Wissen vom Rassismus

Dieser Leserbrief an die JW zu Wissen vom Judenmord wurde MAI parallel zur Verfügung gestellt und repräsentiert Ansichten von Jörg v. Paleske.
Unser Erachtens ist er dazu  in der Lage, eine gute, tiefgreifende Debatte anzustossen über verzerrte Geschichtsbilder  in der Opferfrage. Es sei auf  die ermordung  auch von Muslimen, von Afrikanern und  Angehörigen anderer "Rassen" aus rasistischen Gründen hingewiesen, deren Zahl sich  allein schon aus  faktischen Gründen wie Zahl und ort und gelegenheit in Grenzn hielt.
Wichtig besonders HEUTE ist die Debatte angesichts  des braunhäutigen Halbweissen Obama, der als der "erste schwarze Präsident der USA" apostrophiert wird.
 

Wissen vom Rassismus
29.12.08

So sehr dem Verfasser die Entblößung des verlogenen 'wir haben nichts gewußt' zu danken ist, so halte ich ihm doch eine mangelnde Durchdringung der rassistischen Massenmordens der Nazizeit vor.

Ich stimme dem Autor zu, wenn er den rassistischen Morden eine selbstständige Abhandlung widmet. Zwar ist es richtig, daß es noch ein Unzahl von weiteren Opfern gab, die aus anderen Gründen ermordet wurden. Z. B. gibt es eine Unzahl von ermordeten politischen Gegnern, von ermordeten Homosexuellen, von Behinderten, die als angeblich "minderwertiges Leben" ermordet wurden; eine Unzahl von ermordeten Zivilisten im Ausland, wie auch im eigenen Land; eine Unzahl von ermordeten Kriegsgefangenen wie auch eine Unzahl von geradezu willkürlich Ermordeter und solchen, die wegen einer geringen Äußerung (z. B. zum zu erwartenden Kriegsausgang) oder Feindsenderhörens oder Plünderns ermordet wurden. Jedoch haben die Massenmorde aus rassistischer Motivation schon eine eigenständige Qualität, die ihre separiere Abhandlung rechtfertigt.

Der Art wie sich der Autor dem rassistischen Morden bzw. dem "Holocaust" zuwendet, ist jedoch zu widersprechen: Wenn er schon von "Juden" bzw. "Judenvernichtung" spricht und "Jude" im rassischen Sinne (dazu gleich) versteht, so ist nicht zu billigen, daß er die Ermordung von etwa 400.000 Zigeunern (oder Sinti und Roma, wie wir heute sagen) einfach ignoriert.  
Dies wäre genauso absurd, als wenn der Autor über den blutigen 11. Sept. 2001 berichtete und von ca. 2.800 ermordeten "Weißen" spräche. Wenn man schon die rassische Brille aufhat, sollte man auch erwähnen, daß unter den Toten jede Anzahl "Schwarze", "Semiten" ("Juden" und "Araber") und chinesisch-, japanisch-, vietnamesisch- und koreanisch- oder indianerstämmige gab. Aber die rassische Sichtweise ist einfach zu absurd, so daß sie auf die Opfer des 9/11 auch üblicherweise nicht angewandt wird.
Dem folgend sollen wird auch im Hinblick auf den Holocaust deshalb richtiger Weise nicht von "6 Millionen ermordeter Juden" sprechen, sondern von "6,4 Millionen rassistisch Ermordeter". Denn die Ermordung der 400.000 "Zigeuner" war eindeutig genauso rassistisch motiviert, wie die der "Juden". Sie einfach unerwähnt zu lassen, mag ich dem Autor nicht nachsehen.

Tatsächlich kommt man in 'Teufels Küche' wenn man mit der rassischen Brille auf der Nase genauer hinblickt. 
Was wäre mit "Mischlingen" bei 9/11 - wohin sollte man sie zählen. Oder die unzähligen "Halbjuden" und "Vierteljuden", welche die Nazis ermordeten: Waren das nicht recht eigentlich "Halb-" und "Dreiviertel-Arier", so daß man auch von ermordeten "Ariern" sprechen müßte? 
Solche Überlegungen widern an, weil sie inhuman sind. Denn inhuman ist es angesichts eines Ermordeten zu grübeln, ob dieser nun "Arier" oder Jude" oder "Zigeuner" gewesen sei. Die Inhumanität liegt aber nun nicht darin, daß man einen Gegenstand präzise und widerspruchsfrei ergründet. Denn auf jeden Fall sollte man präzise sein, und zwar bis ins Detail! Die Inhumanität hat hier ihre Wurzel vielmehr allein an der rassischen Sichtweise selbst. Diese ist aufzugeben - nicht das genaue Hinblicken. 

Selbst wenn Osama also (was ich nicht annehme) das Massaker von 9/11 verursacht hätte und selbst wenn er es als "Semite" getan hätte um weiße "Arier" zu vernichten, so wäre seine Sichtweise gerade den Opfern gegenüber durchaus nicht zu übernehmen. Dasselbe gilt für den Holocaust: Hier neben den konkreten Opfern der damaligen Zeit (samt Folgen z. B. an Kindern bzw. an Synagogen oder ganzen Gemeinden) auch noch eine Rasse als Opfer zu sehen, ist rassistisch und geht einfach nicht an!
  
