Tegel 1943
Glasdächer, Trailem, rote Ziegelwände;
Gitter um Gitter - nirgends ein Ende -,
wenn der Gefangne im Hofe heruummarschiert
und mit seinen Augem nach, draußen
giert.
Der tägliche „Bärentanz" ist
im vollern Gange,
seht, wie sich windet der Gefangenen Schlange;
ich kann mir kaum das Lachen halten:
„Kittchenkluft" schafft doch groteske
Gestalten.
Die Hosen zu kurz, das Käppi zu klein,
bei manchem unten ein halbnacktes Bein;
alles verwaschen und eingelaufen!
ich möeht so 'ne Kluft mir als Andenken
kaufen.
Sie langt weder vone noch hinten mehr
zu,
hier hilft nur Lachen und phlegmatische
Ruh.
Mein Vordermann, der dürre, lange
maust grad die größte Porreestange,
die in dem Anstaltsporreebeet
hinter der Hecke Liguster steht.
Ein Andrer schnappt sich Tymian,
so viel er grade grappschen kann;
es langt nur für nen hohlen Zahn,
doch er meint, er sei glücklieh dran.
Ich selber habe auch Interessen,
ich versuch eine rote Blume zu fressen;
doch da sie nicht meiner Erwartung entspricht,
spuck ich sie bald wieder aus dem Gesicht.
Alles hat Kohldampf, leidet Hungerqualen,
frißt Krautblätter, Kohlstrünke,
Pellkartoffelschalen:
rohe Kartoffeln hat jeder von uns schon
probiert;
erst kürzlich ist einer an Darmriß
krepiert.
Kartoffelabträger eilen im Trab,
denn Hungrige werfen die Lasten gern ab;
dem Küchenchef, der sich daneben
am Wagen hat aufgebaut,
platzt vor Behagen oben am Kragen bald
die fettpralle Haut,
Massir throhnt er da wie eine trächtige
Kuh,
fast scheint es alswachsen die Augen ihm
zu.
Kessel klappern, Schlüssel klirren,
ein Schließer macht Krach,
„Leck* Arsch» denk ich und guck
auf das Kirchendach;
dort oben, wo frei die Winde weh`n,
seh ich eine kleine, unbeachtete Birke
steh`n.
lch muß an vertraute Genossen denken
die man hingrichtet hat ohne zu henken.
Manch Treuen hat man nur in ein Lager
gesteckt,
dort ist er - bei bester Betreuung - verreekt.
Wir konnten die Qual von Sommern und Wintern
in tragischer Ohnmacht niicht lindern,
nicht hindern,
Meine paar Monate sind zu ertragen,
da zählt das Elend nur nach Wochen
und Tagen,
doch müßte ich einst bei den
Langjährigen stehen,
ich würde wohl auch vor die Hunde
gehen.
*
Mein Nachfolger in einer revolutionären
Funktion
trägt die Qual jetzt seit zehn vollen
Jahren schon;
im Zuchthaus sollen er und andre zerbrechen;
hier gibt es nur eins - wir müssen
sie rächen:
Auge um Auge, Zahn um Zahn;
mein Plädoyer: ich klage an!
Gebt auch ihnen zu trinken aus Hitlers
Becher;
behandelt auch sie als Gewaltverbrecher!
Schlagt dem Riehtergesindel dieser Luderpartei
die beutegierigen Fänge entzwei!
Zertretet diese Zuhälter der Parteiinstanzen
wie vollgesogene, blutige Wanzen.
Sorgt nicht, daß einer unschuldig
sei,
bei uns war das Verhältnis tausend
zu drei.
Sie gaben durch brutalste Anwendung ihrer
Richtergewalt
den Nazityrannen erst Anker und Halt;
ohne sie wäre ihr Gott mit dem Parteibuch
Nummer sieben
kein so großer Zerstörer geworden,
sondern der kleine Stümper geblieben,
der im Grunde genommen er Immer war,
edlen Geistes und wirklicher Staatskunst
bar.
Denn es kommt weniger drauf an, recht siegreich
zu sein
und die größte Kriegsmaschine
sein eigen zu nennen;
ein wahrer Staatsmann soll allein
so einen Krieg verhindern können.
Doch Hitler hat dieses nicht nur nicht
getan,
- er griff sogar an ! -
Und Deutschlands „Intelligenz" hat ihm
assistiert,
unfähig zu bedenken, was sie riskiert
und verliert,
Hitlers Friedenstiraden sind schmählich
zeronnen,
er hat diesen Krieg gewollt und begonnen!
Er hat selbst vom Standpunkte der Bourgeoisie
gewütet wie - ein gehörntes
Vieh;
solange es ging aus dem Vollem geschöpft,
mit Betteln und Büchsen das Land
geschröpft,
und geköpft und geköpft und
geköpft ,
So ein Führer durfte seit „ 23 " nie
größere Sachen
wie Tüten zu kleben, Knöpfe
oder Sicherheitsnadeln machen.
