-----------------------------------------------------------------------------------------Volker Bräutigam:Energiewende,
Profitspirale „Vattenfall will tausende Mini-Kraftwerke zusammenschalten“. Als ich im
März diesen Titel eines Kurzberichts der Nachrichtenagentur AFP las, glaubte
ich zunächst, ich müsse zum Augenarzt. Ein Energiemonopolist – er herrscht zusammen
mit RWE, e.on und EnBW über 80 Prozent des deutschen Strommarktes – quasi über
Nacht von ökologischer und sozialer Vernunft befallen? Ausgeschlossen! Wer die
Energiewirtschaft dem gesellschaftlichen Interesse unterstellen will, muss
schon zuvor die Revolution ausrufen. Der Glaube an Reformierbarkeit im Zuge
einer friedlichen und umfassenden „Energiewende“ ist ein Aberglaube. Der Reaktor-GAU in Fukushima hat es der Berliner Politik opportun
erscheinen lassen, den Atomausstieg zu beschließen. Seither wird wieder von
einer Energiewende geredet, zunehmend mit Akzent auf den ständig steigenden
Preisen. Eigentumsverhältnisse auf dem Energiesektor, Produktionsformen und
Vertriebswege oder gar die Umgestaltung der rückständig-zentralistischen
Strukturen sind tabu. Die Großkonzerne suchen lediglich neue
Marktsegmente und kassieren die mit staatlicher Einwilligung dem Verbraucher
abverlangten Umlagen und dazu weitere Fördergelder aus Steuermitteln. Der
Kleine Mann zahlt, wo kämen wir sonst hin. Dezentrale, intelligente
Energieversorgung bei restlosem Verzicht auf Atomkraftwerke bleibt Thema von
Sonntagsreden, weit ab von der politischen Agenda. Vattenfall – und darum ging´s in der AFP-Meldung - bietet Privatkunden mit Immobilienbesitz seit
Jahresmitte kleine gasbetriebene Maschinen als Heizung an, die nach dem Prinzip
Kraft-Wärme-Koppelung arbeiten und Strom-Überkapazitäten erzeugen. Der
Betreiber versorgt sich selbst mit Wärme und Strom. Überschüssigen Strom nimmt
Vattenfall gegen günstiges Entgelt zurück und speist ihn gewinnbringend in sein
sonstiges Versorgungsnetz ein. Eine brillante Strategie mit Mehrfachgewinn:
Vattenfall profitiert beim Verkauf der Kleinstkraftwerke, beim Gasverkauf zu
deren Befeuerung und bei der Wiederverwertung der privat erzeugten Energieüberschüsse.
Und das Ganze gibt der Konzern noch als ökologischen Fortschritt aus.
AFP-Text: „... Die Anlagen sollen dabei so intelligent
zusammengeschaltet werden, dass sie Schwankungen bei der Produktion von
Ökostrom ausgleichen können. Vattenfall spricht vom ‚virtuellen Kraftwerk’. ...
Bis Ende 2013 sollte eine Gesamtkapazität von 200 Megawatt zusammengeschaltet
und von einer Zentrale in Berlin aus gesteuert werden können. Das entspricht
der Leistung eines mittelgroßen klassischen Gaskraftwerks ...“ Wie weit Vattenfalls Blütenträume gediehen sind, weiß ich
nicht. Der Konzern liefert immerhin, nötig wär´s ja nicht gewesen, einen
weiteren Beweis, dass auch bei der sogenannten Energiewende unter
kapitalistischer Kondition sozial und ökologisch alles falsch läuft. Sein
Projekt senkt weder den Energieverbrauch noch die Energiepreise, da seien
Vattenfalls Hauptaktionäre vor. Es ermöglicht aber jenen, die ohnehin schon
hochwertiges Eigentum haben, Kostenvorteile und Zusatzeinnahmen. Passt doch.
Wie alles andere bei dieser „Wende“. Beispiel: Die Einkaufspreise an der Erfurter Strombörse
fallen kontinuierlich, der Preisvergleich zwischen Juli 2011 und Juli 2012
ergibt ein Minus von 10,9 Prozent. Die Kilowattstunde kostete in Erfurt im Juli
dieses Jahres 4,1 Cent, teilte das
Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) in Münster mit.
Auch der etwas höhere Preis für sogenannten Spitzenlaststrom sei deutlich
gesunken. Zu laststarken Zeiten mussten im Juli 2012 nur noch 5,1 Cent und
damit 10 Prozent weniger als im Vorjahresmonat (2011: 5,67 Cent) bezahlt
werden. Die Verbraucher jedoch mussten saftige Strompreissteigerungen
schlucken. Man vergleiche die eben genannten Einkaufspreise der Versorger mit
denen, die sie den Privathaushalten abverlangen. Selbst bei den industriellen
Großkunden zocken die Energieversorger – Arbeitsplatzgefährdung hin oder her –
noch kräftig ab, trotz der beachtlichen Unterschiede von mehr als 40 Prozent
zwischen den Privat- und den Großkundentarifen. Das Streben der Energiewirtschaft nach Profitmaximierung ist
grenzenlos. Wegen fehlender staatlicher Steuerungsinstrumente (die längst
hätten verfügt werden können, wie das Beispiel des straff regulierten
Telekommunikationsmarktes beweist), dank der Ohnmacht der Kartellbehörde sowie
des Versagens der Bundesnetzagentur. Es variieren lediglich die
Scheinargumente, mit denen die Großen Vier ihre Preissteigerungen begründen.
