Mobile Motive

Wenn man es entweder mit Wahnsinnigen oder mit kaltblütigen Kriegsverbrechern zu tun hat,
was ist beunruhigender?
Das Ziel ist der Sturz Saddams. Wirklich? 
Welchen Anlaß haben wir, ungeprüft Ziele und Motive, Begründungen und Vorgehensweisen der Bush-Regierung als gegeben hinzunehmen? Warum sollte der Sturz Saddams Ziel einer US-Regierung sein? Was tat Saddam, was er nicht Jahre und Jahrzehnte zuvor auch schon tat? Erfüllte der Irak nicht im Spiel der Kräfte des Mittleren Ostens eine Funktion? Eine Funktion, so wichtig, dass sie Saddam 1991 belassen wurde, obwohl doch der Durchmarsch nach Bagdad greifbar nahe war? Was hat sich an seiner Funktion geändert? Nichts. Er ist weiter der treffliche Grund für die Präsenz der US-Flotte sowie diverser Militärbasen von Incirlik über Camp Doha bis zur Prinz-Sultan-Airbase. Die Drohkulisse für Unbotmäßige steht überzeugend. Die Machtstrukturen in Jordanien und Saudi-Arabien, im Iran und Kuwait, in der Türkei und Israel usw. sind auch im wesentlichen seit 20 Jahren unverändert und ihr Gefüge zu- und miteinander ebenso. Und alle Nachbarstaaten wollen den Krieg nicht. Die USA planen ihn dennoch, auch gegen Völkerrecht, gegen alle EU-Kritik (recht deutlich geäußert – die Kritik UND das Desinteresse daran), unter Inkaufnahme einer Destabilisierung der Region, incl. einem möglichen neuen Israel-Krieg, ohne auch nur zuvor das „Afghanistan-Problem“ überzeugend gelöst zu haben, offenbar also gegen jegliche Vernunft
Wirklich? Wer zu begreifen sucht, was die USA planen, wird nur vordergründig fündig beim Öl. Das Öl des Irak fließt. Auch jetzt. Und es fließt zum Großteil in die USA zu von den USA diktierten Preisen bei härtester Kontrolle dessen, was für den mageren Erlös wiederum in den Irak eingeführt werden darf. 
Innenpolitische Ziele? Braucht Bush das Muskelspiel? Eher doch wohl nicht – seine derzeitige Machtfülle könnte bei einem Misserfolg eher ins Wanken kommen. Wohltaten für die Rüstungsindustrie? Die sind schon längst getan, und der Afghanistankrieg reicht voraussichtlich mit zusätzlichen kleineren Nebenkriegsschauplätzen durchaus aus, um Munition und Material immer auf dem modernsten Stand zu halten mittels angemessenen Verbrauchs. 

Oder sind es etwa wirklich die angegebenen Ziele und Gründe, also der Kampf gegen den Terror, gegen Drohung und Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen? 

Was wurde bisher für das „Böse“ angeführt, dem es endlich den Garaus zu machen gelte? 

(Es war Senator John McCain, der die meisten dieser „Punkte“ aufzählte in seiner Rede auf der 38. Münchener Sicherheitskonferenz.) 

a) die Anthraxspur führe in den Irak. Nicht nur, dass kein Beweis dafür ans Licht kam - das exakte Gegenteil kam zutage. Die Spuren führten in die USA, zum Militär – und verlieren sich derzeit wohlweislich dort. Eric Margolis berichtete am 4.11. 2001 in "The Toronto Sun" britische Wissenschaftler-Teams seien Mitte der 80er Jahre insgeheim durch die britische Regierung und den Geheimdienst MI6 organisiert und in den Irak gebracht worden, und der Grundstock für alle B-Waffen Iraks sei aus einem amerikanischen Labor in Maryland gekommen. Irak erhielt umfangreiche Genehmigungen der US-Regierung für den Kauf von Milzbrand, Pest, Botulismus und andere Pathogenen. 

b) der 11. September selbst. Eine Verbindung Attas mit dem irakischen Geheimdienst in Prag geistert immer wieder durch die Medien. "Counterpunch" dazu: 

"Petr Necas, Vorsitzender des parlamentarischen Verteidigungskomitees, sagte, 'Ich habe nicht einen einzigen direkten Beweis gesehen, daß Herr Atta einen irakischen Agenten traf'....Dann, am 27.Oktober, berichtete die New York Times: "Als Redner auf einer Newskonferenz in Prag sagte der tschechische Innenminister Stanislav Gross, daß Herr Atta Herrn Ani, einen durch tschechische Behörden als Geheimdienstoffizier identifizierten irakischen Diplomaten im frühen April traf." (Am selben 27.10. berichtete der Prager „Times“–Korrespondent John Tagliabue, Prager Beamte sagten, es sei nichts dran an der Atta-Story.) 