Doch schon damals haben die Richter versagt
- ;
das Volk nicht geschützt, sondern
geplagt ...
Ich mag die Gedanken nicht weiter spinnen,
denn gleich wird ein hier oft Gesehautes
von Neuem beginnen:
drei Wehrmachtautos mit Menschenfracht
rollen heran,
vor dem Eingang zur Zellenflucht halten
sie an.
Die Wagentüren werden aufgerissen
und heraus quellen, bleich und verdreckt,
verstört und verbissen,
die Abfallprodukte des großen Krieges
und einzelne bewußte Verneiner des
Sieges.
Mit Befehlen und Kolben drängt sie
das Verhängnis
hinein in`n Militär-Umtersuchungs-Gefängnis.
Fern im Hofe brüllt einer laut und
vertiert,
dort wird mit Holzgewehren strafexerziert;
Hitlerss Büttel mit Tressen konzentrieren
da
all ihre Liebe auf Männer von Todt
und NSKK;
auf Infantristen, Matrosen und Flieger;
ich spanne und lausche - berechne - und
ahne die Sieger.
*
Doch noch ist`s nicht so weit,
noch braucht`s seine Zeit,
noch stirbt wem das Schiksal nicht hold
selbst wenn es aus Zellen um Hilfe laut
sehreit,
weil der Himmel Bomben und Feuer speit,
und über Tegel der Flakdonner grollt.
Selbst wenn Dachstühle brennen und
Gebäude erzittern;
Glasdächer und tausende Fenster zersplittern,
selbst wenn Mauern geborsten,und Türen
geknackt:
Hitlers Hinrichtungsmaschine ist noch
intakt!
Dena soeben taucht, behende im Lauf,
ein mit dem Talar behangemer Pfaffe auf
und hinter ihm her - drei dem Tode Geweihte
rom Militär;
Hände umd Fuße mit Ketten behangen
mehr geschubst und gestoßen als
wie gegangen ...
Und noeh ehe wir alle es kriegen reeht
spitz,
sitzt der Pfaffe schon yorn neben dem
Führersitz
und hinten- ehe die Türen geschlossen
winkt Einer noch einmal mit gebundenen
Flössen:
Ab dafür! mit Benzin nicht gespart
-
so sieht sie aus — Hitlers Volkswagenfahrt
!
Lebanslauf
des
Alex Hensel
Berlin-Neukölln
Ossastraße 39 /4Tr.
Reichsdeutscher - geb. am 18.2.1896 zu
Dresden -
Volksschüler der Klassen 1~8/ Metallarbeiter
~ Bergmann-
Seemann/ mit einem großen Drange
zum universalen Wiesen/
( dem ich unter anderes neben vielem Lesen
durch ausgedehnte
Wanderungen durch Deutschland, Holland,
Belgien, Frankreich, Spanien, Nordafrika, Italien und Österreich nachkam
) klassenbewußt und schon als 12jähriger der Arbeiter 'bewegung"
zugetan/
(Vater rühriger Sozialdemokrat )
mit literarischen und schauspielerischen Ambitionen und seit 1928 in Berlin
ansässig.
Mitglied des Metallarbeiterrerbandea (1912)
Kriegsgegner (1914) USPD (1917) Spartakuskämpfer und während
der Münchner Räterepublik Schutshaftgefangener im Zuchthaus zu
Ebrach ( Freispruch durch das Standgericht Nürnberg im 16. Juni 1919
) KPD (1919 -1933 )
Im Oktoeer 1933 wegen Fortführung
der Partei und Vertrieb illegaler antifaschistischer Literatur verhaftet
und bis März 1934 in den KZ Lagern Brandenburg und Oranienburg.Von
1934 -36 arbeitslos, anschließend beschäftigt bei Brüokenbauten
und Anpflanzungen der Reichsautobahnen, Flugplätze und Heeresbauten
) nie Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Unteroroganisationen ( nur seit
Januar 1940 zwangsweise Abzug von DA F-Beiträgen,
ohne jedoch ein Mitgliedsbuch zu erhalten.) Seit März 1943, den antifasohistiachen
Losungen entsprechend, auch der Arbeit für Hitler-Deutschland entzogen,
den Volkssturm um meine Seele geprellt und zuletzt, während der Schlacht
.um Stettin, nach zwangsweiser Rekrutierung
durch das Auffang- SS - kommando Weiß
(Angermunde) aus der Kaserne ( Munitions-Anstalt Plnnow ) desertiert.
Der andere, Herr Stöfflin, machte
derweil Kariere. Man beachte, daß Polizei durchaus auch "Einsatzgruppen",
d.h. Judenvernichtung in den eroberten Ostgebieten bedeuten konnte.
Im selben Jahre 1943, in dem Tegel so plastisch beschrieben wurde:
1939 gab es also den ersten Job ....
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