Urknall

In Zeiten, in denen andere Menschen als "durchgeknallt", "Psychopathen" und in diesem Fall als "verwirrt" bezeichnet werden, ist es sinnvoll, einer Institution Bundeswehr auf die Finger zu schauen. Da gibt es Fachleute für das Knallen, Knallschäden, verknallte Jungs.
Ein Minister, der jahrelang Chef eines "Irren, Verwirrten" war (oder  eben nicht und nun eigenes strukturelles Versagen mit ehrverletzenden Pathologisierungen bemäntelt), bekommt hier die Karten von einem Insider gelegt: 

Ein Minister und der Urknall

Minister Struck hat den Kommandeur des KSK in den Ruhestand versetzt. Das war richtig. Seine Begründung war falsch. Wahrscheinlich ist der ist der General weder Antisemit noch ist er ein Einzelfall. Wie das?

Im Gegensatz zum Urknall des Universums sind die Umstände des Bundeswehr-Urknalls bestens bekannt. Die NATO-Vorgabe lautete damals: 500 000 Soldaten so schnell wie möglich. Ohne Rückgriff auf die militärische Erfahrung ehemaliger Wehrmachtssoldaten war das nicht zu machen. Aus Alliierten waren um 1950 Gegner geworden. Und aus Gegnern Alliierte. Und so drückten die Personalgutachterausschüsse immer häufiger beide Augen zu. Offiziere mit erzkonservativem bis reaktionärem Staatsverständnis und bewährtem Feindbild wurden eingestellt. 

Für sie war das Konzept „Innere Führung“ des Grafen Baudissin, das die Bundeswehr demokratiekompatibel machen sollte, ein Weichmacher, ein Hemmnis für Kampfkraft und Effizienz, Zeitverschwendung. Sie leugneten die Rolle der Wehrmacht als Instrument des größten Raub- und Vernichtungsfeldzugs der Geschichte, relativierten deutsche Verbrechen zur Selbstentlastung und rebellierten innerlich gegen den begrenzten militärischen Verfassungsauftrag. Und als für Erziehung und Ausbildung verantwortliche Vorgesetzte gaben sie diese Einstellung weiter. Bald besetzten sie Schlüsselstellungen in Truppe, Ministerium, Personalführung und Ausbildungseinrichtungen und höhlten das sich in der Wehrgesetzgebung spiegelnde Reform-Prinzip von innen aus.

Nicht immer ohne politische Rückendeckung. Die Mehrzahl der einschlägigen Politiker haben allerdings Baudissin bis heute nicht verstanden. Für sie ist Innere Führung schlicht eine Sozialtechnik. Der Konflikt zwischen Reformern und sog. Traditionalisten brach sich hin und wieder eruptiv bahn: Unter Helmut Schmidt und Georg Leber wurden Spitzengenerale entlassen die es gar zu toll trieben. Doch das Myzel war dicht, der Boden gut gedüngt. Seilschaften über die Generationen hinweg schufen sich ihr homogenes Offiziercorps. 

Ein Schlaglicht auf die geistige Verfassung eines nicht unbeträchtlichen Teils werfen die Reaktionen auf die Wehrmachtsaustellung. Der Kommandeur der 7. Panzerdivision aus Unna bezeichnete sie öffentlich als „infam“ und wörtlich: „Ich lasse nicht auf das Grab meines Vaters spucken“ (Rheinische Post, 6. 11. 99).      Neben der Unverfrorenheit, die Rechtsprechung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals vom Tisch zu wischen, zeigt sich eine bedenkliche intellektuelle Schwäche: Die Unfähigkeit, zwischen der Institution und dem Verhalten Einzelner zu unterscheiden. 

General Gudera (Autor des o.a. Zitats) ist heute als Inspekteur ranghöchster Offizier des Heeres. Auf Wunsch seines Vorgängers. Der war auch zuvor auch in Unna Kommandeur und zog ihn nach. Und hat den General Günzel auf Anraten „vieler Generale“ vorgeschlagen.

An dessen militärischen Qualitäten gab es sicher keinen Zweifel. Allerdings konnte es in diesem Kreis auch vernünftigerweise keinen  Zweifel an seiner politisch reaktionären Einstellung geben. Man kennt sich Jahrzehnte und führt nicht nur dienstliche Gespräche. Soldaten werden in regelmäßigen Abständen beurteilt. Und da soll diese krude Mischung aus weinerlichem, nationalen Unterlegenheitsgefühl, Linkenhass und elitärem Gehabe nicht aufgefallen sein? Ganz im Gegenteil, Herr Minister. 