Die NYTimes- Geschichte entstand, nachdem ein wenig Druck auf die Tschechen ausgeübt wurde, wie man aus der NYTimes herauslesen konnte. Noch im November habe Milos Zeman zu berichten gewußt, über was Atta mit dem irakischen Agenten gesprochen hätte. Nur widerspricht, so der "Spiegel", dem wiederum eine tschechische Zeitung. (Milos Zeman fiel durch seltsame Äußerungen auch anderswo auf – z.B. beim Hitler-Vergleich bzgl. Arafats.) Jedenfalls darf jetzt jeder glauben was er will, denn Aussage steht gegen Aussage bzgl. eines Treffens Attas in Prag. Einen Beweis haben die Fabrikanten der Attageschichte nicht vorbringen können. Der mögliche Vorwurf gegen Saddam ist so mager, dass er nun auch nicht mehr benutzt wird. 

c)Die angeblichen Verbindungen Iraks zur Al-Qaida heute und in Zukunft 

Bush behauptete in seiner Rede an die Nation der Irak unterstütze den Terror der wiederum („Parasiten“) ABC-Waffen zu erlangen suche. Eine Woche später, am 6.2., meldete die NYTimes: „Die CIA hat keinerlei Beweise dafür, dass Irak seit nunmehr fast einem Jahrzehnt irgendwelche terroristischen Operationen gegen die Vereinigten Staaten unternommen hat“ und auch keine B- oder C-Waffen an Terroristen weitergab. 

CIA-Chef Tenet: "Er [der Irak] hat auch Kontakte mit der al-Qaida. Deren Bindungen mögen begrenzt sein durch die auseinanderklaffenden Ideologien, aber die Antipathie beider Seiten gegenüber den Vereinigten 

Staaten und der saudische Königsfamilie bringt den Gedanken nahe, daß taktische Kooperation zwischen ihnen möglich ist.'' 

Da sind die Bindungen begrenzt - aber aus was sie bestehen, erfährt man nicht. Nur, daß eine taktische Kooperation MÖGLICH sei. 

Mittlerweile wurde nachgekartet: al-Qaida – Kämpfer hätten sich zu Hunderten im Nordirak in Sicherheit gebracht. Abgesehen davon, dass dafür wieder einmal Beweise fehlen, abgesehen von islamistischen Gruppen wie z.B. dem Neuzusammenschluß „Ansar al Islam“, die schon seit langem in der irakischen Grenzregion zum Iran ihr Refugium hatten, stellt sich doch zudem die Frage, welchen Einfluß Saddam auf Entwicklungen im Nordirak haben kann – im Kurdengebiet, in der sog. Flugverbotszone. Wohl auf dem Schoß des BND sitzend, konnte Udo Ulfkotte mit dem „Islamisten-Mimikry“ am 11.2. so das FAZ-Leserpublikum informieren. 

Mit der Formulierung "divergente Ideologien" umschreibt Tenet das Problem, daß bin Laden während des Golfkriegs durchaus noch auf Seiten und in Diensten der USA stand und der eher säkular geprägte Irak als ein "ungläubiger" Staat bekämpft wurde. Die grünen Sterne in der Staatsflagge des Irak wurden erst während des Kriegs 1991 um die Worte "Allah ist groß" ergänzt. Ahmed Rashid, hervorragender Kenner der Region, verwies darauf, dass Osama bin Laden versucht hatte, die saudische königliche Familie zu überreden, eine Volksverteidigung Saudi-Arabiens zu organisieren und aus den afghanischen Kriegsveteranen eine Streitkraft zu bilden, mit der der Irak bekämpft werden sollte. Eine faszinierende Parallele eröffnete am 26.1.2002 die taz ("Ein Terrorist wird geboren"): Der erste Haftbefehl von Interpol gegen Osama bin Laden wurde am 15. April 1998 erlassen, und zwar auf Bitten des libyschen (!) Innenministeriums. Auch andere Staatsregierungen -von Ägypten bis Sudan- sind durchaus nicht bin-Laden-freundlich eingestellt. Eine prinzipielle arabische Solidarität, die ObL schützen könnte und im Irak zustande gekommen sei, ist schiere Fiktion. 

