tollcollect - kollektiver Wahnsinn?
"Wenn Dein Pferd tot ist, wird es Zeit abzusteigen" - Weisheit der Sioux-Dakota
Ist es möglich, sich einen Namen zu geben, der weniger zu Häme und bitterbösem Spott Anlaß gibt? Toll? Toll hat im Deutschen, also nicht als Übersetzung aus dem Englischen, die Bedeutungen "supergut". aber auch "verrückt" - und collect erinnert auch an den Bettelbeutel in der Kirche.
Einige Überlegungen, die leider aufgrund der Geheimnistuerei der Beteiligten nicht erhärtet, aber auch nicht widerlegt werden, anhand der vorliegenden Fakten:
Vorspann Aktuelles: Toll Collect - (RFID im Großen)
 legte neues Angebot vor. Und ZACK- schon steht der Vertrag wieder !
Passend zur Einigung auch folgendes Abkommen: Galileo und GPS sollen sich im nächsten Krieg miteinander vertragen
Und der Bundesbeauftragte für Datenschutz Schaar bestätigt im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks: es ist nur ein Softwareschalter, der toll-collect für flächendeckende Identifizierung und Erfassung ALLER Fahrzeuge /un-/geeignet macht. "Das wäre schon eine Technologie, die einem Datenschützer nicht unbedingt Freude bereitet. ...Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein solches System, wie es jetzt hier in Deutschland installiert wird, datenschutzrechtlich geeignet ist für beispielsweise Mauterfassung für PKW's. Da würde ich diesen Eingriff für zu tief ansehen."
Also datenschutzrechtlich ungeeignet. Nett formuliert.
Schon Tage  nach der mediengepriesenen "Kündigung" der Schwenk.Erst Schrempp, dann Pierer und nun Schröder machen das Projekt zur Chefsache. WAMS: Verbessertes Angebot kommt.  Vergleichen Sie die erbärmlich dummen Kommentare in der bürgerlichen Presse mit dem, was auf dieser  Website gesagt wurde und wird. Die Scham über Fehlprognosen oder Lügen ist der Journaille allerdings spätestens seit den ersten Kriegen von Rotzgrün abhanden gekommen. Wer immer nur Regierungspolitik - allerhöchstens mal ironisch angestubst - referiert und nicht recherchiert, dem Leserinteresse nicht verbunden ist, der zerreißt halt eben die Kommentare von vor einer Woche und bringt derzeit verschämt nur "Nachrichten". Und die Linken - schnarchen weiter.
 
1. Das Konsortium sollte von Anbeginn an den Zuschlag erhalten, und das gilt auch jetzt noch. Die Form der Vertragskündigung und die dabei von Stolpe geäußerten Worte sprechen Bände. Nach der Kündigungsanzeige hat Toll Collect zwei Monate Zeit, sein Angebot nochmals nachzubessern. Es ist nicht Dummheit, sondern fester Wille von Stolpe und der Regierung, die Zusammenarbeit mit dem deutsch-französischen Konsortium durchzuziehen. Die Erscheinung, daß "unsere" Minister am Ring durch die Nase" vorgeführt werden von brutale, geldgierigen und unfähigen deutschen Firmen, ist nicht mit dem Wesen der Sache identisch. Die derzeitige Vertragskündigung war angesichts des politischen Drucks unvermeidbar, bedeutet aber nicht ein Ende der Zusammenarbeit. 

2. Andere Mitbieter wurden systematisch ausgebootet - durch technische, mehr jedoch durch finanzvertragliche Spezifikationen, die zu erfüllen kleine Firmen nicht in der Lage waren. Sie fielen durch das Bieterraster - ohne daß Toll Collect etwa jetzt bei Nichterfüllung vertraglich die Strafzahlungn usw. hätte leisten müssen. Denn im Vertrag waren die Kriterien nicht mehr enthalten, die zuvor zum Ausschluß der Konkurrenz geführt hatten.

3. Technisch bestehen die Systeme der Mitbieter ebenfalls aus einer Ablösung der Vignette. Mikrowellen senden eine Fahrzeug-ID an Empfangsrelais an Auffahrt und Abfahrt der Autobahnen (Italien und Österreich), die Strecke dazwischen wird abgerechnet. Interessant ist, daß die Vignettenregelung in Deutschland nicht zwischenzeitlich behelfsweise wieder eingeführt wurde. Dahinter Dummheit und Vertrauen auf die technischen Fähigkeiten von Toll Collect zu vermuiten, halte ich für abwegig. Eine Wiedereinführung von Vignetten, die Milliarden in der Übergangszeit in die öffentlcihen Kassen spülen würde, würde die anderen Bieterkonsortien wieder ins Spiel bringen, denn die Zeitnot wäre abhanden gekommen, also eine Neuausschreibung möglich. Nun ist die Euro-Vignette "mit sofortiger Wirkung wieder gültig" (was nicht etwa bedeutet, es sei auch vor Jahresende eingeführt), und es werden neue Argumente gefunden werden müssen, um den bisherigen Weg zu rechtfertigen. Der Druck auf Toll Collect ist gestiegen.

