Ein email-Wechsel, ein FAZ-Artikel, Auseinandersetzung mit "freitag", "ZEIT" u.a. .
Guten Morgen Herr Hauß,
ich bin ein - jetzt nicht mehr anonymer - Leser Ihrer Online-Artikel. Bislang war ich höchst erfreut über die Stoßrichtung der Artikel - aufrecht links. Mit Verwunderung habe ich daher Ihr neuestes Posting zur Kenntnis genommen: ------>> Ein Embryo ohne Frau drumrum habe keine Würde, sagte sinngemaß Frau Zypries. Und Schrökel dazu: >>>Es sei die Frage, «ob wir nicht immer wieder über Grenzziehungen reden müssen», erklärte Anda.<<< Diese Regierung gehört nicht "kritisiert", sondern gestürzt, und dann sollen sich die Gerichte mit diesen Subjekten befassen. <------ Ich hab's mehrfach gelesen - hatte ich das "Vorsicht Ironie" - Plakat überlesen? Ne, ne, das ist wohl bitterer Ernst. Was ich nicht verstehe: Wenn in einem klerikalen Land wie der BRD EINMAL das gewordene Leben mehr zählt als das werdende Leben und sich dann die wenigen lauten Kritiker an den Zuständen in diesem Land plötzlich auf die Seite der stramm Konservativen schlagen, dann bleibt einem wirklich nur noch hilfloses Schulterzucken. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: JEDES Leben ist schützenswert
und das Leben von Menschen im Besonderen. Aber nicht nur das Leben an sich
ist schützenswert, sondern auch und v.a. die Qualität desselben!
Grüße N.N. |
Danke für Ihre Zuschrift, lieber Herr N.N.
und erlauben Sie mir bitte, daß ich das sensible und umfassende Thema nur kurz anfasse: "die Seite der stramm Konservativen" setzen Sie in Gegensatz
zu "aufrecht links". Das wundert mich, insbesondere auch wenn Sie
meine Seiten intensiv gelesen haben. Die Position des Papstes oder Herrn
Wimmers zu Fragen des Friedens fand immer Platz auf MAI. Z.B.! Auch
ist es rein logisch keine Gegensatz, stramm konservativ für das Grundgesetz
einzustehen, die Umwelt oder den Frieden, Völkerrecht und in
Gesetzesform gegossene Rechte konservieren/ bewahren zu wollen und dies
als "linke" Politik zu begreifen.
Nun zum Inhalt. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie
wird nicht verliehen und wieder aberkannt, es gibt keinen Zeitpunkt des
Beginns und eines Endes und keine Instanzen, die dies regeln. Diese Position
der Väter des Grundgesetzes aus Nazi-Erfahrung und (auch christlicher)
humanistischer Tradition ist Basis des gesamten Wertesystems des Grundgesetzes
- in das derzeit die Axt geschlagen wird.
Sie schreiben völlig zu Recht: "JEDES Leben ist schützenswert und das Leben von Menschen im Besonderen. Aber nicht nur das Leben an sich ist schützenswert, sondern auch und v.a. die Qualität desselben!" Ja, so ist es, bis auf das "v.a." - heißt doch wohl "vor allem". Wird Lebensqualität "v.a." gesetzt, ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Die Nichtverfolgung des Straftatbestandes des Schwangerschaftabbruchs ist ein reiner Abwägungsvorgang. Was wir vor 30 Jahren diskutierten, ist heute längst Realität: auf der einen Station des Krankenhauses werden Menschen getötet, die auf der anderen Station in einen Brutkasten gelegt würden. Das ist der harte klare Fakt. Bemühen wir uns darum, daß die Notwendigkeit für diese Grausamkeit so selten wie irgend denkbar eintritt, also um vernünftige Hilfe für werdende Mütter, Geld für Kitas, Geld für Bildung, Arbeitsplätze für Mütter, Sicherheit für Familien incl. der Väter, Aufklärung und Perspektive für Kinder und Jugendliche usw. Strucks Etat reicht dafür nicht einmal. Und nun noch