d) kurz vor dem Treffen des irakischen Außenministers Sabri mit Kofi Annan brachte die USA Satellitenaufnahmen, Fotos und Videos ins Spiel, die belegen sollten, dass der Irak humanitäre Güter für militärische Zwecke zweckentfremde. Gezeigt wurden Lastwagen der UNO, die angeblich später bei einer Militärparade in Bagdad mitfuhren, Ein französischer Diplomat bemerkte nur kurz, er habe Lastwagen im Hafen und Lastwagen in Bagdad erkennen können. Ein Zusammenhang sei nicht erkennbar. 

e) Atomwaffen: "Die BBC enthüllt das Atom-Geheimnis des Diktators von Bagdad "Saddam hat die Bombe!" phantasierte man im Hamburger Abendblatt vor einem Jahr, der BBC folgend, von neun ganzganztief verbuddelten A-Bomben. Je unwahrscheinlicher der Atomwaffenbesitz Iraks, desto tiefer werden die Bomben medial vergraben. 

Einige Tage vorher hatte Reuters jedoch gemeldet, ohne daß solches BBC 

oder Abendblatt beindruckt hätte: 

"Irak, das sich weigert, UN-Waffeninspekteure hereinzulassen, kooperierte mit der jüngsten Nuklear- Routineinspektion seitens der Internationalen Atomenergie-Agentur meldete die Agentur zur Atomüberwachung am Mittwoch." 

Die notwendige Kooperation Iraks für das Inspektionsteam habe bestanden, so dass effektiv und effizient habe gearbeitet werden können. Diese Information ging an den UN-Sicherheitsrat. Die Meldung bezog sich insbesondere auf das nichtwaffenfähige Uran des 1991 zerstörten Tuweitha-Reaktors, das von der UN versiegelt wurde - und versiegelt blieb. 

Der Chef der UNMOVIC (Nachfolgeorganisation der UNSCOM), Blix, bestätigte im Zuge der Gespräche Annans mit Iraks Außenminister Sabri, dass es keine Atomwaffen Iraks gebe – und orakelte zugleich über mögliche B- und C-Waffen. 

f) Der damals durch seine "Schärfe" gegenüber dem Irak aufgefallene Scott Ritter schrieb am 10.2.02 in der LATimes über das Angebot Husseins, über alles - also auch über die Wiederaufnahme der Inspektionen- verhandeln zu wollen: "Indem er das tut, hat der Irak die Achillesferse der Washingtoner Politik entblößt: Ist es den USA wirklich ernst mit den Waffeninspektionen?" 

Ritter bekräftigte in unzähligen Artikeln und Aufsätzen, der Irak sei qualitativ entwaffnet. Der frühere Oberst der US-Marines war bis 1997 Waffeninspekteur der UNO im Irak (UNSCOM). Dabei ist Ritter nicht der einzige Waffeninspekteur, der die praktische Entwaffnung Iraks bestätigt. Auch Raymond Zalinskas hielt schon in einem Interview am 13. Februar 1998 fest, daß "UNSCOM alle Chemieanlagen zerstörte, die Chemiewaffenfabriken, und ebenso alle bekannten chemischen Waffen. ... Auf dem 

Gebiet der B-Waffen zerstörte UNSCOM die speziell zur B-Waffen-Herstellung dienende Fabrik in al-Hakam und weitere an anderen Instituten. Und soweit wir wissen, haben sie keine biologischen Waffen bewahrt." Er sagte außerdem, daß schon 1995 die Inspektoren alle denkbaren Anlagen zur Herstellung von Chemie- und Biowaffen ausradiert gehabt hätten. 