Die Nazis verwandten das Wort "Jude" ausschließlich als Rassebegriff. Die meiner Ansicht nach allein gerechtfertigte Verwendung des Wortes "Jude" für jemanden, der Anhänger der mosaischen Religion ist, war von den Nazis gerade nicht gemeint und gewollt. Hätte Karl Marx zu Zeiten der Nazis gelebt, so hätte ihm der Hinweis darauf, daß er doch nachweislich Atheist und keineswegs Jude sei, nichts genützt, denn die Nazis hätten ihn als "Jude" ermordet. Auch Heinrich Heine hätte die Tatsache, daß er doch Katholik - und nicht Jude - war, nichts genützt, und er wäre als "Jude" ermordet worden. 
Und doch hätte auch der Autor Marx und Heine zu den ermordeten "Juden" gezählt. Denn der Autor übernimmt leider diese rassische Sicht. Selbstredend hat der Autor nichts mit den Nazis zu tun. Aber z. B. das von ihm verwandte Wort "Judenvernichtung" hätte auch einem Rosenberg, Hitler oder Himmler über die Lippen kommen können. Dies insbesondere wegen des ersten Wortteils, welcher die Opfer entindividualisiert und als bloß 'Rassezugehörige' kennzeichnet.

"Identität" und Identifikation
Dabei kann man erst bei entschiedener Zurückweisung der rassischen Perspektive den konkreten Wahn erkennen, der das Massenmorden überhaupt erst möglich gemacht hat. Denn "Die Rasse" ist nicht Opfer, sondern Verursacher des Holocaust!

Wenn es der Autor schon mit der Rasse hat, dann hätte er genau sein müssen und er hätte nicht von "Judenvernichtung" sondern von "Semitenvernichtung" sprechen müssen (beides ist natürlich gleich absurd, da rassistisch!). Denn die von de Gobineau entwickelte Rassenlehre kannte einen gesonderten Judenbegriff - gar als eigenständige Rasse - nicht. De Gobineaus Definition 'der Semiten' als minderwertig meinte auch nicht 'die Juden', sondern 'die Araber'. Denn Frankreich schickte sich zur Mitte des 19. Jahrhunderts an, die überwiegend arabischen Länder Tunesien, Algerien und (ggf.) Marokko zu unterwerfen. Nach de Gobineau ist ein "Semit" ein Angehöriger der "dunklen, nomadischen(sic!), unproduktiven, zum Dienen bestimmten Völkergruppen".

Von de Gobineaus Rassebegriff des "Semiten" wichen die Nazis zu keiner Zeit ab. "Juden" waren eben nur die "Semiten" auf die man in Europa traf. "Araber" gab es im Machtbereich der Nazis ja praktisch nicht. Noch im Dezember 1944 hielt es Rosenberg für nötig, die veröffentliche Erklärung abzugeben, daß 'die Araber' nun nicht (mehr) als minderwertig einzustufen seien. Die Nazigroßkopferten hatte nämlich schon gepackt und waren durchaus gewillt in arabische Länder zu fliehen. Daß Rosenberg eine solche Erklärung für nötig hielt und auch wirklich erst zu einem Zeitpunkt abgab, der praktisch gar nicht später gewählt werden konnte (Dez. 1944 - man kam ja kaum noch aus den div. 'Kesseln' raus!!)  sagt ja wohl alles über die Einschätzung "der Araber" durch die Nazis .
Insbesondre seit der Nazizeit spricht man ja deshalb auch zu Recht vom "Anti-Semitismus" und nicht vom "Anti-Judäismus".

Daß demnach ein junger Iraker oder Tunesier mit dem gleichen Recht von sich geben kann "Was ihr uns damals mit dem Holocaust angetan habt ...." wie dies ein junger Israeli aus Tel Aviv tun kann, ist nur konsequent. Natürlich wäre beides in ganz gleicher Weise rassistisch-wahnhaft. 

Als deutsche Bürger sollten wir uns (aufgrund der Geschichte, nicht aufgrund einer etwaigen Rasse) verpflichtet fühlen, diesem Wahn-Sinn rassischen Denkens entgegenzutreten. Dies vermisse ich jedoch beim Autor! Daß der Antisemitismus heute gegen alles arabische wütet und so wie zu Zeiten de Gobineaus auch mit brutalster Waffengewalt und mit der Auslöschung ganzer Städte in arabischen Ländern selbst, wird dem Autor, der ja sogar eine eigenständige jüdische Rasse sehen will, verborgen bleiben; genauso, wie es bei ihm die Morde an 400.000 Zigeuner nie gab!
 
 
 

(c) Andreas Hauß, Dezember 2008
http://www.medienanalyse-international.de/ueberblick.html

Im Übrigen bewundere ich Frau Klarsfeld.