Zwei Leben

Axel Hensel und Walter Stöffin

Aus dem MAI-Archiv hier zwei Dokumentensammlungen, die eine gewisse Rekonstruktion von Leben und Lebensumständen zulassen. Die Charaktere sind anhand der hinterlassenen Dokumente gut bestimmbar - allein WAS übrig blieb, offnbart schon die Geisteshaltung des Betreffenen. Beide sind seit Jahrzehnten in Berlin ohne Erben verstorben, so daß keine Persönlichkeitsrechte berührt sind.
Mit beiden war und bin ich,A.H., weder bekannt noch verwandt.
Diese Dokumentation kann gerne auch für Schüler nutzbar gemacht werden. Sie wird wachsen, das Material ist umfangreich und das OCR-Programm hat hart zu arbeiten.
  

Tegel 1943

Glasdächer, Trailem, rote Ziegelwände;
Gitter um Gitter - nirgends ein Ende -,
wenn der Gefangne im Hofe heruummarschiert
und mit seinen Augem nach, draußen giert.

Der tägliche „Bärentanz" ist im vollern Gange, 
seht, wie sich windet der Gefangenen Schlange; 
ich kann mir kaum das Lachen halten: 
„Kittchenkluft" schafft doch groteske Gestalten.

Die Hosen zu kurz, das Käppi zu klein,
bei manchem unten ein halbnacktes Bein;
alles verwaschen und eingelaufen!
ich möeht so 'ne Kluft mir als Andenken kaufen.
Sie langt weder vone noch hinten mehr zu,
hier hilft nur Lachen und phlegmatische Ruh.

Mein Vordermann, der dürre, lange
maust grad die größte Porreestange,
die in dem Anstaltsporreebeet
hinter der Hecke Liguster steht.

Ein Andrer schnappt sich Tymian,
so viel er grade grappschen kann;
es langt nur für nen hohlen Zahn,
doch er meint, er sei glücklieh dran.

Ich selber habe auch Interessen,
ich versuch eine rote Blume zu fressen;
doch da sie nicht meiner Erwartung entspricht,
spuck ich sie bald wieder aus dem Gesicht.

Alles hat Kohldampf, leidet Hungerqualen,
frißt Krautblätter, Kohlstrünke, Pellkartoffelschalen:
rohe Kartoffeln hat jeder von uns schon probiert;
erst kürzlich ist einer an Darmriß krepiert.

Kartoffelabträger eilen im Trab, 
denn Hungrige werfen die Lasten gern ab;
dem Küchenchef, der sich daneben am Wagen hat aufgebaut,
platzt vor Behagen oben am Kragen bald die fettpralle Haut,
Massir throhnt er da wie eine trächtige Kuh,
fast scheint es alswachsen die Augen ihm zu.

Kessel klappern, Schlüssel klirren, ein Schließer macht Krach,
„Leck* Arsch» denk ich und guck auf das Kirchendach;
dort oben, wo frei die Winde weh`n,
seh ich eine kleine, unbeachtete Birke steh`n.

lch muß an vertraute Genossen denken
die man hingrichtet hat ohne zu henken.
Manch Treuen hat man nur in ein Lager gesteckt,
dort ist er - bei bester Betreuung - verreekt.

Wir konnten die Qual von Sommern und Wintern
in tragischer Ohnmacht niicht lindern, nicht hindern,
Meine paar Monate sind zu ertragen, 
da zählt das Elend nur nach Wochen und Tagen,
doch müßte ich einst bei den Langjährigen stehen, 
ich würde wohl auch vor die Hunde gehen.
 

*

Mein Nachfolger in einer revolutionären Funktion
trägt die Qual jetzt seit zehn vollen Jahren schon;
im Zuchthaus sollen er und andre zerbrechen;
hier gibt es nur eins - wir müssen sie rächen:
Auge um Auge, Zahn um Zahn; 
mein Plädoyer: ich klage an!
Gebt auch ihnen zu trinken aus Hitlers Becher; 
behandelt auch sie als Gewaltverbrecher!
Schlagt dem Riehtergesindel dieser Luderpartei 
die beutegierigen Fänge entzwei!

Zertretet diese Zuhälter der Parteiinstanzen
wie vollgesogene, blutige Wanzen.
Sorgt nicht, daß einer unschuldig sei,
bei uns war das Verhältnis tausend zu drei.

Sie gaben durch brutalste Anwendung ihrer Richtergewalt
den Nazityrannen erst Anker und Halt;
ohne sie wäre ihr Gott mit dem Parteibuch Nummer sieben
kein so großer Zerstörer geworden, 
sondern der kleine Stümper geblieben,
der im Grunde genommen er Immer war, 
edlen Geistes und wirklicher Staatskunst bar.

Denn es kommt weniger drauf an, recht siegreich zu sein 
und die größte Kriegsmaschine sein eigen zu nennen; 
ein wahrer Staatsmann soll allein
so einen Krieg verhindern können.

Doch Hitler hat dieses nicht nur nicht getan,
- er griff sogar an ! -
Und Deutschlands „Intelligenz" hat ihm assistiert, 
unfähig zu bedenken, was sie riskiert und verliert,
Hitlers Friedenstiraden sind schmählich zeronnen,
er hat diesen Krieg gewollt und begonnen! 

