Verantwortung

Eine Überlegung Alfred Polgars aus dem Jahre 1918,
wiederentdeckt von Jochen Scholz:
 
 

Verantwortung 

Die leitenden Staatsmänner und Generale übernehmen „die Verantwortung“ für das Schicksal ihrer Völker, das sie den Völkern auferlegen. 

Aber was heißt in dem Fall: Verantwortung? 
Einer ungeheueren Verantwortung müsste doch ein ungeheueres Risiko dessen entsprechen, der sie übernimmt. 
Ein unterernährter, müdegearbeiteter Motorführer, der durch ungeschicktes Lenken seines Wagens ein Malheur anrichtet, wird eingesperrt. 

Was geschieht dem Staatsmann, der durch ungeschicktes Lenken des Staatswagens ein Malheur anrichtet? 
Er geht in Pension.

Wenn durch des Motorführers Verschulden ein Mensch getötet wird, wandert der Motorführer auf Jahre ins Gefängnis 
Wenn der Feldherr nutzlos, erfolglos Zehntausende seiner Soldaten in denn Tod geschickt hat, was erwartet ihn? 
Ein Häuschen im Cottage. Dort pflanzt er, in einem verschnürten Samtrock und das Käppi auf dem Haupt, Rosen. Seine Lieblingsrosen. Und schreibt Memoiren. 
„Ich übernehme die Verantwortung“, sagt der Minister so und so. Vor der Größe und dem kühnen Stolz dieses Wortes erbleichen die Zeitgenossen. 
Aber es steckt nicht das geringste dahinter. 
Verantwortung ohne Sühne, deren Ungeheuerlichkeit der Ungeheuerlichkeit jener entspräche, ist ein leeres Wort. 
Den Motorführer richten die Gerichte. 
Den Staatsmann und den General richtet die Geschichte. 
Sie überlasen ihr – so sagen sie im kritischen Fall – „ruhigen Herzens das Urteil“! 
Großartig, was? Erschütternd, wie? 

Der Herr Minister übernahm die Verantwortung? Halt, einen Augenblick! Wieviel Jahre Zuchthaus also, falls die Sache schiefgeht? Oder wie oft wünschen gehängt zu werden? 
Was würde Exzellenz darauf antworten? „Ich überlasse das Urteil ruhig der Geschichte.“ 
Und in der Tat haben jederzeit die Verantwortlichen auch nur dann die Konsequenz aus ihrer Übernahme der Verantwortung ziehen müssen, wenn das Volk Geschichte gespielt hat. 


Anmerkung: Als Alfred Polgar diesen Text 1918 schrieb, waren es noch 30 Jahre bis zu den Nürnberger Prozessen. Angesichts der Entwicklung nach Nürnberg ist er jedoch genauso aktuell wie zur Zeit seiner Entstehung. Die Frage lautet also frei nach Polgar: Wie oft wünschen gehängt zu werden, die Herren Präsidenten der USA, die Herren Verteidigungsminister, Bundeskanzler und Außenminister der Bundesrepublik Deutschland seit 1999? 
Ich wünsche mir in diesem Sinn eine deutlichere Ansage durch die künftige „Die Linke“. 

P.S. Ich bin ein Gegner der Todesstrafe. 
 

  (c) Andreas Hauß, Dezember 2006
http://www.medienanalyse-international.de/ueberblick.html
Aktuelles: http://www.medienanalyse-international.de/index1.htm

Im Übrigen bewundere ich Frau Klarsfeld.