Offener Brief
an den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz



vgl. auch Scholz
 
  


Offener Brief an den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz

Sehr geehrter Herr Fromm,

ich weiß nicht, wo Sie sozialisiert worden sind und wo Sie Ihre staatsrechtliche Expertise
für Ihre derzeitige Funktion als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz
erworben haben. Ich gehe jedoch wohl nicht fehl in der Annahme, dass Ihr
Staats-, Demokratie- und Verfassungsverständnis tief im Nährboden des Kalten
Krieges wurzelt. Also in einer Zeit, in der Spitzen und Unterbau der Apparate in Politik,
Verwaltung, Justiz, den Diensten und der Bundeswehr ihren vor 1945 internalisierten
Antikommunismus bruchlos in den Dienst der neuen Republik stellen durften
und mit sich, der Welt und ihrer Vergangenheit im Reinen waren. Jedenfalls erschließt
sich mir dies aus Ihrer Entscheidung, Abgeordnete und Mandatsträger der
Linkspartei beobachten zu lassen, weil diese Partei über politische Modelle zur Überwindung
des Kapitalismus nachdenkt. So ist dies einschlägigen Presseveröffentlichungen
der vergangenen Tage zu entnehmen.
Nicht erst seit Karl Marx, sondern bereits seit Diogenes wissen wir, dass das Sein
das Bewusstsein bestimmt. Insofern vermute ich, dass Ihr Verfassungsverständnis
durch allzu engen Umgang mit den Spitzen des deutschen Großkapitals gelitten hat.
Mir ist jedenfalls auch nach jahrzehntelangem Studium des Grundgesetzes noch
nicht aufgefallen, dass der Kapitalismus, also eine bestimmte Wirtschaftsform, irgendeine,
und sei es nur indirekte, Erwähnung im Grundgesetz gefunden hat oder
gar als Staatsziel definiert ist. Liest man die Länderverfassungen von Hessen oder
Bayern u. a., fällt hingegen sofort etwas anderes auf: Forderungen nach Eigentumsformen
an Produktionsmitteln, die nach den historischen Erfahrungen aus der Weimarer
Republik zweifelsfrei gegen den Kapitalismus gerichtet sind. Nun wissen wir
beide, dass die Länderverfassungen 1946 entstanden und die Alliierten dem Parlamentarischen
Rat 1947/48 nicht gestatteten, solche Forderungen in dieser unbedingten
Form in das Grundgesetz zu übernehmen; wie ja auch das Ahlener Programm
der CDU von 1947 sehr schnell wieder kassiert wurde, dessen Autoren Sie heute mit
Sicherheit im Visier hätten. So entstanden die weichgespülten Artikel 14 und 15 GG,
immerhin. Sie sind jedoch selbst in dieser Form eher ein Indiz dafür, dass die Mütter
und Väter des Grundgesetzes den heutigen Politikern der Linkspartei näher gestanden
hätten als den heute Regierenden. Keinesfalls lässt sich aus ihnen ein Verfassungsgebot
des Grundgesetzes für die kapitalistische Wirtschaftsform in unserem
Land ableiten. Im Gegenteil legt das Grundgesetz keine bestimmte Wirtschaftsform
fest. Dazu gibt es eine Fülle von Literatur, u. a. von Wolfgang Abendroth, dessen
100. Geburtstag sich kürzlich jährte. Insofern ist die programmatische Arbeit der
Linkspartei – und der bis 2007 kommenden Neuen Linken – verfassungsrechtlich in
keiner Hinsicht zu beanstanden. Dass man politisch anderer Auffassung sein kann,
versteht sich von selbst. Ihre Maßnahmen gegen Spitzen der Linkspartei, die noch
dazu als Mitglieder des Bundestages einem besonderen Rechtsstatus unterliegen, ist
folglich selbst verfassungswidrig. Im Falle des saarländischen LfV bezüglich der
Bobachtung von Oskar Lafontaine hat Heribert Prantl kürzlich in der Süddeutschen
Zeitung dazu die erforderlichen öffentlichen Worte gefunden.
Dabei gäbe es für Ihr Amt in der Tat reichlich zu tun, wenn Sie Ihren Auftrag nach
den Maximen unseres großen Königsberger Philosophen wahrnähmen:
• Die Regierung Schröder/Fischer hat unser Land 1999 in einen völkerrechtswidrigen
Luftkrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien geführt. Die Begründungen