zu den Umständen: dieselbe Regierung, die Krieg exportiert, PISA-mäßig dokumentiert bekam, wie katastrophal Bildung und Erziehung stehen, sowie bei Geburtenrate und Behandlung der Rentner zeigt, was "unrentable" Menschen an Stellenwert haben, Diese Regierung hat das Kapitalverwertungsiunteresse bestimmter Pharma-/Bio-Industrie-Lobbykreise so offensichtlich im Kopf, daß sie ohne jede Not und jeden äußeeren Anlaß außer eben diesem Interesse dieses Faß erneut aufmacht. Die Verbrecher putschen gegen das Grundgesetz, um nichts weniger geht es. Mit einer Sorge um Mütter in Notlagen hat das Handeln dieser Leute Nullkommanix zu tun, was Sie ja auch andeuten: "okay, das war hier in der Meldung vielleicht nicht der Punkt ". Es geht "um den Wirtschaftsstandort Deutschland" - Zellhaufen und demente Rentner und anderes Gesocks, das keinen "Respekt" zu verdienen in der Lage ist (Zypies-Resekt, ihre Formulierung) passen da nicht rein. Klar und scharf genug dazu zu sein halte ich für die erste Bürgerpflicht. Die Dame hat, wie ihre unselige Vorgängerin, Weisungsrecht gegenüber dem Generalbundesanwalt und andere Machtmittel. Schon allein wie sie dies Recht wahrnahm in der Frage der Lüge des GBA bei der Behandlung eines Völkerrechts-Kommentars zeigt, woher der Wind bei ihr weht. Vergleiche ich ihr Handeln und das der Regierung mit nicht nur den Friedensbotschaften, sondern auch den Positionen zur Soziallehre des Papstes, ist mir der alte knochenkonservative Antikommunist in all seiner mir fremden Ideologie x-mal lieber. Ja, die Schubladen passen nicht mehr. Im übrigen bewundere ich Frau Klarsfeld. MFG
Ich werde -natürlich ohne Namensnennung und nach Editierung- diesen Briefwechsel auf meine Seite stellen. |
Hallo Herr Hauß,
es hat mich gefreut, daß Sie auf mein Mail geantwortet haben. Sorry übrigens, daß ich wieder an info@... schreibe, anstatt Ihre andere E-Mail-Adresse zu verwenden, von der aus Ihre Antwort kam. (Aber sobald mein Rechner zuhause die Mail vom Server holt, steht sie mir hier am Arbeitsplatz nicht mehr zur Verfügung - aus diesem Grund kann ich jetzt hier auch nicht mehr wörtlich zitieren.) Zu Ihrem Stichwort: "wenn ich gründlich gelesen hätte..." - Vielleicht habe ich zu "selektiv" gelesen. Die Stellen, die einen bestätigen, liest man gerne zwei, drei Male - über andere Stellen huscht man dann eher drüber ... Nach Ihrem Statement vermute ich Sie jetzt im "aufrecht christlichen
Umfeld" - "konservativ", aber im besten Wortsinne. Aber Sie haben recht
- die Einordnung in Schubladen funktioniert nicht mehr.
Grüße, N.N.
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Lieber Herr N.N.,
irgendwie ist es ja auch lustig mit Ihnen. Da konzedieren Sie: "Aber Sie haben recht - die Einordnung in Schubladen funktioniert nicht mehr.", lassen sich jedoch nicht abhalten, eine aufzutun: "aufrecht christlichen Umfeld" - - und mich dort reinzustecken. Sie irren. Aber ebensowenig wie Sie Ihre Weltanschauung ausbreiten wollen, sehe ich einen Sinn darin, daß ich es tu. Nur so viel: Glauben Sie nicht, daß die alten Griechen (vielleicht
sogar ohne Medizinkenntnisse) aus vernünftiger Überlegung heraus
zu denselben Ergebnissen gekommen wären? Daß es tote und lebende
Materie gibt, und daß es sich nur - aber als conditio sine qua non
- aus der Befruchtung ergibt, und daß es danach keinen logischen
Qualitätssprung mehr in seiner Entwicklung gibt?
Es lebe das Grundgesetz - und die tiefe Weisheit seiner Väter
und Mütter.