Eine ihrer Formeln lautet, der Atomausstieg treibe den Anteil der
umlagepflichtigen Erneuerbaren Energien im Stromangebot hoch. Eine weitere, es
falle wegen Zuschaltung neuer Windparks vermehrt teurer Ökostrom an. Und
schließlich: Der von Berlin durchgesetzte und geförderte Umstieg auf Ökostrom
erfordere Modernisierung und Ausbau des Netzes, vor allem müssten neue Nord-Süd-Trassen
gebaut werden, um die gewaltigen Strommengen aus den Windparks in Nordsee und
Ostsee in den verbrauchsstärkeren Süden der Republik zu schaffen. Richtig ist an dem Geseiere der Konzerne nur, dass die
vorgesehenen neuen Nord-Süd-Hochspannungsleitungen teuer werden. Unter anderem
wegen erheblicher Verzögerungen beim Bau infolge von Bürgerprotesten. Erdkabel
würden auf mehr Zustimmung stoßen, wären aber wesentlich teurer als
Überlandleitungen. Dass die Debatte über neue landesquerende Trassen bei einer
dezentralen Stromproduktion und –verteilung überflüssig wäre, bleibt weitgehend
unbedacht und außerhalb allen Streits über die Stromkosten. Auch die Öko-Stromwirtschaft setzt sich für Preiserhöhungen
ein. Ihre Argumentation ist besonders skurril. Wörtlich heißt es auf der
Internet-Seite des IWR: "Der Rückgang der Strompreise im Jahresverlauf
2012 (Jan – Juli) um bisher fast 1 Cent gegenüber 2011 hört sich
vergleichsweise wenig an. Bei 100 Milliarden Kilowattstunden EEG-Strom, die
2012 vermarktet werden, führt ein anhaltender Preis-Senkungseffekt auf diesem
Niveau aber zu rd. 1 Mrd. Euro weniger Einnahmen auf dem EEG-Umlagekonto als
geplant. Dieser Fehlbetrag wird über eine höhere EEG-Umlage von den
Stromverbrauchern ausgeglichen werden müssen."
Mit anderen Worten: Der
Gesetzgeber soll eine höhere Umlage verfügen, damit die Ökostrom-Anbieter
weiter uneingeschränkt Kasse machen können. Das IWR argumentiert ganz wie die
Großen Vier: von hinten durch die Brust und dann von vorn voll aufs Auge.
Schmerz, lass nach! Nach marktwirtschaftlich-kapitalistischem Credo beeinflusst
das Verhältnis von Angebot und Nachfrage den Preis. Folglich senkt das
zunehmende Angebot an erneuerbarer Energie die Stromeinkaufspreise, trotz des kostenintensiven
Atomausstiegs, den die Stromwirtschaft vorzufinanzieren hat (sie wird sich
schon schadlos halten, keine Sorge). Vom Preisverfall hat jedoch der
Verbraucher nichts, denn die Stromversorger geben die zunehmenden Einkaufsvorteile
nicht an ihre Kundschaft weiter. Andererseits müssen die Versorger für die
vermehrte Netzeinspeisung von Ökostroms höhere EEG-Umlage bezahlen: 3,592 Cent
pro Kilowattstunde bekommen die Netzbetreiber in diesem Jahr. Diese Kostensteigerung
erscheint natürlich sofort auf unserer häuslichen Stromrechnung.
Kapitalistisches Wirtschaften wie im Bilderbuch: Die drastisch fallenden
Einkaufspreise vergrößern die Gewinnspanne der Versorger, und die dabei
anfallende profitschmälernde Ökostrom-Umlage dient ihnen als Argument für zusätzlichen
und überproportionalen Preisauftrieb zur fortgesetzten Gewinnsteigerung. Ein Ende der Strompreistreiberei wäre nur in Sicht, wenn es
gelänge, die vier Monopolisten zu zerschlagen, innerhalb kleinerer Strukturen
marktwirtschaftliche Konkurrenz zu initiieren und eine kompetente
Regulierungsbehörde zu installieren. Wirklich angemessen wäre jedoch die
komplette Enteignung und Vergesellschaftung der Energieversorgung. Den
Produktions-, Verteilungs- und Versorgungsauftrag an kommunale, regionale bzw.
genossenschaftliche Anbieter zu vergeben. Weg von der Produktion kommerzieller
Gigawatt-Monopole und hin zum Verbund vieler kleiner Blockheizkraftwerke und
Non-Profit-Betreiber. Mehr ökologischer
und sozialer Gewinn ist kaum vorstellbar - die wirkliche Energiewende. Der
partielle und selbst der gänzliche Verzicht auf Atomstrom ist es nicht, weil er
die Makrostruktur der Energiewirtschaft unangetastet lässt. Wir finanzieren
weiterhin nur die Gewinnspirale von Monopolisten. Heilung ohne Revolution gibt
es eben nicht. Volker Bräutigam Mit freundlicher
Erlaubnis der Politikzeitschrift Ossietzky ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- |
(c) Andreas Hauß, September 2012
http://www.medienanalyse-international.de/ueberblick.html
Aktuelles: http://www.medienanalyse-international.de/index1.html
Im Übrigen bewundere ich Frau
Klarsfeld.