4. Eine Neuausschreibung und damit evtl ein anderes technisches System, und das zudem noch aus dem Ausland, sind des Teufels.
Warum? Aus technischen und politischne Gründen.

5. Erinnern wir uns an die kleine Bemerkung Clements, auch die Straßen privatisieren zu wollen:  als Teil der hervorragenden gewachsenen Infrastruktur Deutschlands ein echter Batzen unseres Tafelsilbers. Die Tendenz zur Privatfinanzierung gibt es bei Tunnel- und großen Neubauprojekten. Sie entspricht der allgemeinen Staatsauflösung. Aber Privatisierung bedeutet: Einnahmen müssen generiert werden, um den Kaufpreis an den Fiskus wieder einzuspielen. Warum sollten die Einnahmen für einen "Straßenkäufer" nur von LKW kommen? Geplant ist also eine allgemeine Abzocke aller Autofahrer, aller PKW. Dem muß das System entsprechen, das muß datenmengenmäßig verwaltet werden können.
Ich halte das für einen der wesentlichen Gründe für die Toll Collect-Technik

6. Hinzu kommt jedoch eine Überfrachtung des Systems mit weiteren Fähigkeiten, die u.a. vom Schweizer Mitbieter erwähnt wurden. Die Stützung auf GPS und Handy bedeutet: totale Kontrolle. Mikrowellentechnik ist übrigens auch noch im Spiel. Punktgenaue Ortsbestimmung. Das mag eine gewisse Relevanz für Großspeditionen haben, die ihren Mitarbeitern nicht trauen. So wird es wahrscheinlich "verkauft". Aber es bedeutet in Verbindung mit der PKW-Orientierung den völligen Überwachungscheck für Schilys Innenministerium. Natürlich ist nicht interessant, wo gerade 40 Millionen zugelassener PKW fahren, und auch nicht, wo sie im Stau stehen. Die stehen da - ob mit intelligeter Technik oder nicht. Gezielt Einzelne identifizieren und verfolgen können, ein Profil seiner Fahrten zu erstellen, darum geht es. Ein weiterer Aspekt ist die Vermessung:
"In voll funktionsfähigem Zustand sollen dann insgesamt 300 an Trägerbrücken
montierte Automaten flächendeckend die gebührenpflichtigen von den nicht-gebührenpflichtigen Kraftfahrzeugen trennen. Die Klassifizierung erfolgt
über die Vermessung der Fahrzeug-Umrisse mittels Laser-Scanner. Wie exakt die automatischen Vorkontroll-Geräte funktionieren, belegt dieses Beispiel aus dem Erfahrungsschatz des Betreiberunternehmens: Bei Testmessungen im Frühjahr ermittelten die Hightech-Einrichtungen ein Pferd als Autobahn-Benutzer. Da als nichtmautpflichtig klassifiziert, ließen die Fahnder den Vierbeiner laufen."
ladungssicherung.de/content/download/BKF0708_03/BKF0708_03s0406.pdf
Das klingt lustig - aber sind das auch Bundesbehörden? Lustig? Bekanntlich sind Nummernschilder an bestimmte Fahrzeuge (mit definierter Achszahl, Tonnage usw.) gebunden. Auch im Ausland. Betrugsdelikte könnten per Zufallskontrollen mit solche hohen Strafen belegt werden, daß sie kaum vorkommen würden. Warum also über die Nummernschilderfassung hinaus noch eine Vermessung? Gegenüber dem derzeitigen erbärmlichen technischen Stand wirkt das Begehr viel zu hochgespannt. Was das System leisten soll paßt nicht zu dem, was machbar ist. Die Technik schreitet jedoch voran. Das weiß auch Schily. Einer, der das Pupillenscanning zum erklärten Ziel hat, verzweifelt nicht vor einer LKW-Vermessung. Hauptsache, die Schnittstellen sind im neuen System eingebracht. Das heißt dann "abgespeckt" und kann ins Laufen gebracht werden.

7. Erwähnt wurde schon das GPS. Ist es denkbar, daß eine Bundesregierung, die in zumindest europäischen Dimensionen denkt und das System auch internationl vermarkten will, vergessen hätte, daß derzeit eine europäische Alternative zum US-GPS aufgebaut wird (Galileo, vgl. http://europa.eu.int/comm/enterprise/aerospace/aero_comm_de.pdf)? Industriepolitisch wäre es wirklich heller Wahnsinn, ein Großprojekt wie die Maut mit den Folgenutzen auf ein System auszurichten, das man ablösen möchte. Also ist davon auszugehen, daß das Toll Collect-System u.a. auch einen Switch verkraften muß zur künftigen europäischen Satellitentechnik. Auch militärpolitische Erwägungen spielen bei Galileo mit - um so wichtiger, nicht den gesamten europäischen Verkehr von den USA-Satelliten abhängig zu machen. Und nun beginnt man langsam zu begreifen, was die Konkurrenz unter "überfrachtet" versteht. Verschiedene Techniken und Nutzanwendungen zugleich sind im Projekt Toll Collect enthalten - und die einen dürfen der deutschen Öffentlichkeit, die anderen den US - Planern und Industriestrategen nicht allzu deutlich werden. Daher rühren die Eiertänze Stolpes.