MFG
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Datum 31.10.2003
Quelle Frankfurter Allgemeine Testfahrt ohne Perspektive
Vom Kanzler gingen gestern Fotos aus Bratislava durch die Presse, auf denen er zum Auftakt seiner Osteuropa-Reise in ei- nem bulligen Geländewagen über Stock und Stein rumpelt. ”Das macht Spaß! Kanz- ler Schröder testet Geländewagen" titelte die ”Bild"-Zeitung dazu und illustrierte, wie Schröder in eine tiefe Furt raste, mit dem Wagen bis zur Motorhaube im Wasser verschwindet, um ihn dann wieder sicher ins Trockene zu steuern. Der Tag, an dem der Kanzler in Bratislava sein Outdoor-Trai- ning absolvierte, war derselbe Tag, an dem er seine Justizministerin Brigitte Zypries in Berlin eine vielbeachtete Rede (F.A.Z. vom 29. Oktober) halten ließ, in der sie zen- trale Grundsätze des Embryonenschutzes einem Geländetest unterzog. Ihr Testergeb- nis lautet, kurz gefaßt: Da es die Spirale und die ”Pille danach" gibt, könne man dem Menschen seinen rechtlichen Würde- schutz ”realistischerweise" nicht mehr wie bisher schon vom Augenblick der Befruch- tung an zukommen lassen, sondern erst irgendwann später. Entsprechend müsse der künstlich in vitro erzeugte Embryo grundsätzlich würdelos bleiben. Nach zwei Jahren der Ruhe, in denen der Kanzler den biopolitischen Geländewagen in der Garage stehenließ, fährt er ihn jetzt also wieder über Stock und Stein, läßt ihn versuchshalber in eine Furt der Rechtsprechung steu- ern, um zu sehen, ob das Gefährt trocken wieder rauskommt - und sich ohne größere Rechtsprobleme in den Fuhrpark der gen- technologischen Industrie steuern läßt. Wer den Testbericht der Justizministerin studiert, ist versucht, den Kanzler in die Garage zurückschicken zu wollen. Behauptet man damit, Frau Zypries hätte nicht sagen dürfen, was sie sagte? Nein, die Justizmini- sterin hat - dies vorweggeschickt - ”zulässig" gesprochen, wie Rene Röspel, Chef der Enquetekommission des Bundestages ”Ethik und Recht in der Medizin", erklär- te. In der Sache widerspricht er ihr freilich und ordnet ihr Votum als altbekannte Minderheiten-Meinung in eine Rechtslandschaft ein, in welcher nach wie vor ”der überwiegende Teil der Juristen die Menschenwürde mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle gegeben" sieht. Aber natür- lich, so Röspel, ist Frau Zypries' Votum ”ein Diskursbeitrag von einer besonders ge- wichtigen Person, der Hüterin der Verfas- sung". Wenn sie jetzt eine andere Position als ihre Vorgängerin Herta
Däubler-Gmelin vertrete, dann habe ”das schon Einfluß auf die
Diskussion". In die Garage zurückschicken möchte man den Kanzler
denn auch aus einem anderen Grunde: Die Argumentation der Ministerin ist
fahruntauglich. Ihre Rede hat erkennbar nicht das Zeug, die parteiübergreifende
Übereinkunft des Bundestages in Sa- chen Embryonenschutz zu kippen
oder auch nur ernsthaft in Frage zu stellen. Denn alle Argumente, die Frau
Zypries jetzt wie Hasen aus dem Zylinder zaubert, sind noch vor zwei Jahren
im Parlament des langen und breiten erörtert und mehrheitlich verworfen
worden. Der Bundestag hat den Würdeschutz des Embryos aus- drücklich
zur Grundlage seines Stammzellgesetzes gemacht. Um sich jetzt in ihrem
Beschluß erschüttern zu lassen, hätten die im biopolitischen
Gelände erfahrenen Parlamentarier eine andere Rede gebraucht. Wenn
die Ministerin die Erlaubtheit von Spirale und ”Pille danach" als Argument
gegen den Würdeschutz des Embryos in der Petrischale in Anschlag bringt,
müßte sie ”realistischerweise" auch folgendes sagen: Wegen
des Faktums der Abtreibung sei nur solchen Menschen Würde zuzubilligen,
die die Geburt überlebt haben.