für diesen Krieg beruhten auf Fälschungen – wie dem nicht vorhandenen, im
BMVg multimedial wirkungsvoll erstellten Hufeisenplan zur angeblichen Vertreibung
der Kosovo-Albaner – und standen im eklatanten Widerspruch zu den Erkenntnissen
und Lagebeurteilungen der Jahre 1998/1999 des Auswärtigen Amtes,
des Amtes für Nachrichtenwesen der Bundeswehr, des Führungszentrums
der Bundeswehr („Unterrichtung des Parlaments“) und der OSZE, die unseren
Politikspitzen sämtlich bekannt waren. Der letzte Satz der Lagebeurteilung des
Amtes für Nachrichtenwesen vom 22. 3. 1999, zwei Tage vor Kriegsbeginn, lautete:
„Es sind auch weiterhin keine Tendenzen zu ethnischen Säuberungen im Kosovo
feststellbar.“
• Dieselbe Regierung hat der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika seit
2002 den deutschen Luftraum, deutsche Häfen und die nur für den NATOVerteidigungsauftrag
überlassenen Liegenschaften u. a. in Ramstein, Spandahlem
und Stuttgart-Vaihingen zur Verfügung gestellt, um den völkerrechtswidrigen
Krieg gegen den Irak zu führen. Der damalige Bundeskanzler hat dies öffentlich
mit der Lüge von „Bündnisverpflichtungen“ gerechtfertigt, für die es nach dem
NATO-Truppenstatut von 1993 jedoch keine rechtliche Grundlage gibt. Die Regierung
der Großen Koalition führt dies fort, obwohl Artikel 20 Absatz 3 die Exekutive
an Recht und Gesetz bindet.
• In beiden Fällen wurde die Verfassung gebrochen, indem entgegen den Artikeln
25, 26 und 87a sowie der Präambel des Grundgesetzes gehandelt wurde.
• Der Generalbundesanwalt hat die Strafanzeigen gegen die handelnden Regierungsmitglieder
im Zusammenhang mit der Gewährung von Überflugrechten im
März 2003 zurückgewiesen, weil er keinen Anfangsverdacht für die Einleitung eines
Ermittlungsverfahrens nach § 80 StGB in Verbindung mit Artikel 26 GG erkennen
konnte. In seiner Begründung hat der weisungsbebundene Generalbundesanwalt
dazu den Kommentar von Randelzhofer zur Aggressionsdefinition der
Vollversammlung der Vereinten Nationen (im Standardkommentar zum Völkerrecht
von Bruno Simma) in sein Gegenteil verkehrt und damit das Recht gebeugt
(sofern davon auszugehen ist, dass die Mitarbeiter des Generalbundesanwalts
nicht unter Viererjuristen ausgewählt worden sind).
• Der zweite Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichtes hat hierzu in seinem
Urteil vom Juni 2005 in der Disziplinarsache des Majors Pfaff die nötige
Klarheit geschaffen, ohne dass dies zu irgendwelchen strafrechtlichen Konsequenzen
geführt hat.
• Seit drei Jahren zerschlagen die Bundesregierungen mit den sog. Hartzgesetzen
den Sozialstaat. Damit handeln sie verfassungswidrig, indem sie den durch Artikel
79 Absatz 3 vor parlamentarischen Änderungen geschützten Artikel 20 Absatz 1
zur Disposition stellen. Mit dem sog. Optimierungsgesetz, am 1. Juni 2006 vom
Deutschen Bundestag mehrheitlich verabschiedet, werden Millionen von Staatsbürgern
ihrer Freiheitsrechte („Residenzpflicht“) und ihres grundgesetzlich geschützten
Rechtes auf ein Leben in Würde (Artikel 1 GG) beraubt.
• Als einzige politische Partei hat die Linkspartei gegen alle obigen Entscheidungen
gestimmt.
• Ihr Amt hat sich beim Thema Terrorismus bisher nicht gerade mit Ruhm bekleckert.
Obwohl Ihnen die Wurzeln des islamistischen Terrorismus so gut bekannt
sind wie mir, und obwohl Sie seine Funktion im geostrategischen Schachspiel ebenso
kennen wie ich, tun Sie nichts, um diesem grausamen Spiel ein Ende zu
bereiten. Falls diese Äußerungen auf Unverständnis stoßen sollten, wäre Ihr Amt
das Geld nicht wert. Zur Sicherheit empfehle ich die Lektüre des Interviews von
Brzezinski im Nouvel Observateur vom Januar 1998. Als ehemaliger Luftwaffenoffizier
teile ich im übrigen die Meinung des damaligen kanadischen Verteidigungsministers
zum 11. September 2001 und stimme Michael Meachers (bis Mai