8. Zu guter Letzt sei noch darauf hingewiesen, daß die sich verschärfende Energiesituation zukunftsgerichtete Planungen erfordert. Dazu gehört die streckenorientierte Abkassiere aller Fahrzeuge, aber auch Entzerrrung von Verkehren, evtl. Kommunikation bis ins einzelne Fahrzeug hinein. Das ist durchaus nicht blöd und stellt die Systemgrundlagen nicht in Frage: Individualverkehr und guter Verdienst für Autoindustrie, Straßenbesitzer, Ölkonzerne, Technikanbieter wie Toll Collect. Und das ist ja nun das Wichtigste: Profit, unter welch widrigen Umständen auch immer. Gut geplant, rotgrün - aber mies umgesetzt. 

9, Ich hoffe, daß es noch Abgeordnete gibt, die sich nun dafür einsetzen werden, ein System zur ausschließlichen Erhebung von LKW-Maut auszuschreiben. Aber ich bin Realist. Deshalb rechne ich mit einer Nichteinhaltung der 2-Monatsfrist, daraufhin einer Neuausschreibung mit eben den Spezifizierungen, die a) bisher schon Bestandteil waren und b) nach den jünsten Erfahrungen eingearbeitet werden können

- und dann - oh Wunder! - mit einer erneuten Auftragsvergabe an Toll Collect, die schon so viel Erfahrungen damit haben, was bisher lief. Das sehe ich so wie Clement. ... Und wie Toll Collect. Mit dem Unterschied zu mir, daß diese einen Einfluß auf die Entwicklung haben. Man kann ja noch andere ins Konsortium nehmen wie z.B. Siemens, dieses umbenennen o.ä.. Der Schweizer Konkurrent Fela hofft übrigens nicht auf eine Neuausschreibung, sondern auf die Position zwei als Nachrücker (hoffen muß man ja bekanntlich immer), evtl als Konsortium mit Jenoptik, den Franzosen (Tales) und den Italienern. Derweil stellt Toll Collect weiterhin (heute am 18.2.2004) Erfassungsbrücken über Autobahnen auf, die werden keinesfalls abgebaut, und es gab keineswegs einen Aktieneinbruch bei den beteiligten Firmen.

Und MAI- Autor Hauß staunt nur, was alles so im Blätterwald kommentiert wird. Alles Mögliche, nur nicht das Interesse der Firmen und der Regierung an der Technik. "Politik in Bedrängnis und die geballte Unfähigkeit der Wirtschaftselite", das ist der Tenor. Kein Wort von den milliardenschweren Zusatznutzen, die bei einem einfachen (reinen Maut-)System eben nicht generiert werden können und die ich hier auch nicht einmal ansatzweise aufzeigen kann, da von noch zu entwickelnder Technologie abhängig. Und da sollen zwei gerissene Termine und kleine einstellige Milliardenbeträge jucken? Okay - jucken schon. Aber das Geschäft geht in dreistellige Milliardenbeträge.  Und nicht die auf den Tisch hauende Faust des Brummelbassisten Stolpe regiert diese Republik. Es gibt Figuren, die schlicht unwichtig sind. Verzichtbar. Bauernopfer.

 Hier ein lesenswerter Kommentar des Verkehrspolitik- Spezis der PDS. In manchem kommt er zu denselben Ergebnissen wie wir. Aber durch den verkehrspolitischen Tunnelblick beengt erkennt er leider eines nicht: daß sich die Systemfrage NICHT an der ursprünglichen Mautidee orientiert. Die "Bock zum Gärtner" Theorie erklärt schlicht eben nicht, weshalb dann überhaupt ein Mautsystem eingestielt wurde. Nochmals: es geht nicht mehr (vordringlich) um LKW-Maut. Die Zusatznutzen sind ausschlaggebend. Grün ist am System TollCollect nichts mehr.

"Das System ist in seiner Gesamtheit entwickelt, derzeit laufen die Tests, und mit denen sind wir sehr zufrieden", sagte ein Sprecher von Toll Collect  Und der BGL bestätigt - wie falsch auch immer die Aussage sein mag. Die Richtung - auf die kommt es an.

Im  übrigen bewundere ich Frau Klarsfeld.
(c) Andreas Hauß, 16.Februar 2004, medienanalyse-international.de