Aber egal ob in der Petrischale oder im Mutterleib: Der Embryo ist immer ein Mensch auf Zuwachs. Er hat immer ”lediglich die Perspektive", ein Erwachsener zu werden. Gerade diese Perspektivität ist ja das zentrale Kriterium für seinen verfassungsrechtlichen Schutz, verehrte Verfassungsministerin! Sie ist der Grund dafür, diesen Zellhaufen anders als andere Zell- haufen zu behandeln. ”Aus sich heraus" im Sinne der Ministerin entwickelt sich kein einziger Embryo. Existentiell wie die Symbiose mit dem mütterlichen Organismus ist jede notwendige Bedingung seines Gedeihens: das Einsetzen der Herztätigkeit, die Gehirnentwicklung, die Lungenreifung, die Geburt mit anschließendem Einsetzen der Spontanatmung, die weitere Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Sind das nicht alles ”wesentliche Voraussetzungen" des Menschseins? Will Frau Zypries, sobald eine dieser Voraussetzungen (noch) fehlt, über den Embryo sogleich den Würdestab brechen? Es wird wohl stimmen: Man kann das Austragen eines Embryos in vitro nicht erzwingen. Aber ebensowenig wird man dem Kanzler die Einsicht ersparen können, daß seine biopolitischen Testfahrten in dieser Furt die Würde des Menschen antastbar machen. Eine Barriere, über die keine Ministerrede hinwegrumpeln kann. CHRISTIAN GEYER Hervorhebungen von mir, A.H. |
Nicht, daß ich dafür plädiere, vor Zellhaufen, so sie menschlichen Ursprungs sind, die Hacken zusammenzuklappen. Würde und Respekt sind deshalb zwei verschiedene Worte, weil sie Verschiedenes aussagen. Der vorletzte Satz aus dem Artikel Geyers verdeutlicht, worum es geht: um die Antastbarkeit. Unser aller fehlender Respekt vor Zellhaufen setzt sich doch auch fort im fehlenden Respekt vor dem verknautschten schleimigen Etwas, das gerade geboren wurde, vor einem stinkbesoffenen bekotzten und verpißten Säufer bis hin zum Komapatienten. Wie sieht es mit Ihrem Respekt denen gegenüber aus? Wie sollen manche von denen sich je Respekt verdienen? Aber Würde - Würde haben sie. Koppele ich diese an den Respekt wie es Frau Zyprie tut, stehen bald ganz andere Fragen an. Und die können schon morgen Sie betreffen, werter Leser, und mich, uns alle. Ein Unfall, Querschnittslähmung, ruckzuck steht man selbst vor der Frage, wieviel Respekt und Wertigkeit und Achtung und Nutzen(um noch einige andere Worte zu gebrauchen, die dann in die Diskussion kommen könnten) man zu erringen oder zu halten noch in der Lage ist. Wer bereit ist, Embyos zu be- oder vernutzen, wird auch andere Menschen in anderen Reifestadien nach Nutzengesichtspunkten ansehen können. Und diesem Angriff auf das Zentrum des GG gilt es energisch entgegenzutreten. |
# Die Konsequenz des Nichtdurchblickens: ein Lob der Unentschiedenheit - wer so schreibt, entscheidet nicht (hoffentlich) und ist nicht entschieden in der Verteidigung des Grundgesetzes. "Tatmenschen", die Bedürfnisse "der Forschung", also "Sachzwänge" werden derart Denkende (?) beiseite schieben, wenn die Zeit gekommen ist - was Rödig ja auch selbst schon andeutet. "Der Begriff der Menschenwürde für eine befruchtete Eizelle ist ... unplausibel." Das ist das Einfallstor, sperrangelweit von solchen Schwadronierern aufgestoßen. |
Erinnert sei an den hundertsten Geburtstag von Konrad Lorenz a, 7.11.2003, dem Rasseideologen der Nazis, der seinen Sozialdarwinismus mit Gänseverhalten abfederte. "Verhausschweinung des Menschen" war einer seiner Kampfbegriffe, die ihn aus nazistischer Vergangenheit in austrogrüne Gegenwart bis hinzur zur Anti-AKW-Zwentendorf- Bewegung umtrieb. |
"Entweder ist die Justiz das ethische konservative Widerlager; oder sie wird zur Rechtsabteilung des Kanzleramtes." nahezu der einzige sinnige Satz in einem ZEIT-Artikel zu Zypries. |