Er hat selbst vom Standpunkte der Bourgeoisie
gewütet wie - ein gehörntes Vieh;
solange es ging aus dem Vollem geschöpft,
mit Betteln und Büchsen das Land geschröpft,
und geköpft und geköpft und geköpft ,

So ein Führer durfte seit „ 23 " nie größere Sachen 
wie Tüten zu kleben, Knöpfe oder Sicherheitsnadeln machen.
Doch schon damals haben die Richter versagt - ;
das Volk nicht geschützt, sondern geplagt ...

Ich mag die Gedanken nicht weiter spinnen,
denn gleich wird ein hier oft Gesehautes von Neuem beginnen: 
drei Wehrmachtautos mit Menschenfracht rollen heran,
vor dem Eingang zur Zellenflucht halten sie an.

Die Wagentüren werden aufgerissen
und heraus quellen, bleich und verdreckt, verstört und verbissen,
die Abfallprodukte des großen Krieges
und einzelne bewußte Verneiner des Sieges.

Mit Befehlen und Kolben drängt sie das Verhängnis
hinein in`n Militär-Umtersuchungs-Gefängnis.
Fern im Hofe brüllt einer laut und vertiert,
dort wird mit Holzgewehren strafexerziert;
Hitlerss Büttel mit Tressen konzentrieren da
all ihre Liebe auf Männer von Todt und NSKK; 
auf Infantristen, Matrosen und Flieger;
ich spanne und lausche - berechne - und ahne die Sieger.

*

Doch noch ist`s nicht so weit,
noch braucht`s seine Zeit,
noch stirbt wem das Schiksal nicht hold
selbst wenn es aus Zellen um Hilfe laut sehreit,
weil der Himmel Bomben und Feuer speit,
und über Tegel der Flakdonner grollt.

Selbst wenn Dachstühle brennen und Gebäude erzittern;
Glasdächer und tausende Fenster zersplittern,
selbst wenn Mauern geborsten,und Türen geknackt: 
Hitlers Hinrichtungsmaschine ist noch intakt!

Dena soeben taucht, behende im Lauf,
ein mit dem Talar behangemer Pfaffe auf
und hinter ihm her - drei dem Tode Geweihte rom Militär;
Hände umd Fuße mit Ketten behangen
mehr geschubst und gestoßen als wie gegangen ...

Und noeh ehe wir alle es kriegen reeht spitz,
sitzt der Pfaffe schon yorn neben dem Führersitz
und hinten- ehe die Türen geschlossen
winkt Einer noch einmal mit gebundenen Flössen:
Ab dafür! mit Benzin nicht gespart -
so sieht sie aus — Hitlers Volkswagenfahrt !


Lebanslauf
des
Alex Hensel 
Berlin-Neukölln
Ossastraße 39 /4Tr.

Reichsdeutscher - geb. am 18.2.1896 zu Dresden -
Volksschüler der Klassen 1~8/ Metallarbeiter ~ Bergmann-
Seemann/ mit einem großen Drange zum universalen Wiesen/
( dem ich unter anderes neben vielem Lesen durch ausgedehnte
Wanderungen durch Deutschland, Holland, Belgien, Frankreich, Spanien, Nordafrika, Italien und Österreich nachkam ) klassenbewußt und schon als 12jähriger der Arbeiter 'bewegung" zugetan/
(Vater rühriger Sozialdemokrat ) mit literarischen und schauspielerischen Ambitionen und seit 1928 in Berlin ansässig.
Mitglied des Metallarbeiterrerbandea (1912) Kriegsgegner (1914) USPD (1917) Spartakuskämpfer und während der Münchner Räterepublik Schutshaftgefangener im Zuchthaus zu Ebrach ( Freispruch durch das Standgericht Nürnberg im 16. Juni 1919 ) KPD (1919 -1933 )
Im Oktoeer 1933 wegen Fortführung der Partei und Vertrieb illegaler antifaschistischer Literatur verhaftet und bis März 1934 in den KZ Lagern Brandenburg und Oranienburg.Von 1934 -36 arbeitslos, anschließend beschäftigt bei Brüokenbauten und Anpflanzungen der Reichsautobahnen, Flugplätze und Heeresbauten ) nie Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Unteroroganisationen ( nur seit Januar 1940 zwangsweise Abzug von DA F-Beiträgen, ohne jedoch ein Mitgliedsbuch zu erhalten.) Seit März 1943, den antifasohistiachen Losungen entsprechend, auch der Arbeit für Hitler-Deutschland entzogen, den Volkssturm um meine Seele geprellt und zuletzt, während der Schlacht .um Stettin, nach zwangsweiser Rekrutierung
durch das Auffang- SS - kommando Weiß (Angermunde) aus der Kaserne ( Munitions-Anstalt Plnnow ) desertiert.
 
 
 
 






Der andere, Herr Stöfflin, machte derweil Kariere. Man beachte, daß Polizei durchaus auch "Einsatzgruppen", d.h. Judenvernichtung in den eroberten Ostgebieten bedeuten konnte.


Im selben Jahre 1943, in dem Tegel so plastisch beschrieben wurde:


1939 gab es also den ersten Job ....
 

  (c) Andreas Hauß, Februar 2007
http://www.medienanalyse-international.de/ueberblick.html

Im Übrigen bewundere ich Frau Klarsfeld.