Übrigens ist Peter Struck schon seit mehr als drei Jahren über die Befindlichkeiten seines Führungspersonals informiert. Als Fraktionsvorsitzender erhielten er, sein Minister-Vorgänger und der Chef des Kanzleramtes Kenntnis von Guderas Brandrede. Damals wäre noch Zeit gewesen, diesen Mann nicht zum Inspekteur zu machen.

Mit "Antisemitismus?Raus- ruck-zuck" ist die Akzeptanz der Ministerentscheidung von allen Seiten sicher. Gelöst ist damit nichts. Was eigentlich ansteht, und spätestens bei der Auswahl für die mittlere Führungsebene einsetzen müsste, ist das Bohren von ganz dicken Bretten: Dem Primat der Politik Geltung zu verschaffen. Wer als Minister erst bei Generalen genauer hinsieht, hat keine Chance mehr. Wolfgang Kubicki hat bei Sabine Christiansen zu recht den Finger in die Wunde gelegt.

General Günzel ist kein Einzelfall. So wie zuvor bei den Generalen Schnez, Karst und Schulze-Ronhof wird nur die Spitze des Eisbergs sichtbar.
Der nächste Eklat ist vorprogrammiert.

Jochen Scholz 

Anmerkung: Ich stimme Jochen Scholz absolut dabei zu, den Untersuchungsgegenstand zu erweitern und nicht nur die Einzelperson zu sehen. Das ist schon allein deshalb notwendig, weil die Strucksche Vorgehensweise der Bewertung der Person ("einzelner verwirrter") völlig suspekt ist.  Auch, weil die Institution Bundeswehr  in Zeiten vermehrter Kriegslüsternheit deutscher Politiker besonderer Aufmerksamkeit bedarf.

Dieser Sichtweise zuzustimmen bedeutet nicht, die Äußerungen Günzels auf die "leichte Schulter" zu nehmen. Ob der Mann Antisemit ist oder nicht, können wir nicht beurteilen - wir sind ja nicht Teil der Seilschaften um ihn herum. Daß seine Äußerung antisemitisch war, sei jedoch ausdrücklich betont: das "deutsche Volk" beschäftigt sich nun wirklich nicht mit Hohmanns Überlegungen, ob und wie sehr Juden als Juden 1917 Revolution machten oder mitmachten. Das deutsche Volk schaut mehrheitlich Gottschalk, liest Bohlen und ärgert sich über Heizölpreise, Steuererklärungsformulare, wählt Schröder und den Superstar, liebt Joschka und Feldbusch - sinniert aber nicht über Lew Davidowitsch Bronstein.

Und deshalb drückt Günzels Behauptung, uns sei irgendwie "aus der Seele gesprochen" worden, nichts anderes aus als eine Zustimmung zum Tenor der Hohmannschen Suada. Dieser Tenor hat allerdings zwei Aspekte:
- einerseits den antisemitischen (Konstruktion eines jüdischen Tätervolks) und - anderseits die deutsche Exkulpierung (Dekonstruktion eines Popanzes "deutsches Tätervolk", diesen Popanz stellen fast nur Nazis und historisch völlig Unbedarfte auf) in Hinsicht auf SS- und Wehrmachtsverbrechen, Verbrechen deutscher Juristen, Mediziner usw..

Welcher Aspekt bei Günzel überwog, weiß er vielleicht selbst nicht so genau. Das Grummeln der deutschen Offiziere, "endlich wieder dabei" sein zu wollen, war in den 90er Jahren deutlich zu vernehmen. Nun sind sie dabei, kein Krieg mehr ohne uns, heia Safari, und so richtig gleichberechtigt, schnätterätäng. Fachidiotentum, historisches Unwissen, Kameraderie, falsche Wertesetzungen, pure Dummheit, Karrierismus u.v.a.m. gibt sich ein fröhliches Ringelreihn mit Hinterlassenschaften der Nazi-Wehrmacht, wie Scholz es beschreibt. Rotzgrüne Kriegsminister können sich auf diesen Haufen solange verlassen, wie DIESE Politik weiter betrieben wird ... ---. Scholz warnt. Danke, Jochen!

Im übrigen bewunder ich Frau Klarsfeld.
(c) Andreas Hauß, November 2003, www.medienanalyse-international.de