generöse Philosophen
  

junge welt vom 19.11.2002 - Fanatismus leicht gemacht 
Feuilleton 
Günter Platzdasch 
...
Gemeint war damit nicht nur die Anrufung Gottes in der Präambel des Grundgesetzes (»Verantwortung vor Gott«), die in Schulrechtsstreitigkeiten praktisch wird: vom Kruzifix an der Wand bis zum Tuch auf dem Kopf einer Lehrerin. Hildebrandt meinte vor allem den »zivilreligiösen Verfassungspatriotismus« und die Heiligsprechung des Grundgesetzes durch die sogenannte »Ewigkeitsklausel« des Artikels 79, mit der grundlegende Änderungen als »unzulässig« erklärt werden. Gleichwohl wird das Grundgesetz fast jedes Jahr geändert. 

Der erste Satz im ersten Artikel des Grundgesetzes »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, so Jürgen Gebhardt (Uni Erlangen), sei nicht nur ein Aberglaube, sondern »blanker Unsinn, denn sie wird laufend angetastet«. Weitere Merkwürdigkeiten bundesdeutscher theologischer Politik kamen zur Sprache: ...
Kerzen vor MfS-Zentralen im DDR-Wendeherbst 1989; »Lichterketten« gegen Rechtsradikalismus; antimilitaristische Prozessionen in Gestalt der »Ostermärsche«. 

Nicht nur die Rede von der »Omnipotenz« des Gesetzgebers führt zur Annahme, alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre seien säkularisierte theologische Begriffe. Zwar wird seit der Reformation die Verzahnung von Kirche mit weltlicher Macht aufgelöst und die Rationalität von Politik gepriesen, aber das Religiöse verschwindet nicht, sondern vagabundiert anderswo. Manche 
Befreiungsbewegungen legitimieren sich ebenso religiös wie errungene Rechte vernichtende Konterrevolutionen: vom Pietkong zum Klerikalfaschismus. 

Ein Diskutant, gerade aus den USA zurückgekehrt, brachte die auf der Konferenz deutlich gewordene Gefahr einer Theologisierung des Politischen auf den Punkt, als er den Versuch des Theologen Wolfgang Vögele (Loccum), eine »Minimaldefinition der Menschenwürde« zu basteln, als wohlmeinende, aber harmlose Abseitigkeit, die nur für endloses Geschwafel in evangelischer Akademien tauge, kritisierte: Als er auf der Titelseite einer großen US-Tageszeitung das Foto des nackt, gefesselt am Boden liegenden »amerikanischen Taliban« sah, der als »Bestie« präsentiert wurde, sei ihm klargeworden, daß dort Selbstgewißheiten wie die, God’s own country zu sein, darin endeten, daß der politische Gegner zum totalen Feind werde, dem jede Menschenwürde abzuerkennen sei. 
 

Wie drei westlinke Philosophen ihre Autos in Jena verschenkten
Mathias Hildebrandt, Jürgen Gebhardt (beide Uni Erlangen) und Günter Platzdasch trafen sich in Jena beim 6. Thüringentag für Philosophie, wie wir der JW vom 19.11.2002  entnehmen konnten. Was dort nicht zu lesen war, war das Ungemach, das sie erlitten: H.s BMW wurde vom Hotelparkplatz geklaut, G. zerbeulte seine Stoßstange und zerschredderte Kotflügel und Scheinwerfer seines fast fabriikneuen Golfs in einem ansonsten glimpflichen Crash mit einem Stadtbus. P. berichtete darüber.
Nun gibt das das Vorurteil, Philosophen seien nicht von dieser Welt. Nicht so unsere Realphilosophen aus Bayern. Sie wissen, dass gegenüber Polizei und Versicherungen nicht wichtig ist, ob man einen Autoschlüssel vorweisen kann oder einen Fahrzeugschein. Der (jahrelang ruhende) Fahrzeugbrief ist jetzt wichtig, denn dort steht mit Brief und Siegel, verbürgt und abgesegnet, wem das Auto gehört. Besitz und Eigentum sind zwei unterschiedliche Kategorien. Verleihe ich mein Auto, oder wird es mir geklaut, ist der neue Besitzer noch längst nicht der Eigentümer. Das wissen unsere Philosophen. Sie wissen, wie die Vertragslage bei einem geleasten Auto wäre.
Beide waren aber Eigentümer. Und dennoch, in einem Anfall von Spenderlaune zerriss H. seinen KFZ-Brief, ging nicht zur bürgerlich-repressiven Polizei, schaltete seine bourgeoise Versicherung nicht ein.
Er kritisierte vor allem den »zivilreligiösen KFZ-Briefpatriotismus« und die Heiligsprechung der BGB-Besitztumsparagraphen durch die sogenannten »Ewigkeitsklauseln« im KFZ-Brief, mit denen grundlegende Änderungen als »unzulässig« erklärt werden. Gleichwohl wird sein Auto mal von seiner Frau, seinem Sohn und nun vom Dieb gefahren, der Besitz also fast jeden Tag geändert. 

