Email an Struck
  
-------- Original-Nachricht -------- 
Datum: Tue, 06 Feb 2007 14:50:08 +0100 
Von: "Jochen Scholz" <scholz-hj@gmx.de> 
An: peter.struck@bundestag.de 
CC: 
Betreff: "Freigegeben" 

Sehr geehrter Herr Struck, 

zu Ihren Gunsten will ich annehmen, dass während Ihres Jurastudiums das Thema Verfassungsrecht unterbelichtet war. In Verbindung mit einer jahrelangen politischen Praxis, die mit zunehmender zeitlicher Distanz zu 1945 die Grenzen des Grundgesetzes immer skrupelloser überschreitet 
(durch „Rudis Gräueltruppe“ 1999 gefälschte Hufeisenpläne, um den Völkerrechtsbruch weniger auffällig zu machen; Schröders <es geht hier nicht um Juristerei, sondern um Politik> im November 2002 bei der Genehmigung für die USA, den deutschen Luftraum für den Aggressionskrieg gegen Irak zu nutzen und damit die Aushebelung von Artikel 20 Absatz 3 GG; der Quasi-Verteidigungsfall des Innenministers, um das Bundesverfassungsgericht auszubremsen; seine derzeitigen Pläne, das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung durch heimliches Durchstöbern der elektronischen Bibliotheken abzuschaffen; die Beispiele stehen pars pro toto),
scheint dies bei Ihnen zu einer déformation professionelle geführt zu haben. Ihre großmütig in der Öffentlichkeit verkündete „Freigabe“ des Abstimmungsverhaltens in der Fraktion für den vorgesehenen Einsatz der Aufklärer in Afghanistan scheint eine Folge dieser Deformation zu sein. 
Als Staatsbürger, der im Gegensatz zum Innenminister des vierten Kabinetts Adenauer stets mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumläuft, sage ich Ihnen: 

Sie haben in diesem Zusammenhang überhaupt nichts frei zu geben oder nicht frei zu geben. Und hören Sie endlich auf, von „Fraktionszwang“ zu reden. Den gibt es nicht. Zum besseren Verständnis nachstehend der Text des relevanten Artikels des Grundgesetzes: 

Artikel 38 
[Wahlrechtsgrundsätze; Rechtsstellung der Abgeordneten] 
(1)    Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. 

„Gewissen“ soll hier die vorherige Bestimmung, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden zu sein, lediglich verstärken und eindeutig machen. Das bedeutet, dass es den von Ihnen und – was die Sache nicht besser macht – vielen anderen Politikern gern behaupteten Unterschied zwischen Entscheidungen, die eine „Gewissensfrage“ seien und „Routinenetscheidungen“ nicht gibt. Wäre es anders, würde die entsprechende Passage etwa lauten:  „......Weisungen nicht gebunden, soweit Gewissensfragen betroffen sind.“ 

Dass dies offenkundiger Unfug wäre, wussten die Väter und Mütter des Grundgesetzes, denn wer sollte wohl für den einzelnen Abgeordneten entscheiden, wann ein zur Abstimmung stehendes Thema eine Frage des Gewissens ist und wann nicht. Im Grunde ist dies Allen klar, die sich zu diesem Thema äußern. Weil aber offensichtlich immer noch vielen Deutschen die Peitsche des vom preußischen Unteroffizier zum Lehrer umfunktionierten Zuchtmeisters in den Genen steckt, wird hierzulande immer wieder versucht, das der parlamentarischen Demokratie immanente Spannungsverhältnis zwischen Kontrollfunktion des Parlaments insgesamt und der Notwendigkeit der Mehrheitsbeschaffung für die Regierung im Sinne der Exekutive aufzulösen. Dabei wird der permanente Verfassungsbruch billigend in Kauf genommen. So weit, so schlecht. 

Eines kann ich Ihnen jedoch versichern: Seien Sie froh, mich nicht als Abgeordneten in Ihrer Fraktion zu haben. Beim Thema „Fraktionszwang“ hätte ich Sie schon längst vor versammelter Mannschaft platt gemacht. 

Mit freundlichen Grüßen 
Jochen Scholz 
Oberstleutnant und Verfassungsschützer a. D. 
 

-- 
Quidquid agis prudenter agas et respice finem 

 

   (c) Andreas Hauß, Februar 2007  http://www.medienanalyse-international.de/ueberblick.html
Aktuelles: http://www.medienanalyse-international.de/index1.htm

Im Übrigen bewundere ich Frau Klarsfeld.