2003 britischer Umweltminister) Kommentar vom 6. September 2003 im Guardian
zu: “This War on Terrorism is Bogus”.
Fazit:
• Politiker der Linkspartei, die über andere Formen der Wirtschaft nachdenken, weil
der seit 1990 entfesselte „Raubtierkapitalismus“ (Altkanzler Helmut Schmidt) für
jedermann sichtbar weltweit über Leichen geht, müssen nach Auffassung Ihres
Amtes wegen des Verdachts der Verfassungsfeindlichkeit unter Beobachtung gestellt
werden. Obwohl das Grundgesetz die Wirtschaftsform offen lässt. Offensichtlich
waren seine Mütter und Väter der Ansicht, dass die knapp zweihundertjährige
Geschichte des Kapitalismus angesichts einer Wirtschaftsgeschichte von
mehreren zehntausend Jahren die Festschreibung einer alleinigen ökonomischen
Heilslehre nicht rechtfertigt. Ich empfehle dazu als Hintergrundlektüre „The Great
Transformation“ des österreichischen Ökonomen Karl Polanyi.
• Politiker aller anderen Parteien dürfen nach Lust und Laune, im Falle der Grünen
auch manchmal unter entsetzlichen Darmkrämpfen, das Grundgesetz für außenund
innenpolitische Vorhaben brechen und sich der Assistenz führender Medien
und anderer williger Helfer und Vollstrecker bedienen. Trotz höchstrichterlicher
Rechtsprechung scheint das für Sie und Ihre Mitarbeiter kein Anlass zu sein, über
folgende Personen Akten anzulegen: Gerhard Schröder, Joseph Fischer, Rudolf
Scharping, Peter Struck, Guido Westerwelle, Claudia Roth, Franz Müntefering,
Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier, General a. D. Naumann, Volker Rühe,
Wolfgang Clement, Kai Diekmann, Josef Joffe, General a. D. von Kirchbach, Kai
Nehm, Otto Schily, Wolfgang Schäuble ..... Die Liste ließe sich noch lange und
ausgewogen fortsetzen.
Sehr geehrter Herr Fromm, unser Land wird verfassungsrechtlich seit Jahren von
denjenigen schleichend unterwühlt, die von Amts wegen dazu verpflichtet sind, das
Grundgesetz zu schützen und seinen Bestand zu erhalten: unseren Politikern in Regierungsverantwortung.
Die Konsequenz ihrer rechtswidrigen Politik ist die bereits
weit fortgeschrittene Militarisierung der Außen- und der Innenpolitik. Das wird sich
rächen, sofern nicht deutliche Stopsignale gesetzt werden. Denn die Menschen in
Deutschland werden sich einen Kurs nicht auf Dauer gefallen lassen, der sie zum
Kanonenfutter der Kapitalverwertungsinteressen degradiert. Die Spaltung unserer
Gesellschaft ist voll im Gang. Der soziale Sprengstoff kann auch im Land des Michels
eine kritische Masse erreichen, gegen die Repression wirkungslos ist. Ihre
Verantwortung wäre es, dies der Politik ungeschminkt zu verdeutlichen, anstatt sich
in Ritualen des Kalten Krieges zu ergehen und auf Kapitalismuskritik mit Pawlowschen
Reflexen zu reagieren, nur weil die Linkspartei aus der SED hervorgegangen
ist. Jedenfalls ist nicht bekannt, dass Ihr Amt über die Autoren des SPD-Programms
von 1989 Akten angelegt hat (Zweiter Abschnitt. Die Grundlagen unserer Politik: „Es
ist.... historische Erfahrung, dass Reparaturen am Kapitalismus nicht genügen. Eine
neue Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft ist nötig.“) oder über Heiner Geißler,
dessen drastische Kapitalismusschelte ihresgleichen sucht.
Ausdrücklich verweise ich angesichts der zahlreichen und andauernden Verfassungsbrüche
und der Weigerung der Justiz, sie zu sanktionieren, auf den Kommentar
von Roman Herzog zum Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz.
Mit freundlichen Grüßen

Jochen Scholz
Oberstleutnant und Verfassungsschützer a. D.
Jülicher Ring 95
53913 Swisttal am 4. Juni 2006
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(c) Andreas Hauß, Juni 2013

http://www.medienanalyse-international.de/ueberblick.html
Aktuelles: http://www.medienanalyse-international.de/index1.html 

Im Übrigen bewundere ich Frau Klarsfeld.