Auch G. zerriss seinen KFZ-Brief, und die Versicherungspolice gleich dazu.
Der erste Satz im ersten Artikel des KFZ-Briefs »Die Eigentumsverhältnisse des Menschen G. an diesem Auto sind unantastbar, außer er veräußert sie selber«, so Jürgen Gebhardt (Uni Erlangen), sei nicht nur ein Aberglaube, sondern »blanker Unsinn, denn laufend tastet ein anderer sein Auto an, kleine Beulen entständen beim Einparken sowieso, und nun halt eben der Crash mit dem Bus«.

P. unterstützte die unglaubliche Spendabilität unserer philosophischen Realhelden, indem er offenbar mit einem Diskutanten sympathisierte. Dieser  charakterisierte jegliches Beharren auf Eigentum und verbrieften Rechten "als wohlmeinende, aber harmlose Abseitigkeit, die nur für endloses Geschwafel in evangelischer Akademien tauge," 

Nicht ganz klar wurde in den Beiträgen, wann das Recht auf Eigentum in den Köpfen dieser Philosophen endete - oder ob es womöglich gar nicht existierte, nie existiert hatte.

-------------
Schnitt. Sie halten obige Sätze für erstunken und erlogen, eine solche Dummheit wie die der freiwilligen Vernichtung eines verbrieften Rechts könne es nicht geben? Nur weil ein Dieb im Auto sitzt und behauptet, es sei seins - einfach auf das Recht am Auto verzichten? Seltsame Realpolitik das.
Einfach, weil Polizei oder gar die erste Instanz sich auf die Seite der zahlungsunwilligen Vollkaskoversicherung gestellt haben, auf Brief und Police, schwarz auf weiß, verzichten? Weil die Machtverhältnisse derzeit ungünstig sind, nicht nur auf die nächsthöheren Instanzen verzichten, sondern auch noch "die Papiere", die ach so wertlosen, ins Feuer werfen, auf ewig vernichten?

Erlogen ist die Geschichte mit den KFZs. Aber beim Grundgesetz argumentieren unsere Realphilosophen exakt so wie bei den Fahrzeugpapieren.

Durch das Foto des nackt, gefesselt am Boden liegenden »amerikanischen Taliban« sah, der als »Bestie« präsentiert wurde, sei ihm klargeworden, daß dort Selbstgewißheiten wie die, God’s own country zu sein, darin endeten, daß der politische Gegner zum totalen Feind werde, dem jede Menschenwürde abzuerkennen sei. 

Selbstgewißheiten enden irgendwo, je nachdem wer wem was aberkennt. Unklar bei dem Schwachsinn ist wirklich, ob die Würde des Menschen durch den Polizisten, der einen Demonstarnten oder Obdachlosen tritt, aufgehoben wird, oder ob sie sukzessive durch die Instanzen beim Prozess gegen den Polizisten erlischt..Oder ob der Kanzler die Würde aberkennen darf, oder Rau - oder das Bundesverfassungsgericht? Wo endet so eine Würde? Oder gibt es sie gar nicht? Nur eine nicht objektiv vorhandene, nur subjektiv angeklebte Selbstgewißheit? Wer diese Selbstgewißheit nicht hat, z.B. so ein nackter Taiban, ein verängstigter Obdachloser, eine alkoholisierte Frau, ein unzurechnungsfähiger Verwirrter, ein Kind, ein Alzheimerpatient - hat sie eben nicht, die Würde?

Die Idioten, die "Recht wie Glut im Kraterherde" einforderten und sangen "die Internationale erkämpft das Menschenrecht" - haben sie vielleicht Selbstgewißheiten  gemeint und nicht etwa verbriefte Rechte? Letztere sind ja eh egal, weil sie einem von jedem Hausmeister oder Dieb genommen werden können. Wie es bei bürgerlichem Gedöns halt so ist. Weshalb sich der Kampf um den Erhalt guter oder die Erlangung besserer Gesetze bekanntlich nicht lohnt und nicht nur ein Aberglaube, sondern »blanker Unsinn ist,  und nur der Integration der rrrevolutionären Krafte in den bürgerlichen Staat dient. Wo doch, wie jeder weiss, die  wahre Freiheit innen liegt, als Selbstgewißheit fest verankert und an die Kraft des Subjekts gebunden, das sich halt im darwinistischen Auslesekampf behaupten muss. Wo gehobelt wird, fallen eben Späne, und das Lamento über die brutalen Naturgesetze klingt wie wohlmeinende, aber harmlose Abseitigkeit, die nur für endloses Geschwafel in evangelischer Akademien tauge.
Die wirklich rrrevolutionäre Tat besteht in der Anschaffung von Guidomobilen.

Es gibt Rechtsnihilisten, die sich als Linke ausgeben, sich womöglich sogar subjektiv so fühlen. Wenn es nicht endlich klar wird, wes Geistes Kind sie sind und dass sie denen zuarbeiten, die liebend gerne das Grundgesetz "mal so richtig überarbeiten" möchten, so entschlacken von z.B. Art 26, läßt sich über die deutsche Linke wirklich ein Ei klopfen. Vom Kanzler final verfrühstückt.

(c) Andreas Hauß, 2002, http://www.medienanalyse-international.de/index1.html