Die UNMOVIC – Waffenkontrollkommission der UNO – verweist in ihrem letzten Vierteljahresbericht auf die vielen Möglichkeiten, auch ohne Waffeninspektoren vor Ort zu Informationen zu gelangen. Das sind Medien (TV, Radio und Zeitungen) aus Irak und den Nachbarländern, wissenschaftliche Abhandlungen, Berichte anderer arabischer UN-Mitgliedsstaaten und insbesondere die Satellitenüberwachung, mit Vergleichen zwischen alten und neuen Fotos zerstörter Anlagen und dem Augenmerk auf neue Bautätigkeiten. Unerwähnt läßt der UNMOVIC-Report, daß in einem Land, in dem die USA auch auf einen innenpolitischen Machtkampf zum Sturz Saddams setzt, genügend Informanten vor Ort existieren müßten. Eins sagt der Report auf keinen Fall, daß es konkrete Verdachtsmomente gebe, die Anlaß zu schwersten Befürchtungen gäben. B- und C-Waffen kamen zudem nicht per Kismet in irakische Hände. Sie sind auch nicht wie Brötchen neu zu backen, was mittlerweile auch der breiteren deutschen Öffentlichkeit durch die Diskussion über waffenfähigen Milzbrand bekannt ist. Wegen ihrer Herkunft aus westlichen Quellen war man im Westen sehr gut informiert - und deshalb fiel das Einsammeln nach 1991 leicht. Man kannte sich ja von Experte zu Experte, und auch die Orte, die Mengen, die Maschinen. Gleiches gilt für konventionelle Waffen und Raketentechnik. 

g) die Weigerung an sich, wieder Waffenkontrolleure ins Land zu lassen. Außenminister Fischer beharrt ausgerechnet auf diesem Punkt und kann sich dabei auf die damalige UN-Resolution beziehen. Nach den Kriegszerstörungen 1991 zerstörten die Inspekteure bis 1995 Waffen und Herstellungsanlagen – und blieben dennoch bis 1998 im Irak. Irak wirft ihnen Spionage vor. Die objektive Frage bleibt, was nach den vielen Jahren noch zu kontrollieren wäre und wie lange das dauern soll. Neue Inspektionen ergeben auch, wie die 90er Jahre zeigten, immer wieder neue Kriegsanlässe angesichts der ungebremsten und seitens der USA immer höher geschraubten Forderungen. 

h) zu guter Letzt sei noch angeführt, dass als ein Kriegsanlass sogar die absurde Vermutung herhalten könnte, der Irak verstecke bis heute Kriegsgefangene von 1991. Immerhin hielt die Washington Post die Geschichte des Lt. Cmdr. Michael S. Speicher, der am ersten Kriegstag abgeschossen worden war, für wichtig genug, diskutiert zu werden. Ein leibhaftiger Senator aus Kansas setzt sich dafür ein, Speicher als Kriegsgefangenen einzustufen. Die Parallele zur Geschichte des vermissten POW „Shoemaker“ in der Hollywoodkomödie „Wag The Dog“ ist ebenso banal wie auffällig. Die Washington Post listet auf einer ihrer Seiten ALLE obigen Beschuldigungen gegen Saddam auf. Den Urknall, den ersten Sündenfall und das Debakel der Apollo 13 verbucht diese Zeitung allerdings noch irgendwo anders. 

Über die faktische Unsinnigkeit der Vorwürfe und Kriegsanlaßhetze gegenüber dem Irak hinaus spielt auch die Logik bei der US-Kampagne nicht mit. 

- Denn wo liegt die irakische Bedrohung durch potentiell vorhandene Massenvernichtungswaffen, wenn Saddam diese schon nicht nutzte gegen Israel und die USA im Krieg 1991? Als er sie noch hatte? 

- Wenn er nun welche hätte – würde er sie jetzt nutzen als Verzweiflungstat, denn jetzt geht es nach US-Aussage definitiv um Saddams Kopf. Israel wäre mit in den Krieg verwickelt – woraus sich übrigens auch der Wunsch der Israelis speist, die USA mögen ihre Pläne gegen Iran, nicht aber Irak richten. 

