dick aufgetragen habe, wenden sie sich an Oma
und fragen: "Ja, Oma?" Dann läßt mich meine Frau, deren Vater
auch Jäger war, nicht im Stich.-
Ich habe in meinem langen
Jägerleben viel Waidmannsheil gehabt. Mit Ausnahme von Gams, Fischotter
und Wildgans habe ich so ziemlich alles in der Heimat vorkommende Wild
erlegt. Ich habe in Tirol einen Auerhahn erlegt, im Siegerland, Emsland,
an der holl. Grenze, bei Meppen und bei Aschendorf die Birkhuhnbalz erlebt
- neben Schnepfenstrich die Jagdarten, die mich am meisten befriedigten.
Man war allein und konnte sich ganz dem Zauber u. der Stimmung der Natur
hingeben. Zwei geweihte Hirsche, Kahlwild, 1 Stück Sikawild, viele
Sauen, Rehböcke, Kitzen, unendlich viel Kaninchen, Hasen, Enten, Füchse
etc. stehen in meinem Jagdtagebuch verzeichnet.
Seit 1962 jage ich nicht
mehr. Ich habe das goldene Treuezeichen des D. J. V. u. bin Ehrenmitglied
des Vereins der großen schwarzweißen Münsterländer.
Ich habe meine Hunde selbst gezüchtet (Zwinger v. d. Külbe),
abgeführt und auf Suchen geführt und gute Erfolge gehabt. Auch
habe ich oft das Amt des Preisrichters übernommen. So habe ich unter
ein langes, schönes Jägerleben einen Schlußstrich gezogen
u. lasse den Finger, der sich so oft krümmte, um mit Blitz und Donnerkrachen
das Leben einer Kreatur auszulöschen, nun endgültig gerade. Ich
mußte ihn auch oft gerade lassen, wenn mir an sich die Möglichkeit
gegeben war, Dampf zu geben - auch wenn ein Kronenhirsch
8
vor der Büchse stand,
den Hermann Göring lieber selbst erlegte.-
Eine Episode will ich noch
anführen: Dr. Mertens Lippstadt, mit dem ich befreundet war, hatte
das Körbecker Revier an der Möhnetalsperre gepachtet. Als er
im Winter 39/40 als Hauptm. an der Front stand, hatte er mir das Revier
mit Jagdhaus zur Verfügung gestellt. Ich saß öfter im Haus
Daheim abends mit den Herren eines Pionier-Batls. zusammen.
Kommandeur war ein Major
Dr. Hammitsch, Professor an der Akademie Dresden - ein Schwager Adolf Hitlers[2.
Ehemann der Hitler-Schwester Raubal]. Als ich im Winter eine Drückjagd
angesetzt hatte, stellte Major Hammitsch Pioniere als Treiber zur Verfügung.
Beim ersten Treiben stand ich auf dem
Rückwechsel.
Kaum hatte ich die Treiber angehen laßen, da sprengten die Hunde
eine Rotte Sauen. Ich schoß auf schmaler Schneise einen hochflüchtigen
Keiler mit Blattschuß.
Einen weiteren Keiler schoß
ich im Jahr darauf auf Urlaub in demselben Revier. Dr. Hammitsch sympathisierte
übrigens nicht mit seinem Schwager Hitler. Vor der Finder- und
Packermeute des großen Saujägers Koch aus Niedersfeld schoß
ich in einem Winter
4 Sauen. Im ersten Weltkrieg
machte ich in Ardon südl. Laron eine Doublette auf Sauen und eine
streckte ich, als wir vor Verdun in Ruhe lagen bei Damvillers. Auf winterlichen
Treibjagden habe ich noch eine Reihe bei Treib- und Drückjagden erlegt.
So kann ich auf ein reiches
Jägerleben zurückblicken. Ich habe auf der Insel Föhr Wildenten
9
in großer Zahl geschoßen
und Hunderte in Frankreich u. in der Heimat. Man kann nicht alles schildern;
es würde zu weit führen. Aber eins möchte ich in Bezug auf
das Waidwerk noch erwähnen: Ich bin ehrlich genug, zu bekennen, daß
der Beutetrieb - Wild zu erlegen - wenn auch auf anständige, dem Wild
Schmerzen zu ersparende Art, bei mir wie auch bei den meisten Flinte und
Büchse führenden Menschen - ich will sie beileibe nicht alle
Waidmänner u. Jäger im guten Sinne nennen - der Hauptgrund des
Jagens gewesen ist. Es ist der Urinstinkt unserer Vorfahren in längst
vergangener Zeit. Sie brachten ihrer Sippe das erlegte Wild zur Stillung
ihres Hungers. Und das sitzt uns noch in der Jacke.
Heute kommt es nicht mehr
darauf an, wieviel einer von der Jagd, der Biologie u. der jagdlichen Anständigkeit
versteht - heute heißt es, was kannst Du zahlen. Es wurde 1962 höchste
Zeit, daß ich meine Jägerlaufbahn beendete. Es bleibt eine schöne
Erinnerung.
Einige seltene Stücke
hängen zwischen den Gehörnen und Geweihen: Ein 15jähriger
Mümmelmann mit Sechsergehörn, eine Kreuzung von Ringeltaube und
Eichelhäher, ein Gehörn von 30 cm Höhe und 20 cm Auslage,
ein Canes vulpes communis maritimus, ein wäßernder oder wäßender
Fuchs etc.
10
Von all den Schätzen,
die mit viel Liebe in den Garten gebracht sind, die an den Wänden
hängen, in der Truhe ruhen, die vielen Basteleien, mit denen ich so
viel Freude gemacht habe, kann man nichts mitnehmen. Aber ich weiß,
daß mancher der von den Erzeugnißen etwas nach meinem Abgang
bekommt, sagt, das stammt von dem alten Opa aus Cappel. Es ist nicht alles
hohe Kunst. Ich bin gern zufrieden, wenn die Sachen Freude machen.-
Wenn ich nun zum Schluß
meines in großen Strichen gezeichneten Lebenslaufes gekommen bin,
dann ist das eine Rückschau. Morgen, am 10 / V - 66 treffen wir 4
Überlebenden - Adolf (86), Joseph (81), meine Geringigkeit (79) u.
Wilhelm (75) in Soest ein zu einem Gedankenaustausch. Wir wollen dann in
Liebe unserer Eltern u. der Geschwister gedenken, die von uns gegangen
sind, u. auch an Karoline wollen wir denken, die ihren Wilhelm nicht allein
laßen will. Wir 4 haben zusammen 321 Jahre. Da haben wir unsere Sache
eigentlich ganz gut gemacht. Ich bin überzeugt, daß wir das
hohe Alter auch z.T. der konservierenden Wirkung des Tabakrauches zu verdanken
haben.
10
Und nun wollen wir uns alle
vornehmen, noch etwas auf den Beinen zu bleiben. Wir
wollen dankbar und zufrieden
sein, daß wir den Vorzug hatten, so lange dabei zu sein.
Caroline schreibt:
[Transskription von Heidi
P.-H., herzlichen Dank!]
Herstelle, d. 5.6.1966.
1)
Nun soll die Jüngste
von der Sippe noch etwas dazu schreiben?
Ich bin am 27.8.1892
geboren u. hätte meiner
Mutter bald das Leben gekostet. Dr. Tiele, welcher mit den
damaligen geringen Mitteln
das Wunder vollbrachte und uns allen unsere gute Mutter am
Leben erhielt, wurde mein
Pate. Wie erzählt wird, ist über das 12. Kind solche Freude
gewesen wie Dr. T. sagte,
er noch nie erlebt hätte. Vor der Taufe haben Grundmanns
Kinder und meine Geschwister
sich auf die Erde setzen müssen im großen Kreis. Frau
Knappstein, die weise Frau,
hat das Kind jedem auf den Schoss gegeben. Am Abend hat
Onkel Rat die alte Frau
Kampschulte am Arm nach Hause gebracht. Sie hätte nur immer
gesagt: "Och, Herr Rat,
was freu ich mir." Also, getauft bin ich sogar 2x. -
Als Kind streichelte ich
so gern Onkel Rat seinen Specknacken. Wenn man ihn fragte::
"Onkel Rat, was hast du
da?", sagte er: Kind, das ist nur Kümmerspeck."
2)
Die grosse Freiheit in Feld
u. Wald, wie meine Brüder sie hatten, war für uns Mädchen
nicht erlaubt. Im Sommer
spielte ich viel in Grundmanns "Höffken." Als Kind hat man sich
auf jede Jahreszeit gefreut,
bes. auch auf den Winter. In der Woche spielten wir viel
Knochenball, was Wilh. schon
erwähnte. Ein Spiel hatte vier Türen, "Ticktack, Steinert,
Gackert, Bückert."
Jeder Tür hatte dann wieder vier Teile. Wir fertigten uns manches
Spiel
selbst u. spielten mit bunten
Bohnen. Sehr gern erinnere ich mich noch an die Sonntage
im Winter, wenn mein Bruder
August zur Erheiterung Schattenbilder machte, mit
Bandwurm und Kahn ziehen.
Zuschauer waren viele da. Grundmanns waren immer dabei.