- Hätte Saddam keine Massenvernichtungswaffen, wäre der Krieg zwar „grundlos“ – aber gewonnen. Auf den ersten Blick, denn jegliche arabische Solidarität wendete sich gegen die USA. Die Risiken für die USA wären auch erheblich durch ein Zerfallen des Iraks (die türkische Befürchtung) und/oder einen Bürgerkrieg selbst bei nicht direktem Kriegseintritt der USA, sondern bei nur stellvertretendem Putsch oder Einsatz einer „Nordallianz“ aus dem kurdischen Norden. Die kürzlich in den USA zusammengerufenen 200 oppositionellen Offiziere, die Ineffektivität des INC (irakische Oppositionsbewegung), als auch die ablehnende Haltung bei verschiedenen kurdischen Gruppen zeigen diese (schlechten) Alternativen auf. 

- Die Spekulation, dass eine Regierung, die vor über 10 Jahren Massenvernichtungswaffen besaß, diese unbedingt wiedererlangen wolle, ist absurd. 

- Spätestens seit den Kosten-Nutzen-Kalkulationen in Rußland und der Ukraine ist auch deutlich, dass es rationale Kostenargumente gegen Massenvernichtungswaffen gibt. 

- Faszinierend ist die Leichtigkeit, mit der diese Annahme zwar zur Begründung eines Krieges gegen Irak aufgeworfen wird, jedoch nicht ins Kalkül gezogen wird bei der Diskussion der Kriegsstrategien. Denn dabei geht man davon aus, dass durch ABC-Waffen keine Bedrohung besteht.

Öl-für-Nahrungsmittel und der wirkliche ABC-Krieg heute

 
Die Washington Post berichtete, 50% der am 16.2.2001 auf irakische Militäreinrichtungen gefeuerten Waffen verfehlten ihre sogenannten Zielpunkte. Ein besonders deshalb verstörender Fakt, weil die US-Jets doch Streubomben verwendet hatten - die sowieso keine richtigen Zielpunkte haben. 
Es geht hier um "Fehlwürfe" 10 Jahre nach dem Golfkrieg. 
Wer führt also Krieg mit Massenvernichtungswaffen? 

Der Irak - oder die USA? Die Aufrechterhaltung der Sanktionen bedeutet u.a. 

ein Handelsverbot mit Chlorprodukten. Konsequenz ist die Verseuchung des Trinkwassers mit Bakterien und somit der Tod Hunderttausender an Durchfallerkrankungen. Das ist eine B-Waffe. 

Hans C. Graf Sponeck: 

"Selbst die begrenzten Einnahmen des Öl-für-Nahrungsmittel-Programms können nicht voll ausgenutzt werden. Lebenswichtige Dinge wie Impfstoffe, diagnostische Geräte, Unkrautvernichtungsmittel, Unterrichtsmaterial, Ersatzteile für die Ölindustrie sowie für die Wasser- und Abwasserversorgung, sogar Ambulanzen werden von den USA und Großbritannien blockiert. ... Dabei wird ignoriert, dass in Irak ein 

Stab von über 300 UN-Beobachtern eingesetzt ist, der keine andere Aufgabe hat, als zu prüfen, dass die Waren an den richtigen Ort kommen." 

Die dadurch verursachte objektive Massenvernichtung der irakischen Zivilbevölkerung wurde von Madeline Albright wie folgt kommentiert. 

Auf die Frage Lesley Stahls in ihrer Show "60 Minutes" am 12. Mai 1996 ("Wir hörten, daß eine halbe Million Kinder starben. Ich denke das sind mehr Kinder als in Hiroshima starben. Und - also ist das den Preis wert?") antwortete die die damalige US-Außenministerin: "Ich halte das für eine sehr schwere Entscheidung, aber der Preis - wir denken, es ist den Preis wert." 

Hans C. von Sponeck war von 1998-2000 UN-Koordinator für humanitäre Hilfe im Irak. Sein Vorgänger Denis L. Halliday war in dieser Funktion von 1997-1998 in Bagdad tätig. Sie schrieben am 21.6.2001 in der „Jungen Welt“: "Das amerikanische und das britische Außenministerium müssen sich darüber im klaren sein, daß die »wahre Geschichte« am Ende ebenso herauskommen wird wie in den Fällen Chiles und Vietnams. Die Tragödie ist nur, daß sie für Millionen von Irakern zu spät kommen wird, die dann schon 

... gestorben oder dauerhaft geschädigt sein werden....Der Irak stellt heute für niemanden mehr eine militärische Bedrohung dar.... Ein Irak, der auf dem Höhepunkt seiner militärischen Schlagkraft nicht einmal einen eindeutigen Sieg im Krieg gegen den Iran erringen könnte, ist kein Land, das nach zehn Jahren Wirtschaftssanktionen und sieben Jahren Abrüstung noch eine Gefahr darstellen kann. Aus diesem Grund hatte William Cohen recht, als er am 10. Januar 2001 dem zukünftigen US-Präsidenten 

George W. Bush mitteilte, der Irak stelle »keine militärische Gefahr für seine Nachbarn mehr dar«."
 