Wenn dann hinterher Grundmanns
Auguste, unsere spätere liebe Schwägerin, noch
Klavier spielte und sang,
war ich zu Tränen gerührt. Denkt bitte noch an Kaplan Boitefeld,
mit den tollen Hirschen,
u. der Weinprobe bei uns, als er die Strafversetzung nach
Hellefeld bekam. Ich heiratete
am 14.10.1914 meinen treuen Wilhelm Bellmann geb. in
Arnsberg. Die Mutter stammt
aus der Familie Lehrer Dransfeld in Wamel, der erste
Normallehrer nach Overberg.
3)
Der Bruder von Wilh. Mutter
ist Euch allen bekannt, Eltern Dransfeld Besitzer vom
Haarhof. Wir hatten 5 Kinder.
Das erste Kind, ein kleines Mädchen, starb mit 1/4 Jahr.
Franz (17.10.43) blieb als
Hauptm. u. Batt. Führer in Russland verschollen. Die größte
Freude ist es jetzt für
uns, wenn die Kinder und Enkelkinder kommen. Wilh. geht es dem
Alter entsprechend recht
gut. Er sitzt viel in unserem schönen Garten. Mir ist jetzt jede
Arbeit verboten. Ich muss
viel liegen, damit es erträglich ist mit der Herznot (Hätten
wir
unsere gute Anna nicht!)
Ich will Euch nichts vorklagen. Ihr habt ja auch alle ein
Wehwehchen. Wie gern wäre
ich bei dem Treffen in Soest mit dabei gewesen.
Hauptsache, wenn wir uns
alle da oben wiedertreffen, wir 12 mit unseren lieben
Eltern -
Im Juli 1943, Franz sein
letzter Urlaub, sind Franz, Ännchen und ich auch an der leeren
Sperre gewesen. Franz hat
gute Aufnahmen gemacht von den Grundrissen von unserem
Haus und Grundm. Haus. Es
war alles trocken u. wir konnten überall hingehen. Die Tür
vom "grossen" Garten
4)
hing noch in einer Angel.
Die Pfeiler vom Hoftor waren, wenigstens das Oberteil,
umgefallen. Bei Grundmanns
Mühle stand ein Ackerwagen. Da war noch viel abzufahren.
Ihr hättet die Getriebe
alle gekannt. Den Eingang vom Wasserkeller konnten wir nicht
finden. Ich stelle die Bilder
gern zur Verfügung. Bitte aber um Rückgabe. Von Onkel Rat u.
Hubert Schäferhof sind
auch noch Bilder da. Kommet und sehet! -
Nochmal O. Rat. Mutter musste
ihm im Winter immer Mettwürste machen. O. Rat sagte:
"Frau Hauß, tuen Sie
aber viel Knoblauch drin, dann mag sie mein Schwiegersohn nicht."
Wenn O. Rat nicht bei uns
war, lebte er bei seiner Tochter in Gummersbach.
_______________
Lieber Wilhelm, ob Ihr meinen
Schrieb dabeisetzt, überlasse ich Euch. Auf Fehler kannst
du, 1. Lehrer, durchsehen,
ich bin nicht in Form. Lasst aber doch die ganzen Erinnerungen
nur für uns, nicht
in die Öffentlichkeit. Wer denkt heute in dieser Welt, die sich so
geändert
hat, an Hauß in Drüggelte?
Fällt mit gerade ein: Nübel war mal als Zeuge in Soest vor
Gericht geladen. O. R. war
Richter. Als Nübel hereinkam, sagte O. Rat: " Sieh da (to?),
Schäpers Nübel!
"
In diesem Monat kommt A.
mit Familie. Wilh. hat sich auch angemeldet. Er hat nur wenig
Zeit. Zuweilen muss er ausspannen.
Seine Kriegsverwundung macht ihm viel
Beschwerden. Liesel hat
sehr viel Arbeit. Sie schaffte es nicht allein, hat jetzt Hülfe. Seid
alle, alle ganz herzlich
gegrüßt von Wilh. u. Caroline
(*Bitte an Menden weitergeben)
Auszug aus einem Brief:
Menden, 13.3.67
... Halte Dich weiter tapfer.
Hier schicke ich Dir die Lebenserinnerungen von Dir und August. Sie können
nach Belieben noch redigiert und ergänzt werden. Wir könnten
noch Erinnerungen an unsere Eltern u. Geschwister hinzufügen. ...
der vielleicht eine geeignete Form finden könnte, die den Nachfahren
manches sagen könnte, was sonst der Vergessenheit anheimfällt.
Fritz Koester hat viel über unsere väterlichen Vorfahren erforscht.
Joseph und Änne.
|