Irak droht auch nicht mit dem Einsatz von ABC-Waffen. Eine glaubhafte Drohung setzte den Besitz voraus. Beschuldigt wird der Irak von der Regierung des Landes, das die meisten Massenvernichtungswaffen besitzt, alle Arten schon einsetzte (Hiroshima und Urangeschosse, Agent Orange in Vietnam usw.) und auch weiterhin damit droht. 
 

Wir sollten also unsere Blickrichtung ändern.
 

Was gilt es für die USA zu gewinnen angesichts all dessen, was verloren werden kann?
 

Wenn sich die bisherigen changierenden Motive als null und nichtig erweisen, schlichte Kriegsanlasslügen sind – dann stellt sich die Sinnfrage erneut. Sehen wir den drohenden Irakkrieg in einem größeren Zusammenhang, in einem „great game“ von der Art Brzezinskis, das nie aufhörte, sondern härter wird, dann ist der Aufbau von Militärbasen in den südlichen GUS-Staaten in Verbindung mit der kürzlich bekannt gewordenen neuen Atomstrategie in Betracht zu ziehen. Welchen Anlaß sollten wir haben, die explizit geäußerten Hegemonialpläne der USA in Verbindung mit dem angekündigten umfassenden Krieg gegen bis zu 60 Staaten als Hirngespinst zu sehen? Gibt es Beispiele aus der Geschichte, in denen ein als führ- also gewinnbar angesehener Krieg nicht geführt wurde? 

Die Neuaufteilung der Welt ist in vollem Gange. Während Europa an dem Erhalt und Ausbau der bestehenden Trassen und Verbindungen jedweder Art nach Russland, Mittelasien und Iran interessiert ist („Im Kern geht es darum, die europäischen Interessen so zu formulieren, dass sie der Schlüsselstellung Russlands Rechnung tragen.“ G.Erler, 02/2002), also an einer West-Ost-Achse, positionieren sich die USA in einer Nord-Süd-Achse. So absurd wie vor 100 Jahren deutsche Truppen in Peking waren, sind sie es heute in Kabul. Doch Mitspracherechte ergeben sich allein durch physische Präsenz. So baut Norwegen die Airbase Manas in Kirgistan aus, Franzosen schlendern durch das kirgisische Bischkek, Briten sind überall und US-Atombomber werden nun westlich Chinas und südlich Sibiriens installiert, im usbekischen Khanabad und dem tadshikischen Kulyab. McCain: „… our President properly uses every opportunity to remind us that Afghanistan represented only the first front in a global campaign that will not end until we have defeated global terrorism and the states that support it.“
 

Es geht nicht vordringlich um bin Laden, nicht um die al-Qaida, nicht um irakisches Erdöl, nicht einmal um Saddam. Es geht um den Krieg an sich und die USA als asiatische Großmacht, um eine Neuordnung des asiatischen Kontinents. Dazu müssen zunächst die Verhältnisse weiter zum Tanzen gebracht werden. Wer mit dem Hinweis auf die Bedrohung der Stabilität, auf die Unvernunft und die Gefahren eines Irakkriegs zum Frieden ruft, erntet bei Bushs Mannschaft nur ein müdes Lächeln. Mit dem Hinweis auf den möglichen Atomwaffengebrauch zeigt Bush seinerseits, wozu die USA bereit sind. Wir sollten Bush ernster nehmen in dem was er sagt. Der Irak und die UNO bemühen sich um eine Beilegung der Spannungen: Sabri wird im April, also noch vor der neuen Sicherheitsratstagung zur Sanktionsfrage im Mai, wieder bei Annan sein. Die Bushregierung hat deutlich und mehrfach verlauten lassen, es interessiere sie nicht, was auch immer die irakische Regierung tun werde. 

© Andreas Hauß, März 2002, http://www.medienanalyse-international.de/iraksplitter.html